Sahra Wagenknechts neues Buch »Die Selbstgerechten« sorgt bereits vor seiner Veröffentlichung für Empörung – und die ist berechtigt. Unser Autor Daniel Anton schreibt sich den Frust von der Seele
Wenn »Die Selbstgerechten« von Sahra Wagenknecht in diesen Tagen in den Regalen der Buchhandlungen erscheinen wird, dann mit einem einzigen, berechenbaren und vermutlich erfolgreichen Kalkül der Autorin: hohe Verkaufszahlen durch einen vermeintlichen Skandal, der in dieser Bundesrepublik keiner ist, nämlich den politischen Diskurs weiter nach rechts zu verschieben.
Wagenknechts altbekannte Klaviatur
Die bereits an die Öffentlichkeit durchgestochenen Zitate lassen einen grauenhaften Diskurs über »Leitkultur« und »skurrile Minderheiten« vermuten, welche sexuelle Orientierung, Glauben und Hautfarbe nur dazu nutzen würden, um sich als Opfer darzustellen und so im Privilegiendiskurs besser dazustehen. Wagenknecht spielt ihre altbekannte Klaviatur, aber nochmal lauter und schriller. So weit, so schlecht.
Das erschreckende für eine akademische Linke wie Wagenknecht ist ihre Klassenanalyse und ihr Klassenstandpunkt, beziehungsweise die dort klaffende Lücke. Vielleicht ist es unfair, sie an etwas zu messen, woran sie selbst keinen Anspruch hat und dennoch: Wer das spaltende Element des Rassismus in diesem System nicht wahrhaben will, es kleinredet oder den Betroffenen sogar noch zum Vorwurf macht, hat Marx offensichtlich nie verstanden.
Der Postbote in der Nebenrolle
Der buckelnde weiße Postbote, von dem die Autorin im Buch schwadroniert, hat übrigens eine ganz besondere Rolle in den »linkskonservativen« Fantasien: Er ist Staffage – eine Requisite für die eigene Selbstgerechtigkeit, die eigene (Buch-)Präsentation. Es ist nicht so, dass Wagenknecht ihm eine aktive, handelnde Rolle zugesteht, etwa durch Streik, politische Aktivität oder zumindest die Wahl der LINKEN. Er hat allein die Opferrolle zu spielen, die eben sie aufdeckt.
Und er ist nicht etwa Opfer der Widersprüche des Kapitalismus, prekärer Arbeitsbedingungen, der Klimakatastrophe, der verschärften Ungleichheit im Zuge der Coronakrise oder unbezahlbarer Mieten. Nein, er ist Opfer der »skurrilen Minderheiten« und ihrer »Marotten« und Vorteile in der Privilegienvergabe. Eine eigene aktive Rolle hat er nie.
Wagenknechts Krönungsmesse
Wagenknecht steht mit dieser Sichtweise übrigens nicht alleine in einer Bundestagsfraktion, die in gewissen Teilen längst den Glauben an das Potential der Selbstbefreiung der Arbeiterklasse verloren hat – ja überhaupt an eine Gesellschaft, die sich außerhalb des parlamentarischen Zirkus noch artikuliert.
Dies gilt nicht einmal nur für den angeblich verlängerten Arm des Neoliberalismus – für Bewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter –, sondern auch für die in Wagenknechts Sicht verkorkste eigene Partei, die sich am kommenden Samstag bei der Aufstellung der Landesliste der LINKEN NRW zur Krönungsmesse versammeln darf (wahlweise: muss) und dann endlich mal jemanden live erleben darf, die man sonst nur von Markus Lanz kennt. Das muss man ihr lassen: Mit Requisiten, Staffage und Selbstinszenierung kennt sie sich aus.
Eine ausführliche Besprechung und Kritik von Sahra Wagenknechts »Die Selbstgerechten« erscheint nach Veröffentlichung des Buches auf marx21.de.
Foto: flickr.com / DIE LINKE
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