Siemens, Air Berlin und Co: Wie können Gewerkschaften gegen Massenentlassungen vorgehen? Anstatt der von den Arbeitgebern aufgekündigten Sozialpartnerschaft nachzutrauern, sollten sie den Kampf organisieren. Ein Kommentar von Jürgen Ehlers
Auf einen Schlag werden derzeit Tausende Arbeitsplätze vernichtet: 4000 bei der Luftfahrtgesellschaft Air Berlin, 750 beim Roboterhersteller Kuka, 700 beim Lampenproduzenten Ledvance und noch einmal 3500 bei Siemens. So unterschiedlich die Gründe sind, alle von Arbeitslosigkeit bedrohten eint das gleiche Schicksal. Die Wenigsten haben eine Chance, einen neuen Job zu vergleichbaren Bedingungen zu finden (Lese hier die Erklärung der LINKEN: »Solidarität mit den Beschäftigten bei Siemens«).
Massenentlassungen und das soziale Gewissen
Die Ankündigungen von Massenentlassungen rufen bei Politikerinnen und Politikern und Gewerkschaftsvertretungen immer die gleichen Reaktionen hervor. Sie beklagen Managementfehler, appellieren an das soziale Gewissen der Unternehmen und erinnern an das gute sozialpartnerschaftliche Miteinander in der Vergangenheit. Dabei hat die Gegenseite diese Sozialpartnerschaft längst aufgekündigt. Die Gewerkschaften dagegen sind immer noch in ihrer Vermittlerrolle gefangen und versuchen nicht, eine wirkliche Gegenmacht zu organisieren (Lese hier fünf marx21-Thesen zur gewerkschaftliche Neuformierung: »Gewerkschaften: Antikapitalistisch und konfliktorientiert«).
Der Kampf gegen Entlassungen ist schwer
Die Sozialpläne und die Transfergesellschaften, die bei Massenentlassungen zwischen Gewerkschaft und Management ausgehandelt werden, sollen vor allem eine Abwicklung garantieren, ohne dass es zu einer Radikalisierung der Beschäftigten kommt. Der Kampf gegen Entlassungen ist schwer. Entscheidend ist, dass die Beschäftigten von Anfang an selbst entscheiden, ob und mit welchen Mitteln sie für ihre Forderungen kämpfen. Neben den persönlichen Lebensumständen und der beruflichen Qualifikation gibt es viele Faktoren, die eine Solidarisierung untereinander erschweren. Der größte Spaltpilz ist, dass sich die Höhe der Abfindung im Rahmen eines Sozialplans nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Einkommen richtet. Wenn darüber nicht offen geredet wird, erschwert das die Solidarisierung erheblich, weil alle nach individuellen Lösungen suchen.
Transfergesellschaften als Lösung?
Auch Transfergesellschaften sind ein erprobtes Mittel, um aufkeimenden Widerstand zu brechen und hohe Abfindungskosten zu vermeiden. Sie sind inzwischen zu einem Geschäftsmodell geworden, an dem auch Gewerkschaften als Anbieter für solche Dienstleistungen teilhaben. Den meisten von Arbeitslosigkeit bedrohten nützen sie jedoch nichts, die Erfolgsquote bei der Vermittlung von neuen Arbeitsplätzen ist oft gering. Beispiel Opel in Bochum: Als 2014 das Werk vom Management geschlossen wurde wechselten 2.600 Opelaner in eine Transfergesellschaft. Drei Jahre später konnten nur 770 von ihnen in neue Jobs vermittelt werden, über 1.360 sind arbeitslos. Der Rest ist zum Beispiel in Rente oder in weiteren Fortbildungen.
Für den Erhalt aller Arbeitsplätze
Für den Erhalt aller Arbeitsplätze einzutreten, bedeutet zunächst, Geschlossenheit herzustellen. Wenn die Arbeit nicht für die Vollbeschäftigung aller reicht, kann Kurzarbeit und die Zahlung von Kurzarbeitergeld eine Forderung sein. Gleichzeitig sind öffentlichkeitswirksame Aktionen wichtig, um politischen Druck zu erzeugen. So könnten Beschäftigte und Unterstützende vor der Siemens-Zentrale ein Zeltlager errichten, um die Gewinne der letzten Jahre einzufordern, vor dem Kanzleramt zusammen mit von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten aus anderen Betrieben demonstrieren oder sogar den Betrieb besetzen. Ob der Kampf gewonnen wird, hängt von vielen Faktoren ab. Vielleicht ist er am Ende nur finanziell ein Gewinn, weil höhere Abfindungen erreicht werden. Oder weil die Bedingungen für den Eintritt in die Transfergesellschaften verbessert werden.
Was tun bei Massenentlassungen? Kampf statt Sozialpartnerschaft
Doch wenn Belegschaften wirklich gegen Entlassungen kämpfen und die Gewerkschaften ihre Rolle nicht nur am Verhandlungstisch sehen, sondern Aktivität fördern, kann selbst ein solcher Abwehrkampf politisch ein Gewinn sein, weil er die Profitlogik der Standortkonkurrenz in Frage stellt und auch andere Belegschaften ermutigt, sich zu wehren. Vor allem schafft er überhaupt erst die Voraussetzung für eine Solidarisierung zwischen verschiedenen Betrieben. Erst dann besteht auch eine Chance, dass an die Stelle von Demoralisierung die Entwicklung von Klassenbewusstsein tritt. Die Aufgabe der Gewerkschaften ist es, diesen Kampf zu organisieren, anstatt der von den Arbeitgebern aufgekündigten Sozialpartnerschaft nachzutrauern.
Foto: igmetalljugendbayern
Schlagwörter: Betriebsrat, Gewerkschaft, Gewerkschaften, Massenentlassungen, Sozialpartnerschaft, Widerstand