Um einen Rechtsruck zu verhindern, fordert der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN Klaus Ernst die Partei solle sich überwinden und auf eine rot-rot-grüne Koalition im Bund orientieren. Doch das wäre genau die falsche Antwort, meint Volkhard Mosler
Ich kann mich gut an meine erste Sitzung in der Frankfurter »Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit« (WASG) 2004 erinnern. Alle waren empört darüber, was Klaus Ernst, der vielleicht prominenteste Sprecher der neu gegründeten Partei, tags zuvor gesagt hatte: »Kommunisten« hätten in der WASG keinen Platz. Einige wollten gleich wieder austreten. Ich habe damals gesagt, dass ich nicht trotz, sondern wegen Klaus Ernst der WASG beigetreten sei. Er repräsentiere jenen Bruch sozialdemokratischer Gewerkschaftslinker mit der SPD, welcher der WASG überhaupt eine Perspektive verlieh. Klaus Ernst verkörperte in der Tat den Bruch einiger hundert, wenn nicht tausend Gewerkschafter, die den Verrat Gerhard Schröders mit seiner Agenda 2010 nicht mitmachen wollten. Das war eine historische Tat, für die ich Klaus Ernst heute noch dankbar bin. Die WASG war – im Gegensatz zu den Grünen, die aus der Rechtswende der 68er Bewegung entstanden war – ein Bruch nach links, weg von der Sozialdemokratie. Es war aber nur ein halber Bruch, weil ihre führenden Vertreter zugleich die Illusion des parlamentarischen Wegs zu einer sozialen Gesellschaft weiter teilten.
Kröten schlucken um den Rechtsruck zu stoppen?
Jetzt hat Klaus Ernst unter der irreführenden Parole »Runter von der Zuschauertribüne« zur Bildung einer rot-rot-grünen Bundesregierung aufgerufen. Warum jetzt? Warum nicht vor zehn Jahren? Er begründet das mit einem drohenden Rechtsruck in Europa und in Deutschland. »Es geht nicht darum, ob wir am radikalsten den Kapitalismus kritisieren. Es geht um alles«. Abgeklärt wie Klaus Ernst sich zeigt, weiß er natürlich, dass die LINKE bei einer Regierungsbeteiligung Kröten schlucken müsste. Auf die Frage, wie er zu den von Oskar Lafontaine geforderten roten Haltelinien für eine Regierungsbeteiligung stehe, antwortet Klaus Ernst noch im Jahr 2010: »Er hat Recht, es kommt auf die Inhalte an… wir dürfen unsere Grundsätze nicht über Bord werfen, denn dann werden wir beim nächstem Mal nicht mehr gewählt.« Heute spricht er von notwendigen »Opfern an unsere ideologische Unversehrtheit«. Aber dies sei nichts im Vergleich zu jenen Folgen, die wir durch den bevorstehenden Rechtsruck ertragen müssten.
Ernst ignoriert die Gefahren einer Regierungsbeteiligung
Er bedient sich hier der unter allen Sozialdemokraten seit jeher beliebten Logik des kleineren Übels, oder besser eines drohenden »größeren Übels«, das es zu verhindern gelte, auch wenn dies schmerzvoll sei. Dabei wischt er die Gefahren einer Regierungsbeteiligung der LINKEN leichtfertig beiseite – immer mit dem Verweis, dass es Schlimmeres gäbe. Anstatt roter Haltelinien will er »Haltelinien gegen den europäische Rechtsruck« einziehen und verweist darauf, dass eine rot-rot-grüne Koalition der Regierung Tsipras andere, bessere Bedingungen für Kredite hätte gewähren können als die Regierung Merkel/Gabriel. »Wie lächerlich wären die Kompromisse, die WIR hätten machen müssen, um einen anderen deutschen Verhandlungspartner für Alexis Tsipras nach Brüssel zu schicken.« Ich kann nicht umhin, diese Polemik gegen Bedenkenträger einer rot-rot-grünen Koalition auf Bundesebene umzukehren: Wie lächerlich wären die Verbesserungen, welche ein anderer deutscher Verhandlungspartner für die auferlegten Sparprogramme in Griechenland vielleicht hätte durchsetzen können im Vergleich zu den Forderungen, die Sigmar Gabriel für eine Regierungsbeteiligung der Linken gestellt hat: Ja zu deutschen Kriegseinsätzen (»eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik im Rahmen unserer internationaler Verpflichtungen«) und ja zur Austeritätspolitik (»einen finanzierbaren Koalitionsvertrag«).
Ein Verrat der LINKEN wiegt schlimmer als ein Rechtsruck
Auch ein Regierung mit Dietmar Bartsch oder Sahra Wagenknecht als Minister hätten keine besseren Kreditbedingungen für Griechenland durchsetzen können. Denn hätten sie es versucht, wäre das mit Sicherheit das Ende einer rot-rot-grünen Regierung gewesen. Wir sehen jetzt in Frankreich, dass das »kleinere Übel« nur der Wegbereiter des größeren Übels ist. Premierminister Valls und Präsident Hollande rufen zum Krieg und zum nationalen Ausnahmezustand auf. Der faschistische Front National gewinnt währenddessen weiter in den Umfragen und konnte bei den Regionalwahlen ein Rekordergebnis erzielen. Ähnlich wie Klaus Ernst hat auch die SPD vor 1933 argumentiert, allerdings mit größerem Realitätsgehalt, was die Differenz zwischen den verschiedenen politischen Optionen anging. Damals drohte mit Hitler ein wirklicher Rechtsruck und trotzdem war die versteckte Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie an der Zentrumsregierung von Reichskanzler Brüning fatal und eine politische Sackgasse, die Hitler erst recht stärkte. Es müsste jedem aufmerksamen politischen Beobachter der letzten beiden Jahrzehnte europäischer Politik aufgefallen sein, dass der Verrat linker Parteien an den Hoffnungen ihrer Wähler und Mitglieder schlimmer wiegt als ein drohender Rechtsruck, ja dass er geradezu Wegbereiter diverser Rechtsrucke war. Lediglich Griechenland bildet hier bisher eine Ausnahme, weil es eine linke Alternative des Klassenkampfes gibt. Tsipras wurde trotz offenen Verrats seiner Versprechungen wiedergewählt, aber schon im November gab es den ersten großen Generalstreik gegen seine Sparmaßnahmen. Es gibt in der Tat Schlimmeres als Merkel, Seehofer und Gabriel: einen Verrat der LINKEN.
Die LINKE muss Protest- und Kampfpartei werden
Ja, »wir« (die LINKE) müssen runter von der Zuschauertribüne. Hier stimme ich Klaus Ernst voll zu. Das heißt aber nicht, dass ein paar Dutzend ihrer Mitglieder sich an einer imaginären »Macht« (Regierung) beteiligen und ihre Mitglieder und Wähler ihnen dabei zuschauen, wie sie stellvertretend für uns Schlimmeres verhindern. Die LINKE muss zu einer aktiven Protest- und Kampfpartei werden, die überall dort, wo Menschen beginnen, sich gegen den Kapitalismus und seine unmenschlichen Auswirkungen von Krisen, Umweltzerstörung und Kriegen zu wehren, aktivierend eingreift. Und sie muss zusammen mit Gewerkschaften und Sozialdemokraten bundesweit zu antirassistischen und antifaschistischen Massenprotesten gegen NPD, Pegida und AfD aufrufen. Nur so können wir den Aufstieg der AfD und einen wirklichen Rechtsruck in der Zukunft verhindern. Eine Politik des »kleineren Übels«, wie sie Klaus Ernst uns hier andienen will, war noch nie eine Haltelinie gegen Rechts.
Foto: linksfraktion
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