Mit »Das Meer« hat Wolfram Fleischhauer eine hochaktuellen und spannenden Thriller über die Fischereiindustrie, Ökoterrorismus und den modernen Kapitalimus vorgelegt. Eine Buchrezension von Lisa Hofmann
Die EU-Fischereibeobachterin Teresa verschwindet spurlos bei einem ihrer Einsätze auf einer schwimmenden Fischfabrik auf dem Meer. Außer ihrem Lebensgefährten John Reeder glaubt nach ein paar Wochen niemand mehr daran, dass sie noch lebt und nicht einfach auf offener See über Bord gegangen und ertrunken ist. John Reeder ist ebenfalls Beschäftigter einer EU-Behörde und bildet dort die Fischerereibeobachter aus, deren undankbare Aufgabe darin besteht, an Bord der großen Fischfanflotten zu überwachen, dass die ohnehin schon sehr laschen Fangquoten und -bestimmungen der EU eingehalten werden. Dies ist kein harmloses Unterfangen. Der Fischmarkt und der Zugang zu den ertragreichen Fangplätzen vor den Küsten der Kontinente sind ein stark umkämpftes Segment der kapitalistischen Produktion des globalen Nordens. Während John Reeder verzweifelt versucht seine Freundin Teresa zu finden, häufen sich in Europa Fälle von Fischvergiftungen, die auf ein Netzwerk von Ökoterroristen hindeuten, die sich zur Aufgabe gemacht haben, das Leben im Meer vor der Zerstörung durch den Menschen zu bewahren.
Das Meer: Unhaltbare Verhältnisse der Fischereiproduktion
Wolfram Fleischhauer schildert in seinem Roman »Das Meer« sehr anschaulich die mafiösen und menschen- und umweltverachtenden Strukturen und Mechanismen, die dieser Produktion zu Grunde liegen, sowie den hilflosen Kampf der EU-Bürokratie und einzelner Aktivistinnen und Aktivisten dagegen. Im Verlauf des Romans erfährt man, dass immer wieder vom Aussterben bedrohte Fischarten gefangen, filetiert, tiefgefroren und umettiketiert auf den Markt gebracht werden. Teile der Fischereiproduktion befinden sich fest in der Hand eines Konglomerats aus Piraten und skrupellosen Investoren. Die Besetzungen vieler Trawler wurden einfach, in einem der von Kriegen und Naturkatastrophen gebeutelten Länder Südasiens, mit dem Versprechen auf ein besseres Leben an Bord gelockt. Diese Menschen fristen nun ein sklavenähnliches Dasein und werden, wenn sie der harten körperlichen Arbeit auf den Fangschiffen nicht mehr gewachsen sind, ins Meer geworfen.
Spannender Thriller mit aktuellen Bezügen
Fleischauer wechselt in jedem Kapitel des Romans die Erzählperspektive. Teresas verzweifelten Kampf ums Überleben, John, der während seiner Suche nach ihr immer mehr Teile der überforderten und teilweisen korrupten EU-Behörde aufdeckt, Ragna, die Teil des Ökoterroristennetzwerks ist und seit mehreren Jahren im Untergrund lebt, Ragnas Vater, der selbst Lobbyist der Fischereiindustrie ist und ein starkes Interesse daran hat, dass alles so bleibt, wie es ist und Adrian, Konferenzdolmetscher und Schulfreund von Ragna. Adrian dolmetscht die Sitzungen des EU-Krisenstabs, nach dem die Fischvergiftungen immer weiter ausgreifen. Seine beobachtende Perspektive auf das Geschachere, Austarieren der einzelstaatlichen Interessen und den nichtssagenden Politprofi-Sprech sind starke und erschütternde Passagen des Romans. Wolfram Fleischhauer hat mit »Das Meer« vordergründig einen Thriller über das Verschwinden und Suchen zweier Frauen geschrieben, der sich beim Lesen immer mehr zu einem Roman über die Machenschaften der Fischereiindustrie und die Europäische Union entwickelt. Dabei wirft er aktuelle Fragen auf: Wie viel und welcher Fisch darf gefangen werden? Unter welchen Arbeitsbedingungen wird dieser Fisch gefangen? Zieht der Staat gegenüber weltweit agierenden Konzernen immer den Kürzeren? Sollte weiter die Umwelt den Profitinteressen einiger Weniger zum Opfer fallen? »Das Meer« ist aber weder eine dröge Abhandlung über die EU, noch ein moralinsaurer Ökoroman, sondern ein spannender Thriller, der auf keinen Fall im Reisegepäck fehlen sollte.
Wolfram Fleischhauer
Das Meer
Droemer HC
München 2018
448 Seiten
19,99 Euro
Foto: b0000per
Schlagwörter: EU, Kapitalismus