Die Kommunen haben der Kita-Streik Bewegung der Erzieherinnen mit dem Beginn der Schlichtung einen schweren Schlag versetzt. Doch die ver.di-Führung hat ihnen diese Chance selbst aufgelegt, meint Hans Krause.
Viele Kolleginnen waren angespannt, einige richtig wütend. Als der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske am 4. Juni zur Streikdelegiertenversammlung nach Frankfurt kam, »begrüßte« ihn eine Delegierten-Gruppe mit einem Schild mit der Aufschrift »Wortbruch«. Auf einem anderen stand: »Basisdemokratisch?«
Die Kolleginnen hatten für die jetzigen Tarifverhandlungen um die höhere Eingruppierung im Sozial- und Erziehungsdienst extra die Streikdelegiertenversammlung geschaffen. Das ist eine demokratische Struktur aus etwa 300 Delegierten aus Kitas, Jugend- und Sozialämtern und anderen Einrichtungen aus ganz Deutschland, die bei allen wichtigen Entscheidungen über die Tarifrunde das letzte Wort haben sollte.
Die erste Streikdelegiertenversammlung hatte beschlossen, dass der Streik so lange fortgesetzt wird, bis es ein annahmefähiges Verhandlungsergebnis gibt. Zehntausende Erzieherinnen haben für eine deutliche Lohnerhöhung gestreikt. Viele von ihnen vier Wochen ohne Unterbrechung. Es war die größte Streik-Kampagne in der Geschichte dieses Berufs.
Umso verärgerter waren die Kolleginnen jetzt, als sie am Morgen der Streikdelegiertenkonferenz aus den Medien erfahren mussten, dass die Ver.di-Verhandlungskommission und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) eine Schlichtung vereinbart und damit den Streik ausgesetzt hatten, ohne die Delegiertenkonferenz zu fragen.
Kita-Streik: 69 Prozent haben Verständnis
Über ihren Vorschlag entscheiden die Schlichter voraussichtlich am 18. Juni. Ab 23. Juni muss wieder verhandelt werden. Doch selbst wenn ver.di den Schlichterspruch ablehnt, wird es sehr schwierig, die Kolleginnen nach so langer Pause erneut für die Fortsetzung des Streiks zu mobilisieren. Zudem beginnen im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen am 29. Juni die sechswöchigen Schul-Sommerferien. Ab diesem Tag sind viele Kitas ganz oder teilweise geschlossen und Streikende verreisen.
»Die Öffentlichkeit hätte kein Verständnis, wenn wir die Schlichtung nicht angenommen hätten«, behauptete der ver.di-Vorsitzende auf der Versammlung. Doch mit „Öffentlichkeit“ meint Bsirske offenbar nicht die Mehrheit der Menschen. Erst am 3. Juni veröffentlichte Infratest dimap eine Umfrage, wonach 69 Prozent der Deutschen Verständnis für den Streik haben und nur 29 Prozent keines.
Auch habe es laut Bsirske »keine rechtliche Möglichkeit gegeben, die Schlichtung zu verhindern«. Doch das war selbst unter den Mitgliedern der ver.di-Tarifkommission höchst umstritten und hätte zumindest ausführlich geprüft werden müssen, bevor man mitten in der Nacht das mögliche Ende des Streiks festlegt.
Wer schlichtet, darf nicht streiken
Doch die wichtigste Frage auch für zukünftige Streiks ist: Warum gibt es Schlichtungen überhaupt? Ver.di hat zuletzt 2011 einen Vertrag mit der VKA geschlossen, der dieser in Entgelt-Tarifrunden das Recht gibt, eine Schlichtung zu beginnen, sobald die Verhandlungen scheitern. Gleichzeitig verpflichtet sich ver.di, während der Schlichtung nicht zu streiken.
Schlichtungen gibt es in Tarifrunden schon seit über 100 Jahren. Sie sind durch die Ideologie entstanden, wonach bei dauerhaftem Wirtschaftswachstum Streiks und scharfe Konflikte zwischen Gewerkschaften und der Wirtschaft grundsätzlich überflüssig seien und langfristig beiden Seiten schaden. Um sie zu verhindern, haben Gewerkschaftsvertreter schon damals zugestimmt, einen scheinbar neutralen »Schiedsrichter« zu bestimmen, der einen gerechten Kompromiss ausarbeitet, der sowohl mehr Wohlstand für die Arbeiter als auch weiteres Wachstum ermöglicht.
Was sich auf einer Internetseite wunderbar liest, erweist sich in der Realität als Illusion, wenn die Arbeitgeber zu keinen nennenswerten Zugeständnissen bereit sind; zum Beispiel weil Millionäre, Banken und Konzerne kaum Steuern zahlen und die Kommunen deswegen pleite sind. Denn durch die Schlichtung geben die Gewerkschaften mit dem Streik ihr zentrales Druckmittel aus der Hand, was sie gewöhnlich zwingt, auch einen schlechten Vorschlag des Schlichters anzunehmen.
»Schlichtungswesen prinzipiell bekämpfen«
Schon 1932 schrieben die Autoren von »Das rote Gewerkschaftsbuch«: »Während die Arbeiterschaft den Tarifvertrag als die für sie günstigste Form der Regelung der Arbeitsbedingungen ansehen muss, ist das Schlichtungswesen von ihr prinzipiell zu bekämpfen. (…) Die reformistischen Gewerkschaftsführer argumentierten schon vor 1918, daß auf solche Weise Streiks und Aussperrungen vermieden werden könnten. Das ist die planmäßige, gegen den Klassenkampf gerichtete Arbeitsgemeinschaftspolitik.«
Hätten die Erzieherinnen also gewonnen, wenn ver.di den Streik einfach weitergeführt hätte? Möglicherweise nicht. Denn obwohl viele Kolleginnen vier Wochen ohne Unterbrechung gestreikt haben, gab es in der Strategie von ver.di entscheidende Fehler.
Der größte Schwachpunkt der Streik-Kampagne war der fehlende wirtschaftliche Druck, durch einen Streik in kommunalen Kitas. Diese kosten die Städte gewöhnlich weit mehr, als durch die Kita-Gebühren eingenommen wird. Müssen während eines Streiks keine Gehälter bezahlt werden, sparen die Kommunen daher sogar Geld ein, in den vier Wochen Streik laut Arbeitgeberverband 80 Millionen Euro. Deshalb ist es bei Streiks im öffentlichen Dienst immer von herausragender Bedeutung, dass die Gewerkschaften um die Unterstützung der gesamten Bevölkerung kämpfen, um den politischen Druck auf die herrschenden Politiker aufzubauen. Das ist nur teilweise gelungen.
Kita-Streik: Nicht alle Erzieherinnen dürfen streiken
Im Erziehungsdienst kommt hinzu, dass zwei Drittel(!) aller Kitas von kirchlichen, freien oder privaten Trägern betrieben werden, die nicht denselben oder gar keinen Tarifvertrag haben, weshalb die Kolleginnen dort rechtlich nicht direkt dafür streiken dürfen. Jedoch wäre es bei rechtzeitiger Vorbereitung von ver.di möglich gewesen, auch in diesen Einrichtungen Solidaritätsstreiks oder zumindest zahlreiche Demonstrationen der Kolleginnen abends nach der Arbeit zu organisieren. Auch Solidaritätsstreiks aus anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes wären eine Möglichkeit gewesen, den Druck deutlich zu erhöhen.
Zwar gibt es in einigen Städten selbst gegründete Solidaritätskomitees. Ver.di hat jedoch viel zu wenig getan, um auch Menschen zu mobilisieren, die nicht in einer kommunalen Kita arbeiten.
Die Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst ist noch nicht verloren, aber die Chancen nochmals zu streiken, haben sich deutlich verschlechtert. Während der Schlichtung hat ver.di »Friedenspflicht«. Doch der DGB organisiert am Samstag, 13. Juni in Köln, Dresden, Hannover und Nürnberg große Demonstrationen für die Forderungen der Tarifrunde. Mit einer guten Mobilisierung kann dadurch weiter Druck auf die Kommunen aufgebaut werden.
Übrigens: Im Gegensatz zu den 30er Jahren ist ver.di heute gesetzlich nicht gezwungen, eine Schlichtungsvereinbarung mit den Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes zu haben. Sie kann von der Gewerkschaft zu jedem Quartalsende eines Jahres gekündigt werden. Das wäre eine wichtige »Vorbereitung« für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst 2016, oder Frank Bsirske?
Die vier Großdemonstrationen des DGB für die Aufwertung des Erzieherinnenberufs am 13. Juni: http://www.verdi.de/ und http://www.dgb.de
Foto: Franz Ferdinand Photography
Schlagwörter: Erzieher, Erzieherinnen, Gewerkschaft, Kita-Streik, Schlichtung, Streik, Verdi