Hinter dem Konflikt um AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah steckt ein innerparteilicher Machtkampf, der durch die Massenproteste gegen die AfD Anfang des Jahres angefacht wurde. Volkhard Mosler über die Widersprüche innerhalb der Partei und wie sie sich für den antifaschistischen Kampf nutzen lassen
Kurz vor der Europawahl überschlagen sich Ereignisse in der AfD. Ihr Spitzenkandidat Maximilian Krah bekommt ein Auftrittsverbot und verlässt den Bundesvorstand der Partei.
Ausgelöst wurde die neueste Krise durch ein Interview der italienischen Zeitung La Republika mit Krah. Auf die Frage, ob seine Aussage, die Deutschen sollten stolz auf ihre Vorfahren sein, sich auch auf SS-Offiziere beziehe, antwortete Krah, dass nicht jeder, der eine SS-Uniform getragen habe, automatisch ein Verbrecher gewesen sei. »Es hängt davon ab, was sie getan haben«, so Krah.
Seine Äußerungen zur SS laufen auf eine Weigerung hinaus, diese als Verbrecherorganisation zu verurteilen. Die französische Partei Marine Le Pens, »Rassemblement National« (RN), nahm dies zum Anlass, die Zusammenarbeit mit der AfD im künftigen Europaparlament aufzukündigen.
Bruch zwischen RN und AfD
Der Bruch zwischen RN und AfD hat sich schon länger angebahnt. Marine Le Pen will die französischen Wähler:innen von der Regierungsfähigkeit ihrer Partei überzeugen. Seit Jahren verfolgt sie dafür eine Strategie der »dédiabolisation«, also der »Entdämonisierung« ihrer Partei. Als Vorbild gilt die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni, mit deren »Fratelli d’Italia« sie auf europäischer Ebene zukünftig wohl enger zusammenarbeiten möchte.
Demgegenüber hatten AfD-Vertreter:innen, beflügelt durch das Umfragehoch seit Sommer letzten Jahres, stolz verkündet, die AfD sei der Beweis, dass es keiner Anpassung an die »Altparteien« bedürfe, um in der Wählergunst weiter auszugreifen. Hinter der Auseinandersetzung zwischen RN und AfD steckt somit der grundlegende Widerspruch, mit dem alle neofaschistischen Parteien umgehen müssen: der Spagat zwischen Selbstverharmlosung und Radikalisierung – zwischen rechtspopulistischen Ausgreifen und Festigung des faschistischen Kerns inklusive systematischer symbolischer Provokation.
Krise der AfD
So begann die Krise der AfD auch schon wesentlich früher als der eskalierende Streit um ihren EU-Spitzenkandidaten Krah und zwar mit der Veröffentlichung der Einzelheiten des Potsdamer »Remigrationstreffens« von Neonazis und führenden Vertreter:innen der Partei. Unter dem Druck von massiven Protesten entließ die AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel ihren persönlichen Referenten Roland Hartwig, weil dieser an dem Treffen teilgenommen hatte.
Damals gab es aus den Reihen der AfD scharfe Kritik an Weidels zu weicher und nachgiebiger Haltung. Götz Kubitschek, der Leiter des »Instituts für Staatspolitik« und enger Freund von Björn Höcke, kritisierte damals Weidels Beschluss scharf. Sie bediene die Feinde der AfD, ihre Entscheidung sei »Altparteienverhalten«.
Ende April ist dieser Streit über den Umgang mit Medienkritik dann an den beiden Spitzenkandidaten der AfD zur Europawahl Maximilian Krah und Petr Bystron erneut ausgebrochen, nachdem der Mitarbeiter Krahs, Jian G., wegen Spionageverdachts festgenommen worden war. Krah verzichtete nach einem Gespräch mit den beiden Bundesvorsitzenden Chrupalla und Weidel »vorläufig« auf weitere Wahlkampfauftritte, »um die Partei nicht zu belasten«.
Krah und die Flügelkämpfe in der AfD
Aber schon am 1. Mai trat Krah auf einer Wahlkampfveranstaltung des sächsischen Landesverbandes in Dresden auf. In seiner Rede wiederholte er die Kritik an Weidels zu weichem Kurs, ohne ihren Namen zu nennen: »Natürlich ist es leicht, wie es Geheimdienste so gern tun, Oppositionsbewegungen zu zersetzen. Aber, liebe Freunde, es gehören immer zwei dazu: die, die zersetzen wollen. Und die, die so dumm sind, sich zersetzen zu lassen.« Doch die AfD sei nun weiter: »Wir sind nicht mehr dumm, wir sind auch nicht mehr naiv.«
Krah war auf dem Europaparteitag im Juli 2023 auf Betreiben des Höcke-Lagers zum Spitzenkandidaten der AfD gewählt worden. Die TAZ berichtete: »Dass wiederum Krah trotz seiner Suspendierung und viel interner Kritik für die Spitzenposition durchkam, zeigt auch die prekäre Personallage der AfD. Besonders vielsagend war Alice Weidels Mimik während der Rede von Krah: Sie saß dort mit versteinertem Blick, als der neue Spitzenkandidat den innerparteilichen Gegner*innen den Kampf ansagte und von deutschem Liedgut schwärmte.«
Niederlage des Höcke-Lagers?
Insofern ist der Absturz von Krah auch eine Niederlage des faschistischen Lagers der AfD. Es war ihr Kandidat, der sein politisches Konto überzog. Andererseits hat die parteiinterne Niederlage des Höcke-Lagers kaum reale Konsequenzen: Trotz Auftrittsverbot bleibt Krah Spitzenkandidat und wird wohl die wie auch immer geartete AfD-Fraktion im neuen Europaparlament anführen. Auch die weiteren aussichtsreichen Listenplätze sind vorwiegend mit Kandidat:innen aus dem faschistischen AfD-Flügel besetzt.
Bislang hält sich das Höcke-Lager bedeckt. Vor die Alternative gestellt, den Streit in der AfD vor der Europawahl eskalieren zu lassen oder erst einmal still zu halten, hat man sich wohl für letzteres entschieden. So berichtet die Leipziger Volkszeitung: »Die Sachsen-AfD wollte sich offiziell nicht äußern und verwies auf den zuständigen Bundesvorstand. Nach LVZ-Informationen herrscht aber ein ›großes Unverständnis‹ über die Entscheidung in Berlin. Die Aussagen von Krah wurden intern als ›ungeschickt‹ und auch als ›Fehler‹ bezeichnet, aber nicht als besonders schwerwiegend angesehen. Dagegen könne die Entscheidung des Bundesvorstandes im Wahlkampf schaden, hieß es.«
Causa Krah: Protest wirkt!
Wenn ungenannte AfD-Funktionär:innen aus dem Landesverband Sachsen Krahs Verharmlosung der SS als »ungeschickt«, aber »nicht besonders schwerwiegend« ansehen, sagt das nichts über Krah, aber umso mehr über die den faschistischen Charakter der AfD aus. In der Tat benutzt Krah die gleiche Nazisprechweise wie Höcke oder Gauland. Der Unterschied besteht darin, dass es nach der Veröffentlichung der Deportationspläne führender AfD-Politiker:innen eine bisher einmalige Empörungswelle gegeben hat, die insgesamt zu einer erhöhten Alarmbereitschaft der durch das Wachstum der AfD entstandenen faschistischen Gefahr in der Bevölkerung geführt hat. Ohne die bisher größten antifaschistischen Massenproteste hätte die Parteiführung unter Weidel und Chrupalla kein Verbot von Wahlkampfauftritten von Krah und Bystron erlassen und die AfD wäre nicht in der Krise.
Der bislang nicht offen ausgetragene Konflikt zwischen Weidel und dem Höcke-Lager droht nach der Europawahl offen auszubrechen und den Verlauf des Essener Parteitags der AfD zu prägen. Die AfD hat Umfragen zufolge seit Jahresbeginn etwa ein Drittel ihrer potenziellen Wählerschaft verloren. Die Proteste haben auch die politische Mitte erreicht und wachgerüttelt. Der Versuch der AfD, gestützt auf die Bauernproteste, die Ampel-Regierung von rechts zu stürzen, ist daran gescheitert. Umso wichtiger ist es jetzt, den Protest und Kampf gegen die faschistische Gefahr nach Essen zu tragen. Widersetzen wir uns massenhaft dem AfD-Bundesparteitag vom 28. bis 30. Juni!. Kein Nazitreffen in Essen!
Schlagwörter: AfD, Antifaschismus