Nach der Wahl: Die Zukunft der spanischen Linken ist noch unklar, das Zweiparteiensystem befindet sich jedoch in einer tiefen Krise. Eine kurze Analyse von Miguel Sanz Alcántara und Kira Rockel
Die spanische Parlamentswahl vom 20. Dezember hinterlässt das politische Parteienfeld in einem instabilen Zustand. Die christdemokratische Partido Popular (PP) gewann zwar mit 29 Prozent der Stimmen, verfehlte jedoch mit 123 Sitzen deutlich die angepeilte absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus (nötig wären 176 der 350 Sitze) – trotz des ungerechten Wahlsystems, das die stärkste Partei bevorzugt. Selbst mit Unterstützung der neuen neoliberalen Partei Ciudadanos (14 Prozent, 40 Abgeordnete) kämen die Konservativen nicht auf eine stabile Regierungsmehrheit.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums reichen auch die Sitze von Sozialdemokraten (PSOE, 22 Prozent, 90 Abgeordnete), der Linkspartei Podemos (21 Prozent, 69 Sitze) und dem Linksbündnis Izquierda Unida (4 Prozent, 2 Sitze) nicht aus, um eine Regierung zu stellen. Trotzdem lässt sich ein gewaltiger Fortschritt für die Linke verzeichnen, wobei besonders die linksnationalistischen Gruppen eine Schlüsselrolle in den kommenden Verhandlungen einnehmen werden.
Das Wahlergebnis eröffnet also verschiedene Koalitionsmöglichkeiten, von denen jedoch momentan keine zu einer stabilen Regierung führen würde. Daher zielen Eliten und europäische Institutionen gegenwärtig auf eine Große Koalition nach deutschem Vorbild ab, also auf ein Bündnis von Christdemokraten und PSOE. Allerdings scheint das wenig wahrscheinlich. Das bisherige System, in dem diese beiden Parteien das Abgeordnetenhaus absolut dominiert haben, hat einen heftigen Dämpfer erhalten: Eine Große Koalition brächte gerade einmal 50 Prozent der Wählerstimmen zusammen.
Große Koalition nach deutschem Vorbild?
Die sozialdemokratische PSOE setzte auf die wirtschaftliche Erholung des Lands. Doch eine Große Koalition würde den »griechischen Weg« der Austerität gehen, was der PSOE nur weiter schaden und an Zustimmung kosten würde. Vor allem in Richtung Podemos würde sie wahrscheinlich bei kommenden Wahlen Stimmen verlieren.
Schon dieses Mal konnte Podemos deutlich ins PSOE-Lager einbrechen. Es fehlten der jungen Partei nur 400.000 Stimmen, um mit der Sozialdemokratie gleichzuziehen. Vor allem in den städtischen Milieus und in der Arbeiterklasse konnte sie punkten. In Katalonien und dem Baskenland wurde sie sogar stärkste, in Madrid hinter der PP zweitstärkste Kraft – alles bislang Bastionen der PSOE. Die letzten Umfragen, die Podemos nur als viertstärkste Partei sahen, haben sich keineswegs bewahrheitet. Die Sozialdemokraten hingegen verloren seit ihrem letzten Wahlsieg im Jahr 2008 sechs Millionen Stimmen.
Podemos stellt Bedingungen
Nachdem in der Wahlnacht klar war, dass die Christdemokraten keine absolute Mehrheit bekommen würden, gab Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias die Konditionen bekannt, mit denen er zu Koalitionsverhandlungen mit der PSOE bereit wäre: Er verlangt eine Verfassungsreform zum Schutz öffentlicher Dienstleistungen. Zudem soll ein Gesetz verabschiedet werden, das die Möglichkeit eröffnet, die Regierung durch ein Referendum zu stürzen. Ferner fordert er eine Reform des Wahlsystems (das momentan ländlich-konservative Regionen bevorzugt) und die Möglichkeit, ein Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens durchzuführen.
Obwohl große Teile der linken Wählerschaft auf eine Koalition von PSOE und Podems drängen, steht gerade die letzte Forderung einer solchen Koalition unausweichlich im Wege. Zugleich garantiert sie Podemos aber die Unterstützung der katalonischen Linksnationalisten.
Das Zweiparteiensystem von Spanien aufgebrochen
Schon während des Wahlkampfs haben die spanischen Eliten und wichtige Persönlichkeiten aus Medien, Wirtschaft und Politik kritisch den Aufstieg von Podemos und eine mögliche Regierungsbeteiligung beäugt. Doch ob sie die Partei um Pablo Iglesias wirklich fürchten müssen, ist fraglich. Diese zeigte nämlich eine erstaunliche Flexibilität in ihren Positionen, so dass sie teilweise auch im rechten Lager fischte.
Dennoch: Die fünf Millionen Stimmen für Podemos und die zahlreichen Basisaktivitäten während des Wahlkampfs zeigen, dass es in der Bevölkerung einen großen Wunsch nach politischer Veränderung gibt. Die Wahl hat das Zweiparteiensystem aufgebrochen, das noch aus den 1970er Jahren, der Zeit der Transición (Übergang von der Franco-Diktatur zur parlamentarischen Monarchie, Anm. d. Red.), stammt. Das ist der brodelnde Kern, auf den Podemos setzen sollte und der die herrschende Klasse wirklich beunruhigt.
Die Entwicklung der 15M-Bewegung und deren Überführung in das Parteiprojekt Podemos binnen nur zwei Jahren war eine beeindruckende Leistung. Sie trägt jedoch auch die Gefahr mit sich, die Bewegung zu demobilisieren und zu parlamentarisieren. Deshalb wird es ausschlaggebend sein, die Unterstützung der Bevölkerung in den Aufbau weiterer Protestbewegungen zu übertragen, wie es sie in den Jahren 2010 bis 2012 gab. Das Potenzial für einen solchen Widerstand in den Straßen und in den Betrieben ist vorhanden – einschließlich eines möglichen weiteren Szenarios: Neuwahlen im kommenden Jahr.
Der Schlüssel zum Erfolg von Podemos bleibt darin bestehen, die Basis weiterhin für Protest zu mobilisieren und das Versprechen aufrecht zu erhalten, einen echten politischen Wechsel herbeizuführen.
Foto: Jobopa
Schlagwörter: 15M, Große Koalition, Izquierda Unida, Pablo Iglesias, Podemos, Spanien