Die AfD stellt sich gerne als Vorkämpferin für Familien dar. Doch ihre Vorschläge gehen zu Lasten von Frauen und bewegen sich nahe am Familienbild der Nazis. Von Marion Wegscheider
Den Islam lehnt sie ab, da er angeblich zwingend den Mann über die Frau stelle. Gender-Mainstreaming lehnt sie ab, da es angeblich die natürliche Geschlechterordnung und die Ehe auflöse. Geschlechterbeziehungen nehmen in Wahl- und Grundsatzprogrammen der AfD – die von sich selbst behauptet, »Gender-Ideologie« strikt abzulehnen – einen bedeutenden Stellenwert ein. Allem voran die Rolle der Frau: Einerseits legt die AfD deutschen Frauen die Sorge um Heim, Herd und Kind ans Herz. Andererseits will sie »fremden« Frauen, sprich Muslimas, das Recht aberkennen, selbst zu entscheiden, was sie tragen – im Namen der freien Entfaltung.
Lippenbekenntnis der AfD zur Frauenbewegung
Mit diesem Lippenbekenntnis zollt die AfD der Tatsache Tribut, dass die Frauenbewegung bedeutende Fortschritte erkämpft hat. Doch in Wirklichkeit bewegt sich die freie Entfaltung, wie die AfD sie sich vorstellt, in engen Grenzen. Für den Baden-Württemberger Landesverband beginnt sie damit, dass Frauen sich möglichst »für das Kind entscheiden können«, und Abtreibungen keinesfalls »bagatellisiert« oder gar zum Menschenrecht erklärt werden dürfen. Nach der Geburt ist es ihr wichtig, dass »jedes Kind darin bestärkt wird, sein biologisches Geschlecht anzunehmen«, da die Geschlechter »aufeinander zugeordnet sind« – eine »Frühsexualisierung« ist dabei allerdings zu vermeiden.
»Keimzelle der Gesellschaft«
Das Kind sei weiterhin zugunsten seiner »gesunden« Entwicklung möglichst lange häuslich zu betreuen. Später müsse der »strukturellen Benachteiligung« von Jungen sowie der »ideologischen Indoktrination«, wie sie laut Landtagswahlprogramm 2016 in der deutschen Schulbildung stattfinden, um jeden Preis entgegengewirkt werden, da das Land »starke Männer« braucht. Im Erwachsenenalter ist die AfD dann zwar offiziell gegen Diskriminierung, lehnt es jedoch strikt ab, eingetragene Lebenspartnerschaften der Ehe zwischen Mann und Frau gleichzustellen, weil sie im heutigen Deutschland eine »volkserzieherische Überhöhung nicht heterosexueller Menschen« feststellt. Diese sei insofern schädlich, als nur die Ehe zwischen Mann und Frau »eine Familie begründen« könne – und diese Familie sei schließlich nicht nur für die Vorsitzende Frauke Petry die »Keimzelle der Gesellschaft«.
Vater, Mutter und eheliche Kinder
Wenn die Partei fordert, dass Familien mehr Aufmerksamkeit und Förderung erhalten sollen, ist damit genau eine Art der Familie gemeint, nämlich Vater, Mutter und eheliche Kinder. Was die AfD bei all dieser Propaganda unterschlägt, sind gesellschaftliche Tatsachen. Ihr Familien- und Frauenbild hat mit der Wirklichkeit herzlich wenig zu tun. Mehr als zwei Drittel der Frauen sind heute entweder erwerbstätig oder suchen Arbeit. Das alte Modell der Hausfrauenehe mit dem Mann als Alleinernährer ist weitgehend abgeschafft. An seine Stelle ist aber keineswegs ein Modell der Gleichheit getreten, sondern in den meisten Fällen arbeitet der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit. Entsprechend bleibt die Lücke zwischen den Löhnen von Männern und Frauen in Deutschland groß. Die wirtschaftliche Schlechterstellung der Frau und die ungleiche Verteilung der Erwerbsarbeit untergraben Versuche einer gerechten Verteilung der Haus- und Sorgearbeit. Schlechterstellung im Beruf, Mehrbelastung im Haushalt – daran zerschellen Lebensentwürfe von Frauen – und Familien. Die Scheidungsquote liegt seit langen Jahren dauerhaft über 40 Prozent, und über die Hälfte der Scheidungen wird von Frauen eingereicht.
Rollback hart erkämpfter Teilfortschritte
Dennoch sind die traditionellen Geschlechterbilder und -verhältnisse, die die AfD gefördert sehen möchte, in Deutschland alles andere als aufgelöst. Ein selbstbestimmter Schwangerschaftsabbruch beispielsweise ist längst kein Recht, sondern bleibt lediglich straffrei. Außerdem fördern Staat und Wirtschaft durch das Ehegattensplitting sowie die Bevorzugung bestimmter Arbeitszeitmodelle genau die von der AfD propagierte Kernfamilie mit männlichem Ernährer und drängen in erster Linie Frauen in die un- oder unterbezahlte Sorge- und Pflegearbeit ab, unabhängig davon, wie gern diese sich »entfalten« würden. Die von Vaclav Klaus als »fast revolutionäre Partei« bezeichnete AfD steht im Licht der Realität weniger für eine Revolution als vielmehr für ein Rollback hart erkämpfter Teilfortschritte und eine weitere Verfestigung des Status quo in Sachen Geschlechterverhältnisse.
Rassismus der AfD
Der Rassismus der AfD verleiht diesem Rollback eine zusätzliche Brisanz. Die Partei fordert zwar in der Familie eine »Willkommenskultur für Un- und Neugeborene«, um die »Geburtenrate in unserem Land« zu steigern, die sich durch Zuwanderung nicht kompensieren lasse. Offenbar darf die Familie jedoch nicht aus eingewanderten Menschen bestehen, denn diese weisen laut AfD-Grundsatzprogramm bei »sozialer Schwäche« und »niedrigem Bildungsstand« eine zu hohe Geburtenrate auf. Anders als nicht-eingewanderte Menschen mit akademischer Bildung, die der AfD zu wenige Kinder bekommen. Es handelt sich also um abstammungsdeutsche wohlhabende Familien mit höherer Bildung, die der AfD letztlich am Herzen liegen.
Und daran offenbart sich genau das, was an der AfD noch am häufigsten positiv dargestellt wird, als Lüge – nämlich, dass sie die Partei des »kleinen Mannes« sei, eine Alternative für die »Abgehängten« und vom System Verratenen. In Wahrheit steht sie für eine völkische Elitenförderung, die der Familienpolitik der Nazis sehr nahe steht. Die brachte Joseph Goebbels 1932 auf den Punkt: »Den ersten, besten und ihr gemäßesten Platz hat die Frau in der Familie, und die wunderbarste Aufgabe, die sie erfüllen kann, ist die, ihrem Land und Volk Kinder zu schenken.«
Für die Linke gilt: wer geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung angreift, greift alle an. Deutlicher kann ein solcher Angriff nicht sein, als wenn menschliche Partnerschaften über ihre ethnische Zusammensetzung und volkswirtschaftliche Leistung bewertet und gar als »Keimzellen« bezeichnet werden. Durch diese Benennung gibt die AfD klar und deutlich zu verstehen, dass Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit für sie weniger wichtig sind als funktionierende Reproduktionseinheiten für den »Volkskörper«. Insofern passt es ins Bild, dass der vermeintlich gemäßigtere konservative Flügel inklusive Parteiführung keinen Bedarf sieht, immer offener faschistische Führungskader wie Bernd Höcke auszuschließen, und eine Beatrix von Storch an seiner Spitze duldet, die es laut eigener Aussage im Zweifelsfall für angebracht hält, an Landesgrenzen auf nicht-deutsche Frauen und Kinder zu schießen.
Verteidigung der sexuellen Selbstbestimmung
Leider ist die AfD keine Einzelkämpferin in der Weltpolitik. Die Regierung des ausgesprochenen Sexisten Donald Trump etwa hatte noch vor ihrer Amtseinführung erste Schritte unternommen, um Planned Parenthood jede Förderung zu entziehen – einer Organisation, die Gesundheitsvorsorge und sexuelle Aufklärung überall dort leistet, wo das US-Gesundheitssystem zu teuer oder schlicht nicht ausgebaut ist. Doch zum »Women’s March« anlässlich der Amtseinführung von Präsident Trump waren weltweit mehrere Millionen Menschen auf den Straßen, um gegen die Einschränkung von Rechten und Freiheiten durch sexistische und rassistische Politik zu protestieren. Und heute zum internationalen Frauenkampftag am 8. März 2017 rufen feministische Gruppen aus über 30 Ländern bereits zu Streiks gegen Gewalt an Frauen und für die Verteidigung der sexuellen Selbstbestimmung auf. In diesem Moment liegt die Chance auf eine weltweite Massenbewegung, die letztlich wirklich Revolutionäres im Sinne aller Menschen bewirken könnte.
Schlagwörter: AfD, Alternative für Deutschland, Analyse, Antifaschismus, Diskriminierung, Frauen, Frauenbefreiung, Frauenbewegung, Inland, Nazis, Rassismus