Eduardo Galeano wurde von der Linken geliebt und von den Mächtigen verabscheut – und das aus guten Gründen. Ein Nachruf von Khury Petersen-Smith
»Man schreibt aus der Notwendigkeit heraus, mit anderen zu kommunizieren und eine Gemeinschaft zu bilden, um zu verurteilen, was Schmerz verursacht, und um mit anderen zu teilen, was glücklich macht. Man schreibt gegen die eigene Einsamkeit und gegen die Einsamkeit anderer. Man nimmt an, dass Literatur Wissen vermitteln und das Verhalten und die Sprache jener beeinflusst, die lesen, und uns so hilft, uns besser kennenzulernen und uns kollektiv zu retten.«
Eduardo Galeano, Die Verteidigung des Wortes, 1976
Als Eduardo Galeano am 13. April an Krebs starb, verloren jene von uns, die nach Freiheit hungern, einen Schriftsteller, einen Historiker, einen Journalisten und vor allem einen Kämpfer, der wie kein anderer in der Lage war, die Schönheit und das Grauen dieser Welt in Worte zu fassen.
Galeano wurde in einer Zeit geprägt, als Lateinamerika große Hoffnungen hatte und es massenhafte Erhebungen und brutale Unterdrückung durch Diktaturen gab. Er wurde 1940 in Montevideo, Uruguay, geboren. Der von den USA gestützte Staatsstreich 1954 in Guatemala, bei dem der fortschrittliche Reformer Jacobo Arbenz gestürzt wurde und der schmutzige Krieg aus Aufstandsbekämpfung und Kampf gegen die Linke begann, war ein epochales Ereignis des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika und in Galeanos Leben. Dasselbe traf auf die kubanische Revolution zu.
»Die offenen Adern Lateinamerikas«
Eduardo wurde als Teenager zum Schriftsteller und Aktivisten. Zuerst schrieb er für die sozialistische uruguayische Zeitung »El Sol«, für die er auch Karikaturen zeichnete. Er reifte als Reporter, als er für die politische und Kulturzeitschrift »Marcha« arbeitete, und wurde schließlich Chefredakteur der linken Tageszeitung »El Epoca«. Als radikaler Journalist bereiste er Guatemala und berichtete über den Kampf der Guerilleros dort. Er kritisierte Regime – einschließlich der Regierung seines eigenen Landes –, die trotz der wachsenden Widerstandsbewegungen Ungleichheit verteidigten.
1971 veröffentlichte Galeano eines seiner einflussreichsten Bücher, »Die offenen Adern Lateinamerikas«. Dieses Buch, das bis heute Pflichtlektüre für radikale Aktive sein sollte, erzählt die politische und ökonomische Geschichte seiner Heimatregion seit der Kolonisierung durch europäische Mächte. Anders als trockene historische Abrisse, die mit akademischem Abstand geschrieben sind, sind die »Offenen Adern« eine leidenschaftliche, poetische und gleichzeitig gründliche und materialistische Darstellung dessen, was im originalen Untertitel als »fünf Jahrhunderte der Ausplünderung eines Kontinents« bezeichnet wird.
Das Buch wurde auf der Linken begeistert aufgenommen und von den Mächtigen verabscheut. Nach seiner Veröffentlichung wurde es äußerst populär und von den Regierungen Argentiniens, Chiles und Uruguays verboten.
Immer wieder Exil
Der Preis, den Eduardo dafür zahlte, dass er die Wahrheit schrieb, war das Exil. Als das Militär 1973 in Uruguay die Macht an sich riss, war Galeano gezwungen, das Land zu verlassen. Er floh nach Buenos Aires, wo er Herausgeber des linken Kulturmagazins »Crisis« wurde. Nach dem Staatstreich in Argentinien 1976 floh Galeano wieder vor Todesschwadronen und landete dieses Mal in Spanien.
Eduardo verfasste mit »Tage und Nächte von Liebe und Krieg« eine Chronik seiner Erfahrung mit der Flucht aus einem Land nach dem anderen. Dort verwebt er seine Geschichte mit der Geschichte seiner Radikalisierung und Flucht, seines Exils und Überlebens mit denen anderer aus seiner Generation in ganz Lateinamerika. Zu denen gehörten berühmte Linke wie Salvador Allende und Che Guevara, aber auch unzählige Aktivisten, Folteropfer und andere, deren Namen nie bekannt wurde. Das Buch ist lebendig und faszinierend, und es verkörpert den Schreibstil, für den Eduardo bekannt wurde – ein Mosaik aus Geschichte, aus dem eine größere Erzählung hervorgeht.
Das Gedächtnis Lateinamerikas
In den frühen 1980er Jahren veröffentlichte Galeano seine Trilogie »Erinnerung an das Feuer«, das Meisterwerk, für das er wahrscheinlich am bekanntesten wurde. Mit dem hoch gesteckten Ziel, »das entführte Gedächtnis Lateinamerikas zu befreien«, zeichnet die Reihe das Bild einer Region von den frühesten menschlichen Siedlungen bis zur Gegenwart.
In einem Aufsatz über das Schreiben, der 1976 veröffentlicht wurde, schrieb Galeano: »Der Akt der Schöpfung ist ein Akt der Solidarität, der in der Lebenszeit seines Schöpfers nicht immer seine Bestimmung erfüllt.« Ohne Zweifel dachte Galeano dabei an Genossen, die für ihre Schriften ermordet worden waren, aber trotzdem etwas bewirkt hatten. Und ohne Zweifel wird Eduardo Galeanos Werk weit über seine Lebenszeit hinaus wirken. Aber sogar schon zu Lebzeiten wurde Galeano zu einem Riesen unter den politischen Schriftstellern, indem seine Schriften über nationale und zeitliche Grenzen hinweg Ausbreitung fanden.
Bleibende Bedeutung
Der venezolanische Präsident Hugo Chavez überreichte Barack Obama 2009 ein Exemplar der »Offenen Adern«, als sie beim fünften Amerika-Gipfel in Trinidad aufeinander trafen. Dadurch wurde das Buch einer neuen Generation präsentiert, und seine Verkaufszahlen schnellten über Nacht in die Höhe.
Die neuerliche Beliebtheit des Buches sagt viel über die Sprachgewalt von Galeanos Schriften und über die bleibende Bedeutung seiner Perspektive. Diese Perspektive blieb sogar noch umstritten, nachdem Galeano die Versuche, ihn auf dem Höhepunkt der politischen Reaktion in Lateinamerika zum Schweigen zu bringen und seine Literatur zu unterdrücken, überlebt hatte.
Gejagt von den Mächtigen
Erst vergangenes Jahr behauptete die »New York Times«, dass Galeano sich von den »Offenen Adern« distanziert hätte. Der entsprechende Artikel, der den aufgeregten Versuch macht, die Geschichte umzuschreiben und die Ungleichheit, unter der Lateinamerika heute leidet, unter den Teppich zu reden, bezieht sich auf einen nachdenklichen Kommentar, den Galeano auf der Buchmesse in Brasilia 2014 von sich gegeben hatte. Dort hatte Galeano gesagt, dass er das Buch heute anders schreiben würde, wenn er dazu Gelegenheit hätte.
Dass die »New York Times« sich auf die Gelegenheit stürzte, Galeanos radikales Erbe zu abzuwerten, sollte uns, die wir die Wahrheit kennen, eine Warnung sein. Das Erbe radikaler Menschen, die während ihrer Lebenszeit von den Mächtigen gejagt wurden, wird nur allzu gern nach ihrem Tod gesäubert.
Globale Solidarität
In Wahrheit hat Eduardo Galeano sich nie von seinen Prinzipien verabschiedet. Sein letztes zu Lebzeiten erschienenes Buch »Kinder der Tage« wurde 2011 veröffentlicht. In seinen Geschichten – eine für jeden Tag des Jahres – kommen Menschen aus dem Publikum vor, für das er schon 1976 schrieb: »die Hungrigen, die Schlaflosen, die Rebellen und die Verzweifelten dieser Erde«.
Diese Gruppe Menschen ist über Ländergrenzen hinweg vereint, und die Welt, die Galeano repräsentiert, ist eine der globalen Solidarität gegen die Kräfte der Ungleichheit und Zerstörung. Seine Opposition gegen die Zerstörung der Umwelt und seine Sensibilität für Unterdrückung aufgrund der Sexualität wurden im Laufe der Jahre nur entschiedener. Galeanos letztes Buch ist eine Sammlung von Texten über Frauen, die er im Laufe mehrerer Jahre geschrieben hatte, und heißt »Mujeres« (Frauen).
Während seine Verachtung für die Herrscher der Welt aus all seinen Schriften spricht, feiern Eduardo Galeanos Schriften ebenso farbenfroh die Schönheit der Welt und dessen, was Menschen schaffen und erschaffen. Das trifft besonders für seine Texte über seinen Lieblingssport, Fußball, zu. Galeanos Buch von 1995 »Der Ball ist rund« schreibt liebevoll die Geschichte dieser Sportart.
Die Zukunft vorstellen
Die meisten Schriftsteller hoffen, zu schon Lebzeiten für eines oder mehrere ihrer Bücher berühmt zu werden. Galeano Schaffenskraft aber war so groß, dass jedes seiner Werke, auch aber nicht nur das »Buch der Umarmungen« und in jüngerer Vergangenheit »Die Füße nach oben« und »Fast eine Weltgeschichte: Spiegelungen« je für sich geliebt wurden und gleichzeitig als Zugänge zu seinen früheren Werken dienen.
Mehr als andere trat Galeano für das Erinnern ein. Seine Verteidigung dessen, was Howard Zinn »Geschichte von unten« nannte, ist zentral, um eine Welt zu verstehen, die danach schreit, verändert zu werden. Wie Galeano 1982 schrieb: »Ich glaube an das Gedächtnis nicht als einen Ort, zu dem man zurückkehrt, sondern als Ausgangspunkt, ein Katapult, der einen in die gegenwärtige Zeit schleudert und uns erlaubt, uns die Zukunft vorzustellen, statt sie zu akzeptieren.«
(Zuerst veröffentlicht auf socialistworker.org. Übersetzung: David Meienreis.)
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