Zwei Streikführer berichten von den Erfahrungen aus den Streiks in der Tarifrunde der Länder
Im Februar kam es bundesweit zu Streiks und Aktionen im Rahmen der Tarifrunde der Länder. Es wurde über die Lohnentwicklung von etwa einer Million Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst verhandelt. Im Ergebnis steht eine Lohnerhöhung von 8 Prozent über die lange Laufzeit von 33 Monaten. In diesen Tagen beginnt die Mitgliederbefragung zum Tarifergebnis in den Betrieben. Die Beschäftigten bei den Ländern sind bisher durch geringere Löhne im Vergleich zu den Beschäftigten bei Bund und Kommunen schlechter gestellt. Das liegt unter anderem am geringeren gewerkschaftlichen Organisationgrad und der dadurch schwächeren Mobilisierungskraft. Doch in diesem Jahr kam es in einigen Orten zu herausragenden Streiks und Aktionen, die zeigen, dass auch in der Tarifrunde der Länder eine hohe Streikbeteiligung erreicht werden kann.
Wir sprachen mit Sabine Stein, Pflegekraft und ver.di-Betriebsgruppensprecherin an der Uniklinik des Saarlands und Horst Burkhart, Sozialarbeiter und Personalratsvorsitzender am Zentrum für Psychiatrie Emmendingen. An beiden Standorten wurden im Zuge des Streiks ganze Stationen geschlossen.
marx21: Im Februar kam es bundesweit zu Streiks. Könnt ihr mal erzählen, was bei euch lief?
Sabine: Wir hatten einen Streiktag an dem 500 Kolleginnen und Kollegen rausgegangen sind. Man hat einfach gemerkt, dass die Beschäftigten ein großes Interesse daran haben, an die Löhne bei den kommunalen Krankenhäusern angeglichen zu werden, damit wir nicht immer hintendran sind. Durch die hohe Streikbeteiligung haben wir auch drei Stationen geschlossen: eine Intensivstation in der Neurochirurgie, eine IMC in der Chirurgie und eine Station in der Frauenklinik. Außerdem wurden viele Betten auf verschiedenen Stationen gesperrt.
Horst: Zum Start haben wir – wie immer – eine sehr gut besuchte Protestpause organisiert und zum Warnstreik haben wir erstmals seit 130 Jahren eine Station ganz und zwei Stationen zur Hälfte bestreikt. Es waren insgesamt 45 Betten geschlossen.
Das klingt richtig stark. Es ist ja nicht so leicht Krankenhäuser und Psychiatrien zu bestreiken, da ja die Patientinnen und Patienten da sind. An beiden Standorten hattet ihr eine Notdienstvereinbarung, die regelt, dass Betten und Stationen geschlossen werden müssen, wenn sich so viele Beschäftigte am Streik beteiligen wollen, dass die Station nicht einfach weiterlaufen kann. So eine Notdienstvereinbarung wurde erstmals beim Charité-Streik 2015 angewendet. Seitdem wissen die Arbeitgeber, dass sie sich damit keinen Gefallen tun. Wie konntet ihr diese Notdienstvereinbarung (NDV) trotzdem durchsetzen?
Sabine: Unsere Notdienstvereinbarung ist beim Streik für Entlastung im letzten Jahr entstanden. Natürlich war die Arbeitgeberseite davon nicht begeistert. Damals wollten sie das nicht unterschreiben. Dann haben wir aber Druck gemacht auf die Politik und durch Zeitungsartikel auch die Öffentlichkeit involviert. Wir sind zum Beispiel in den saarländischen Landtag gegangen und haben mit Politikerinnen und Politikern darüber gesprochen, dass wir definitiv eine NDV brauchen, weil es sonst Chaos geben würde. Es geht ja auch darum, die Patientenversorgung aufrecht zu erhalten – auch im Streik, aber so, dass trotzdem die Beschäftigten ihr Streikrecht wahrnehmen können. Die Landesregierung meinte dann, einen Streik fände sie auch nicht so toll. Aber wir haben ihnen dargelegt, was das für uns bedeuten wird. Es waren Kolleginnen von verschiedenen Stationen dabei und sie haben vom Alltag auf Station erzählt, wie schlecht die Patientenversorgung ist und dass nicht der Streik die Patientinnen und Patienten gefährdet, sondern dass der Normalzustand das Problem ist. Dadurch haben wir einiges in Bewegung gesetzt in der Politik. Im Endeffekt haben sie sich dem Druck gebeugt und zugestimmt. Bei dieser Tarifrunde wurde dann beschlossen, dass man sich wieder von beiden Seiten an diese NDV hält.
War das bei euch auch so eine Auseinandersetzung, Horst?
Horst: Beim ersten Termin zur Verhandlung der NDV haben wir mit großer Entschlossenheit deutlich gemacht, dass diesmal die Schließung von Stationen fest eingeplant ist. Bei uns und in den anderen Zentren ist die Geduld am Ende. »Alternativlos« – so haben wir dies deutlich gemacht. Nicht genannt haben wir die Namen der Stationen, mit denen wir schon Gespräche geführt und Schließungen »durchgespielt« hatten.
Welche Regelung habt ihr dann getroffen?
Horst: Unser Angebot an die Geschäftsleitung bestand darin, dass wir einen zehntägigen Vorlauf zum Bettenabbau vor dem Streiktag und einen anschließenden zehntägigen Wiederaufbau nach dem Streik vorschlugen. Dies war zwangsläufig damit verbunden, dass der Streiktag schon sehr frühzeitig bekannt ist und genügend Zeit besteht, geordnet und sicher für die Patientinnen und Patienten, aber auch für die Kolleginnen und Kollegen, die Schließungen durchzuführen. Beim zweiten Termin wurde schnell deutlich, dass die Geschäftsleitung verstanden hatte, dass Schließungen unvermeidbar sind. Wir haben »unsere Stationen« noch immer nicht genannt, waren aber soweit entgegenkommend, dass wir den Maßregelvollzug nicht vorgesehen hatten und die akutpsychiatrische Aufnahme und Krisenstationen nur bedingt bestreiken würden. Nach einer Verhandlungspause benannte die Geschäftsleitung selbst vier Bereiche, wo sie Schließungen als durchführbar erachtete. Damit hatten wir eine Basis, auf die wir uns einlassen konnten, und verhandelten im Detail die Schließung einer Station und die Teilschließungen zweier weiterer Stationen beim dritten Termin zum Abschluss der NDV.
Wie genau funktioniert denn ein Stationsschließungsstreik in einer Psychiatrie? Die Patientinnen und Patienten sind ja in der Regel relativ lange da.
Horst: Das ist ein sehr heikles Thema, denn wir haben in den Zentren eine gesetzliche Aufnahmeverpflichtung, die zum Beispiel die Unikliniken nicht haben. Wir können und dürfen keine Aufnahmen, die ja fast immer Notaufnahmen sind, ablehnen. Die Patientinnen und Patienten kommen nur in wenigen Bereichen elektiv und planbar. In der Regel sind die täglichen Aufnahmen aus sehr schwierigen Krisensituationen heraus, durch Selbst- und oder Fremdgefährdung. Zudem sind diese Aufnahmen auch immer in einem Zwangskontext und deshalb sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für die Kolleginnen und Kollegen eine sehr große Herausforderung. Daher war eine gangbare Alternative die Schließung einer Suchtaufnahmestation für längerfristig geplante Aufnahmen, die Teilschließung einer »Subakutaufnahme« für jüngere, ersterkrankte Psychosepatienten und die Teilschließung einer Station für Alterspsychiatrie, in der ebenfalls die Aufnahmen begrenzbar sind. Die Kolleginnen und Kollegen der Streikstationen waren sehr darauf bedacht, dass Patienten nicht gefährdet werden.
Sabine, wie läuft das konkret ab bei einer Station, in der alle streiken wollen?
Sabine: Wir haben hier sogenannte betriebliche Organizer und die Teamdelegierten, die dann besprochen haben: Wer will raus? Man muss ja erstmal schauen, wie der Organisationsgrad auf Station ist. Dann kann man sehen, welche Dienste man nicht besetzen kann. Daraufhin wird dann eine Meldung an die Gewerkschaft gemacht und diese geht zum Arbeitgeber und sagt, welche Stationen zur Schließung angemeldet sind. Dann wird mit dem Arbeitgeber diskutiert. Oft braucht man dann den Druck durch das Team.
Welche Mittel haben die Teams, um Druck auszubauen?
Sabine: Wir haben zum Beispiel Briefe von den Stationen geschrieben, in denen die Kolleginnen und Kollegen öffentlich angekündigt haben, dass sie alle streiken werden. Wenn das Team zusammenhält, kann die Stationsschließung durchgesetzt werden. Dann können sich alle am Streik beteiligen.
Konntet ihr alle Schließungen durchsetzen oder musstet ihr auch Kompromisse machen?
Sabine: Natürlich muss man auch mal Kompromisse machen. Es gab zum Beispiel eine Station, die komplett schließen wollte, aber als Kompromiss nur zehn Betten zugemacht hat, damit andere Stationen ganz schließen konnten. Wichtig ist dann auch die Streikleitung. Es gibt von jedem Gebäude eine Kollegin oder einen Kollegen in der Streikleitung, die oder der alles im Auge hat. Die Streikleitungen sind in ständiger Rücksprache mit den Stationen, falls die Schließungen nicht gut laufen. Gemeinsam wird dann entschieden, wie wir uns verhalten.
Und welche Funktion haben die »betrieblichen Organizer«?
Sabine: Wir versuchen von jeder Abteilung eine Kollegin oder einen Kollegen als betrieblichen Organizer zu gewinnen. Die sind dafür da, Informationen an die Leute zu bringen, gerade was unsere Vereinbarung zur Entlastung betrifft oder auch zu schauen, wo es Probleme gibt, wo sich irgendwas abzeichnet. Und sie mobilisieren eben auch zu Streiks. Das heißt, sie laufen dann über die Stationen, informieren wie das alles abläuft und erzählen auch wie die Betten- und Stationsschließungen ablaufen werden. Aber auch im Alltag gucken sie zum Beispiel, wo neue Mitarbeiter eingestellt worden sind, die man nochmal über Gewerkschaftsarbeit aufklärt und eventuell auch als neues Mitglied gewinnt.
Wie ist diese Struktur entstanden?
Sabine: Wir haben eine Fortbildung mit Organizerinnen und Organizern von ver.di gehabt. Dort haben wir Zettel bekommen, auf denen man eintragen konnte, welche Aufgaben man für welchen Bereich übernimmt: Kann ich einmal im Monat vorbeigehen und schauen wie es auf Station läuft oder kann ich aktuelle Zeitungen oder Flugblätter vorbeibringen. Das sind alles wichtige Aufgaben und so lernt man sich besser kennen. Es ist auch einfach wichtig zu wissen, wer denn Ansprechpartner ist. Wen kann ich mal anrufen, wenn es irgendwelche Probleme gibt?
Jetzt beginnt die Mitgliederbefragung zum Ergebnis der TdL-Runde. Wie schätzt ihr das Ergebnis ein?
Horst: Die Lohnrunde würde ich besonders durch die Mindestbeträge von insgesamt 240 Euro für die unteren Lohngruppen als gut bewerten. Die lange Laufzeit ist interessanterweise bei mir im Betrieb noch gar kein Thema, das negativ ausstrahlt. Es wird einfach hingenommen. Den zweiten Teil des Abschlusses, nämlich die Verbesserungen in der Entgeltordnung sehe ich sehr differenziert. Positiv ist das Ergebnis für unsere Pflegekräfte. Hier ist eine Größenordnung erreicht, die teilweise mehrere hundert Euro ausmachen wird. Damit überholen wir die Lohnsumme der VKA (z.B. kommunale Krankenhäuser [Anm. der Red.]) und ziehen gleich mit den Uniklinika in Baden-Württemberg. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass das nur ein Gleichstand erreicht ist – mehr nicht. Ein erster Erfolg nach vielen Jahren Verhandlungen. Grundsätzlich muss hier noch eine weitere Aufwertung durchgesetzt werden. Genauso wie im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste. Betrachte ich die gesamte Entgeltordnung bin ich aber verärgert, wie die TdL (Tarifgemeinschaft deutscher Länder [Anm. der Red.]) notwendige Verbesserungen für alle Berufsgruppen bekämpft und verhindert hat.
Sabine: Also ich denke die Stimmung ist eigentlich recht gut, was den Abschluss angeht, weil ja jetzt angeglichen wird an den TVöD. Ja, es geht über drei Jahre. Das ist schon eine lange Laufzeit. Wir haben drei Jahre Friedenspflicht und können nicht für mehr Lohn streiken. Das ist der Haken für die meisten. Aber viele sehen auch, dass sie nun endlich besser entlohnt werden. Es hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun, dass man gleichgestellt wird mit den kommunalen Beschäftigten. Das war vielen wichtig.
Horst, du bist auch Mitglied in der ver.di Bundestarifkommission. Kannst du uns einen Einblick geben, wie die Diskussionen liefen?
Horst: Als Bundestarifkommissionsmitglied war ich in die Verhandlungen zur Verbesserung der Entgeltordnung beinahe zwei Jahre in sieben Verhandlungsrunden involviert. Das Ergebnis ist wie beschrieben eine Enttäuschung für viele. Die TdL hat sich eine Blockadehaltung bewahrt und ignorierte nahezu völlig den großen Bedarf außerhalb der Pflege und in den Sozial- und Erziehungsdiensten. Hier wünsche ich mir von ver.di und den betroffenen Kolleginnen und Kollegen weitere Schritte.
Was war denn die Strategie der Arbeitgeber?
Horst: Die Arbeitgeber wollten in den Verhandlungen die Verbesserungen der Entgeltordnung nur durch einen Lohnverzicht von allen in der Lohnrunde zulassen. Hier haben wir der Verhandlungsspitze deutlich gemacht, dass das für uns ein No-Go ist. Dann eben keine neue Entgeltordnung! Als dies von uns durchgesetzt war, wurde es richtig schwierig. Ein Machtkampf in der TdL führte dort zu einer Kampfabstimmung, die gegen die Kompromisshaltung des Vorsitzenden der TdL, den Berliner Finanzsenator Kollatz gerichtet war. Seine beiden Stellvertreter, die Finanzminister aus Niedersachsen und Sachsen und die Vertreter aus Nordrhein-Westfalen wollten eine harte Linie gegen uns fahren. Erst als Kollatz sich durgesetzt hatte, wurde das in der Spitze mit Frank Bsirske ausgehandelte Papier möglich. Als Mitglied der Tarifkommission war es ein stundenlanges Warten, denn wir bekommen keine differenzierten Zwischenstände von der ver.di Spitze.
Sabine, ihr habt im letzten Jahr eine schuldrechtliche Vereinbarung zur Entlastung der Pflege abgeschlossen. Das war ein großer Erfolg. Wie sieht es mit der Umsetzung aus?
Sabine: Die Umsetzung gestaltet sich schwierig. Wir fangen ab dem 1. April mit den Belastungstagen an. Das bedeutet, dass Kolleginnen bei Unterbesetzung Freischichten sammeln werden. Das wird unserem Arbeitgeber ziemlich um die Ohren fliegen. Es gibt aber viele Sachen, die nach wie vor nicht vorhanden sind, wie zum Beispiel die Prioritätenliste und ein funktionierendes Konsequenzenmanagement zur Bettenschließung bei Unterbesetzung.
Und was passiert, wenn sich die Klinikleitung auch weiterhin nicht an die Vereinbarung hält?
Sabine: In Essen hat der Personalrat kürzlich auf Grundlage der dortigen Vereinbarung Dienstpläne mit Unterbesetzung abgelehnt. Die sind dann zur Einigungsstelle gegangen und der Arbeitgeber musste am Ende die Betten sperren. Ich denke, das wäre eine Möglichkeit, die wir dann in Betracht ziehen müssen. Der Personalrat lehnt dann Dienstpläne von Stationen ab, um zu zeigen: So läuft es nicht. Sollte sich die Klinikleitung nicht an die Vereinbarung halten, müssen wir auch darüber nachdenken, sie zu kündigen und erneut zu streiken. Wir stehen auch bundesweit mit anderen Kliniken im Austausch. Ich denke es ist wichtig, bundesweit weiter zu machen.
Horst, auch in den Psychiatrien ist die Unterbesetzung ein großes Thema. Die Personalbesetzung wird bei euch über die Psych-PV (Psychiatrie-Personalverordnung [Anm. der Red.]) geregelt. Die Verordnung wird im Moment überarbeitet und alle warten gespannt auf das Ergebnis. Wie schätzt du die aktuelle Entwicklung zur Psych-PV ein?
Horst: Die Arbeitsbelastung der examinierten Pflegekräfte ist extrem hoch, weil hier die meisten offenen Stellen sind und der Bedarf an zusätzlichen Pflegekräften sehr groß ist. In Emmendingen fehlen uns für 30 Stationen insgesamt circa 130 Vollzeitstellen in der Pflege, zwölf Ergotherapeutinnen und zwölf Sozialarbeiter. Eine bessere »Psych-PV-Plus« muss realisiert werden, doch die Signale zur Reform sind leider wenig erfreulich. Wenn bis zum Ende des Jahres keine verbesserte Personalverordnung präsentiert wird, dann fällt unsere gesetzliche Personalbemessung ab 2020 völlig weg. Zwangsläufig müssen wir dann mit ver.di aktiv werden und über Tarifverträge zur Entlastung eine Verbesserung erkämpfen. Hierzu haben wir mit der Psych-PV Plus und den Vorschlägen der Fachverbände sehr gute Vorlagen, die wir dann in Tarifverträgen festschreiben müssen.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei den anstehenden Kämpfen!
Foto: Lucas Krentl
Schlagwörter: Gewerkschaft, Krankenhausstreik, Organizing, Streik, Ver.di