Die Streikbewegung für mehr Personal im Krankenhaus geht in die nächste Runde. Momentan bereiten sich die Beschäftigten in allen 21 Kliniken des Saarlands auf einen Arbeitskampf vor, der das kleine Bundesland kurz vor der Landtagswahl zu erschüttern droht. Von Martin Haller
»Großes entsteht immer im Kleinen«, so der Slogan der Marketingkampagne des kleinsten Flächenlandes der Bundesrepublik. Und auch wenn Werbeagentur und Staatskanzlei damit sicher keine Arbeitskämpfe im Sinn hatten, passt der Spruch perfekt für die Streikwelle, die sich momentan in den saarländischen Krankenhäusern anbahnt. Nach dem Durchbruch an der Berliner Charité soll die Tarifbewegung für mehr Personal nun im Saarland fortgeführt werden, um letztlich eine bundesweite Regelung für alle Krankenhäuser zu erkämpfen. Noch im Herbst 2016 forderte ver.di alle 21 saarländischen Kliniken zu Tarifverhandlungen zum Thema Entlastung auf. Diese ließen die gesetzte Frist jedoch verstreichen. Nun stehen die Zeichen auf Arbeitskampf.
Ein Streik wie keiner zuvor
Zu Tarifverhandlungen aufgerufen sind nicht nur das landeseigene Universitätsklinikum und die kommunalen Häuser, sondern sämtliche Kliniken des Bundeslandes, unabhängig von ihrem Träger. Auch kirchliche Häuser sollen explizit mit in die Auseinandersetzung einbezogen werden. So will ver.di verhindern, dass Kliniken, die einen Tarifvertrag für mehr Personal abschließen, einen Nachteil erleiden und umgekehrt Häuser mit einem schlechteren Personalschlüssel belohnt werden. Deshalb soll nur dann ein Tarifvertrag Entlastung unterschrieben werden, wenn mindestens elf Krankenhäuser mitmachen. Das bedeutet, ohne Entlastungsbestimmungen für kirchliche Häuser, wird es zu keinem Tarifabschluss kommen. Eine solche trägerübergreifende Aufforderung hat es in Deutschland noch nicht gegeben.
Bereits den Pionieren der Tarifbewegung für mehr Personal an der Berliner Charité war von Beginn an klar, dass der Kampf gegen Personalmangel und Arbeitsverdichtung letztlich nur gewonnen werden kann, indem die Bundesregierung zu einer gesetzlichen Regelung gezwungen wird. Doch sie wussten auch, dass der Druck, den ver.di mit politischen Kampagnen bereits seit Jahren aufzubauen versucht, nicht ausreicht. Um der weiteren Ökonomisierung der Krankenhäuser einen Riegel vorzuschieben und die Abwärtsspirale aus Personalabbau und steigendem Kostendruck zu stoppen, muss da angesetzt werden, wo es weh tut. Und das bedeutet Streik.
Der optimale Zeitpunkt
Die Kolleginnen und Kollegen der Charité haben mit ihrer Initiative, den Kampf auf betrieblicher Ebene auszutragen, großen Mut bewiesen und sie mussten sich über viele Widerstände hinwegsetzen – auch innerhalb der eigenen Gewerkschaft. Letztlich waren sie erfolgreich und erkämpften den bundesweit ersten Tarifvertrag für mehr Personal im Krankenhaus. Nun gilt es die Bewegung auszuweiten und den Anfang macht das Saarland. Hier ist ver.di in den Krankenhäusern nicht nur verhältnismäßig gut aufgestellt, sondern auch der Zeitpunkt ist durch die anstehende Landtagswahl Ende März äußerst günstig. Ein Streik unmittelbar vor der Wahl würde maximalen Druck auf die Landespolitik ausüben, die durch das Zurückhalten von Investitionsgeldern eine direkte Mitschuld an der Unterfinanzierung der Krankenhäuser hat.
Bereits jetzt haben Politikerinnen und Politiker sämtlicher Parteien im saarländischen Wahlkampf das Thema Personalmangel im Krankenhaus aufgegriffen und Verbesserungen versprochen. Damit es nicht bei Versprechungen bleibt, will ver.di den Druck jedoch weiter erhöhen und behält sich vor, noch vor der Wahl eine Urabstimmung über einen unbefristeten Streik einzuleiten.
Betten- und Stationsschließungen
Auch bei der Streikstrategie wollen die Saarländer in die Fußstapfen der Charité-Beschäftigten treten. So sollen nicht nur medizinisch nicht dringend notwendige Eingriffe bestreikt, sondern auch Patientenbetten gesperrt oder sogar ganze Stationen geschlossen werden. Mit dieser Strategie machten die Kolleginnen und Kollegen an der Charité während ihres elftägigen Streiks im Jahr 2015 hunderte Betten dicht, wodurch der Klinik ein wirtschaftlicher Schaden von etwa 500.000 Euro pro Streiktag entstand.
Die Voraussetzung für solch einen erfolgreichen Betten- und Stationsschließungsstreik ist jedoch, dass möglichst viele Teams auf den einzelnen Stationen bereits vor der Auseinandersetzung ausreichend stark aufgestellt sind und ihre Streikbereitschaft signalisieren. Nur so kann die Sperrung von Betten oder ganzen Stationen gegen die Klinikleitung durchgesetzt werden. Daher ist die zentrale Aufgabe, vor der ver.di nun steht, die einzelnen Teams gewerkschaftlich zu erschließen und für die Tarifbewegung zu gewinnen. Auch dafür kommt im Saarland ein Konzept zur Anwendung, dass in der Auseinandersetzung an der Charité entwickelt wurde: Um die Teams in die Streiktaktik einzubeziehen und ihre Mitsprache bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern zu gewährleisten, sollen auf allen Stationen und in allen Bereichen sogenannte Tarifberaterinnen und Tarifberater benannt werden, die als Schnittstelle zwischen Tarifkommission und Basis dienen. So wird nicht nur dafür gesorgt, dass Forderungen, Ideen und Kritik aller Beschäftigten Gehör finden, sondern auch, dass das komplizierte Unternehmen eines druckvollen Streiks im Krankenhaus überhaupt gelingen kann. Da ohnehin nicht der gesamte Krankenhausbetrieb auf einmal heruntergefahren werden kann — erst recht nicht in einem ganzen Bundesland — müssen besonders streikfähige Bereiche ausfindig gemacht werden, die in der Lage sind ökonomischen Druck aufzubauen. Andere Bereiche werden nur teilweise schließen können oder überhaupt nicht streiken. Diese können dann im Streik die Notfallversorgung gewährleisten. Um das zu organisieren, braucht es die Beteiligung der Basis.
Streiken, um sich zu beraten
Dafür hat ver.di am 23. Januar Tarifberaterinnen und Tarifberater von allen Stationen und Abteilungen der 21 saarländischen Akutkrankenhäuser zu einer Streikdelegiertenkonferenz geladen. Damit alle Teams vertreten sein konnten, wurde für das Treffen ein eintägiger Warnstreik angesetzt. Es kamen insgesamt fast 300 Kolleginnen und Kollegen, darunter 184 Delegierte mit dem Mandat ihres Teams. Somit waren laut ver.di 3.749 Beschäftigte saarländischer Kliniken auf der Konferenz repräsentiert.
Dort tauschten die Kolleginnen und Kollegen sich über die Lage in ihren Häusern aus und planten den weiteren Verlauf der Tarifbewegung. Zudem berichtete die Verhandlungsführung von ver.di von den bisherigen Gesprächen mit Arbeitgebern und der saarländischen Gesundheitsministerin Monika Bachmann. Diese hatte nach dem Gespräch mit ver.di angekündigt, ab 2018 eine Mindestausstattung für Pflegekräfte und Ärzte in den Krankenhausplan aufzunehmen. Die Konferenz der Streikdelegierten begrüßte diese Ankündigung, erklärte in ihrer einstimmig verabschiedeten Resolution aber zugleich: »Unsere Skepsis ist groß, dass nach der Wahl nicht umgesetzt wird, was vor der Wahl versprochen wurde.« Weiter heißt es dort: »Wir sind auf einen Arbeitskampf vorbereitet und wir bereiten uns weiter vor. Nur so werden wir bei Arbeitgebern und Regierung ernst genommen.« Zusätzlich beschloss die Konferenz eine Demonstration zum Internationalen Frauentag am 8. März 2017 in Saarbrücken. Das nächste Delegiertentreffen ist für den 15. Februar angesetzt: »Sollte sich in den Gesprächen keine Lösung abzeichnen, werden wir zur Urabstimmung rufen und die Beschäftigten fragen, ob sie in einen unbefristeten Streik einzutreten bereit sind«, so die Resolution weiter.
Widerstand von oben
Die Haltung von Politik und Arbeitgeberseite ist bislang ambivalent. Es ist zwar Konsens, dass die Schaffung von mehr Stellen dringend geboten ist, aber Taten ließen bislang auf sich warten. Die Landesregierung kündigte an, sich zu bewegen, allerdings fehlt weiterhin die notwenige Auszahlung der Investitionsgelder des Landes. Jährlich werden laut ver.di mindestens 50 Millionen Euro für die saarländischen Krankenhäuser zurückgehalten. Allein dadurch gebe es etwa 600 Pflegestellen weniger. Auch die Arbeitgeber senden widersprüchliche Signale. Sie wollen zwar keine Tarifverträge abschließen, aber sie erklären sich, getrieben durch den Druck, den ver.di seit Monaten aufbaut, zu Gesprächen bereit. Gleichzeitig gehen sie jedoch in vielen Kliniken aktiv gegen die Gewerkschaft vor. Ver.di berichtet davon, dass man »in den Krankenhäusern nicht nur wegen des Winters einen eiskalten Wind« spüre. Von vielen Arbeitgebern werde der Gewerkschaft der Zugang zu den Kolleginnen und Kollegen erschwert und es sei sehr schwierig frei und offen mit ihnen sprechen zu können.
Diese Doppelstrategie ist nicht neu: Die Arbeitgeber versuchen auf der einen Seite der Gewerkschaft immer wieder Steine in den Weg zu legen, betonen aber gleichzeitig die gemeinsamen Interessen und signalisieren ihr Entgegenkommen. So wollen sie die Bewegung ins Leere laufen lassen. Das gleiche gilt für die Politik: Keine Wahlkämpferin und kein Wahlkämpfer kann es sich leisten der Forderung nach ausreichend Personal für eine gute Pflege zu widersprechen. Nach der Wahl ist jedoch schnell wieder die Haushaltskonsolidierung oberstes Gebot und für die Pflege leider kein Geld da.
Es ist gut, dass ver.di sich alle Optionen offen hält und den Druck noch vor der Wahl weiter erhöhen will. Angesichts der Beteiligung der Beschäftigten durch die Tarifberaterstruktur und der Mobilisierungswelle, die momentan durch die saarländischen Kliniken geht, stehen die Chancen nicht schlecht, dass wir noch in diesem Frühjahr einen Pflegestreik erleben könnten, wie es ihn in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Die Berliner Charité hat die Lunte gelegt, jetzt brennt sie im Saarland. Wenn die Bewegung auch hier Erfolg hat, steht einem bundesweiten Flächenbrand nichts mehr im Weg.
Fotos: Pflegestreik Saar
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