Während das kurdische Afrin im Norden Syriens von türkischen Truppen besetzt ist, tobt im Süden Kurdistans der Klassenkampf. Peshraw Mohammed über die Hintergründe des Aufstands
In den westlichen Medien wird die Autonome Region Kurdistan im Nordirak oft als eine demokratische, politisch stabile und reiche Region dargestellt. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Mehrheit der Menschen lebt in bitterer Armut, viele haben nicht genug zu Essen und müssen ohne fließend Wasser und ohne Strom leben. Die Wut über die miserable soziale Lage hat sich nun in Massenstreiks und Demonstrationen von Zehntausenden Bahn gebrochen. Insbesondere Lehrerinnen und Lehrer sowie Beschäftigte im Gesundheitswesen und anderen Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes kämpfen gegen die Zurückhaltung ihrer Löhne und Gehälter.
Vier Jahre Krise
Der irakische Teil Kurdistans durchläuft eine tiefe soziale und politische Krise: Privatisierungen und Austeritätspolitik, politische Streitereien und ein blockiertes Parlament sowie anhaltende Sicherheitsprobleme durch den Kampf gegen den »Islamischen Staat« — mit alldem müssen die Menschen seit Jahren leben.
Seit 2014 herrscht in der Autonomen Region Kurdistan eine schwere Finanz- und Wirtschaftskrise. Diese hat mehrere Ursachen. Dazu zählen der fallende Ölpreis, der Streit mit der Zentralregierung in Bagdad, die den Bundeshaushalt verwaltet, sowie politische Spannungen innerhalb der Region. Die Regionalregierung reagierte auf die Krise mit einer verstärkten Sparpolitik und drastischen Lohnkürzungen. Monatelang wurde vielen Arbeiterinnen und Arbeitern und Beschäftigten im öffentlichen Dienst keine Löhne ausgezahlt, was bereits damals zu großen Protesten führte.
Das Unabhängigkeitsreferendum
Als weitere Reaktion auf die Krise, die wachsende Unzufriedenheit und den Widerstand aus der Bevölkerung führte die Autonomieregierung Ende September 2017 ein Referendum durch, bei dem sich eine große Mehrheit für die Unabhängigkeit der Region von Bagdad aussprach. Doch die Zentralregierung des Irak reagierte mit dem Einmarsch in die seit der US-Invasion von den kurdischen Peschmerga besetzen Gebieten. Die kurdischen Truppen zogen sich auf ihr Kerngebiet zurück.
Die irakische Regierung unter Premierminister Haider al-Abadi und die kurdische Autonomieregierung einigten sich auf ein Abkommen, welches den Streit zwischen Bagdad und Erbil beilegen sollte. Doch obwohl nun wieder Gelder aus dem Bundeshaushalt nach Kurdistan fließen, mit denen Beschäftigte im öffentlichen Sektor bezahlt werden sollen, kommt bei ihnen kaum etwas davon an. Nach wie vor liegen die Löhne und Gehälter weit unter dem Stand vor der Krise und werden, wenn überhaupt, nur unregelmäßig ausbezahlt.
Protestwelle und Massenstreiks
Trotz dessen es immer wieder Proteste und Widerstand gab, konnten die herrschenden Parteien PUK (Patriotische Union Kurdistans) und PDK (Demokratische Partei Kurdistans) ihre Macht dank staatlicher Repression bislang behaupten.
Doch nach vier Jahren immer wiederkehrender Demonstrationen rollt nun seit drei Tagen eine neue Streik- und Protestwelle durch das Land, die im Unterschied zu den früheren Kämpfen auch die Hauptstadt Erbil erschüttert. Vormals war es der Regierung mithilfe brutaler Unterdrückung durch die Sicherheitskräfte gelungen, den Widerstand in Erbil im Keim zu ersticken. Doch nun scheinen die Menschen dennoch ihre Angst überwunden zu haben und gehen trotz Festnahmen und Attacken der Polizei zu Tausenden auf die Straßen.
Foto: Sartip Othman
Schlagwörter: Irak, Kurdistan, Löhne, Massenstreik, Proteste, PUK, Streik