Wie kann DIE LINKE aktiver Teil der Klimabewegung vor Ort werden und das antikapitalistische Profil der Proteste mitprägen? Darüber sprachen wir mit Lisa Hofmann von der LINKEN in Darmstadt
Lisa Hofmann ist im Sprecher*Innenrat der LINKEN in Darmstadt sowie Mitglied des Landesvorstands der Partei in Hessen.
marx21: DIE LINKE will im Jahr 2020 eine intensive innerparteiliche Strategiedebatte führen. In Darmstadt habt ihr gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Klimabewegung gemacht. Was kann DIE LINKE für ihre Strategie daraus verallgemeinern?
Lisa Hofmann: Es geht mir nicht nur um eine »Zusammenarbeit«. Da habe ich ein anderes Verständnis von Partei- und Bewegungsarbeit. DIE LINKE muss aktiver Teil der Bewegung sein und dort für ihre Überzeugungen streiten, statt nur mit der Bewegung zusammenzuarbeiten.
Wo siehst du den Unterschied?
Im Politikverständnis: Die Gründung der LINKEN war zwar organisatorisch und programmatisch ein Bruch mit der Sozialdemokratie, aber nicht wirklich mit dem sozialdemokratischen Politikverständnis und einer entsprechenden Ausrichtung der Praxis, bei der die parlamentarische Repräsentanz und nicht die Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse im Vordergrund steht.
Was meinst Du mit »sozialdemokratischem Politikverständnis«?
Im Kern meine ich damit Stellvertreterpolitik. Im schlechtesten Fall heißt das: »Wählt uns und wir machen dann!«, reiner Parlamentarismus also. Etwas besser: »Wählt uns und wir unterstützen euch!«, also Parlamentarismus mit einer gewissen Bewegungsorientierung.
Zusammenarbeit muss sich doch nicht auf parlamentarische Unterstützung der Bewegungen beschränken.
Nein, es ist aber auch nicht damit getan, dass die Partei auf Protesten auftaucht und so die Bewegung auch außerparlamentarisch unterstützt. Der Begriff Zusammenarbeit suggeriert eine gewisse Arbeitsteilung, die letztlich auf eine künstliche Trennung von Partei- und Bewegungsarbeit hinausläuft. Die Partei muss rein in die Bewegung!
Aber Partei und Bewegung sind doch auch nicht dasselbe. Besteht da nicht die Gefahr, sich als LINKE in den Bewegungen aufzulösen oder zu deren unkritischem Sprachrohr zu verkommen?
Bewegungsorientierung bedeutet für mich nicht, dass wir als Partei den sozialen Bewegungen einfach nur eine möglichst große Bühne bieten oder uns ihre Forderungen zu eigen machen. Es bedeutet auch nicht, dass wir uns in den Bewegungen auflösen. Ich denke da eher an ein intervenierendes Verhältnis der Partei zur Bewegung.
Was meinst Du damit?
Wir haben unsere strategischen und politischen Positionen, die oft links von Massenbewegungen wie aktuell der Klimabewegung stehen. Also tragen wir diese in die Bewegung, wobei wir uns das nötige Gehör und Vertrauen dadurch verschaffen, dass wir die Bewegung in ihren konkreten Aktionen und Zielen nach Kräften mit aufbauen, uns also selbst in die Bewegungsarbeit stürzen. Davon profitiert einerseits die Bewegung, andererseits verändert sich auch die Partei, weg von Stellvertretertum und dem Fokus auf Wahlen und Parlamente, hin zur aktivistischen Mitgliederpartei.
Was bedeutet das bezogen auf die Klimabewegung?
Die Klimabewegung ging letztes Jahr durch die Decke und ist heute die größte soziale Bewegung des Landes. Das wird sich absehbar auch nicht ändern, was angesichts der existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel auch gut so ist. Hier als LINKE zu intervenieren, ein organisches Verhältnis zur Bewegung aufzubauen und ihren antikapitalistischen Pol zu stärken, ist eine der zentralen Herausforderungen für die Partei in den nächsten Jahren. Nur wenn wir die Macht der Konzerne herausfordern, werden wir den Klimawandel stoppen können.
Gibt DIE LINKE dabei bisher ein so schlechtes Bild ab?
Nein, überhaupt nicht. DIE LINKE hat die radikalsten und besten Forderungen in Sachen Klimaschutz und sie steht klar hinter der Klimabewegung. Sie ist auch schon jetzt oft bei Protesten präsent und mit ihren Forderungen sichtbar. Ich bin aber überzeugt, wir können noch deutlich mehr tun. Um uns mehr Gehör für unsere antikapitalistischen Positionen zu verschaffen, müssen wir Teil der Bündnisstrukturen sein, und die Proteste gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern in der Bewegung aufbauen. Versteh mich nicht falsch, an vielen Orten passiert das bereits, aber die Gesamtpartei sehe ich noch nicht auf diesem Weg.
Wie kann DIE LINKE aktiver Teil der Bewegung werden? Was sind Deine Erfahrungen aus Darmstadt?
Als sich in Darmstadt das Bündnis zur Vorbereitung des globalen Klimastreiks vom 20. September bildete, war unser Kreisverband sehr schnell mit dabei. Unser Jugendverband Linksjugend [‘solid] und der Studierendenverband DIE LINKE. SDS waren von Beginn an Teil des Bündnisses. Die Genossinnen und Genossen besuchten nicht nur die Bündnistreffen, sondern übernahmen auch Aufgaben für das Bündnis und beteiligten sich an gemeinsamen Transparent-Malaktionen sowie der Mobilisierung und Organisation der Proteste. Gleichzeitig wurde versucht, über Berichte und Debatten kniffliger Fragen des Bündnisprozesses die gesamte Mitgliedschaft der Partei einzubinden.
Was waren die kniffligen Fragen?
Es gab zum Beispiel eine lange Debatte im Bündnis darüber, wie man mit AfD-Mitgliedern umgehen sollte, die sich an der Demo beteiligen wollen.
Und was war eure Haltung dazu?
Die AfD als faschistische Partei im Werden gehört meiner Meinung nach generell ausgegrenzt. Für viele war am Ende aber auch ausschlaggebend, dass die AfD den menschengemachten Klimawandel leugnet.
Also konntet ihr euch mit einer klaren Anti-AfD-Position durchsetzen?
Nicht nur das: Am Ende der Debatte hat das Bündnis entschieden, bei der Demonstration zum Klimastreik eine Zwischenkundgebung mit antifaschistischen Reden vor dem AfD-Büro in Darmstadt durchzuführen.
Das klingt super!
Wie gesagt, unser Bündnis in Darmstadt ist ziemlich links aufgestellt. Wir LINKEN waren mit einer klaren antifaschistischen Haltung nicht alleine. Aber dass LINKE, SDS und Solid stark im Bündnis vertreten sind, hat natürlich geholfen. Ich denke, in jedem Klimastreikbündnis bundesweit gibt es solche Debatten, bei denen DIE LINKE einen Unterschied machen kann, wenn sie präsent ist und ein verlässlicher Partner im Bewegungsaufbau und der Bündnisarbeit.
Gab es im Bündnis auch Kritik an der starken Beteiligung der LINKEN?
Es gibt in so gut wie jeder Bewegung ein gewisses Maß an Parteienskepsis. Und diese Skepsis kommt ja auch nicht von ungefähr. Wenn ich mir das Agieren der LINKEN in Brandenburg in der Frage des Kohleausstiegs ansehe, kann ich auch gut verstehen, dass ein gewisses Misstrauen auch DIE LINKE trifft.
Wie seid ihr damit in Darmstadt umgegangen?
Wie gesagt, es geht darum, sich durch verlässliche und solidarische Bündnis- und Bewegungsarbeit Vertrauen aufzubauen. DIE LINKE muss beweisen, dass sie anders ist als andere Parteien. Teilweise gibt es aber natürlich auch Kritik, die nicht aus einer generellen Parteienskepsis herrührt, sondern sich direkt gegen DIE LINKE richtet. In Darmstadt sind etwa die »Parents for Future« nicht Teil unseres Bündnisses, weil ihnen die Positionen der LINKEN und der Interventionistischen Linken zu antikapitalistisch sind.
Wie geht ihr damit um?
Als LINKE versuchen wir die Bewegungen immer möglichst breit aufzustellen, aber nicht unter Preisgabe unserer Inhalte und Positionen. Die müssen natürlich nicht alle teilen, aber wir kämpfen darum, dass sie Platz in der Bewegung haben. Das gehört genauso zu einer bewegungsorientierten und intervenierenden Partei, wie der unmittelbare Bewegungsaufbau.
War die Orientierung und aktive Beteiligung an der Klimabewegung bei euch innerhalb der LINKEN unumstritten oder gab es Widerspruch?
Klar gab es den. In Teilen des Kreisverbands gab es zu Beginn große Unsicherheit im Umgang mit der Klimabewegung.
Was waren die Debatten und Kontroversen?
Einige Aktive waren sich anfangs unsicher, ob eine Beteiligung an den Klimaprotesten überhaupt sinnvoll ist und nicht nur Wasser auf die Mühlen der Grünen. Es gab auch Vorbehalte gegenüber den Klimaaktivistinnen und -aktivisten – etwa, dass diese nur über individuelle Konsumkritik und Ernährungsgewohnheiten nachdächten anstatt den Kapitalismus anzugreifen. Zudem gab es Bedenken, dass das Alleinstellungsmerkmal der LINKEN – die soziale Frage – gegenüber der Klimafrage in den Hintergrund rücken könnte. Einzelne hatten auch die Sorge, dass sich die Partei bei drohendem Arbeitsplatzabbau etwa in der Automobilindustrie nicht mehr auf die Seite der Beschäftigten stellen würde.
Wie seid ihr damit umgegangen?
Es ist nicht so, dass Umweltfragen für uns in der LINKEN vollkommen neu sind. Für einen Teil der aktiven LINKE-Mitglieder in unserem Kreisverband waren Umweltproteste prägend: Einige haben sich in der Anti-Atom-Bewegung politisiert, andere bei den »Ende Gelände«-Protesten der letzten Jahre. Da liegt es natürlich nahe, auch bei Fridays for Future und dem globalen Klimastreik mitzumachen. Die Linksjugend Solid und der SDS waren von Anfang an an den Fridays for Future-Prosten beteiligt und haben auch Führungsaufgaben innerhalb der Strukturen übernommen. Der Beteiligung unseres Kreisverbands an der Klimabewegung ging allerdings eine längere Diskussions-und Aufbauphase voraus, die uns aber in vielerlei Hinsicht auch gestärkt hat – indem die gesamte Mitgliedschaft eingebunden wurde, aber auch dadurch, dass wir unser eigenes Profil in der Klimafrage in den Debatten schärfen konnten.
Wie habt ihr die skeptischen Genossinnen und Genossen schließlich überzeugt?
Da die Klimaproteste in Darmstadt von Beginn an stark antikapitalistisch geprägt waren und sich dort auch Gewerkschaften beteiligen, konnten viele der Einwände schnell aufgelöst werden. Wichtig war jedoch, frühzeitig die Debatte zu suchen, um erst einmal die Voraussetzung zu schaffen, dass sich alle überhaupt auf den Prozess einlassen.
Wie seid ihr dabei vorgegangen?
Während des Europawahlkampfs haben wir zunächst eine Veranstaltung zum Thema organisiert, auf der wir den Film »Die grüne Lüge« gezeigt und mit dem umweltpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion diskutiert haben. Seither haben wir mehrere Mitgliederversammlungen zu einzelnen Fragen wie Klimagerechtigkeit, CO2-Steuer oder den »Ende Gelände«-Protesten abgehalten.
Wie koordiniert ihr euch als LINKE-Mitglieder innerhalb der Klimabewegung?
Wir haben eine Klima-AG in unserem Kreisverband gegründet, die sich alle zwei Wochen trifft und sowohl inhaltlich arbeitet als auch Aktionen vorbereitet und Infostände organisiert. Durch die Klima-AG sind Fragen rund um die Klimabewegung auf jeder Mitgliederversammlung und jeder Vorstandssitzung präsent. Zudem hat der Kreisvorstand eine Chatgruppe für die Unterstützung politischer Proteste ins Leben gerufen, in der sowohl Mitglieder von [‘solid], SDS und der LINKEN als auch Sympathisantinnen und Sympathisanten der LINKEN vernetzt sind. Es gibt einen regen Austausch über Fragen von Taktik, Strategie und Aufbau der Proteste zwischen der Linksjugend, dem SDS und dem Kreisverband.
Wo steht die Klimabewegung in Darmstadt heute?
Die Klimabewegung ist heute in der Lage, für Darmstädter Verhältnisse gewaltige Proteste zu organisieren: Am 20. September demonstrierten in Darmstadt rund 15.000 Menschen. Das ist seit den Auseinandersetzungen um den Bau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens in den späten 1970er und 1980er Jahren die größte Demonstration in der Geschichte der Stadt. Beim nächsten Global Strike Day am 29. November war das Bündnis genauso bunt und breit und es kamen trotz miesem Wetter 8.000 Menschen zur Demo.
Wer steht außer der LINKEN alles hinter dem Klimastreik-Bündnis in Darmstadt?
Wir sind als Bündnis breit aufgestellt. Das Spektrum reicht von Fridays for Future, Extinction Rebellion und verschiedenen Umweltgruppen über mehrere NGOs, Gewerkschaften und Parteien, bis hin zur Interventionistischen Linken, feministischen und antirassistischen Gruppen sowie der autonomen Linken.
Inwiefern ist es euch als LINKE gelungen, das politische Profil der Klimaproteste mitzuprägen?
Das Bündnis in Darmstadt hatte von Beginn an einen starken antikapitalistischen Fokus. Auf den Frontbannern am 20. September wurde unter anderem »System Change, not Climate Change!« und »DeCO2lonize« gefordert. DIE LINKE war mit einem eigenen Block unter dem Motto »Für Mensch und Natur statt Markt und Kapital« stark vertreten. Besonders wichtig war uns als LINKE natürlich, auch die Gewerkschaften an Bord zu haben. Am meisten hat mich die Beteiligung der streikenden Busfahrerinnen und Busfahrer gefreut.
Bei euch wurde der Busverkehr bestreikt?
Ja, zum Klimastreik am 29. November waren die ÖPNV-Beschäftigten mit einem großen Block auf der Demo vertreten. Genossinnen und Genossen der LINKEN hatten die streikenden Busfahrerinnen und Busfahrer morgens besucht, um sich mit ihnen und ihren Forderungen zu solidarisieren.
Sollte DIE LINKE sich auch bei militanteren Protestformen wie Aktionen des zivilen Ungehorsams von »Ende Gelände« beteiligen?
Unbedingt! Wir haben als Landesverband der LINKEN in Hessen eine gute Tradition, auch Aktionen des zivilen Ungehorsams zu begleiten und zu unterstützen. Deshalb haben wir zusammen mit der Linksjugend einen Bus zu den Protesten von Ende Gelände im Rheinischen Kohlerevier organisiert. Viele junge Aktive der Partei haben sich an diesen Protesten beteiligt. DIE LINKE hat im Vorfeld Treffen angeboten, um sich kennenzulernen, gemeinsam auf die Aktion einzustimmen und Bezugsgruppen zu bilden. Die hessischen Abgeordneten stellen immer einen Teil der Parlamentarischen Beobachter bei Ende Gelände, den Klimastreiks oder Protesten wie »Sand im Getriebe« zur Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main.
Du bist nicht nur im Kreisverband aktiv, sondern auch Mitglied des Landesvorstands der LINKEN in Hessen. Wie hat Dein Landesverband auf die Klimabewegung reagiert?
Durch den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt um den Ausbau des Frankfurter Flughafens sind ökologische Fragen seit Gründung der LINKEN in Hessen ein wichtiges Thema für uns. Vor kurzem fand die dreihundertste Demonstration gegen den Ausbau im Flughafen-Terminal statt. Ich glaube, es ist keine Übertreibung, dass Janine Wissler, unsere Fraktionsvorsitzende im Landtag, an 250 davon teilgenommen hat. Auch bei den Protesten gegen die IAA hatten wir einen großen LINKE-Block auf der Demonstration. Und im Oktober haben wir unseren Landesparteitag der Klimafrage gewidmet und einen sehr weitgehenden Antrag verabschiedet.
Wie geht es bei euch in Darmstadt nun weiter in Sachen Klimaproteste? Hat DIE LINKE einen Plan?
Ja, wir planen eine Strategiekonferenz für die lokalen Akteure der Klimabewegung. Zudem wollen wir die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ausbauen. Als Schwerpunkt für das Jahr 2020 bietet sich die bundesweite Tarifbewegung im Öffentlichen Nahverkehr an, die im Sommer startet. Hier können wir die Klimabewegung direkt mit kämpfenden Beschäftigten zusammenbringen und praktisch zeigen, wie ein sozial gerechter Klimaschutz aussehen kann.
Das Interview führte Martin Haller.
Schlagwörter: Klima, Klimabewegung, Klimastreik