Maradona, der vielleicht beste Fußballer der Welt, unterstützte den Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus und für die Befreiung Lateinamerikas. Ein Nachruf von Hans Krause
Maradona bekommt den Ball in der eigenen Hälfte; beginnt von dort seinen Lauf, dribbelt nacheinander Peter Beardsley, Peter Reid, Terry Butcher, Terry Fenwick und nochmal Butcher aus; schickt Torwart Peter Shilton mit einer Finte auf den Hosenboden; verliert dabei fast das Gleichgewicht, schiebt den Ball aber im Fallen noch ins leere Tor. Das 2:0 für Argentinien im WM-Viertelfinale 1986 gegen England wurde später zum Tor des Jahrhunderts gewählt.
Noch bekannter machte Maradona aber sein Tor vier Minuten davor. Um zu verstehen, warum er ausgerechnet mit einem Hand-Tor einer der beliebtesten Menschen Lateinamerikas wurde, muss man vier Jahre zurückblicken.
Nachdem der argentinische Diktator Leopoldo Galtieri im April 1982 die britischen Falklandinseln mit 2500 Einwohnern mit Soldaten besetzte, ließ die britische Regierung von Margaret Thatcher ihre vielfach überlegene Armee mit größtmöglicher Gewalt zurückschlagen, ermordete dabei 650 Menschen und verwundete 1700.
Im Mai versenkte die britische Armee ein argentinisches Kriegsschiff hunderte Kilometer von den Inseln entfernt und auf dem Rückweg zum Festland und ermordete allein dabei 323 Menschen. Rupert Murdochs britische Zeitung »The Sun« druckte am nächsten Tag in riesigen Buchstaben »Erwischt« und darunter ein Foto des sinkenden Schiffs.
Maradona demütigte England
Maradona sagte später zum WM-Spiel: »Wir wussten, dass sie dort viele argentinische Jungs getötet hatten; abgeschossen wie Vögel. Und das war unsere Rache.«
Viele Menschen in Argentinien und ganz Lateinamerika empfanden dieses Spiel 1986 als Revanche für die Kriegsverbrechen Großbritanniens. Maradona wurde ihr großer Held, gerade weil er das erste Tor mit verbotenen Mitteln erzielte. Gerade weil es unmöglich war, dass nach dem hohen Ball vors Tor der 1,65 Meter kleine Maradona mit dem Kopf höher sprang als Torwart Shilton mit gestrecktem Arm und gerade weil der afrikanische Schiedsrichter Ali Bin Nasser aus irgendeinem Grund nicht sah, was alle Spieler auf dem Feld und Millionen vor dem Fernseher gesehen hatten: dass Maradona den Ball mit der linken Hand ins Tor gestoßen hatte. Der Trainer von Argentinien beim WM-Sieg 1978 César Luis Menotti meinte später: »Viel besser, dass das Tor so grausam war. Weil es den Engländern mehr weh tat.«
Im Interview erklärte Maradona grinsend, es sei nicht seine, sondern die Hand Gottes, die den Ball ins Tor befördert hätte und ließ offen, ob er Gott für das Tor danken wolle oder sich selbst für übermenschlich hielt – und ein Fußball-Sprichwort war geboren. Später gewann Maradona mit Argentinien und erneut herausragender Leistung auch das Halbfinale gegen Belgien und das Endspiel gegen Westdeutschland und wurde endgültig Volksheld in Lateinamerika.
Partei ergreifen
Viele Kommentare führen das darauf zurück, dass Maradona nicht nur Lichtgestalt war, sondern auch Schattenseiten hatte. Drogenmissbrauch und Nähe zur Mafia gehören ebenso dazu wie der Vorwurf seiner Freundin, er habe ihr Gewalt angetan. Doch diese Dinge tun viele Menschen jeden Tag, ohne zum Volkshelden zu werden. Maradona war nicht nur beliebt, weil er ein Mensch aus dem Volk war, sondern weil er auch immer für es Partei ergriff.
Maradona wuchs mit sieben Geschwistern in einem Slum von Buenos Aires in einem Drei-Zimmer-Haus ohne Strom und fließendes Wasser auf und vergaß niemals, woher er kam. Seine Mutter war europäischer, sein Vater indigener Abstammung. Als Maradona 1984 für Barcelona gegen Bilbao spielte, gab er einem Gegner einen Kopfstoß, nachdem dieser und zehntausende Fans ihn das gesamte Spiel rassistisch beleidigt hatten. Einem weiteren Spieler stieß er den Ellbogen ins Gesicht und einem dritten das Knie an den Kopf.
Maradona, der Held von Neapel
Daraufhin verkaufte Barcelona ihn nach Neapel, was sich im Nachhinein als Glücksfall herausstellte. Maradona wurde auch hier zum Helden der überwiegend armen und rassistisch unterdrückten Süditaliener. Als er 1984 in die damals beste Liga der Welt kam, war Neapel gerade Zwölfter geworden und fast abgestiegen.
Vor allem wegen Maradona wurde die Mannschaft dann Meister 1987 und 90, bis heute die einzigen Meisterschaften einer süditalienischen Mannschaft. Hinzu kam 1989 der Gewinn des damals noch wertvollen UEFA-Pokals unter anderem gegen München und Erzfeind Juventus Turin.
»Verkauf dein Gold, mein Freund«
Doch Maradona war nicht nur wegen seines besonderen Fußballspiels berühmt und beliebt. Er sprach sich auch sein ganzes Leben für die Rechte der Armen auf der ganzen Welt und besonders gegen die Unterdrückung Lateinamerikas aus.
Als der gläubige Katholik Maradona Papst Johannes Paul II. traf, erzählte er danach den verdutzten Journalisten, dass er enttäuscht sei: »Ich war im Vatikan und hab all die goldenen Decken gesehen und nachher den Papst sagen hören, die Kirche sei besorgt um arme Kinder. Verkauf deine Decken, mein Freund, tu etwas!« Er versuchte 1995 eine internationale Fußballer-Gewerkschaft zu gründen, ausdrücklich nicht für die wenigen Millionäre, sondern die vielen Spieler auf der ganzen Welt, die sehr wenig verdienen und trotzdem jeden Tag ihre Knochen hinhalten müssen. Maradona sprach sich auch mehrfach für den Kampf der Palästinenser um einen eigenen Staat aus und erklärte 2014 zum israelischen Krieg im Gaza-Streifen: »Was Israel den Palästinensern antut, ist beschämend.«
»Stop Bush«
Vor allem aber unterstützte er sein ganzes Leben in Lateinamerika den Kampf gegen Kapitalismus und die Herrschaft der US-amerikanischen Regierung über den ganzen Kontinent. Maradona hatte auf dem Arm ein Porträt Che Guevaras tätowiert, lebte nach seiner Karriere vier Jahre in Kuba und sprach mit Fidel Castro über Gesundheitspolitik und Antikapitalismus. Später unterstützte er Präsident Hugo Chávez wegen seiner umfassenden sozialen Reformen in Venezuela. Als der US-amerikanische Präsident George Bush 2005 in Mar del Plata war, trug Maradona auf einem Antikriegskongress ein T-Shirt mit der Aufschrift »Stop Bush«, wobei das »s« durch ein Hakenkreuz ersetzt war.
Er war einer der größten Fußballer aller Zeiten, auch weil er nie Angst hatte, seine Ansichten zu äußern, während viele andere Prominente sich lieber die Zunge abbeißen, als eine Meinung zu haben. Diego Maradona – für immer die linke Hand Gottes.
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