Im September wird in Berlin gewählt. Der Landesvorstand der LINKEN strebt trotz des Debakels der letzten Regierungsbeteiligung erneut eine Koalition mit der SPD an. Die Folgen eines Wegfalls der größten linken Oppositionskraft wären heute jedoch noch verheerender, meinen Werner Halbauer, Lucia Schnell und Irmgard Wurdack
Im Herbst wird das Berliner Abgeordnetenhaus neu gewählt. Der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat der LINKEN, Klaus Lederer, beabsichtigt, seine Partei wieder in Regierungsverantwortung zu führen und erneut eine rot-rote oder auch eine rot-rot-grüne Koalition zu bilden. Er sieht einen Unterschied zwischen der Zeit der letzten rot-roten Koalition von 2002 bis 2011, die einen harten Kürzungskurs fuhr, und der gegenwärtigen Situation: »Für das Sparen gab es damals Gründe«, sagte er gegenüber der »Berliner Zeitung«. »Wir hatten 2001 eine Deckungslücke von mehreren Milliarden Euro im Haushalt. Heute haben wir Überschüsse.« Tatsächlich erzielte der Senat 2015 einen Haushaltsüberschuss von knapp einer halben Milliarde Euro. Doch der Verteilungsspielraum hat sich dadurch kaum vergrößert. Berlin hat etwa sechzig Milliarden Euro Schulden. Nicht nur darum ist die Orientierung auf eine Regierungsbeteiligung problematisch.
Umverteilung auf Bundesebene
Die Landespolitik hat kaum Möglichkeiten, die Schulden abzubauen. Denn im Wesentlichen bestimmt die Steuerpolitik des Bundes die finanziellen Spielräume der Länder und Kommunen. Ein Politikwechsel auf Landesebene setzt eine Umverteilung auf Bundesebene voraus.
Die Streichung der Vermögenssteuer 1996 und die stufenweise Senkung des Spitzensteuersatzes von 2001 bis 2005 von 53 auf 42 Prozent haben den finanziellen Spielraum der Länder und Kommunen drastisch eingeschränkt. Als eigene Einnahmequellen haben sie nur die Gewerbesteuer, die Grunderwerbssteuer, die Gebühren für Dienstleistungen und den Verkauf von Eigentum. Einer Kreditaufnahme an den Finanzmärkten setzt die Schuldenbremse enge Grenzen.
Der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) betonte bei der Präsentation des Haushaltsentwurfs 2016/17, dass der Senat seiner Linie des Sparens treu bleibe. Zwar sind einige wenige Zugeständnisse vorgesehen, um dem steigenden Bedarf durch das Bevölkerungswachstum gerecht zu werden, aber sie sind absolut unzureichend.
So will der SPD/CDU-geführte Senat dem »großen Investitionsstau in Bereichen, in die zum Teil zehn bis fünfzehn Jahre lang nicht mehr ausreichend investiert wurden« mit »Investitionspaketen für die zentralen Felder Berlins« begegnen.
Es fehlt an allem
Es ist jedoch offensichtlich, dass die geplante Erhöhung der Mittel von 1,4 auf 1,7 Milliarden Euro dafür nicht ausreichen wird. Der Betriebsrat des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes sieht allein für diesen Betrieb einen Investitionsstau von einer Milliarde Euro.
Es fehlen in Berlin mindestens 100.000 Wohnungen im preiswerten Segment. Der Senat plant zwar den Bau von 10.000 Wohnungen jährlich, davon sollen jedoch nur dreißig Prozent im unteren Preissegment gefördert werden. Im öffentlichen Bereich, also bei den Krankenhäusern, Hochschulen, Schulen, Kitas und in der Verwaltung fehlen mindestens 10.000 Stellen, geplant sind aber lediglich 4.000 zusätzliche. Die Personalausgaben sollen um etwa eine Milliarde auf 8,3 Milliarden Euro erhöht werden. Das ist angesichts der Forderungen der Gewerkschaften nach schneller Angleichung der Tarife in den ausgegliederten Betrieben und der Besoldungsanpassung des Berliner öffentlichen Dienstes an Bundesniveau ebenfalls unzureichend.
Bei dieser Auflistung sind die Herausforderungen durch die hohe Zahl der Geflüchteten noch nicht berücksichtigt. Die Bundesregierung wird nur einen kleinen Teil dieser Kosten tragen und somit die soziale Konkurrenz unter den Opfern der kapitalistischen Profitwirtschaft weiter verschärfen.
An Kämpfen beteiligen
Viele Mitglieder unserer Partei, aber auch Bündnispartner aus Bewegungen und Gewerkschaften, argumentieren, dass sich DIE LINKE dennoch an einer Regierung beteiligen sollte, auch wenn sie nur einen Teil ihrer Forderungen durchsetzen könne. Dies sei immer noch besser als die Fortsetzung der Regierung von SPD und CDU.
Dieses Argument übersieht jedoch, dass mit einem unzureichenden Regierungshaushalt nicht die berechtigten Forderungen vergessen sind. Auch noch so gutes Verhandlungsgeschick ändert nichts an den Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Gewerkschaften und Bewegungen werden auch nach einer Regierungsbildung versuchen, Forderungen durchzusetzen, die zudem oft noch im Programm der LINKEN festgehalten sind. Und die Berliner LINKE muss sich an diesen Kämpfen beteiligen, wenn sie die Erfahrungen der letzten Regierungsbeteiligung nicht wiederholen will.
Rot-rote Erfahrungen
Der rot-rote Senat der Jahre 2002 bis 2011 hat die Löhne im öffentlichen Dienst radikal gekürzt und über 25.000 Stellen abgebaut. Er hat viele Bereiche privatisiert und die Beschäftigten zu Dumpinglöhnen neu eingestellt. Er hat 150.000 Wohnungen privatisiert. Dagegen sind die positiven Ergebnisse der Regierungsbeteiligung der LINKEN zu vernachlässigen.
Das Ziel des Koalitionspartners SPD war es, den Berliner Haushalt auszugleichen. Anstatt die Reichen für die sozialen Aufgaben der Gesellschaft heranzuziehen, fand dies auf Kosten der Bevölkerung statt. Die Berliner LINKE beteiligte sich an der unsozialen Kürzungspolitik, immer mit dem Verweis auf das angeblich größere Übel einer Koalition aus SPD und CDU.
Doch die rot-rote Regierung war nicht das kleinere Übel. Sie war das Übel, das von den Betroffenen der Kürzungsmaßnahmen bekämpft wurde. Zudem gab es zahlreiche Streiks, Demonstrationen und Bewegungen, die DIE LINKE als Regierungspartei ignorierte oder sogar bremste. Dadurch verspielte die Partei nicht nur viel Vertrauen, sondern machte sich ihre wichtigsten Bündnispartner zu Gegnern. Die einzige Alternative wäre der Bruch der Koalition gewesen. Doch diesen Schritt wollte die Parteiführung mit allen Mitteln verhindern.
LINKE isoliert
Die Folgen für die Berliner LINKE und ihr Potenzial als Protestpartei waren fatal. Anstatt den Widerstand aus der Bevölkerung gegen die unsoziale Politik mit aufzubauen, um so die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nach links zu verschieben, rechtfertigte sie diese Politik und setzte sie mit durch. So brach die Partei fast alle Wahlversprechen, halbierte die Wählerstimmen innerhalb von zehn Jahren beinahe und schwächte sich selbst erheblich. Viele Mitglieder und Aktive kehrten ihr den Rücken.
Die Schlussfolgerung des ehemaligen Wirtschaftssenators Harald Wolf, dass die »Partei im Staatsapparat« und die »Partei in der Bewegung« zusammenspielen könnten, ist eine Illusion. Sollte die LINKE zusammen mit Bewegungen außerparlamentarisch Druck auf die eigene Regierung erzeugen, würde die SPD sich das nicht ohne Gegenleistungen an anderer Stelle bieten lassen.
Der Widerstand ist schwach
Die Wut der ärmeren Bevölkerung über die unsoziale Politik in Berlin ist spürbar. Doch der organisierte Widerstand dagegen ist noch schwach. Die teilweise erfolgreichen Streiks bei der Bahn oder an der Charité sowie die erfolgreichen Volksbegehren haben stellenweise gezeigt, dass organisierter Widerstand erfolgreich sein kann.
DIE LINKE hat in den letzten Jahren mit der Unterstützung dieser Bewegungen gezeigt, dass dies eine realistische, wenn auch mühsame Arbeit ist, die uns zusammen mit unseren Bündnispartnern voran gebracht hat und auch weiter voranbringen kann. So konnte die LINKE auch einen Teil des durch die Regierungsbeteiligung verlorenen Vertrauens zurückgewinnen.
Klare Mindestbedingungen
Es wäre im Wahlkampf falsch, eine Regierungsbeteiligung der LINKEN von vornherein auszuschließen. Denn ihre Wählerinnen und Wähler erwarten von einer eventuell möglichen rot-roten oder rot-rot-grünen Regierung, dass diese die drängenden Probleme der Stadt angeht. Deshalb muss DIE LINKE im Wahlkampf neben einer scharfen Kritik an der Politik der SPD und deren Juniorpartner CDU politische und soziale Mindestbedingungen für eine Beteiligung an der Regierung stellen.
Dazu gehören zum Beispiel ein soziales Wohnungsprogramm für mindestens 100.000 Wohnungen durch Neubau und die Rekommunalisierung von Wohnungsbeständen, mindestens 10.000 neue Stellen im öffentlichen Bereich zu Tarifbedingungen, keine weitere Privatisierungen sowie die Rückholung der ausgegliederten Belegschaften. Außerdem müssen das vollständige Bauverbot auf dem Tempelhofer Feld wiederhergestellt und Geflüchtete in selbstbestimmten Wohnungen statt in Lagern, wie auf dem Tempelhofer Feld geplant, untergebracht werden.
Keine Abschiebung von Roma und Sinti, kommunales Wahlrecht für Nichtdeutsche und keinerlei Erschwernisse für die Durchführung von Volks- und Bürgerbegehren sind weitere Mindestbedingungen, die DIE LINKE für eine Regierungsbeteiligung stellen müsste. So könnte sie SPD und Grüne unter Druck setzen, ohne bei einem Scheitern der Gespräche über eine Koalition das Gesicht zu verlieren.
SPD will LINKE schwächen
DIE LINKE in Brandenburg hatte für ihre Regierungsbeteiligung seit 2009 schon im Vorfeld der Wahlen ihre Forderungen für die SPD akzeptabel gemacht. Diese Politik der »Regierung im Wartestand« droht nun auch in Berlin, wenn die Partei, wie im Entwurf des Wahlprogramms, auf scharfe Kritik an der neoliberalen Politik der SPD verzichtet und statt konkreter Bedingungen für Regierungsbeteiligung einen unverbindlichen Forderungskatalog aufstellt. Auch bleibt im Dunkeln, wie die Berliner SPD, die all die Jahre die Richtlinienkompetenz für die neoliberale Politik hatte, in Koalitionsgesprächen mit der Linkspartei dazu gebracht werden soll, auf einmal die gegenteilige Politik zu betreiben.
Ohne konkrete Mindestbedingungen an eine Regierungsbeteiligung droht erneut eine Situation, in der unsere Partei von der SPD politisch vereinnahmt und in ihrer Glaubwürdigkeit geschwächt wird. Ein zentrales Motiv der SPD, die Linkspartei in die Regierung zu nehmen, ist die Einbindung der stärksten linken Oppositionspartei. Eine derartige Konstellation führe dazu, dass DIE LINKE »gemäßigter« auftrete, sagte der SPD-Vize Ralf Stegner.
Alternative zum Kapitalismus
Mit einer möglichen Regierungsbeteiligung droht zudem noch eine viel größere Gefahr als 2001 oder 2007, nämlich eine Schwächung im Kampf gegen die AfD und andere Rassisten, die den Mangel an Wohnraum, die unzureichende soziale Absicherung und Lohndumping gegen die Geflüchteten wenden wollen. Wenn DIE LINKE dann in der Regierung soziale Missstände mit der Haushaltsnotlage rechtfertigt, anstatt den Kampf von unten gegen die Regierung und die Reichen und Konzerne mitzuorganisieren, würde sie als Kraft gegen die Nazis und Rassisten erheblich geschwächt.
Die Frage der Regierungsbeteiligung ist aber nicht nur eine taktische nach der Umsetzbarkeit bestimmter Reformen. Sie ist verbunden mit der strategischen Frage nach einer Alternative zum kapitalistischen System. Nur durch den Aufbau einer organisierten Kraft der Ausgebeuteten und Unterdrückten lässt sich die notwendige gesellschaftliche Gegenmacht zum Sturz des Kapitalismus entwickeln.
DIE LINKE ist die einzige politische Partei mit einem größeren gesellschaftlichen Einfluss, die das Potenzial hat, Protest gegen die kapitalistische Profitlogik und gegen Krieg und Rassismus zu artikulieren und Menschen für den Widerstand von unten zu organisieren. Doch um dieses Potenzial nutzen zu können, darf sie sich nicht in die Falle des kleineren Übels begeben.
Rosa Luxemburg schrieb bereits 1898: »Fangen wir aber an, im Sinne des Opportunismus‚ ›dem Möglichen‹ unbekümmert um die Prinzipien und auf dem Wege staatsmännischer Tauschgeschäfte nachzujagen, geraten wir bald in die Lage des Jägers, der das Wild nicht erlegt und zugleich die Flinte verloren hat.«
Für eine starke LINKE
Trotz der gravierenden Schwächen in der Positionierung des Landesverbands Berlin ist es wichtig, sich mit viel Energie in den Wahlkampf einzubringen und zur Wahl der LINKEN zu mobilisieren. Sie ist die einzige Partei, die linke Antworten auf die kapitalistische Krise gibt und der in Berlin dominierenden SPD eine Alternative von links entgegenstellen kann.
Die Erfahrungen der LINKEN in Neukölln in den vergangenen Wahlkämpfen haben gezeigt, dass es trotz falscher Weichenstellungen in der Landesführung möglich ist, neue Wählerinnen und Wähler und Mitglieder zu gewinnen – nämlich mit einem engagierten, antikapitalistischen Wahlkampf, der die SPD nicht mit Kritik verschont.
Zur Person:
Werner Halbauer ist aktiv in der LINKEN in Berlin-Neukölln.
Lucia Schnell ist Sprecherin der LINKEN.Neukölln.
Irmgard Wurdack ist Mitglied der LINKEN und aktiv in der Soliarbeit mit Flüchtlingen.
Foto: andiweiland
Schlagwörter: AfD, Alternative für Deutschland, Antikapitalismus, Berlin, DIE LINKE, Kapitalismus, Klaus Lederer, Linke, Linksfraktion, Linkspartei, PDS, R2G, Regierungsbeteiligung, Rot-Rot, Senat, Sozialismus, Widerstand