Bei den Départementswahlen in Frankreich wurde der rassistische Front National (FN) von Marine Le Pen zweitstärkste politische Kraft. Die Ursachen für den anhaltenden Aufstieg der Rechten ist die Kürzungspolitik der sozialdemokratischen Regierung unter Präsident Holland. Doch die Rechten können gestoppt werden, wenn die Linke handelt. Von Daniel Kerekes
Marine Le Pens Partei, der rassistische Front National (FN), hat in Frankreich einen weiteren Wahlerfolg errungen. Mit 25,35 Prozent ist der FN bei den Départementswahlen, hinter der konservativen UMP von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, zweitstärkste Kraft geworden. Nun kommt der FN in etlichen Départements in die Stichwahl. Die Partei des ehemaligen französischen Premiers Sarkozy (UMP) ist mit 32,5 Prozent oder mehr als 5,5 Millionen abgegebener Stimmen, als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen. Die regierende sozialdemokratische Partei PS kam auf 24 Prozent der Stimmen. Sie verlor in 30 der 61, von ihr regierten Départements, die Mehrheit . Die Linke jenseits der Sozialdemokratie konnte sich leicht verbessern. Jean-Luc Mélenchons Parti de gauche (PG) und die Parti communiste français (PCF) konnten mit ihrer gemeinsamen Wahlplattform Front de Gauche (Linksfront) landesweit 9,4 Prozent der Stimmen holen. Die Départementswahlen Frankreichs kann man mit den Wahlen zu Kreistagen in Deutschland vergleichen und in 98 der 101 Départements wurde neu gewählt. Mit nur 47 Prozent war die Wahlbeteiligung niedrig.
Enttäuschung über Sozialdemokratie
Warum wählen so viele Menschen in Frankreich den Front National? Ein Grund ist die große Enttäuschung der Menschen über die sozialdemokratische Regierung Hollande. Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 konnte François Hollande den Amtsinhaber Nicolas Sarkozy knapp schlagen, weil die Sozialdemokraten viele soziale Versprechungen machten. Er ist der erste sozialdemokratische Präsident seit dem Jahr 1995. Dementsprechend löste sein Wahlsieg große Begeisterung und Hoffnung auf ein Ende der unsozialen und kriegerischen Politik aus. Doch Hollande hätte seine Wahlversprechen kaum schneller und gründlicher brechen können. Die offizielle Arbeitslosenquote ist mit elf Prozent doppelt so hoch wie in Deutschland. Nach offiziellen Angaben haben von den jungen Menschen 26 Prozent keine Arbeit. Die Arbeitslosenzahlen stiegen mit 3,225 Millionen im März 2013 auf den Höchstwert der französischen Geschichte. Doch statt Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst zu schaffen, wie im Wahlkampf versprochen, erhöht Hollande die Mehrwertsteuer auf zwanzig Prozent und die Mindestbeitragszeit für den Erhalt der vollen Rente auf 43 Jahre. Dies ist wegen der hohen Arbeitslosigkeit jedoch für kaum jemanden zu erreichen. Unmittelbar vor den jetzigen Wahlen peitschte die sozialdemokratische Regierung das sogenannte Macron-Gesetz durch. Das Gesetz ist ein scharfer Angriff auf die Rechte der arbeitenden Bevölkerung. Seine mehr als 200 Bestimmungen machen es für Arbeiter schwerer, gegen ungerechtfertigte Entlassungen zu klagen, dagegen für Unternehmer leichter, von Beschäftigten Überstunden an Sonntagen ohne Überstundenzuschläge zu verlangen. Außerdem werden juristische und medizinische Gebühren grundlegend neu geregelt und zahlreiche staatliche Unternehmen sollen privatisiert werden.
Der regierende Premierminister Manuel Carlos Valls versuchte vor allem mit einem antifaschistischem Wahlkampf gegen den Front National mehr Stimmen für die Sozialdemokratie zu generieren. Viele Menschen schienen Valls diese Masche jedoch nicht abzunehmen: Denn in seiner Amtszeit als Innenminister sorgte er für etliche Massenabschiebungen. So hatte beispielsweise die PS im Wahlkampf versprochen, die umstrittenen Roma-Abschiebungen von Sarkozy zu stoppen. Dennoch wurden im August 2012 landesweit Roma-Wohnsiedlungen geräumt und hunderte dort wohnender Menschen nach Rumänien und Bulgarien abgeschoben.
Die Enttäuschung der Menschen Frankreichs über eine solche Politik und die neoliberalen Reformen alá Agenda 2010 sitzen tief. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die PS eine ähnliche Krise durchmacht, wie die SPD sie seit den Hartz IV Reformen in Deutschland durchlebt. Denn die von vielen Menschen erwartete linke und soziale Politik blieb aus. Heute wollen nach Umfragen nur noch 4 Prozent der Franzosen Hollande 2017 erneut als Kandidaten sehen. Hauptprofiteur der Enttäuschung über die sozialdemokratische Politik ist der Front National.
Faschismus mit modernem Antlitz
Bei der Suche nach den Gründen für den Aufstieg des Front National wird oft das »weichere« Image des FN unter Marine Le Pen angeführt. Das ist aber falsch. Sie mag das äußere Erscheinungsbild der Partei etwas verändert haben, aber die Parteigründer hatten von Anfang an das Ziel verfolgt, dem Faschismus ein modernes Antlitz zu verpassen. Auch Marine Le Pen verfolgt nach wie vor diese Strategie. Ihr wichtigstes Vorhaben war die »Entteufelung« (dédiabolisation) des Front National. Schon unter der Führung ihres Vaters Jean-Marie Le Pen bekannten sich führende Mitglieder als Nazis und Rassisten. So sagte Jean-Marie Le Pen 1987 in einem Interview, die Gaskammern der Nationalsozialisten seien ein »Detail der Geschichte des Zweiten Weltkrieges« gewesen. Für diese Aussage, die er über die Jahre hinweg immer wieder öffentlich wiederholt, wurde Le Pen mehrfach zu Geldstrafen verurteilt. Ebenso wurde er verurteilt, weil er Platten mit Liedern der Waffen-SS hergestellt und verkauft hatte. Marine Le Pen hat sich niemals von ihrem Vater distanziert. Zwar hat sie medienwirksam ein Paar der als Nazis bekannten Mitglieder ausgeschlossen. Tatsächlich aber ist der vermeintliche Reinigungsprozess nur oberflächlich: Le Pen und viele Parteikollegen pflegen weiter intensive Kontakte zur faschistischen Rechten. So verkündete in Lille die FN-Jugendorganisation auf einer Veranstaltung mit Marine Le Pen die strategische Partnerschaft mit der »Union zur Verteidigung der Jugend« (UDJ), einer gewaltbereiten Pariser Studierendenverbindung. Wegen schwerer Körperverletzung an Muslimen standen zwei der Mitglieder im Februar 2012 bereits zum zweiten Mal vor Gericht.
Ein ehemaliger Vorsitzender der Gruppe, Fréderic Chatillon, leitet die Kommunikationsagentur der Partei. Chatillon begleitete Le Pen auch auf ihrer offiziellen Italienreise und stellte den Kontakt zur neofaschistischen Bewegung MSI her. Ein weiteres ehemaliges UDJ-Mitglied, der Anwalt Philippe Péninque, arbeitet für Le Pen als politischer Berater. Der Wahlkampfleiter der Region um Nantes, Christian Bouchet, ist ein bekannter Nazi-Kader. Sein Sohn betreut die offizielle Facebook-Seite Le Pens. »Marine Le Pen ist nicht dabei, sich der Antisemiten und der (katholischen) Traditionalisten zu entledigen«, sagt die französische Soziologin Marie-Cécile Naves. Die Mitherausgeberin eines Lexikons des Rechtsextremismus beschreibt die offensichtliche Strategie der Parteichefin so: »Wichtig ist es lediglich, dass die radikalsten Mitglieder weniger in den Medien und auf Demonstrationen sichtbar sind.«
Einen weiteren Beleg für die halbherzige Abkehr von radikalen Elementen liefert ein Blick in das Umfeld des umstrittenen Universitätsprofessors und FN-Spitzenpolitikers Bruno Gollnisch . Er unterlag 2011 knapp Marine Le Pen im Rennen um die Präsidentschaft der Partei. Gollnisch ist Abgeordneter im Europaparlament, Mitglied des Parteivorstands und Vorsitzender der FN-Fraktion in der Region rund um Lyon. Er gilt als Europas einflussreichster Nationalist und hat beste Kontakte zur extremen Rechten.
Gegen das »deutsche Spardiktat« und den Islam
Die Neuausrichtung des Front National unter Marine Le Pen folgt der Strategie eines Großteils der europäischen Rechten. Neben den bekannten Forderungen – weniger Einwanderung, mehr Geld für innere Sicherheit, Wiedereinführung der Todesstrafe – spricht sich der FN auch für die Abschaffung des Euro, neue Grenzkontrollen und wirtschaftlichen Protektionismus aus. Außerdem führte Marine Le Pen ein neues Feindbild ein: den Islam.
»Es gibt zwar keine Panzer und keine Soldaten, aber eine Besatzung ist es trotzdem«, erklärte die Parteichefin Le Pen 2014, zum Islam in Frankreich. Nach den Pariser Attentaten zu Beginn des Jahres sah sich Le Pen bestätigt und schürt weiter Angst gegen Muslime. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der FN ein Verbot von Kopftüchern in der Öffentlichkeit verlangt, ebenso wie ein faktisches Verbot für den Bau von Moscheen. Der Rassismus dem die vier Millionen in Frankreich lebenden Muslime ausgesetzt sind, ist allgegenwärtig. So führt beispielweise der französische Autor Michel Houellebecq derzeit mit seinem Roman »Unterwerfung« die Bestsellerlisten an. Darin beschreibt er, wie 2022 eine muslimische Partei die Stichwahl um das Präsidentenamt gewinnt und die französische Gesellschaft Stück für Stück unterjocht. Er schürt mit dieser Fiktion ganz gezielt Angst und Vorurteile in der Bevölkerung. In dieselbe Kerbe wie Houellebecq schlägt auch der FN: »Rassismus, Antisemitismus, Homophobie: Die Kandidaten des FN ohne Maske« titelt das französische Wochenmagazin L’Obs. So postete z.B. der FN Kandidat Jean-François Etienne auf seinem Facebookprofil Fotos von afrikanischen Flüchtlingsboten mit dem Kommentar: »Ein oder zwei dieser Abfallschiffe zu versenken«. Wer glaubt dies wäre ein Einzelfall täuscht, denn kaum waren die rassistischen Äußerungen des Kandidaten bekannt, kamen durch das Magazin L’Obs weitere ans Licht.
Der FN verbindet seine Hetze gegen Muslime und Ausländer mit einer Anti-Austaritätspolitik, um auch ehemalige Wählerinnen und Wähler der Linken einzufangen. Mit dieser Mischung von Parolen gegen den Islam, Einwanderung, Euro und das deutsche »Spardiktat« fährt der FN zur Zeit einen Wahlerfolg nach dem anderen ein. Bei der Präsidentschaftswahl 2012 wird Le Pen Dritte, aus der Europawahl 2014 geht der FN als stärkste Kraft in Frankreich hervor und jetzt der Erfolg bei den Départementswahlen 2015.
Der Rechtsruck der Konservativen
Der antimuslimische Rassismus der bürgerlichen Mitte, insbesondere der Konservativen machte es Le Pen leicht, sich als respektable Kraft darzustellen. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: »2007 fügt der konservative Politiker Nicolas Sarkozy dem Front National mit einem betont rechten Wahlkampf eine herbe Niederlage zu. Ein kurzsichtiges Vorgehen: Durch seinen Rechtsruck macht Sarkozy viele Forderungen des FN salonfähig.« Sarkozy vereinte eine drastische Kürzungspolitik mit einer offen rassistischen Agenda, wie sie kein französischer Präsident der Gegenwart vertreten hat. Die Regierung verfügte Quoten für »illegale« Einwanderer und setzte diese auch rücksichtslos um. Flüchtlingscamps der Roma wurden in Trümmer geschlagen und Frankreichs muslimische Bevölkerung einer üblen und unaufhörlichen Hetzkampagne ausgesetzt. So hat der Staat Kleidungsvorschriften erlassen und die Freiheit des Gebets eingeschränkt: Das öffentliche Tragen der Verschleierung wurde untersagt, Beten auf der Straße verboten. In seiner Wahlkampagne trat Sarkozy streckenweise in Le Pens Fußstapfen, indem er Panik wegen halal geschlachtetem Fleisches schürte. Die Islamophobie von Politikern und Parteien, insbesondere der Konservativen, hat die FN legitimiert.
Was macht die Linke?
Die Front de Gauche, das Wahlbündnis in dem auch die Schwesterpartei der LINKEN in Frankreich, die Parti de Gauche, Mitglied ist, konnte sich leicht verbessern. Sie kam bei den Wahlen im Schnitt auf 9,4 Prozent. Lichtblick waren einige Kreise in denen die Front de Gauche mehr als 15 Prozent holen konnte. Hier sticht vor allem die gemeinsame Kandidatur von Front de Gauche und den französischen Grünen heraus, die im Schnitt 13,6 Prozent in 448 Bezirken erzielte. Besonders in Großstädten die industriell geprägt sind, hatte das linke Wahlbündnis Strahlkraft. In nördlichen Lille konnte sie mit 20 Prozent ihr bestes Ergebnis einfahren. In einigen anderen Bezirken gab es ebenfalls Achtungserfolge für die Front De Gauche: So z.B. in Avesnois, wo Bernard Baudoux mit dem Linksfront zur zweitstärksten Kraft wurde (26,1 Prozent).
In einer Umfrage des Instituts IFOP erklärten 50 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter, sich einen Wahlsieg des FN zu wünschen. Nicht wenige sind durch den Kurs der aktuellen Regierung Hollande enttäuscht und haben daher anstelle linker Kräfte bei der Wahl rechts gewählt. Hier hätte sich das Wahlbündnis aus Parti de gauche und Parti communiste français deutlich klarer positionieren können: Mit einem klareren Bekenntnis gegen jeglichen Rassismus, einem stärkeren Eintreten für die Rechte von Muslimen und einer klareren Positionierung gegen Merkels Europa und Hollande Verarmungspolitik, hätten sie der FN in deutlich mehr Städten Stimmen abnehmen können.
Der Front National kann geschlagen werden
Der Aufstieg des Front National zeigt, welche Gefahren von rechts drohen, wenn linke Regierungen die europäische Wirtschaftskrise auf Kosten der Menschen bewältigen wollen. Doch der FN kann geschlagen werden. In den 1990er Jahren mobilisierten Antifaschisten gegen die Treffen der Rechten und beteiligten sich an einer Kampagne der »demokratischen Belagerung« des Front National. Im Manifest gegen den Front National hielt der ehemalige Vorsitzende der Sozialdemokratie Jean-Christophe Cambadélis fest, man müsse alle linken Kräfte gegen Veranstaltungen, Kundgebungen, Infostände der FN mobilisieren. Der Höhepunkt der Gegenbewegung war eine Großdemonstration am 29. März 1997 in Straßburg gegen den Parteitag der Front National.
Das half, eine Spaltung des FN zu provozieren, von der er sich lange nicht erholte, denn 1999 verließ der wichtigste Mann hinter Le Pen die FN, Bruno Mégret. Dieser gründete die Mouvement national républicain als „Neurechte Partei“ und nahm 5.000 Mitglieder der FN mit. Auch als 2002 Jean-Marie Le Pen es schaffte mit 4,8 Millionen Stimmen in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen zu ziehen, brachten Massenproteste den Front National erneut in Bedrängnis. Auf dem Höhepunkt der Bewegung protestierten über eine Million Menschen am 1. Mai in Paris. Neben den Demonstrationen in Paris fanden rund 400 Veranstaltungen in anderen Städten statt, die größten in Lyon (50.000 Teilnehmer), Bordeaux, Toulouse und Grenoble (40.000), Marseille, Lille und Nantes (30.000) sowie Straßburg (15.000). Selbst in kleineren Städten wie zum Beispiel Saint-Nazaire (14.000) und Rouen (13.000) demonstrierten die Menschen gegen den Front National.
Diese breite Bewegung gegen den FN verhinderte einen Wahlsieg und drängte die Partei erneut zurück. Auf diesen Erfahrungen kann die Linke in Frankreich aufbauen. Dafür muss sie den Front National und die Hetze gegen den Islam, die den Rassismus in Frankreich respektabel gemacht hat, aktiv konfrontieren.
Foto: Rémi Noyon / CC BY / flickr.com
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