In Zeiten von global beweglichen Unternehmen werden auch die Rufe nach transnationaler Solidarität unter den Beschäftigten immer lauter. Ein neuer Sammelband bietet einen interessanten Überblick über Theorie und Praxis grenzüberschreitender Gewerkschaftsarbeit. Tilman von Berlepsch hat ihn rezensiert
In zwölf Beiträgen schafft es die bunte Autorenschaft von »Last Call for Solidarity«, aktuelle Diskussionen der Gewerkschafts- und Bewegungsforschung zusammenzubringen, und zeigt so Möglichkeiten für Widerstand über Organisations- und Staatsgrenzen hinweg auf.
Solidarität entsteht in der Praxis
Der erste Teil des Bands liefert theoretische Grundlagen zu kollektiver Handlungsmacht und den Chancen und Problemen von internationaler Solidarität. Dabei plädieren die Autorinnen und Autoren dafür, Solidarität als Prozess zu begreifen, der in der Praxis entsteht.
Die Gewerkschaften hingegen haben sich, so die These, im Laufe der Zeit zu sehr auf Kundenbetreuungs- und Stellvertreteraktivitäten konzentriert und die Organisierung kollektiven Handelns vernachlässigt. In seinem Beitrag über die »Akteure internationaler Solidarität« konstatiert Bodo Zeuner, dass Gewerkschaften schon immer auch eine Ordnungsmacht waren. Gleichzeitig findet er Anzeichen dafür, dass sie immer noch Gegenmacht sein können. Als Voraussetzungen für Solidarität macht Zeuner aus: gemeinsames Interessenbewusstsein, Vertrauen in die Kolleginnen und Kollegen, Kommunikation sowie das Gefühl von Gegenmacht.
In »Globale Produktion und lokale Fragmentierung« erläutert Stefanie Hürtgen die Spaltungsmechanismen der Globalisierung im lokalen Bereich. Solidarität bedeutet für sie nicht, internationaler zu handeln, sondern auf allen Ebenen gegen die Zersplitterung der Belegschaften anzukämpfen.
Im letzten theoretischen Artikel stellt Andrew Herod heraus, wie starke Belegschaften durch die international vernetzte Produktion Kettenreaktionen in Gang setzen können, die ihnen große Macht verschaffen. So räumt er mit dem Märchen auf, dass Arbeitskämpfe unter heutigen Bedingungen keine Aussicht auf Erfolg hätten.
Neue Chancen für Gewerkschaften
Im zweiten Teil des Buchs wird anhand von Fallbeispielen und empirischen Studien die Theorie dem Praxistest unterzogen. Dabei analysieren die Autorinnen und Autoren konkrete Instrumente zur Umsetzung internationaler Solidarität, wie zum Beispiel Globale Rahmenvereinbarungen – also Verträge zwischen transnationalen Konzernen und globalen Gewerkschaftsverbänden –, europäische Betriebsräte, gewerkschaftliche Kampagnenarbeit oder Kooperation mit NGOs.
Eine absurde Form internationaler Solidarität bespricht Sarah Bormann: »sharing the pain« (den Schmerz teilen). Hier opfern die Gewerkschaften grenzüberschreitend Leiharbeiterinnen und -arbeiter, um Standortschließungen zu verhindern. Internationale Solidarität führt in diesem Fall zur Entsolidarisierung zwischen Kern- und Randbelegschaften.
Gewerkschaftsarbeit in Zeiten transnationaler Migration
Besonders spannend ist der Beitrag »Internationale Solidarität in Zeiten transnationaler Migration« von Jenny Jungehülsing. Sie zeigt auf, dass Zugewanderte eine herausragende Rolle in Gewerkschaften spielen und deren mangelnde internationale Orientierung ausgleichen können. Aus ihren Herkunftsländern bringen sie Erfahrungen, Netzwerke und eine Art »transnationaler Identität« mit, die zu einer wichtigen Grundlage gefühlter internationaler Solidarität werden. So haben salvadorianische und mexikanische Aktivistinnen und Aktivisten in den USA gewerkschaftliche Kämpfe vorangetrieben und politisiert.
Was dem Band fehlt, ist ein rahmender Artikel, der die verschiedenen Facetten und Forschungsergebnisse miteinander verbindet. Dennoch ist das Buch wegen der Verbindung von Theorie und Praxisbeispielen, die richtungsweisende Handlungsvorschläge liefern, allen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, Betriebsräten sowie Aktivistinnen und Aktivisten zu empfehlen.
Das Buch: Sarah Bormann, Jenny Jungehülsing, Shuwan Bian, Martina Hartung, Florian Schubert (Hrsg.): Last Call for Solidarity. Perspektiven grenzüberschreitenden Handelns von Gewerkschaften, VSA-Verlag, Hamburg 2015, 224 Seiten, 19,80 Euro
Foto: Overpass Light Brigade
Schlagwörter: Betriebsrat, Buch, Gewerkschaften, Globalisierung, Migration, Rezension, Solidarität, Theorie