In Berlin zeichnet sich eine Neuauflage des Bündnisses aus SPD, Grünen und Linkspartei ab. Ein »Weiter so« darf für die DIE LINKE nicht in Frage kommen – das Wahldebakel war ein Warnschuss. Doch was würde eine wirklicher Politikwechsel für Koalitionsverhandlungen von Rot-Rot-Grün in Berlin bedeuten? Von Ferat Kocak und Yaak Pabst
Fast 40 Prozent der Wahlberechtigten sprechen sich laut Umfragen für eine erneute Regierung unter Beteiligung der SPD, Grünen und der Linkspartei aus; andere mögliche Regierungskoalitionen finden deutlich weniger Zustimmung. Auch viele soziale und politische Bewegungen und Initiativen in der Stadt, wie »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« (DWE) oder verschiedene Gewerkschaften, favorisieren eine Mitte-Links-Koalition von Rot-Rot-Grün in Berlin. Viele versprechen sich davon bessere Chancen für eine Umsetzung ihrer Anliegen.
Druck auf Rot-Rot-Grün in Berlin groß
Gleichzeitig ist klar, dass ebenso ein Großteil der Wähler:innen kein einfaches »weiter so« von Rot-Rot-Grün in Berlin will. Der Berliner Senat war auf dem Höhepunkt seines Schaffens eine der unbeliebtesten deutschen Landesregierungen – zwischen 58 und 66 Prozent der Berliner:innen gaben an, mit der Arbeit der Regierung nicht zufrieden zu sein. Die Versprechungen der Parteien nach Lösung der drängendsten Fragen, wie dem massiven Mangel an Wohnraum und den explodierenden Mietpreisen, einer echten Verkehrswende, der Bekämpfung der Misere an den Schulen und Krankenhäusern oder dem Personalmangel in den öffentlichen Verwaltungen, müssen umgesetzt werden. Ein neuer Senat unter Rot-Rot-Grün in Berlin steht unter großem Druck, die Lebensbedingungen der Menschen in Berlin wirklich zu verbessern.
Was müsste Rot-Rot-Grün in Berlin angehen?
Das Wahlprogramm der LINKEN steht für einen Politikwechsel statt eines »Weiter so«. Doch kann ein wirklicher Politikwechsel mit SPD und Grünen gelingen? Was würde dies für die Koalitionsverhandlungen bedeuten? Die Aufgaben, vor denen ein neuer Senat steht, sind enorm. In den letzten Jahrzehnten wurde Berlin kaputt gespart. Die jahrelange Unterinvestition hat verheerende Auswirkungen auf die soziale Daseinsvorsorge: katastrophale Zustände in den Krankenhäusern, extrem große Schulklassen und Kita-Gruppen, das Fehlen von Tausenden Lehrer:innen und Erzieher:innen und monatelanges Warten auf einen Termin beim Amt kennen Berliner:innen aus eigener Erfahrung.
Die neu geschaffenen Wohnungen sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein
Um nur die größten Mängel in der öffentlichen Daseinsvorsorge zu beheben, müsste der Senat massiv Geld in die Hand nehmen. Allein bei den Vivantes-Kliniken sieht der Betriebsrat einen Investitionsbedarf von einer Milliarde Euro. Dazu müssten mindestens 10.000 Neueinstellungen im öffentlichen Dienst erfolgen, um dem Bedarf in den zentralen Sektoren gerecht zu werden. Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten in Berlin – vor allem wegen dem Mangel an Wohnraum und den horrend steigenden Mieten. Um die Mietsteigerung zu stoppen, müsste der Senat mindestens 100.000 preiswerte Wohnungen schaffen, eher mehr. Die 19.000 neu geschaffenen Wohnungen sind zwar mehr als unter Rot-Schwarz, doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Diese geringe Anzahl wird den realen Bedürfnissen der Berliner Bevölkerung nicht gerecht und liegt weit hinter den im letzten Koalitionsvertrag vereinbarten 55.000 zusätzlichen Wohnungen. Ein echter Politikwechsel muss in diesen Problemfeldern einen spürbaren Unterschied machen. Ob das mit SPD und Grünen zu machen ist, werden die Koalitionsverhandlung zeigen. Allerdings stimmt die Bilanz des letzten R2G-Senats nicht hoffnungsfroh.
Die miserable Bilanz von Rot-Rot-Grün in Berlin
Auch der vergangene R2G-Senat hat an der Haushaltskonsolidierung festgehalten und sich zur Schuldentilgung verpflichtet – unabhängig von der Einnahmesituation. Das ist angesichts des Sozialabbaus der letzten Jahrzehnte in Berlin und des milliardenschweren Investitionsstaus unverantwortlich. Der letzte Senat hat nichts spürbar an der systematischen Unterfinanzierung des öffentlichen Sektors und des Wohnungsbaus geändert. Gleichzeitig wurden in den vergangenen Jahren eine Unmenge von öffentlichen Aufgaben an private Konzerne ausgelagert – beispielsweise in der Müllentsorgung, der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, bei Bildung und Erziehung oder in der Gesundheitsversorgung. In Berlin sind in diesen ausgelagerten Bereichen Schätzungen zufolge mindestens 200.000 Beschäftigte tätig. Die Auslagerungen haben verheerende Folgen für ihre Löhne und Arbeitsbedingungen. Die Beschäftigten haben sich teilweise mit Streiks dagegen gewehrt aber auf die versprochene Eingliederung in den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) warten sie immernoch.
Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung
Auch im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung hat der letzte Senat kaum Fortschritte gemacht. Immer noch dürfen 1,3 Millionen Berliner:innen bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus und beim Volksentscheid nicht an der demokratischen Willensbildung teilhaben. Dass damit mehr als einem Drittel der Bevölkerung Berlins die demokratische Mitbestimmung verwehrt wird, ist ein Skandal. Der Löwenanteil davon sind die 789.000 Menschen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft. Es ist deswegen richtig, dass sowohl das Wahlrecht mit 16 Jahren für Volksentscheide und Abgeordnetenhauswahlen als auch das Wahlrecht für alle Berliner:innen ohne deutschen Pass, die ihren Wohnsitz in Berlin haben, endlich umgesetzt wird. Das faktische Berufsverbot für religiöse Minderheiten, das sogenannte Kopftuchverbot muss weg.
Privatisierung der S-Bahn
Eine in der Stadtgesellschaft kaum bekannte Sauerei des R2G-Senats ist die faktische Privatisierung der S-Bahn durch deren Ausschreibung, die vor allem von den Grünen, aber auch der SPD forciert wurde (Lies hier das marx21-Interview mit dem Lokführer Uwe Krug über die drohende Privatisierung und Zerschlagung der Berliner S-Bahn). Die Verkehrssenatorin hat die Frist jetzt nochmal auf Anfang November verschoben. Beim Vergabeverfahren für die Berliner S-Bahn geht es mittlerweile um bis zu 11 Milliarden Euro. Jetzt klagt der französische Konzerne Alstrom sogar gegen die Ausschreibung, weil er sich benachteiligt sieht. Der Zeitplan ist nicht einzuhalten. Alle konkurrieren um die Millionen Profite. Die Rekommunalisierung der S-Bahn, wie sie DIE LINKE fordert, ist die Alternative zum »grünen Wettbewerb« auf der Schiene. Die von den Grünen forcierte Politik bedeutet Profitorientierung, Lohndumping und Privatisierung und birgt die Gefahr der Zerschlagung der Berliner S-Bahn (Lies hier den marx21-Artikel »Rot-Rot-Grün in Berlin: Der Skandal um die S-Bahn Privatisierung«). Eine Verkehrswende sieht anders aus.
Bilanz der LINKEN bei S-Bahn-Ausschreibung
DIE LINKE im Senat hat bei der Frage der S-Bahn-Ausschreibung eine schlechte Bilanz und dass obwohl viele Mitglieder der Partei gegen die Ausschreibungspolitik der Grünen sind und einen sofortigen Stopp des Vorhabens fordern. Noch im Febrauar 2021 beschloss der Landesausschuss der LINKEN Berlin: »DIE LINKE Berlin lehnt die Ausschreibung zu Betrieb und Instandhaltung auf den S-Bahn-Teilnetzen »Nord-Süd« und »Stadtbahn« in der vom Senat beschlossenen Form ab, da hierin nicht sichergestellt ist, dass die Ausschreibung nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen und die S-Bahn auch zukünftig aus einer Hand betrieben wird.«
Ebenso gab es mehrere Parteitagsbeschlüsse welche die S-Bahn-Ausschreibung kritisierten und klare Kriterien einforderten – die jedoch vom Senat nicht eingehalten wurden. Trotz dessen haben die Mitglieder der LINKEN im Berliner Senat dem Vorhaben der grünen Verkehrssenatorin zugestimmt und sich damit gegen die Mehrheit der Mitgliedschaft gestellt. Begründet würde dies im November 2019 damit, dass die Zustimmung der Grünen zum Mietendeckel nicht gefährdet werden dürfe. Ein schlechtes Tauschgeschäft denn jetzt ist der Mietendeckel verloren und die S-Bahn ausgeschrieben. Vor dieser Politik hat schon Rosa Luxemburg gewarnt. Sie schrieb: »Fangen wir aber an, im Sinne des Opportunismus, dem ›Möglichen‹ unbekümmert um die Prinzipien und auf dem Wege staatsmännischer Tauschgeschäfte nachzujagen, so gelangen wir bald in die Lage des Jägers, der das Wild nicht erlegt und die Flinte zugleich verloren hat.«
Kann eine Politik im Interesse der Viele umgesetzt werden?
Die Bedingungen für eine Politik im Interesse der Vielen unter Rot-Rot-Grün in Berlin sind schwieriger geworden. Der Haushalt weist laut Finanzsenator eine Unterdeckung von 1,5 Milliarden Euro unter den Bedingungen der Schuldenbremse auf. Franziska Giffey hat als Kandidatin der SPD für das Bürgermeisteramt deutlich gemacht, dass sie die Schuldenbremse unangetastet lassen will und auch der scheidende Finanzsenator der SPD Matthias Kollatz hat schon angekündigt, dass es weniger finanzielle Spielräume gibt und er die Schuldenbremse ab 2023 wieder in Kraft setzen möchte.
Gleichzeitig hat Franziska Giffey betont, dass sie die über eine Millionen Stimmen für den Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« ignorieren und diesen nicht umsetzen will. Auch bei der Umsetzung des Kampfes gegen die Klimakatastrophe ist die SPD nicht zu wichtigen Schritten – wie die Rücknahme der Privatisierung der S-Bahn oder den Stopp des A100 Ausbaus – bereit oder eher zögerlich. Bei den Grünen (wie auch in der Praxis bei der SPD) wird wenig Rücksicht bei der Verfolgung der Klimapolitik auf die wirtschaftlichen Spielräume von Normalverdienenden oder Erwerbslosen genommen (CO2-Steuer). Die Hoffnungen von vielen in eine Regierung von SPD, Die Grünen und DIE LINKE sind verständlich. Aber sie werden enttäuscht werden und die Linkspartei wird mitverantwortlich gemacht, wenn der Koalitionsvertrag nicht die Lösung dieser drängendsten Probleme in Berlin angeht.
Haltelinien und Mindestbedingungen
DIE LINKE sollte deswegen klare Mindestbedingungen aufstellen und gleichzeitig auch Haltelinien formulieren, mit denen die Partei deutlich und nachvollziehbar machen kann, was sie unter einem wirklichen Politikwechsel in Berlin versteht. Es wäre fatal, wenn DIE LINKE sich weitere fünf Jahre durch Einbindung in Regierungsverantwortung an einem »Weiter so« oder gar einem Kürzungshaushalt beteiligt und damit als Motor für Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse ausfällt.
Aufbauend auf den Roten Haltelinien aus dem Erfurter Programm 2012 steht im Wahlprogramm der LINKEN Berlin: »An einer Landesregierung, die Privatisierungen bei der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des öffentlichen Diensts verschlechtert, wird sich DIE LINKE nicht beteiligen.« Für Berlin bedeutet dies, dass DIE LINKE eine Regierungsbeteiligung ausschließt:
- wenn die Privatisierung und Ausschreibung der S-Bahn nicht zurückgenommen und gestoppt wird
- wenn die Tochtergesellschaften von Vivantes, Charité oder von anderen landeseigenen Unternehmen, wie im Bereich der Ver- und Entsorgung, ohne Tarifvertrag mit Bindung an den TVöD bleiben
- wenn der finanzielle Spielraum für Berlin nicht deutlich erweitert wird, durch Aussetzung der Schuldenbremse und/oder Steuererhöhungen für Reiche und es eine Absage an sogenannte Schattenhaushalte gibt
Gleichzeitig sollte DIE LINKE Mindestbedingungen für eine Neuauflage der Koalition formulieren, die einen wirklichen Politikwechsel einleiten können. Dazu gehören unter anderem:
- Alle Koalitionspartner:innen müssen sich unmissverständlich zur Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheides »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« bekennen. Dazu muss sich auf einen konkreten Zeitplan zur Umsetzung geeinigt werden. Formulierungen, die nur eine »rechtliche Prüfung« zusichern, sind abzulehnen. Die Entschädigungshöhe darf sich nicht an den Mondpreisen des Marktes orientieren. Sie muss so niedrig sein, dass eine Finanzierung bei fairen, bezahlbaren Mieten und einer soliden Instandhaltung der Bestände haushaltsneutral möglich ist. Dadurch muss auch gesichert werden, dass die Immobilienspekulant:innen nicht Milliardensummen aus der öffentlichen Hand erhalten, die dann erneut zur Spekulation auf dem Immobilienmarkt eingesetzt werden.
- Ein soziales Wohnungsprogramm für mindestens 100.000 Wohnungen durch Neubau und die Rekommunalisierung von Wohnungsbeständen sowie ein Gesetz zur Ermöglichung von Umzügen von größeren in kleinere Wohnungen ohne Mieterhöhung.
- Mindestens 10.000 neue Stellen im öffentlichen Bereich zu Tarifbedingungen – vor allem in Krankenhäusern, Schulen und Kitas.
- Der massive Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs als Ersatz für Autoverkehr, Absage an eine unsoziale City-Maut, sowie der Stopp des Ausbaus der A100 und anderer teurer Straßenbauprojekte.
- Das vollständige Bauverbot auf dem Tempelhofer Feld muss erhalten bleiben und die Räumung linker Hausprojekte gestoppt werden.
- Keine Abschiebung von Roma und Sinti, kommunales Wahlrecht für Nichtdeutsche und keinerlei Erschwernisse für die Durchführung von Volks- und Bürgerbegehren.
- Abschaffung des Kopftuchverbots
Warum braucht DIE LINKE Haltelinie ?
Haltelinie und Mindestbedingungen bedeuten, dass eine Neuauflage von Rot-Rot-Grün in Berlin für DIE LINKE nicht in Frage kommt, wenn einer dieser Punkte nicht erfüllt wird. In möglichen Verhandlungen über ein linkes Regierungsbündnis sind solche »roten Haltelinien«, gemeinsam mit Mindestbedingungen, für DIE LINKE eine Möglichkeit, den Weg in die politische Isolation zu vermeiden, ohne die Identität der Partei zur verraten. Die Haltelinien definieren, was DIE LINKE unter keinen Umständen mitträgt. Mindestbedingungen formulieren einen linken Forderungskatalog, welcher die Lage der Menschen im Hier und Jetzt spürbar und schnell verbessern würde. Es liegt an der LINKEN aufzuzeigen, dass der notwendige Politikwechsel nicht an ihr scheitert. Ziel von Haltelinien und Mindestbedingungen ist, die Linie für eine Kompromissfindung öffentlich bekannt zu machen und die Partei gleichsam dafür zu wappnen, für diese Ziele aus der Opposition heraus zu kämpfen. Wenn Koalitionsgespräche an diesen Haltelinien der LINKEN scheitern, liegt die Verantwortung dafür bei den möglichen Koalitionspartner:innen und nicht bei der LINKEN.
Obwohl die »roten Haltelinien« im Grundsatzprogramm der LINKEN festgeschrieben sind, werden sie auf Länderebene immer wieder ignoriert. So ist die Existenz der »roten Haltelinien« in der Realität leider kein Garant dafür, dass Politiker:innen der LINKEN diese auch wirklich anwenden. In den Verhandlungen zu den vergangenen Landesregierungen in Berlin, Bremen oder Thüringen haben die Haltelinien keine oder höchstens eine untergeordnete Rolle gespielt – mit entsprechend negativen Konsequenzen.
Was macht Rot-Rot-Grün mit der Partei?
Bei der Debatte um eine Neuauflage der rot-rot-grünen Koalitionsregierung in Berlin ist jedoch auch ein anderer Aspekt für DIE LINKE von Bedeutung: der Zustand der Partei selbst. Die Ausgangslage für DIE LINKE ist alles andere als rosig. Die Partei geht geschwächt in die Koalitionsverhandlungen. Die vergangene Regierungsbeteiligung hat der Partei geschadet. DIE LINKE konnte bei der Abgeordnetenhauswahl nur dort ihre Ergebnisse halten oder verbessern, wo sie an der Seite von Bewegungen in Opposition gegen den Senat mobilisierte: Das betrifft viele Aspekte der Wohnungspolitik, der Bezahlung von Beschäftigten im öffentlichen Sektor wie Krankenhäuser oder ausgegliederten Betrieben, den Kampf gegen die Zerschlagung der S-Bahn, gegen die Missstände an den Schulen und Universitäten, gegen Abschiebung und mangelnde Aufklärung bei Polizei bezüglich der Nazi-Anschlagsserie oder die Räumung von linken Hausprojekten wie der Rigaerstraße oder aktuell des »Köpi«-Wagenplatzes – um nur einiges zu nennen. Dort wo die Linkspartei nicht Teil der außerparlamentarischen Bewegung war, hat sie verloren – teilweise gab es sogar einen deutlichen Absturz.
Eine linke parlamentarische Opposition war nicht wirklich ausreichend sichtbar
Die Tatsache, dass DIE LINKE berlinweit nur geringe Verluste bei der Abgeordnetenhauswahl erlitten hat, darf nicht hinwegtäuschen über die tiefen Probleme, vor denen die Partei steht. DIE LINKE kann sich nur aufbauen, wenn sie aktiver Teil zivilgesellschaftlicher Bewegungen ist. Weil die Linkspartei Teil der Regierung in Berlin war, hielt sie sich mit ihrer Kritik zurück und nutzte nur unzulänglich ihre Möglichkeiten als Partei für die zivilgesellschaftliche Mobilisierung von Gegenmacht gegen den Senat und Profitinteressen der Konzerne. Oppositionelles Regieren findet Grenzen mit dem Koalitionsvertrag oder dem Landeshaushalt und riskiert natürlich, wenn wirklich ernsthaft betrieben, die Weiterexistenz der Regierungskoalition. Insofern hat die Regierungsbeteiligung eher zu einer Schwächung der Anliegen der Bewegungen geführt und nicht zu einer Stärkung. Eine linke parlamentarische Opposition war nicht wirklich ausreichend sichtbar.
Was ist mit dem Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen«?
Ein Kernargument der Befürworter:innen einer Regierungsbeteiligung der LINKEN ist die Umsetzung des Volksentscheids. DIE LINKE müsse in die Regierung, damit ein neuer Senat einen Gesetzentwurf nicht nur »prüft«, sondern wirkliche »Schritte für die Umsetzung« eines solchen unternimmt, so das Argument. Allerdings hat die Sache einen Haken: Denn dafür braucht es gar nicht DIE LINKE in der Regierung. Der Volksentscheid muss behandelt werden – unabhängig von der Regierung. DWE stirbt nicht, wenn DIE LINKE nicht koalieren will. DWE würde sterben, wenn es keine Bewegung auf der Straße mehr gibt. Die SPD hat die Führung in der Koalition und Franziska Giffey wird ihr bestes tun, um den Volksentscheid im Sand verlaufen zu lassen oder ihn als verfassungswidrig anzuzweifeln. In der Koalition ist DIE LINKE dem Koalitionsfrieden unterworfen. Vor allem in der Opposition wäre sie in der Lage, gemeinsam mit Gewerkschaften und den Mieterinitiativen Druck aufzubauen, glaubwürdig zu bleiben und für die Umsetzung des Volksbegehrens zu kämpfen.
Kommt ein Szenario Tegel?
Aber wird es dann vielleicht nicht so kommen wie beim Volksentscheid zum Flughafen Tegel, der trotz einer Mehrheit für die Erhaltung des Flughafens nie umgesetzt wurde? Das ist so nicht zu vergleichen. Denn hinter DWE steht eine echte soziale Bewegung – hunderttausende haben nicht nur unterschrieben, sondern zehntausende waren auf der Straße aktiv. Hinter dem Volksbegehren Tegel stand hauptsächlich die FDP und der Text des Volksbegehrens war unverbindlich. Das Volksbegehren DWE zwingt den Senat zumindest ein Gesetz auf den Weg zu bringen. Die LINKE kann auch in der Opposition einen entsprechenden Gesetzestext in die Debatte einbringen. Dafür muss sie nicht mitregieren. Dieser Gesetzestext ist tatsächlich schon fertig. Ein solches Vorgehen wäre auch aus taktischen Gründen für die Bewegung von Nutzen, weil so SPD und Grüne noch mehr unter Druck gesetzt werden.
Sackgasse Regierungsbeteiligung
Die Erfahrungen der LINKEN in den vergangenen Jahren zeigen: Die derzeitigen Rahmenbedingungen im Kapitalismus und im bürgerlichen Staat allgemein und die Finanzen in Bund, Ländern und Kommunen, aber auch die Rechtswende von SPD und Grünen setzen der Umsetzung linker Politik äußerst enge Grenzen. Die Schuldenbremse ist dabei nicht das einzige Problem für eine linke Regierung auf Landesebene: Die Bundesregierung schafft für die Landesregierung einen falschen politischen Rahmen – ob in Bezug auf Mieten, Steuerpolitik, Abschiebegesetze oder Hartz IV. Die LINKE wird mit der Regierungsbeteiligung mitverantwortlich für politische Felder, die eigentlich die Bundesregierung verantwortet.
Gefahr von rechts
Die Bilanz vergangener und aktueller Regierungsbeteiligungen linker Parteien zeigt, dass sich linke Parteien damit nur zur Mitverwalterin des Status Quo machen oder sogar massive Verschlechterungen mittragen. Wo linke Parteien in Regierungsverantwortung sind, fallen sie als Opposition aus und können als antikapitalistische Kraft weniger in Erscheinung treten. Das ist gefährlich, weil es den linken Widerstand schwächt und Nährboden für die faschistische Rechte bietet. Das gilt auch für die Beteiligungen an Landesregierungen. Unter der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen konnte die AfD zur stärksten Kraft heranwachsen. Aber auch Erfahrungen der Linken mit Regierungsbeteiligungen in Griechenland, Italien und Spanien sollten der LINKEN in Deutschland eine Warnung sein.
Schlagwörter: Berlin, DIE LINKE, Inland, Landesregierung, Regierungsbeteiligung, Rot-Rot-Grün