Nach dem tödlichen US-Angriff auf den iranischen General Qassem Soleimani wächst die Gefahr einer weiteren Eskalation im Nahen Osten. Doch der Mord ist nicht Ausdruck der Stärke, sondern der Begrenztheit der Macht der USA
Donald Trump hat mit der Anordnung der Ermordung von Qassem Soleimani zusammen mit anderen iranischen und irakischen Militärführern eine Kriegshandlung begangen, die den Nahen Osten in Brand setzen könnte. Die Morde waren zweifellos durch kurzfristiges politisches Kalkül von Trump motiviert, aber sie gehören zur jüngsten Phase der Krise der US-Dominanz in der Region.
Imperialismus und Krieg in Nahost
Diese Krise lässt sich auf die Invasion der USA und der Briten im Irak im Jahr 2003 zurückführen. Der Sturz von Saddam Hussein und die Niederlage der Besatzung schufen ein Machtvakuum, das sowohl Staaten in der Region des Nahen Ostens und Nordafrikas – Iran, Israel, Saudi-Arabien, Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate – als auch externe Mächte, vor allem Russland, auszunutzen versuchten.
Ihre Rivalitäten haben eine Reihe gefährlicher und blutiger Konflikte ausgelöst – in Syrien, Jemen und Libyen. Das von den USA unterstützte Pipeline-Geschäft zwischen Griechenland, Zypern und Israel schürt die Spannungen zwischen den Unterzeichnern und der Türkei weiter.
Soleimani und das Regime im Iran
Das islamisch-republikanische Regime im Iran war einer der Hauptprofiteure des Rückzugs der US-Macht im Nahen Osten. Soleimani war ein wichtiger Machtfaktor in einem Bereich, der sich vom Irak über den Libanon bis nach Syrien erstreckte.
Der Iran hat eine widersprüchliche Rolle gespielt, indem er gleichzeitig den Widerstand gegen die USA und Israel forcierte und das barbarische Assad-Regime in Syrien sowie korrupte und sektiererische Regierungen im Irak und Libanon unterstützte.
Trump und die Strategie des »Maximaldrucks«
Die USA mögen sich zurückgezogen haben, aber sie sind nicht bereit, ihre Vorherrschaft im Nahen Osten aufzugeben. Trump hat die Politik Barack Obamas gegenüber Teheran umgekehrt und Verständigung durch Konfrontation ersetzt. Aber er war bis jetzt vorsichtig genug, um einen Krieg zu vermeiden, indem er sich darauf konzentrierte, durch die Verhängung von Wirtschaftssanktionen »maximalen Druck« auszuüben.
Das iranische Regime fand jedoch Wege, sich zur Wehr zu setzen – zum Beispiel, indem es saudische Ölförderanlagen ins Visier nahm oder seinen Einfluss im Irak einsetzte. Soleimani zu töten, ist weniger eine Demonstration der US-Macht, als eine gereizte Geste ihrer Begrenzung. Dennoch war es ein äußerst gefährlicher Schritt – und nicht nur, weil der Iran zurückschlagen und damit möglicherweise einen Eskalationszyklus mit den USA auslösen wird. Das Interesse anderer imperialistischer Mächte, die Krise der US-Macht im Mittleren Osten auszunutzen, wird durch die jüngste gemeinsame Marineübung von China, Russland und dem Iran im Golf deutlich.
Gegen Krieg und jeden Imperialismus!
Linke müssen den Angriff der USA und jede weitere Aggression verurteilen und sich einem Krieg mit dem Iran widersetzen. Jeder von den USA geführte oder angezettelte Krieg gegen den Iran wäre in seinen unmittelbaren Folgen äußerst schrecklich und würde der gesamten Region weiteren unkalkulierbaren Schaden zufügen. Imperialistische Interventionen haben nur dazu gedient, den Nahen Osten in eine Zone der Verwüstung durch permanente Kriege zu verwandeln.
Anstatt mehr Truppen in die Region zu schicken, sollten die USA – neben Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Russland – alle ihre Streitkräfte aus der Region abziehen. Die Linke muss gegen die Gefahr eines Krieges mobilisieren.
Massenproteste und Arabischer Frühling 2.0
Sozialistinnen und Sozialisten sollten die Vorstellung ablehnen, dass einer der rivalisierenden Subimperialismen in der Region eine fortschrittliche Lösung bietet. In den letzten Monaten gab es Massenproteste gegen Armut, Korruption und Sektierertum im Iran, Irak und Libanon. Die Ermordung von Soleimani könnte den herrschenden Klassen dieser Länder helfen, die Ordnung auf nationalistischer Basis wiederherzustellen. Die Linke muss sich allen Versuchen der lokalen herrschenden Klassen, ihre Völker gegeneinander aufzuhetzen, widersetzen.
Eine wirkliche Lösung für die Ausbeutung und Unterdrückung, unter der die Arbeiterinnen und Arbeiter, die städtischen Armen und die Bauernschaft in der Region leiden, liegt in ihren eigenen Händen. Die arabischen Aufstände von 2011 haben uns einen Eindruck von dem revolutionären Potential gegeben, das in der Selbstaktivität der Massen liegt. Sozialistinnen und Sozialisten müssen sich für eine Erneuerung dieser Kämpfe einsetzen, die den Griff des Imperialismus und Kapitalismus in der Region endlich brechen können.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch auf der Homepage der International Socialist Tendency. Übersetzung ins Deutsche von Volkhard Mosler und Yaak Pabst.
Foto: Greg Lilly Photos
Schlagwörter: Irak, Iran, Trump