Dass die AfD auf dem Parteitag in Hannover weiter nach rechts gerückt ist, sagen alle. Aber man sollte klar benennen, warum: In ihren Reihen wächst und gedeiht ein neofaschistischer Flügel. Von Volkhard Mosler
Nach Einschätzung der meisten bürgerlichen Medien hat der AfD-Parteitag von Hannover einen weiteren Rechtsruck gebracht. Jedoch wird nur von wenigen die Gefahr benannt, dass sich eine faschistische Massenpartei herausbildet. Der Flügel um den Thüringer Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke wird immer noch als »nationalkonservativer« Teil der Partei verharmlost.
Die Gefahr ist auch nicht, dass in absehbarer Zeit eine neue Machtübernahme von Nazis in Deutschland droht. Es geht allerdings darum, ob mit der Konsolidierung eines neofaschistischen Flügels in und durch die AfD die Gefahr wächst, dass sich ein Nazi-Kader herausbildet, der das Potential zu einer Massenpartei in zugespitzten Krisenzeiten hätte.
Diese Gefahr bestand in der Vergangenheit schon zweimal: durch die NPD 1966-69 und die Republikaner 1985-1993. Beide Male haben erfolgreiche antifaschistische Massenbewegungen die Konsolidierung eines neofaschistischen Kaders in Deutschland verhindert. Wo steht die AfD nach ihrem Parteitag in Hannover?
Die Kräfteverhältnisse in der AfD
Die Anhänger der tatsächlich nationalkonservativen und neoliberalen Kräfte der AfD um den Berliner Fraktionsvorsitzenden Georg Pazderski wurden abgestraft. Er wurde mit nur 51 Prozent als einer von drei stellvertretenden Vorsitzenden gewählt, nachdem er zuvor bei der Wahl zum 2. Bundesvorsitzenden in zwei Wahlgängen keine Mehrheit erhalten hatte. Der Brandenburger Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland hatte sich gegen Pazderskis Wahl zum Bundessprecher neben Jörg Meuthen ausgesprochen.
Höcke kritisierte die Kandidatur der Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel zum erweiterten Parteivorstand als Beisitzerin auf dem Parteitag scharf. Er warf Weidel »Machtgier« vor und erntete dafür Buhrufe. Trotzdem erhielt Weidel 70 Prozent der Delegiertenstimmen.
Die Kandidatur des Fraktionsvorsitzenden von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, Höckes engstem politischen Weggefährten, zum stellvertretenden Vorsitzenden scheiterte. Er trat gegen den bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Albrecht Glaser an, der sich mit 62 Prozent gegen Poggenburg durchsetzte. So ist Höckes »Flügel« im neuen Vorstand nur durch Andreas Kalbitz vertreten. Eine genauere Zuordnung der einzelnen Delegierten nach den drei Hauptströmungen der Partei ist nicht möglich.
Das neofaschistische Lager der AfD
Das neofaschistische Lager der AfD besteht aus dem Höcke-Flügel um die Zeitschrift »Sezession« und dem Gauland-Lager um die »Junge Freiheit«. Der Höcke-Flügel ist gut organisiert und hat in den meisten der 16 Landesverbände inzwischen eine organisierte Anhängerschaft. Bis heute hält Gauland seine schützende Hand über Höcke. Bald wird dieser auf den Schutz nicht mehr angewiesen sein und dann werden die Karten neu gemischt.
Wenn Gauland bei seiner Kandidatur zum Bundessprecher sagte, er kandidiere, »um die Partei zusammenzuhalten«, dann hat dies zumindest für den Parteitag in Hannover zugetroffen. Die taktischen Differenzen zwischen Höcke und Gauland oder zwischen »Sezession« und »Junger Freiheit« beziehen sich auf die Frage des Umgangs mit der Nazi-Vergangenheit, mit Antisemitismus und mit der NPD und anderen Nazi-Organisationen.
Differenzen über den Umgang mit Nazis
Gauland war für den Ausschluss des antisemitischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon aus der Partei, Höcke war und ist dagegen. Höcke hatte eine antisemitische Broschüre von Gedeon als Schulungsmaterial für die gesamte AfD empfohlen. Höcke vertritt auch die Position, dass Hitler »nicht nur schlechte Seiten« hatte.
Gaulands Stolz auf die Leistungen deutschen Soldaten beider Weltkriege dagegen war vor zwei Jahrzehnten noch die Linie der meisten konservativen Politiker wie Franz-Josef Strauß (CSU) und Alfred Dregger (CDU). Als der Hamburger Delegierte und Ex-NPD-Mitglied Björn Neumann in Hannover für einen Beisitzer-Posten kandidierte, ging Gauland spontan ans Mikrophon und forderte ihn mit Verweis auf »geltende Beschlüsse« auf, nicht zu kandidieren. Neumann kandidierte trotzdem. Er erhielt zwar nur 5 Stimmen, viel wichtiger ist jedoch, dass er überhaupt kandidieren durfte. Der Beschluss, auf den sich Gauland bezog – aus dem Jahr 2014 – ist damit faktisch außer Kraft gesetzt und Gauland hat sich vom »Flügel«, der seit seinem Bestehen jede Abgrenzung der AfD gegenüber der NPD bekämpft, vorführen lassen.
Der Vorfall zeigt, dass es keine Abgrenzung der AfD gegenüber der NPD und anderen Nazistrukturen mehr gibt. Gauland ist dafür allerdings selbst mit verantwortlich. Auch er hat den Erfurter Appell Höckes vom März 2015 unterschrieben, der unter anderem die Forderung enthielt, die Abgrenzung der AfD nach rechts außen aufzuheben.
Nationalkonservative gegen Neofaschisten
Für den Höcke-Flügel war der Parteitag in Hannover ein Erfolg, aber kein Durchmarsch. Die Kritiker Höckes wurden abgestraft. Zwar hat der »Flügel« noch nicht die Mehrheit, aber sie haben mit über einem Drittel der Delegierten einen entscheidenden Einfluss auf den Gesamtverlauf des Parteitags gehabt. Deshalb ist auch die allgemeine Einschätzung eines neuen Rechtsrucks der AfD richtig, wenngleich auch richtig ist, dass der Fraktionskampf zwischen Nationalkonservativen und Neofaschisten noch nicht beendet ist.
Die nächsten Fraktionskämpfe sind schon vorprogrammiert. Höcke und sein »Flügel« hatten einen Antrag zu Renten verfasst, der nicht befasst wurde. Höcke will »die Interessen des deutschen Arbeiters gegen das Großkapital verteidigen«. Höcke war kürzlich auch auf der Demonstration der IG Metall gegen Entlassungen bei Siemens, bis er von einer Gruppe Antifaschisten aus der Kundgebung gedrängt wurde.
Der soziale Anspruch des Faschismus
Der Faschismus hat historisch immer einen »sozialen« oder »sozialistischen« Anspruch gehabt. Seine Theoretiker waren sich darüber im Klaren, dass das Kleinbürgertum auf sich gestellt zur Ohnmacht verdammt ist. Nur wenn es den Faschisten gelingt, Teile der Arbeiterklasse zu gewinnen, haben sie eine Chance auf die politische Hegemonie. Heute ist das klassische Kleinbürgertum – kleine Selbstständige oder werktätige Besitzer –, auf das sich die NSDAP noch stützen konnte, auf einen Bruchteil des Stands in den 1930er-Jahren gesunken. 2016 gab es noch 270.000 Bauernhöfe, 1933 waren es über 3 Millionen.
Schon in der Auseinandersetzung um das Parteiprogramm kam es zu Konflikten zwischen den »National-Sozialen« (Neofaschisten) und den »National-Konservativen« (Neoliberalen). Auf Initiative Höckes und Gaulands wurde wenige Wochen vor dem Programmparteitag in Stuttgart im Mai 2016 eine Kritik am Mindestlohn und die Forderung nach Privatisierung der Arbeitsämter aus dem Entwurf gestrichen.
Meuthen und Weidel sind Sprecher und Sprecherin des neoliberalen Lagers, Gauland und Höcke sind Sprecher des neofaschistischen Lagers. Der Konflikt zwischen ihnen wird sich zuspitzen. Poggenburg sagte in einem Interview mit der »HAZ« nach dem Parteitag: »Wir müssen die bisherige Umverteilung von unten nach oben beenden.« Der antimuslimische Rassismus und der völkische Nationalismus bleiben die wesentlichen Klammern zwischen den ansonsten heterogenen Kräften in der AfD.
Die Utopie einer national-sozialen Volksgemeinschaft war auch das Programm, unter dessen Flagge die historischen Nazis in der Endphase der Weimarer Republik in proletarische Schichten eindringen konnten. Die Voraussetzung war allerdings, dass die KPD unter der von Stalin verordneten Sozialfaschismus-Linie unfähig war, den Verzweifelten eine konkrete Perspektive zum Sozialismus als Alternative zu weisen.
Foto: Martin_mmmm
Schlagwörter: AfD, Alexander Gauland, Alice Weidel, Alternative für Deutschland, André Poggenburg, Antifaschismus, Björn Höcke, Faschismus, Faschisten, Gauland, Hitler, Höcke, Jörg Meuthen, Meuthen, Nationalsozialismus, Nazis, Neofaschismus, Neofaschisten, NSDAP, Poggenburg, Weidel