Unter der Federführung der Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) hat der rot-rot-grüne Senat in Berlin die Ausschreibung der S-Bahn beschlossen. Wir sprachen mit dem Lokführer Uwe Krug über die drohende Privatisierung und Zerschlagung der Berliner S-Bahn und warum die Beschäftigten Widerstand gegen die Politik des Senats leisten
marx21.de: Die Erfahrung der Berlinerinnen und Berliner mit Privatisierungen sind schlecht. Was verspricht die grüne Verkehrssenatorin der Bevölkerung mit der Ausschreibung der Berliner S-Bahn?
Uwe Krug: Sie verspricht das Blaue vom Himmel: »Eine menschenfreundliche Mobilität« und einen »beispiellosen Ausbau des ÖPNV«. Ein fairer Wettbewerb würde Kosten sparen und effizienter sein.
Was ist das Problem an der jetzigen Ausschreibung des Berliner Senats?
Das Gegenteil wird passieren. »Wettbewerb« und »Profitorientierung« sind die schlechteste Lösung für einen sicheren, kostengünstigen und klimafreundlichen Öffentlichen Nahverkehr. Die Erfahrungen mit Bahn-Privatisierungen in anderen Ländern wie beispielsweise in Großbritannien, Neuseeland oder Japan sind miserabel.
Was plant der Senat konkret?
Das Gesamtnetz der Berliner S-Bahn soll zerschlagen werden. Die Stadtbahn, Nord-Südbahn und Ringbahn sollen getrennt betrieben werden. Sprich, die Züge sollen von bis zu drei unterschiedlichen Unternehmen gefahren werden.
Die S-Bahn Privatisierung wird katastrophale Konsequenzen für Beschäftigte und Fahrgäste haben
Klingt nach vorprogrammiertem Chaos?
Ja, aber das ist noch lange nicht der gesamte Plan. Denn zudem soll auch die Instandhaltung der Züge getrennt vom Betrieb der Züge ausgeschrieben werden. Das bedeutet im Ernstfall nochmal drei weitere Unternehmen. Das sind bis zu sechs Unternehmen, die allein für das Fahren der Züge und deren Instandhaltung verantwortlich sein sollen. Da auch der Ticketverkauf im nächsten Jahr ausgeschrieben werden soll und die Reinigung der Züge bereits an mehrere private Unternehmen vergeben wurde, wird die S-Bahn in unzählige Unternehmen mit verschiedenen Zuständigkeiten, Lohnniveaus und betrieblichen Schnittstellen zerlegt. Der Senat will also die Monopolstellung der Deutschen Bahn bei der S-Bahn beenden, aber zeitgleich neue Monopole für die nächsten 15-30 Jahre durch private Unternehmen schaffen. Nicht nur für uns Beschäftigte wird dieser Kurs katastrophale Konsequenzen haben (Lies hier den Artikel »Rot-Rot-Grün in Berlin: Der Skandal um die S-Bahn Privatisierung«).
Die katastrophalen Folgen der S-Bahn Privatisierung
Inwiefern?
Als Beschäftigte verlieren wir unsere bisherigen Sozialstandards und Rechte aus bestehenden Regelungen. Als Gewerkschaft werden wir so geschwächt und als Beschäftigte gespalten. Für mich ist klar: Durch Privatisierungen ist kein Arbeitsplatz sicherer, kein Ticket günstiger, kein Service besser und kein Schienennetz größer geworden. In Deutschland hat der Ausschreibungswettbewerb nur Nachteile gebracht. Sowohl im Netz von Sachsen-Anhalt (Abellio) als auch im Nahverkehr in Baden-Württemberg (Go-Ahead, National Express, Abellio) kam es vielfach zu Zugausfällen aufgrund fehlenden Personals (insbesondere Lokführer) und technischer Probleme.
Aber der Berliner Senat will die Ausschreibung doch nutzen, um die S-Bahn zu stärken?
Das ist eine Illusion. Durch die Ausschreibung sind beispielsweise Zuständigkeiten und Ansprechpartner nicht mehr nachzuvollziehen. Bauarbeiten im S-Bahn Netz werden wesentlich schlimmere Auswirkungen haben,weil Zuständigkeiten bei der Fahrplanplanung nicht mehr oder nur schlecht unternehmensübergreifend koordiniert werden können und Vorteile aus der Zusammenarbeit einzelner Bereiche, Synergien genannt, wegfallen.
Welche Auswirkungen hätte die Zerschlagung in drei Teilnetze noch?
Züge vom Netz Stadtbahn könnten zum Beispiel nicht mehr auf der Ringbahn oder Nord-Südbahn fahren, um dort mögliche Lücken zu schließen. So wie die Züge vom Netz Ringbahn nicht mehr in anderen Netzen eingesetzt werden dürfen, was bereits heute im Verkehrsvertrag Ring (Ringbahn) festgeschrieben steht. Die Lokführer aus dem einem Netz können auch nicht mehr in anderen Netzen eingesetzt werden, oder dort aushelfen, auch weil sie keine Einweisung in den Strecken und Züge haben. So wird der Engpass Lokführer noch erhöht und Synergien zerschlagen.
Warum ist die Trennung von Netz und Betrieb schlecht?
Es ist immer besser, wenn es eine Koordinierungsstelle gibt, die den Betrieb der S-Bahn steuert und plant. So gehören zum S-Bahn Fahren nicht nur das Gleis, der Strom und die Signale, auch die Fahrpläne der Züge müssen aus einer Hand erstellt und so auch Synergien aus dem Betrieb und der Infrastruktur gemeinsam genutzt werden. Heute ist es nach der Abtrennung der Infrastruktur von der S-Bahn ein täglicher Krampf, wer denn für welche Verspätung verantwortlich ist und dafür ggf. Strafe zahlen muss. Bauarbeiten an den Gleisen müssen heute über zusätzliche Schnittstellen aufwendig mit dem Betrieb abgestimmt, vereinbart und ggf. muss auch gestritten werden, welche Züge denn trotz Bauarbeiten noch fahren können und welche nicht.
Privatisierungen sind riskant
Welche negativen Auswirkungen in Bezug auf die Ausschreibung befürchtest du noch?
Ganz grundsätzlich ist die Vergabe öffentlicher Verkehrsleistungen an Privatunternehmen immer riskant. Beispielsweise weil die Unternehmen nicht genügend Personal oder eben Zugmaterial zur Verfügung stellen oder sich finanziell verkalkulieren. Die Qualität des Betriebs kann gravierend leiden, weil die Unternehmen gewinnorientiert arbeiten. Dann fallen Bahnen aus, oder ganze Linien werden zeitweise nicht bedient. Insolvenzen sind nicht auszuschließen. Ebenso haben temporäre Betreiberfirmen kein langfristiges Interesse am Erhalt der Infrastrukturen und der Weiterentwicklung des Gesamtsystems. Es droht ein Abwirtschaften bestehender Strukturen statt Erhalt und Ausbau.
Was ist falsch an der privaten Wartung der Fahrzeuge?
Bei den privaten Unternehmen fehlt einfach die Erfahrung mit den speziellen S-Bahnen in Berlin. Diese müssten sie erst aufwendig erlernen. Aber insbesondere wäre es der absolute Wahnsinn, wenn private Unternehmen erst eigene Werkstätten bauen, statt für die S-Bahnen der vorhandene Werkstättenverbund im Gesamtnetz genutzt werden.
Wieso das?
Voraussetzung der vorgesehenen Ausschreibung ist zum Beispiel die Errichtung einer neuen S-Bahn-Werkstatt an der Schönerlinder Straße – auf Kosten des Landes Berlin. Das sind unüberschaubare Kosten, die wir alle nach den Plänen der grünen Verkehrssenatorin als Steuerzahler zahlen sollen.
Um wieviel Geld geht es da?
Es muss dafür mit wenigstens 300 Millionen Euro gerechnet werden, der Fahrgastverband IGEB rechnet sogar mit 500 Millionen Euro. Es droht ein neues Desaster, wie beim Flughafen BER. Das braucht niemand in Berlin, weder Fahrgäste noch Beschäftigte. Zumal bereits bekannt wurde, dass im Bereich der landeseigenen Fläche an der Schönerlinder Straße das Grundwasser besonders hoch steht. Risiken, welche Steuerzahlende übernehmen sollen, damit sich dann Private daran bereichern können.
Welche Wirtschaftsinteressen können mit der Ausschreibung bedient werden?
Die Zughersteller können nicht allein mit dem Fahrzeugbau, sondern auch mit der Instandhaltung ihre Gewinne erhöhen, indem sie die Regionalisierungsmittel des Bundes und der Länder für sich beanspruchen. So fließen Steuergelder in die Taschen der privaten Unternehmen, statt in Investitionen in die Fahrzeuge und Personal.
So sieht eine Klimapolitik aus, die auf neoliberale Marktmechanismen setzt
Geht es nicht auch um Lohndumping?
Ja, das kommt hinzu. Denn mit der Aufspaltung in verschiedene Unternehmen kann das Lohnniveau der Beschäftigten weiter abgesenkt werden. Bestehende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen verlieren ihre Gültigkeit oder müssten erst wieder von null von den (Neu-)Beschäftigten erkämpft werden. Damit wollen die Regierenden bei uns Beschäftigten Geld einsparen, das sie dann wieder den Unternehmen in den Rachen werfen.
Der Senat will einerseits die S-Bahn für Private attraktiv ausschreiben, andererseits ruft er die Klimanotlage aus und will den Autoverkehr einschränken. Wie passt das zusammen?
So sieht eine Klimapolitik aus, die auf neoliberale Marktmechanismen setzt, statt auf nachhaltige staatliche Planung. Es ist absurd, dass die S-Bahn als Rückgrat des Berliner Nahverkehrs jetzt mit neoliberalen Maßnahmen fit für die Verkehrswende gemacht werden soll.
Die S-Bahn Privatisierung und der Stopp der Ausschreibung
Wenn die Ausschreibung gestoppt wird, entsteht dann nicht eine neue S-Bahn Krise, weil die Waggons nicht bestellt werden können?
Fahrzeuge kann der Senat heute und sofort ausschreiben und bestellen. Besser gestern als heute. Das verbietet dem Senat kein Gesetz und keine Belegschaft. Nur will der Senat die S-Bahn den privaten Unternehmen zum Fraß vorwerfen. Er will den Zugherstellern mit der Verknüpfung der Instandhaltung einen Großauftrag verschaffen, der über die Steuergelder eine Renditegarantie herstellt, die es so kaum anderswo noch gibt.
Aber ist die Bestellung von Waggons nicht ein Schritt hin zu einem »landeseigenen Fuhrpark« und kommunalen Unternehmen?
Nein, es ist nach den Plänen der Senatorin nur ein Abkauf der Risiken, die die Unternehmen mit der Finanzierung der neuen Züge haben würden. Denn welches Unternehmen kann schon 3 Milliarden Euro locker machen außer der S-Bahn Berlin GmbH mit ihrer Eigentümerin Deutsche Bahn? So wird der Markt geöffnet für jedes Investmentgeschäft der ganzen Welt, welche bekanntlich nur die Gewinne abgreifen wollen.
Ist es sinnvoll, die S-Bahn aus der Bahn AG zu lösen?
Ich denke nicht. Auch wenn es berechtigte Kritik am Management der DB AG gibt – die bei der S-Bahn und hier insbesondere bei uns Beschäftigten vorhandene Kompetenz ist im gesamten DB Konzern gewachsen und verankert. Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten der öffentlichen Hand auch auf die S-Bahn gingen verloren. Und auch unsere Tarifverträge, die uns eine Beschäftigungssicherung im DB Konzern garantieren, würden uns Beschäftigten verloren gehen.
Wie könnte der Senat eine Vergabe an private Unternehmen verhindern?
Das ist nicht meine Aufgabe, dem Senat zu sagen, wie er was zu organisieren hat. Dafür bezahlen wir die Damen und Herren im Senat bekanntlich mit unseren Steuergeldern. Sollten sie es nicht mehr gebacken bekommen, organisieren wir den Betrieb auch gerne in Selbstverwaltung als Beschäftigte (lacht).
Wir sind für unsere Fahrgäste da, nicht für Spekulanten und deren Profitinteressen
Was müsste aus deiner Sicht jetzt passieren?
Um den S-Bahn-Verkehr aufrechtzuerhalten, müsste der Senat sofort neue Fahrzeuge bestellen. Unabhängig davon, wer diese Züge zukünftig fahren und instandhalten soll. Gleichzeitig benötigen wir mehr Personal, einen Ausbau des Streckennetzes und für die Kundinnen und Kunden Preissenkungen der Tickets. Eine »Zukunft« für die S-Bahn kann es nur geben, egal ob als privates, bundeseigenes oder kommunales Unternehmen, wenn eine Profitmaximierung bei und mit der S-Bahn untersagt wird. Damit würde sich zeigen, wer überhaupt das Interesse an einem funktionierenden Nahverkehr für deren Nutzende hat. Letztendlich sind wir als Beschäftigte genau dazu da und bereit. Tag und Nacht, in der Woche, am Wochenende und auch an Feiertagen. Für unsere Fahrgäste, jedoch nicht für Spekulanten und deren Profitinteressen.
Die GDL und die S-Bahn Privatisierung
Ihr seid als GDL aktiv im Aktionsbündnis »Eine S-Bahn für alle«. Warum?
Wir wollen gemeinsam mit anderen den Widerstand gegen die Pläne des Senats organisieren. Bereits 2012, als der S-Bahn-Ring als erstes Teilnetz ausgeschrieben wurde, sind wir aktiv geworden. Damals gab es erheblichen Widerstand des Berliner »S-Bahn-Tisches«, einem Zusammenschluss von Fahrgästen und Beschäftigten, der sich gemeinsam für eine einheitliche S-Bahn einsetzte. An diese Erfahrungen knüpfen wir an.
Wie viele Beschäftigte vertritt die GDL in Berlin? Wie hoch ist der Organisationsgrad?
Der Organisationsgrad ist im Vergleich zu anderen Branchen sehr hoch. Bundesweit sind es ca. 35.000 Beschäftigte, die bei der GDL organisiert sind. Wir GDL‘er bei der S-Bahn Berlin sind die zweitgrößte Ortsgruppe innerhalb der GDL, wir organisieren ca. 80 Prozent der Lokführerinnen und Lokführer bei der S-Bahn in Berlin.
Haben die Lokführerinnen- und Lokführer in Berlin Streikerfahrung?
Davon kann man ausgehen. Nach 2007/08 haben wir immer wieder Streikerfahrungen gemacht. 2015/2016 haben wir diese Erfahrung noch einmal intensiv ausgebaut. Tägliche Streikversammlungen, tägliche Kundgebungen und verschiedene Aktionen haben den Kolleginnen und Kollegen gezeigt, dass sie die eigentliche Macht im Unternehmen Bahn haben. Wer sich mit uns anlegt, wird es zu spüren bekommen!
Wie ist die Stimmung bei den Mitgliedern der GDL, was die Ausschreibungspläne des Senates angeht?
Ablehnung zu 100 Prozent! Zu dieser Aussage muss ich mich nicht weit aus dem Fenster lehnen, denn schon 2011 begannen wir als Gewerkschafter unsere Kolleginnen und Kollegen zu informieren. Zuerst über die Ausschreibung der Ringbahn, nun über weitaus katastrophalere Ausschreibungen der Stadtbahn und Nord-Südbahn. Informationen nehmen Ängste. Somit hat auch kaum eine Kollegin oder ein Kollege Angst um ihre Zukunft bei der S-Bahn, sondern vielmehr Wut gegenüber der Politik und dem Management. Denn zeitgleich mit der Ausschreibung, möchte uns das S-Bahn Management mit optimierten Einsatzplänen auf die Ausschreibung »einstimmen«. Viele Kolleginnen und Kollegen sind daher bereit, wenn nötig auch zu streiken. Das ist immer eine Option.
Protestperspektiven
Warum ist für euch als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter die Zusammenarbeit mit der Klimabewegung wichtig?
Die S-Bahn ist seit über 80 Jahren elektrisch, nachhaltig und für den Menschen da. Die Idee vom Umstieg aus dem Egoismus hin zu einer solidarischen Gesellschaft hat die S-Bahn mit der Klimabewegung gemeinsam. Einen Ausstieg aus dem Autowahn wird es nur mit einem massiv ausgebauten ÖPNV geben. Allein die uns Regierenden machen viel zu wenig für das Klima und für die Lohnabhängigen. Daher ist es wichtig, dass wir uns vernetzen und verbinden im Kampf gegen die Politikerinnen und Politiker, die die Forderungen der Klimabewegung und der Beschäftigten gleichermaßen ignorieren.
Gegen die S-Bahn Privatisierung Widerstand leisten
Wie können wir die derzeitige Ausschreibung stoppen?
Viele Berlinerinnen und Berliner wissen noch gar nicht, was der rot-rot-grüne Senat mit der S-Bahn vorhat. Unsere Aufgabe ist es, massenhaft aufzuklären. Das Bündnis hat jetzt dafür eine Unterschriftenaktion »Sofortige Rücknahme der Ausschreibung« gestartet. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir mit Kundgebungen und Aktionstagen den Senat unter Druck setzen. Eine Ausschreibung kann es nur geben, wenn wir Beschäftigte es zulassen. Ohne uns Beschäftigte kann die Politik viel wollen, aber nichts erreichen. Aber auch die Fahrgäste sind wichtig. Deswegen rufen wir alle Berlinerinnen und Berliner auf, Widerstand gegen die drohende Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn Berlin zu leisten. Gemeinsam sind wir stark!
Vielen Dank für das Gespräch.
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Interview: Yaak Pabst
Lesetipps:
1) Zusammenfassung von Gemeingut in BürgerInnenhand zur Auseinandersetzung im Jahr 2019 und den verschiedenen Protestaktionen.
2) FAQ von Gemeingut in BürgerInnenhand zur Debatte in der LINKEN-Berlin.
3) Artikel der LINKEN-Bezirkszeitung Neuköllnisch (Ausgabe Nov./Dez. 2019): »Wie die Koalition die Zerschlagung der S-Bahn vorantreibt«
Weitere Informationen: Weitere Infos zur S-Bahn Privatisierung findest du auf der Website vom Aktionsbündnis »Eine S-Bahn für alle«.
Schlagwörter: Berlin, Inland, Privatisierung, R2G, Rot-Rot-Grün