In der Coronakrise steht die Arbeiterklasse an vorderster Front. Doch viele sind nicht ausreichend abgesichert. Darum geht der Kampf um Arbeiterrechte auch jetzt weiter. Von Mark Bergfeld
Nachdem die vom Coronavirus befallenen Passagiere evakuiert wurden, musste das im Hafen von Yokohama stehende Kreuzfahrtschiff »Diamond Princess« gründlich gereinigt werden. Eine australische Reinigungsfirma gewann die Ausschreibung und schickte seinen Angestellten eine SMS, in der sie ihnen eine »große Chance« auf eine Woche Arbeit anbot. Es handelte es sich um Schulreinigungskräfte, die im Umgang mit solch gefährlichen Bedingungen unerfahren waren. Doch angesichts ihrer niedrigen Löhne mussten ihnen die versprochenen umgerechnet 2700 bis 3300 Euro attraktiv erscheinen.
Glücklicherweise war die Gewerkschaft United Workers Union nicht bereit, die nachlässige Haltung der Unternehmensleitung hinzunehmen. Sie protestierte am Unternehmenssitz und forderte die Reinigungskräfte auf, die Arbeit nicht anzutreten, da die Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen alles andere als transparent waren. Weder erhielten die Reinigungskräfte eine spezielle Ausbildung, noch wurden sie auf ihren eigenen Gesundheitszustand hin untersucht.
Coronakrise und Gewerkschaften
Der Streit um die »Diamond Princess« illustriert ein Problem, das in der medialen Darstellung der Coronakrise kaum vorkommt: Es wird viel darüber berichtet, wie Regierungen und Unternehmen mit der Pandemie umgehen. Weniger Aufmerksamkeit wird jedoch der Frage geschenkt, wie die Arbeitswelt umgestaltet wird – und noch weniger der Belastung der Beschäftigten selbst.
Dabei ist es die Arbeiterklasse, die mit den Auswirkungen dieser Krise fertig werden muss, und zwar nicht nur die Beschäftigten im Gesundheitswesen. Von Liefer-Service-Fahrern in Wuhan, die eine unter Quarantäne gestellte Bevölkerung ernähren, bis hin zu Reinigungskräften und Hausmeisterinnen und Hausmeistern, die an vorderster Front gegen die Verbreitung des Virus stehen. Dies zeigt, wie absurd es ist, dass sie oft zu den am schlechtesten Bezahlten zählen.
Angesichts dieser Situation sollte das Coronavirus nicht nur als eine Naturkatastrophe behandelt werden. Die Gewerkschaften müssen sich dringend organisieren, um die Sicherheit der Beschäftigten zu schützen und dafür sorgen, dass sie sowohl den verdienten Lohn als auch den notwendigen Schutz erhalten. Darüber hinaus werden die Gewerkschaften alles tun müssen, damit die Kosten des wirtschaftlichen Abschwungs nicht von den Belegschaften übernommen werden.
Millionen müssen weiter arbeiten
Die Bosse werden immer darüber klagen, dass zu viel blau gemacht wird. In Zeiten des Coronavirus sollte jedoch das Gegenteil Sorgen machen, nämlich dass sich Menschen gezwungen sehen, zur Arbeit zu gehen, obwohl sie krank, gefährdet oder durch Kinderbetreuung doppelt belastet sind. Das betrifft natürlich besonders Länder ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das ungleiche Kräfteverhältnis am Arbeitsplatz – die Tyrannei der Chefs und das Bedürfnis der Arbeiterklasse nach Lohn – erzwingt eine irrationale Entscheidung, die die Gesellschaft als Ganzes gefährdet. Was als »Loyalität« zum Arbeitgeber gilt, ist illoyal gegenüber Kolleginnen und Kunden.
Immer mehr Firmen lassen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Hause arbeiten, um zu verhindern, dass sich ihre Belegschaften mit dem Virus anstecken und sie dadurch weitere Arbeitstage verlieren. Selbst gewerkschaftsfeindliche Unternehmen wie Walmart in den USA haben nun ihre Gesundheitsmaßnahmen und den Schutz der Beschäftigten ausgebaut. Aber das wird nur einen geringen Einfluss auf die Ausbreitung der Pandemie haben, denn Millionen von Beschäftigten im Dienstleistungs- und produzierenden Gewerbe müssen am Arbeitsplatz anwesend sein, um ihre Arbeit zu verrichten.
Wilde Streiks in der Coronakrise
Dies hat zur Folge, dass in verschiedenen europäischen Ländern eine kleine, aber bedeutende Welle an wilden Streiks entsteht. In der belgischen Stadt Lüttich haben Busfahrerinnen und Busfahrer ihre Arbeit spontan niedergelegt, da die Regierung den öffentlichen Straßenverkehr weiterlaufen lässt. In Großbritannien, wo die Tory-Regierung keinerlei Schutzmaßnahmen anordnet, treten seit Mitte März Reinigungskräfte in den Krankenhäusern täglich in den Streik, da die ausgelagerten Unternehmen diese ohne adäquaten Schutz weiterarbeiten lassen, ihnen weiterhin nur den Mindestlohn bezahlen und ihnen keinen Lohn zusteht, falls sie erkranken. In Italien sind mittlerweile Belegschaften bei Fiat sowie andere Beschäftigtengruppen in den wilden Streik getreten. Damit zeigt die gegenwärtige Krise neue Handlungsmöglichkeiten für Beschäftigte und deren Gewerkschaften auf.
Schutz der Beschäftigten
Darüber hinaus verändert das Virus nicht nur die Arbeitskultur, sondern auch den Arbeitsinhalt. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die in Branchen tätig sind, die zur Krankheitsprävention beitragen, wie Reinigungs- und Gesundheitspersonal, medizinisches Personal, das die schlimmsten Auswirkungen des Virus beheben kann, sowie andere, die das Virus möglicherweise verbreiten könnten.
In Nigeria wurden ganz normale Wachleute beauftragt, das Desinfektionsmittel an Personen zu verteilen, die Gebäude betreten. Der Einsatz der am schlechtesten bezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verhinderung eines Ausbruchs sollte mit zusätzlichen Vorteilen für diese riskante Arbeit einhergehen. Leider ist dies eher nicht der Fall. Die am stärksten unter Druck Stehenden werden stattdessen mit mehr Verantwortung belastet. Jeder, der in solchen kundenorientierten Dienstleistungsberufen arbeitet, weiß nur zu gut, wie schnell sich zusätzliche kleine Aufgaben anhäufen und unüberschaubar werden. Dies gilt umso mehr, wenn Krankheit den Personalmangel noch verschärft.
Beschäftigte im Gesundheitswesen sind nicht besser dran. Der chinesische Ausbruch zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie die Überlastung der Krankenhauspersonals die gesamten Bemühungen zur Bekämpfung des Virus untergräbt. Hier haben sich mehr als 3000 Angestellte im Gesundheitswesen mit dem Coronavirus angesteckt, acht davon sind gestorben. In einem Fall infizierte ein Patient, der in ein Krankenhaus in Wuhan eingeliefert wurde, mindestens zehn medizinische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Mangel an medizinischer Versorgung, die immer höhere Zahl von Infizierten und die hohe Übertragbarkeit des Virus, verbunden mit Stress, langen Arbeitszeiten und unterbesetzten Krankenhäusern, schaffen einen Teufelskreis für diejenigen, die die Krise bewältigen sollen.
Prekär Beschäftigte besonders gefährdet
Auch prekär Beschäftigte in der sogenannten Gig Economy sind besonders stark gefährdet. Dennoch gehören sie zu den am wenigsten Geschützten. Scheinselbstständige können sich nicht krankschreiben lassen und haben in vielen Ländern gar keine Krankenversicherung. Die »Washington Post« berichtet, dass Lyft-Fahrerinnen und -Fahrer ihre Autos schrubben. Natürlich werden sie für die Zeit, die sie für die Reinigung aufwenden, nicht bezahlt. Im Gegensatz zu Lyft schickte Konkurrent Uber seinen Fahrerinnen und Fahrern immerhin eine Nachricht mit den Vorsichtsmaßnahmen, die sie treffen sollten. Dies unterstreicht aber nur die Realität, dass sie eigentlich Angestellte sind und als solche behandelt werden sollten. Die Beschäftigungsmodelle dieser Unternehmen, ihr algorithmisches Management und ihre Kontrolle über die Beschäftigten sind in Zeiten des Coronavirus unhaltbar. Der Mangel an Transparenz oder grundlegenden Arbeitsrechten – wobei die Unternehmen nichts unternehmen, um die Beschäftigten vor der Verbreitung des Virus zu schützen – trägt inzwischen zu Rassismus bei, da einige Fahrer sich weigern, asiatisch aussehende Passagiere aufzunehmen.
Gewerkschaften sind gefragt
Gegenwärtig sieht es so aus, dass das Coronavirus die bestehenden Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt weiter verschärfen wird. Aber die Arbeiterbewegung sollte die Arbeitgeber nicht vom Haken lassen, als wären sie nur Opfer der Situation. Die Unternehmen sollten Schutzkleidung bereitstellen, mehr Heimarbeit anbieten und zusätzliche bezahlte Krankentage und Gesundheitsleistungen anbieten. Unterdessen haben die Sicherheitskräfte am Frankfurter Flughafen gefordert, dass sie Gesichtsmasken tragen dürfen. Obwohl Gesichtsmasken die Verbreitung des Virus nicht unbedingt verhindern, sollten die Gewerkschaften auf jeden Fall verstärkte Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen für die Beschäftigten an vorderster Front fordern. Wie bei jeder Krise stellt sich die Frage, wer die Rechnung bezahlen wird. Die Arbeiterbewegung sollte darauf bestehen, dass die Unternehmer Verantwortung übernehmen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Öffentlichkeit zu schützen.
Autorenangaben:
Mark Bergfeld schreibt einen regelmäßigen Newsletter mit Analysen zur Arbeitswelt und gewerkschaftlichen Kämpfen: www.tinyletter.com/mdbergfeld
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Schlagwörter: Coronakrise, Coronavirus, Gewerkschaften