marx21-Leserinnen- und Leserdebatte zur Frage: »Mit einer Mitte-links-Regierung aus der Krise?« Katja Kipping (Parteivorsitzende der LINKEN) meint, der Riss im neoliberalen Block bietet Chancen für eine linke Regierung
Seit dem Ausbruch der Corona-Krise sind milliardenschwere Rettungspakete plötzlich möglich. Damit die Kosten der Krise nicht auf die unteren 90 Prozent der Gesellschaft abgewälzt werden, halte ich neue linken Mehrheiten heute für notwendiger denn je. Mehr als das. Es ist jetzt nötig, dass wir transformatorische Pflöcke für eine neue Wirtschaftsordnung einschlagen.
Es gibt Gründe, Regierungsbeteiligungen skeptisch gegenüberzustehen
Für solch einen Kurswechsel braucht es kämpferische Bewegungen, aber eben auch Mehrheiten für andere Gesetze im Parlament und Zugriff auf Amtsmacht. Es ist ein Unterschied, ob die Möglichkeiten des Staatsapparates in Stellung gebracht werden, um sozialen Fortschritt und Umsteuern zu verhindern oder zu befördern. Natürlich gibt es auch Gründe, Regierungsbeteiligungen skeptisch gegenüberzustehen. Es gibt Beispiele, in denen sie zur Schwächung der Linken führten. Doch viele dieser Regierungsbeteiligungen fanden in der Hochzeit des Neoliberalismus statt.
Die Hegemonie des Neoliberalismus bröckelt
Heute stehen wir an einem anderen Punkt. Die Hegemonie des Neoliberalismus hat Risse. Nicht zuletzt aufgrund der gescheiterten Krisenbewältigungsstrategien. Ein Beispiel: Die Corona-Krise hat uns allen vor Augen geführt, dass die Kürzungen im Gesundheitswesen uns beinahe in eine Katastrophe mit europaweit Millionen Toten geführt hätten. Nie zuvor waren die Beschäftigten in Krankenhäusern, im Einzelhandel oder der Logistik so sichtbar wie in den vergangenen Monaten. Was sie geleistet haben, wird im Gedächtnis bleiben. Doch manche vergessen schnell. Im Konjunkturpaket der GroKo finden wir kaum etwas, das genau jenen Menschen dankt, die gerade den Laden am Laufen halten.
Mitte-links-Regierung für eine krisenfeste Zukunft
Anstatt die nächste Krise also nur wieder zu verwalten, sollten wir umsteuern in eine krisenfeste Zukunft. Weder die alten Mittel der GroKo noch ein grün modernisierter Kapitalismus durch Schwarz-Grün werden uns auf diesen Weg bringen. Krisenfestigkeit erfordert, einen neuen Kurs einzuschlagen: einen sozial-ökologischen Systemwechsel bzw. einen linken Green New Deal, der aus drei Säulen besteht: Erstens aus einem öffentlichen Sektor mit guter Arbeit und Wirtschaftsdemokratie. Zweitens dem Ausbau des Sozialstaates, der allen hier lebenden soziale Garantien und Sicherheit bietet. Und drittens einer ökologischen Transformation der Industrie im Sinne einer Agrar-, Energie- und Verkehrswende. Dazu gehören auch Weichenstellungen für eine neue Weltwirtschaftsordnung, die Fluchtursachen zurückdrängt und Klimagerechtigkeit herstellt.
Linke Mehrheiten müssen mehr sein als ein Parteienbündnis
Solch ein linker Green New Deal erfordert die Ablösung der Union und damit andere Mehrheiten. Diese Mehrheiten müssen weit mehr sein als ein Parteienbündnis. Es sind all jene Teile, die ein linkes Regierungsbündnis aus der Gesellschaft heraus inhaltlich treiben und in die Pflicht nehmen könnten und sich gleichzeitig mit der Regierung gegen seine Gegner stellen. Dazu gehören Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und Umwelt- wie Sozialverbände ebenso wie die Initiativen von Mieterinnen und Mietern und Bündnisse wie die Seebrücke oder Unteilbar. Insofern darf dieser Kampf kein Gegensatz zu Bewegungsorientierung sein. Vielmehr geht es darum, den Kampf um soziale Mehrheiten in linker Verantwortung als konsequente Fortsetzung von sozialen Kämpfen anzulegen. Das alles ist kein Wolkenkuckucksheim. Der Riss im neoliberalen Block kann uns heute eine Chance für Veränderung bieten, die wir in den letzten Jahrzehnten als Linke so nicht hatten. Greifen wir zu.
Zur Autorin:
Katja Kipping ist eine deutsche Politikerin der Partei Die Linke und Literaturwissenschaftlerin. Seit 2005 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages sowie seit 2012 gemeinsam mit Bernd Riexinger Parteivorsitzende.
Weiterlesen:
Das Buch »Neue linke Mehrheiten« von Katja Kipping ist im Frühjahr 2020 im Argument Verlag + Ariadne erschienen.
DIE LINKE will grundlegende gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen. Doch wie kann sie dies erreichen? Die marx21-Leserinnen- und Leserdebatte zur Frage: »Mit einer Mitte-links-Regierung aus der Krise?«. Manche plädieren für eine neue Mitte-links-Regierung, andere halten das für kontraproduktiv. Welche Chancen und Gefahren bringt eine linke Regierungsbeteiligung mit sich? Was bedeutet eine Mitte-links-Regierung für das Programm der LINKEN? Welche Erfahrungen mit Mitte-links-Regierung hat die Linke in der Vergangenheit gemacht? Diese und andere Fragen, wollen wir in den nächsten Wochen auf marx21.de mit Euch diskutieren
- Katja Kipping: »Die LINKE muss die Chance für Veränderung ergreifen«
- Lucia Schnell: »Eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen schadet der LINKEN«
- Lukas Eitel: »Die Logik der Regierungsbeteiligung hat zwei Kardinalfehler«
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Schlagwörter: Debatte, R2G, Regierungsbeteiligung