Weil auch Krankenhäuser der kapitalistischen Profitlogik unterworfen sind, ist die Personalausstattung für Pflegekräfte und Patientinnen und Patienten gleichermaßen katastrophal. In Berlin startete jetzt ein Volksbegehren für mehr Personal und eine bessere Ausstattung. Von Daniel Anton
Im vergangenen Bundestagswahlkampf fühlten sich durch die Bank alle politischen Parteien genötigt, über die Pflege zu sprechen und allerlei gute Absichten zur Besserung des Pflegenotstands zu formulieren. Das Thema wurde sogar zur Chefinnensache – spätestens, nachdem Pflegekräfte die Kanzlerin in der ARD-Wahlarena vor einem Millionenpublikum mit der prekären Situation in deutschen Krankenhäusern konfrontierten.
All das war ein Erfolg der Tarifbewegung »Entlastung« und der zahlreichen Krankenhausbeschäftigten, die bereit waren, für eine bessere Personalversorgung zu streiken, und die von der Berliner Charité über das Saarland bis aktuell zu den Unikliniken in Baden-Württemberg den Konflikt mit Arbeitgebern und Politik nicht scheuten. Doch die Ergebnisse im Koalitionsvertrag sind mager: Gerade mal 8000 neue Pflegekräfte sieht das Papier vor, umgerechnet auf das ganze Land sind das 0,6 neue Pflegekräfte pro Einrichtung. Das ist nicht mal ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Folgen der Fallpauschalen
Die Situation ist mehr als prekär: Auf dreizehn Patienten kommt in Deutschland im Schnitt eine Pflegekraft (zum Vergleich: in den Niederlanden ist das Verhältnis im Schnitt 1:4), Pflegerinnen und Pfleger halten es aufgrund der psychischen und physischen Belastung nur noch wenige Jahre in ihrem Beruf aus – kein Wunder bei dem herrschenden dauerhaften Zeit- und Arbeitsdruck.
Doch diese Situation ist kein Unfall, sondern das Produkt neoliberaler Versorgungslogik. Spätestens seit der Einführung der DRGs (Diagnosis-Related-Groups mit den sogenannten Fallpauschalen) stehen Krankenhäuser unter ständigem finanziellen Druck. Statt Patientinnen und Patienten bis zur Genesung zu versorgen, wird nun jeder Diagnose die entsprechende Fallpauschale zugeordnet – also mehr oder weniger ein Preisschild für die Kosten einer Krankheit. Einsparungen waren die Folge.
Wenn man im Gesundheitsbereich dieser betriebswirtschaftlichen Logik folgt, betreffen die Kürzungen zuallererst das Personal. Der Abbau war drastisch: Zwischen 1996 und 2013 sank die Zahl der Pflegekräfte in Deutschland um mehr als 36.000, das sind rund elf Prozent. Gleichzeitig nahm die Zahl der Patientinnen und Patienten um über 3,2 Millionen zu, was eine Vergrößerung von 11,5 Prozent bedeutet. Ein weiteres Ergebnis des Sparzwangs sind die »blutigen Entlassungen« von Patientinnen und Patienten, also eine frühzeitige Entlassung aus dem Krankenhaus, wenn die Kosten der Fallpauschale überschritten werden. Kurzum: Die Situation in den Krankenhäusern ist gesundheitsgefährdend bis lebensgefährlich für Kranke und Pflegende.
Druck in der Öffentlichkeit
Umso wichtiger bleibt es, den Druck in den Krankenhäusern und in der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten. Genau das ist das Ziel des Berliner Volksbegehrens für mehr Personal im Krankenhaus. Es ist der Versuch von vielen unterschiedlichen Akteuren, den Konflikt zu vergesellschaften, also die Arbeitskämpfe an den Kliniken durch den öffentlichen Druck eines Gesetzesvorschlags mit festen Personalquoten zu unterstützen. Viele Krankenhausbeschäftigte sind – neben Gewerkschaftsaktiven, der LINKEN, der Interventionistischen Linken und solidarischen Einzelpersonen – Mitglieder des Berliner Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus und damit eines Zusammenschlusses, der seit den ersten Konflikten an der Berliner Charité an der Seite der Beschäftigten kämpft.
In einer ersten Stufe sammelt das Bündnis in Berlin bis Frühsommer 2018 die notwendigen 20.000 Unterschriften. Dabei hofft das Bündnis natürlich auf deutlich mehr Unterzeichnende, um möglichst früh den Druck der Stadtöffentlichkeit auf die rot-rot-grüne Landesregierung zu verdeutlichen. Die ersten Aktionen laufen gut an, in vielen Bezirken gründen sich Sammelstrukturen oder sind bereits aktiv.
Volksbegehren als Chance
Für DIE LINKE ist das Volksbegehren die Chance, zu zeigen, dass sie uneingeschränkt hinter der Forderung nach mehr Personal steht. Für viele Basisaktivistinnen und -aktivisten, die seit Jahren den Tarifkonflikt solidarisch begleiten, ist das eine Selbstverständlichkeit. Dabei geht es nicht nur um die anstehende Unterschriftensammlung, sondern allgemein um die Frage, wie wir uns eine solidarische Gesundheitsversorgung vorstellen. Es ist eine Gelegenheit, die Tatsache zu skandalisieren, dass der Kapitalismus ganz offensichtlich nicht dazu geeignet ist, das Grundbedürfnis Gesundheit für alle zu erfüllen.
Ob allerdings DIE LINKE in Berliner Regierungsverantwortung konsequent mitzieht, muss sich erst zeigen. Auf Antrag der LINKEN.Neukölln stimmte der Landesparteitag zwar deutlich für eine Unterstützung, aber ein erfolgreicher Volksentscheid würde den Senat einen Batzen Geld kosten. Im Berliner Senat bekleckert sich DIE LINKE schon jetzt nicht mit Ruhm: Anstatt offensiv die Politik und Logik der Schuldenbremse anzugreifen, versucht die Partei, sie mit Maßnahmen wie der de facto Privatisierung des Berliner Schulbaus »kreativ zu umgehen«. Der öffentliche Druck durch den Volksentscheid kann also auch dort positive Wirkung entfalten.
Besser für alle
Die Beschäftigten und das Bündnis kämpfen für alle. Alle Menschen sind potenzielle Patientinnen und Patienten und auf eine Gesundheitsversorgung angewiesen. Der Volksentscheid ist damit ebenso wie die Streiks an den Krankenhäusern ein Angriff auf die Logik einer neoliberalen Gesundheitsversorgung, die lieber Kosten kalkuliert und Gewinne einstreicht statt Menschen ausreichend zu versorgen. Die Pflegekräfte leiden am meisten unter dieser Logik und müssen die Verfehlungen der Politik ausbaden. Andersherum werden sie aber auch am meisten von einer erfolgreichen Auseinandersetzung profitieren. In der Tarifrunde Entlastung wurde ein Slogan geprägt, der die Situation exzellent auf den Punkt bringt: »Mehr von uns ist besser für alle!«
Zur Person:
Daniel Anton ist aktiv in der Bewegung für mehr Personal und Entlastung im Krankenhaus und marx21-Gewerkschaftskoordinator.
Schlagwörter: Berlin, DIE LINKE, Entlastung, Linkspartei, Mindestpersonalbesetzung, Pflege, Pflegenotstand, R2G, Rot-Rot-Grün, Senat, SPD, Tarifbewegung, Volksbegehren