Die AfD-Führung hat eine taktische Wende vollzogen und versucht die Partei auf eine Abgrenzung zur offenen Nazi-Szene einzuschwören. Doch Poggenburg und andere sind nur Bauernopfer auf dem Weg zur Macht – in der Partei gibt der völkische Flügel nach wie vor den Ton an. Von Volkhard Mosler
Der Mitbegründer des neofaschistischen »Flügels« in der AfD und ehemalige Chef der AfD Sachsen-Anhalts, André Poggenburg, ist aus der Partei ausgetreten und hat eine neue Partei mit dem Namen »Aufbruch deutscher Patrioten« (AdP) gegründet. Vertreterinnen und Vertreter des Parteivorstandes begrüßten umgehend Poggenburgs Austritt. So erspare man sich ein kräfteraubendes Ausschlussverfahren, meinte Alexander Gauland.
Druck auf die AfD wächst
Poggenburg ist ein Bauernopfer der neuen Linie des Parteivorstandes unter Jörg Meuthen und Alexander Gauland. Nach dem offenen Schulterschluss der AfD mit der Neonazi-Szene unter anderem in Chemnitz war der Druck auf die Partei im letzten Jahr massiv gestiegen. Fast überall, wo sich die AfD öffentlich versammelte, sah sich die Partei mit einer Protestbewegung konfrontiert. Aber auch die Größe und Verbreitung der Seebrücke-Demonstrationen, die Münchener #ausgehetzt Demonstrationen und nicht zuletzt die Berliner #unteilbar Demonstration mit einer viertel Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, haben die Partei in Bedrängnis gebracht.
Die neue Linie und faschistische Traditionslinien
Unmittelbar nach der #unteilbar Demonstration verkündete Gauland auf dem Thüringer Landesparteitag der AfD am 13. Oktober die neue Linie : »Wer Nazi-Schweinkram teilt, hat in der Partei nichts verloren.« Zuvor hatte der Parteivorstand ein neues, zweites Ausschlussverfahren – ein erstes war 2017 gescheitert – gegen den Holocaustleugner Wolfgang Gedeon angekündigt. Dem Jugendverband »Junge Alternative« drohte der Vorstand mit Auflösung. Nun gehört Alexander Gauland selbst zu dem neofaschistischen Flügel, der bislang keine Probleme mit »Nazi-Schweinkram« hatte. Zum »Nazi-Schweinkram« gehört nicht zuletzt auch Gaulands Äußerung, dass der Holocaust und die Verbrechen des Nationalsozialismus »nur ein Vogelschiss in 1000 Jahren deutscher Geschichte« sei. Oder Höckes Bemerkung über Hitler: »Das große Problem ist, dass man Hitler als das absolut Böse darstellt.« Verharmlosung und Beschönigungen des historischen Faschismus war immer schon ein Kennzeichen faschistischer Traditionslinien nach 1945 (Lies hier einen Artikel zur Frage: »Die AfD und der Faschismus: Eine neue Qualität«).
Rassismus ist keine Spezialität von Poggenburg
Im Vergleich dazu nehmen sich Poggenburgs Neujahrsglückwünsche »an unsere Volksgemeinschaft« fast harmlos aus. Und doch wurde Poggenburg für etwas abgestraft, was in den letzten drei Jahren fast zum guten Umgangston in der AfD gehörte. Nach Poggenburgs Aschermittwochrede 2018 (darin hatte er Menschen türkischer Abstammung in Deutschland als »Kameltreiber« und »Kümmerhändler« bezeichnet, die in ihre »Lehmhütten« in der Türkei zurückkehren sollten) hatte Gauland sich noch vor Poggenburg gestellt und davon gesprochen, dass man es bei Aschermittwochreden nicht so genau nehmen solle. Heribert Prantl schreibt richtigerweise in seinem Kommentar in der Sueddeutschen Zeitung: »Solche Beleidigung und Volksverhetzung ist aber keine Spezialität von Poggenburg; man findet derlei bei Gauland, Höcke und Co. in ähnlicher Weise. Beim Vorsitzenden Gauland ist nur die Kunst der nachträglichen Relativierung bösartiger Äußerungen besser ausgebildet als bei Poggenburg. Die Verharmlosung der NS-Gräuel ist der braune Faden in der Partei, an dem Gauland ebenso wie Höcke spinnt.«
Warum Poggenburg, warum jetzt?
Stellt sich also die Frage: warum Poggenburg, warum jetzt? In einem Kommentar des Deutschlandfunks ist die Frage annähernd richtig beantwortet: »Die Antwort ist ganz banal. Denn mit dem Austritt von Poggenburg ergreift die AfD die einzigartige Chance der Inszenierung und will sich jetzt als eine völlig normale konservative Partei präsentieren. Als rechte Volkspartei. Und sie will sich der CDU andienen.«
Letztes stimmt nur halb. Gauland hat zwar im September letzten Jahres seine bis dahin vertretene schroffe Ablehnung jeder Regierungsbeteiligung der AfD unter den herrschenden Bedingungen abgeschwächt. Er und sein Mitvorsitzender Meuthen sehen in der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) ihr großes Vorbild. Die FPÖ bildet seit Herbst 2017 eine Koalitionsregierung mit der Österreichischen Volkspartei. Allerdings hält Gauland den Zeitpunkt einer Regierungsbeteiligung auf Länderebene erst dann für gekommen, wenn die AfD mit der CDU »auf Augenhöhe« stünde, also etwa gleichstark oder stärker als der Koalitiospartner CDU wäre.
Auf dem Weg zur organisierten Führerpartei?
Der Vergleich mit der FPÖ ist unter dem Gesichtspunkt der Regierungsbeteiligung interessant. Die FPÖ ist im Gegensatz zur AfD, die Gauland mal treffend als »gärigen Haufen« bezeichnet hat, eine straff organisierte Führerpartei. Sie ist historisch als Nachfolgepartei aus der NSDAP Österreichs entstanden und besitzt einen stabilen Kader von ausgebildeten Faschisten. Das hat selbst die FPÖ nicht davor geschützt, sich 2003 über eine Regierungsbeteiligung – damals noch unter Führung Jörg Haiders – zu spalten. Gauland ist zu alt für eine faschistische Führerpersönlichkeit und Björn Höckes gut organisierte Anhängerschaft des »Flügels« ist längst noch nicht so stark, als dass er sich zum Führer der Partei aufschwingen könnte.
Warum die AfD Angst vor dem Verfassungsschutz hat
Wichtiger als die Straffung der Partei für eine mögliche Regierungsbeteiligung nach österreichischem Vorbild ist der Versuch, einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen. Denn ein Großteil der Funktionsträger der Partei besteht auch mittleren und höheren Angestellten und Beamten, aus Richtern, Kriminalbeamten, Polizisten und Offizieren des mittleren Dienstes. Mit dem Abgang des alten, AfD-beschützenden Chefs des Verfassungsschutzes Maaßen ist die Unsicherheit in der AfD-Führung gewachsen. Umgekehrt wächst in den östlichen Landesverbänden und unter Anhängern die Kritik an einem »Linksruck« (Poggenburg) der AfD. Denn zum neuen Kurs des Kreidefressens und zur Pflege des Schafspelzes gehört auch, dass das Kooperationsverbot mit Nazigruppen rechts von der AfD schärfer verfolgt werden soll.
Widerstand in der AfD gegen den neuen Kurs
Jörg Urban, Parteichef und Vorsitzender der AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag, verkündete beispielsweise, dass alle Kandidaten (auch für die Kommunalwahlen im Mai 2019) auf ihren politischen Hintergrund geprüft würden: »Niemand, der früher in NPD oder DVU war, kann AfD-Mitglied werden.« Diese Linie trifft nicht nur die Ostlandesverbände. In Rheinland-Pfalz soll Christiane Christen, Ex-Vize des Landesverbands, aus der Partei ausgeschlossen werden, weil sie als Organisatorin des Bündnisses »Kandel ist überall« mit Rechtsextremen kooperiert habe. In Schleswig-Holstein wurde Landeschefin Doris von Sayn-Wittgenstein aus der AfD-Landtagsfraktion ausgeschlossen, der Bundesvorstand setzte sie als Landeschefin ab und beantragte ihren Parteiausschluss, nachdem bekannt wurde, dass sie für einen Verein von Holocaust-Leugnern geworben hatte. Auch der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Stefan Räpple, der den antisemitischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon in Schutz nahm und durch völkische Töne auffiel soll ebenfalls aus der Partei ausgeschlossen werden. Gegen diesen Kurs regt sich Widerstand innerhalb der AfD. Mehr als 1200 Parteimitglieder unterzeichneten den »Stuttgarter Aufruf«. Dieser wendet sich dagegen, dass aus Sorge wegen einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz »zahlreiche Ordnungs- und Ausschlussverfahren« in Gang gesetzt worden seien. »Wir widersetzen uns«, so heißt es in dem Aufruf, »allen Denk- und Sprechverboten innerhalb der Partei«. Poggenburg, Sayn –Wittgenstein und andere sind Bauernopfer des neofaschistischen Flügels auf dem Weg zur Macht.
Lernt die AfD von der Faschistin Marine Le Pen?
Ein solches Vorgehen neofaschistischer Kader, Strömungen und Parteien ist nichts Neues. In Frankreich organisierte die Faschistin Marien Le Pen sogar eine öffentliche Kampagne der »Entteufelung«. Am Ende dieser Kampagne stand der öffentlichkeitswirksame Rauswurf von einzelnen Parteimitgliedern, die beispielsweise offen den Holocaust geleugnet hatten oder anderweitige offene Sympathie für den historischen Faschismus äußerten. Sogar ihren eigenen Vater, den Neonazi Jean-Marie Le Pen, ließ sie aus der Partei werfen. Und die Partei änderte ihren Namen von Front National (Nationale Front) in Rassemblement National (Nationale Sammlungsbewegung). Le Pen mag dadurch das äußere Erscheinungsbild der Partei etwas verändert haben, aber die Parteigründer hatten von Anfang an das Ziel verfolgt, dem Faschismus ein modernes Gesicht zu geben. »Marine Le Pen ist nicht dabei, sich der Antisemiten und der (katholischen) Traditionalisten zu entledigen«, sagt die französische Soziologin Marie-Cécile Naves. Die Mitherausgeberin eines Lexikons des Rechtsextremismus beschreibt die offensichtliche Strategie der Parteichefin so: »Wichtig ist es lediglich, dass die radikalsten Mitglieder weniger in den Medien und auf Demonstrationen sichtbar sind.«
Fest in der Hand des völkischen und neofaschistischen Flügels
Auch bei der AfD ist die Linie der »Entteufelung« eine taktische Wendung. Denn zugleich bleibt die Partei weiterhin fest in der Hand des völkischen und neofaschistischen Flügels. In Brandenburg kamen auf sichere Plätze der Liste für die Landtagswahl im September gleich drei Unterzeichner des »Stuttgarter Aufrufs«. Platz zwei fiel an Christoph Berndt, Chef des Bündnisses »Zukunft Heimat« – das immer schon mit offenen Neonazis zusammenarbeitete. Das Bild von einem Bauernopfer passt hier deswegen ganz gut, denn im Schachspiel wird eine minderwertige Figur (»Bauer«) mitunter gezielt geopfert, um den König und die ganze Mannschaft in eine bessere Lage zu bringen (Lies hier unser Dossier zur Frage: »Was tun gegen den Rechtsruck und die AfD?«).
Foto: rufusmovie / wikimedia / André Poggenburg in Hannover / CC BY 3.0
Schlagwörter: AfD, Antifaschismus, Inland, Neue Rechte