Transfeindlichkeit ist in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Doch die Attacken kommen nicht nur von rechts. Laura Miles erklärt, warum Angriffe auf Transrechte sich gegen alle Unterdrückten richten und wir gemeinsam dagegenhalten müssen
Laura Miles ist Sozialistin aus Großbritannien und Mitglied der Socialist Workers Party. Sie ist ehemalige Dozentin für Sozialarbeit an der Hochschule Bradford und langjährige Aktivistin in der Universitäts- und Hochschulgewerkschaft. Dort war sie auch als Vertreterin der LGBT+ im Vorstand tätig. Im Februar 2020 erschien ihr neues Buch »Transgender Resistance«.
Derzeit können wir in vielen Ländern wachsende Feindseligkeit gegenüber Transpersonen beobachten. Was steckt dahinter?
Zunächst einmal ist das Anheizen von Transfeindlichkeit Teil eines übergreifenden Angriffs der religiösen und politischen Rechten auf unterdrückte Gruppen: Frauen, Muslime, Einwanderer, behinderte Menschen und LGBT+ insgesamt. Diese Reaktionäre hassen Vielfalt und Multikulturalismus und wollen zurück zu den traditionellen »Familienwerten«. Als Anhänger und Nutznießer des Neoliberalismus und des kapitalistischen Systems und angesichts der Sparpolitik und der fortgesetzten Krise des Kapitalismus hassen sie die Linke und den Sozialliberalismus und wollen uns gespalten und schwach sehen. Sie wollen die von unterdrückten Gruppen wie auch von Gewerkschafterinnen und Sozialisten erkämpften bescheidenen sozialen, rechtlichen und politischen Erfolge wieder abschaffen.
Warum nimmt die Rechte gerade Transpersonen verstärkt ins Visier?
Transpersonen sind jetzt zu einer besonderen Zielscheibe geworden, nicht zuletzt deshalb, weil eine Minderheit radikaler Feministinnen und Sozialisten den rechten Angriffen von links Rückendeckung gibt.
Welches Motiv steht dahinter?
Anstatt sich solidarisch auf die Seite von Transpersonen zu stellen, behaupten sie, Transrechte seien ein Angriff auf Frauenrechte. Diese Argumentation ist derzeit besonders in Großbritannien sehr verbreitet.
In Großbritannien gibt es eine scharfe Kontroverse über das Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit. Worum geht es da?
Der Gender Recognition Act (GRA) von 2004 ist das Herzstück der Gesetzgebung für Transpersonen in Großbritannien, obwohl es auch begrenzten Schutz unter anderem durch das Gleichstellungsgesetz von 2010 gibt. Allerdings wurde der GRA von konservativen wie von Labourregierungen nur sehr zögerlich eingeführt und auch nur auf Druck des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Welche Verbesserungen brachte der GRA für Transpersonen?
Aufgrund des GRA können Transpersonen eine amtliche Bescheinigung ihrer Geschlechtsidentität verlangen (ein Gender Recognition Certificate, CRC) und damit auch die Geburtsurkunde ändern lassen, was ihnen gewissen rechtlichen Schutz gegen die Aufdeckung ihrer vorherigen Geschlechtsidentität gewährt. Vorher konnte zwar ein Großteil der persönlichen Dokumente und der Name qua eidesstattliche Erklärung geändert werden, aber nicht die Geburtsurkunde. Das war ein offensichtliches Problem, wenn eine Transperson nach der Geschlechtsumwandlung ihre Geburtsurkunde vorlegen musste.
Sind mit dem GRA die wichtigsten Forderungen der LGBT+-Bewegung in Sachen Transrechte erfüllt?
Nein, das Gesetz muss novelliert werden. Die Begrifflichkeiten sind überholt: Es wird ungerechterweise gefordert, dass Betroffene mindestens zwei Jahre lang in der anderen Geschlechtsrolle leben müssen, ehe sie ein Zertifikat fordern können; ein ärztliches Gutachten und die Diagnose einer »Geschlechtsdysphorie« – einer als falsch empfundenen Wahrnehmung des eigenen Geschlechts – wird verlangt. Zudem kostet die Geschlechtsumwandlung Geld. Nach wie vor kann der Ehegatte oder die Ehegattin ein Veto einlegen. Das Gesetz gilt auch nicht für Personen unter 18 Jahren, und die Entscheidung wird von einem gesichtslosen, nicht rechenschaftspflichtigen Komitee getroffen.
Also kämpft die Bewegung für Transrechte für eine Reform des GRA?
Transorganisationen haben seit langer Zeit für eine Gesetzesänderung gekämpft und für die Ersetzung des langwierigen und nur unter medizinischen Gesichtspunkten abgehandelten Geschlechtsumwandlungsverfahrens durch ein direkteres juristisches Verfahren – eine Selbsterklärung oder Selbstidentifizierung. So etwas gibt es bereits in einer Reihe anderer Länder wie in Irland.
Aber die Tory-Regierung wiegelt ab?
Zunächst schien es, als würde sie die Selbsterklärung in das Gesetz aufnehmen. Seitdem jedoch die Gegenreaktionen immer schärfer wurden, hat die Regierung das Projekt auf Eis gelegt.
Jetzt hat sich dieses Thema anscheinend zu einem regelrechten Kulturkrieg in der bürgerlichen Presse Großbritanniens entwickelt, in den sozialen Medien und auch in großen Zeitungen wie dem »Guardian«.
Allerdings. Ein Angestellter des »Guardian« hat kürzlich wegen der transfeindlichen Kultur in der Zeitung gekündigt, und die Zeitung hat gerade jetzt wieder eine »transkritische« Kolumne veröffentlicht. Diese feindselige Kultur ist aber nicht auf die bürgerliche Presse beschränkt. Selbst die einzige linke Tageszeitung Großbritanniens, der »Morning Star«, hat kürzlich eine schockierend transfeindliche Karikatur veröffentlicht, wofür die Redaktion sich nach einem Sturm des Protests von Transpersonen, Sozialisten und Gewerkschafterinnen entschuldigen musste.
Wer sind die Akteure hinter dieser transfeindlichen Kampagne?
Es haben sich Transpersonen ausschließende Organisationen gebildet, die behaupten, sich für den Schutz der »geschlechtsspezifischen« Rechte von Frauen einzusetzen, und bürgerliche Zeitungen wie soziale Medien haben viele Fehlinformationen und Ängste schürende Artikel gegen die Selbsterklärung veröffentlicht, wonach insbesondere Transfrauen eine Bedrohung für Cis-Frauen (Frauen, bei denen Geschlecht und Geschlechtsidentität übereinstimmen; d. Red.) seien. Diese »moralische Panik« hat dazu geführt, dass Transpersonen und Menschen, die nicht ausschließlich männlich oder weiblich sind, also »nichtbinär«, beschimpft, gedemütigt, mit der falschen Geschlechtsbezeichnung angesprochen, in den sozialen Medien verfolgt und sogar körperlich angegriffen werden. Die Zahl der transfeindlichen Hassangriffe ist in den vergangenen Jahren scharf angestiegen.
Transfeindliche Leute behaupten, sie würden von einer »Translobby« zum Schweigen gebracht. Was ist da dran?
Das ist Unsinn. Trans- und nichtbinäre Menschen müssen darum kämpfen, in dieser »Debatte« überhaupt gehört zu werden, während jene, die gegen Transrechte sind, sehr viel leichter Zugang zu Presse, Fernsehen und Rundfunk bekommen und sich auch nicht scheuen, rechte Zeitungen für ihre Kampagne zu benutzen oder sich rechten Organisationen anzubiedern.
Auch prominente akademische Feministinnen klagen, Transfrauen seien eine Bedrohung für sie. Was meinen sie damit?
Im Kern behaupten sie – ähnlich wie andere transausschließende Feministinnen und einige Linke, dass Transfrauen keine Frauen sind, sondern als Frauen verkleidete Männer. Diese seien weiterhin potenziell sexistisch oder Vergewaltiger, so wie alle Männer, einfach weil sie männlich sind. Transfrauen gelten nach diesem Mythos als Bedrohung für Cis-Frauen in geschlechtsspezifischen Räumen wie öffentlichen Toiletten und Umkleideräumen, Gefängnissen, Krankenhäusern, Frauenhäusern.
Woher kommen diese Annahmen?
Das ist die Folge ihrer strikten Vorstellung von Sexualität und Geschlecht, wonach es nur eine einfache und unveränderliche Zweigeschlechtlichkeit gibt, weshalb das Geschlecht auch nicht umgewandelt werden könne.
Sie können und wollen nicht verstehen, dass der Ursprung der Frauen- und LGBT+-Unterdrückung eng verbunden ist mit dem Entstehen von Klassengesellschaften und der Rolle der Kleinfamilie als privater Raum der Reproduktion und Sozialisation. Ihnen reicht zur Erklärung der Frauenunterdrückung die Patriarchatstheorie von der männlichen Vorherrschaft, wonach Sexismus und Frauenfeindlichkeit ihren Ursprung im »Männlichsein« haben und nicht in den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen in Klassengesellschaften wie dem Kapitalismus.
In meinem Buch »Transgender Resistance« gehe ich näher auf diesen pessimistischen und falschen Ansatz zur Erklärung von Frauen- und LGBT+-Unterdrückung ein. In der Patriarchatstheorie und in anderen Identitätstheorien wird die entscheidende Rolle der Ausbeutung, von Klasse und Klassenkampf als Hauptelemente einer tragfähigen Theorie der Unterdrückung nicht anerkannt.
Einige Feministinnen sprechen von »genderkritischem Feminismus«. Rechte Kräfte verwenden ähnliche Begrifflichkeiten, wenn sie von »Genderideologie« oder »Transgenderseuche« sprechen. Wie unterscheiden sich hier Rechte von Linken überhaupt noch?
Einige transausschließende Feministinnen, insbesondere akademisch geprägte, beschreiben sich als »genderkritisch«, um ihre wirklichen Absichten zu verbergen. Wären sie ehrlich, würden sie sich als »Transpersonen ausschließend« bezeichnen, denn sie wollen dafür sorgen, dass Transpersonen von geschlechtsspezifischen Einrichtungen und Räumen ausgeschlossen sind, die wir seit Jahrzehnten genutzt haben.
Was sind ihre konkreten Forderungen?
Viele von ihnen haben zunächst den Vorschlag der Selbsterklärung einfach nur abgelehnt. Jetzt gehen sie weiter und wollen gestützt auf ein verändertes Gleichstellungsgesetz dafür sorgen, dass Transpersonen in bestimmten Fällen Dienstleistungen oder eine Arbeitsstelle verweigert werden können. Einige sähen den GRA am liebsten ganz abgeschafft. Sie haben bereits erwirkt, dass die Gefängnisregeln für Transgefangene deutlich verschlechtert wurden.
Ist der Kampf gegen die vermeintliche »Genderideologie« ein neues Phänomen?
Der Begriff »Genderideologie« wurde schon vor Jahrzehnten im rechtsgerichteten Katholizismus erfunden, dann wurde er von etlichen rechten und rechtsradikalen Regimen und Organisationen aufgegriffen und als Waffe insbesondere gegen Frauen- und LGBT+-Rechte eingesetzt. Linke sollten sich hüten, sich diese Begrifflichkeit anzueignen, um das Konzept und die Existenz einer Genderidentität und das Recht Unterdrückter, sich selbst eine Identität zuzuschreiben, anzugreifen. Sozialisten müssen sich des rechtspolitischen Ursprungs solcher Begriffe sehr bewusst sein und dürfen ihnen keinesfalls Legitimität verleihen.
Wie verläuft die Diskussion in den britischen Gewerkschaften? Gab es nicht kürzlich erbitterte Auseinandersetzungen dort?
Ja, die Gewerkschaftsbewegung war und ist eine Arena der Auseinandersetzungen über Transrechte, ebenso die Labourpartei. Einige der Gründungsmitglieder von Women’s Place UK – der wohl transfeindlichsten Interessengruppe –, waren Funktionäre und führende Ehrenamtliche zum Beispiel der Lehrergewerkschaft NUT und der Regierungsangestelltengewerkschaft PCS und sie sind häufig Mitglied der Labourpartei.
In einigen Gewerkschaften haben sie versucht, auf lokaler und nationaler Ebene Resolutionen zu verabschieden, bekamen aber regelmäßig keine Mehrheit dafür. Die meisten Basisgewerkschafter haben kein Problem mit Transarbeiterinnen oder Transarbeitern und die meisten Gewerkschaften verfolgen eine transunterstützende Politik.
Um welche Fragen dreht sich die Debatte in den Gewerkschaften?
Die Debatte in der Lehrergewerkschaft drehte sich um Fragen von Sicherheit, Schutz und aufgeklärter Selbstbestimmung für jüngere Trans- und nichtbinäre Studierende in Bezug auf Zugang zu Unterstützungsdiensten. Denn Transorganisationen wie die Wohlfahrtseinrichtung Mermaids für Transkinder wurden bereits angegriffen, weil sie Kinder angeblich zu lebensverändernden, nicht rückgängig zu machenden medizinischen Eingriffen drängen und junge Leute zur Transition verführen. Einige dieser Argumente kennen wir schon aus der Herabwürdigung schwuler Männer vor 30 oder 40 Jahren. Dem Obersten Gerichtshof liegt derzeit eine Klage der Transfeinde zur Entscheidung vor. Ohne hier auf die Einzelheiten eingehen zu können, handelt es sich um unbegründete und böswillige Behauptungen. Es ist ihnen auch egal, dass es skrupellos ist, jungen Menschen in Not Hilfe und Unterstützung zu verweigern.
Woher kommen historisch betrachtet transfeindliche Ideen? Gibt es eine Verbindung zur Naziideologie?
Ursprünglich wurde trans nicht von schwul unterschieden, das kam erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Aber selbst dann galt vielen Linken Homosexualität und unterschiedliche Äußerungen von Geschlecht noch lange Zeit als Beweis für eine Geisteskrankheit. Dieses medizinische Modell war vorherrschend und LGBT+-Leben wurde nicht als normal oder des Respekts würdig angesehen. Von einem solchen medizinischen Modell auszugehen, konnte für Linke heißen, dass LGBT+-Personen nicht kriminalisiert und verfolgt werden sollten, weil es »nicht ihre Schuld« war. Für Faschisten und Eugeniker auf der anderen Seite konnte es bedeuten, »solche« Leute einzusperren, zu »heilen« oder »umzudrehen«, im schlimmsten Fall sollten sie ausgelöscht werden, wie die Nazis es versucht haben.
Selbst in liberalen Demokratien wurde Homosexualität erst kürzlich entkriminalisiert und aus der Liste geistiger Erkrankungen gestrichen, und in Großbritannien gilt Transsein immer noch als krankheitsverdächtig.
Was können Linke gegen LGBT+-Diskriminierung tun?
Als Erstes müssen wir uneingeschränkt Solidarität mit allen Unterdrückten üben, einschließlich Trans- und nichtbinären Personen. Das heißt, wir müssen gemeinsam Widerstand aufbauen gegen Sparpolitik, Neoliberalismus und Angriffe auf unsere Seite. Sozialistinnen und Sozialisten, die nicht trans sind, müssen sich auf die Seite von Transaktivisten stellen, Trans-Prides unterstützen, Transevents mit aufbauen, dafür sorgen, dass unsere Gewerkschaften und Betriebe eine transunterstützende Politik betreiben, Proteste bei Hassverbrechen gegen Trans- und andere LGBT+-Personen unterstützen. Wir müssen fordern, dass es bei Pride-Märschen wie dem Christopher Street Day um Protest und Solidarität geht und nicht um konzerngesponserte Spaßtage.
Was ist der richtige Umgang mit Transfeindlichkeit aus den Reihen der Linken und des Feminismus?
Wir müssen mit allen, die auf »transkritische« Mythen hereinfallen, darüber diskutieren, dass nicht nur Transrechte leiden werden, wenn transausschließende Argumente sich durchsetzen, sondern auch Frauenrechte und die Rechte aller LGBT+-Personen. Deshalb brauchen wir Einheit in unserem Widerstand und dürfen uns nicht auf den Versuch der Spaltung zwischen den Unterdrückten und in der Linken angesichts zunehmender Angriffe von rechts einlassen.
Wir brauchen auch eine sozialistische Organisation, wenn wir unsere Ideen klären und zielgerichtet arbeiten wollen. Die Mehrheit der Transpersonen gehört auch der internationalen Arbeiterklasse an. Unsere Arbeitskraft wird zur Erzeugung von Profit für die herrschende Minderheit eingesetzt. Teil einer ausgebeuteten Arbeiterklasse zu sein bedeutet, wir haben ein Interesse an einem gemeinsamen Kampf gegen das gewalttätige und unmenschliche System, das da Kapitalismus heißt. Wir brauchen ein »Fest der Unterdrückten und Ausgebeuteten«, wie Lenin eine sozialistische Revolution beschrieb, die der einzige Garant für die Befreiung von Transpersonen und aller Unterdrückten und Ausgebeuteten ist.
Das Interview führte Kate Davison. Sie ist Historikerin und zurzeit Dozentin in »Sexuality & Gender Studies« an der Freien Universität Berlin.
Übersetzung aus dem Englischen von Rosemarie Nünning.
Foto: Commons.Wikimedia.org: Glasgow Pride 2018
Schlagwörter: LGBT, Transgender, Transphobie