Das Jüdische Museum Berlin zeigt in einer sehenswerten Ausstellung Jerusalem, wie es ist: eine lebendige Stadt, in der sich die Widersprüche des Nahen Ostens zeigen. Von Daniel Anton
Benjamin Netanjahu ist ein wahrer Akrobat. Ihm gelang das bemerkenswerte Kunststück, den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als »wahren Freund Israels« zu bezeichnen, während dieser die Opposition mit antisemitischen Verschwörungstheorien zu diskreditieren versucht. Dem Jüdischen Museum Berlin hingegen warf derselbe Netanjahu vor wenigen Monaten »antiisraelische Aktivitäten« vor und forderte die Bundesregierung auf, jegliche finanzielle Unterstützung für das Museum einzustellen.
Der israelische Ministerpräsident stößt sich an der Sonderausstellung »Welcome to Jerusalem!«, die seit Dezember 2017 und noch bis zum 1. Mai dieses Jahres im Jüdischen Museum zu sehen ist. Ihn stört, dass darin nicht nur eine israelische Sicht auf die Stadt gezeigt wird.
Hauptstadt der monotheistischen Religionen
Wer das Jüdische Museum schon einmal besucht hat, der kennt die Dauerausstellung zum Holocaust, die sich ins Gedächtnis einprägt und anhand vieler Einzelschicksale darstellt, was kaum zu begreifen ist. Wer dort war, weiß aber auch, dass das Museum ebenso darauf bedacht ist, jüdisches Leben und die Alltagserfahrung von Menschen jüdischen Glaubens in unterschiedlichen Lebensrealitäten im Hier und Jetzt darzustellen. Nichts anderes macht »Welcome to Jerusalem!«.
Die Sonderausstellung bietet einen multimedialen und multiperspektivischen Blick auf die Hauptstadt der drei monotheistischen Religionen dieser Welt. Zunächst erklärt sie die Bedeutung von Jerusalem in den drei Religionen und macht nachvollziehbar, warum die Stadt eine derart vielfältige Bedeutung im Judentum, Christentum und Islam hat. Sie zeigt auch, dass ein Zusammenleben der drei Religionen immer wieder möglich war.
Sie erklärt etwa die Bedeutung des Tempels und wie die religiösen Deutungen immer auch mit Machtfragen verwoben waren. Dazu gibt es eine Reihe historischer und zeitgenössischer Exponate, darunter ein großes Modell des Tempelbergs aus dem 19. Jahrhundert.
Geschichten aus einer hoch politisierten Stadt
Die Ausstellung verschweigt dabei keine Probleme, sondern stellt schlichtweg den Alltag der Menschen dar, die teils vollkommen unterschiedliche Herkunftsgeschichten haben und dennoch die Stadt als gemeinsamen Lebensraum teilen. Christliche, jüdische und muslimische Blickwinkel auf Religion, Kultur und Alltagsfragen finden in Form von teils intimen Videobeiträgen (»24h Jerusalem«), Fotos, Texten und Ausstellungsstücken ihre Würdigung. Darunter finden sich auch Geschichten aus einer hoch politisierten Stadt und von einer widerständigen Bevölkerung.
So behandelt ein Teil etwa neben der rechten Tempelbewegung die »Mauer-Frauen«, eine Gruppe jüdischer Frauen, die seit 1988 für einen gleichberechtigten Zugang zur Klagemauer kämpfen und sich dafür (manchmal handgreiflich) mit Orthodoxen auseinandersetzen müssen. Die blutigen Konflikte um die Stadt werden nicht ausgespart: Zu sehen sind israelische Bulldozer, die arabische Viertel niederwalzen, und die Nachwirkungen von palästinensischen Bombenattentaten.
Netanjahus Feldzug gegen »antiisraelische Aktivitäten«
Wenn man es sich genau überlegt, ist es eigentlich keine Überraschung, dass Netanjahu die Ausstellung ein Dorn im Auge ist. Es ist schließlich der gleiche Netanjahu, der im laufenden Parlamentswahlkampf auf riesigen Plakaten beim Handshake mit Donald Trump posiert. Und es ist der Gleiche, der im eigenen Land die palästinensische Bevölkerung systematisch ausgrenzt und separiert, der für den Tod dutzender Menschen beim »March of Return« verantwortlich ist und der gnadenlos tausende afrikanische Flüchtlinge abschieben lässt. Er ist Teil des globalen Rechtsrucks und hat kein Interesse an einer Ausstellung, die ein heterogenes Jerusalem zeigt, mit all seinen Widersprüchen und Problemen. Netanjahus Feldzug gegen »antiisraelische Aktivitäten« macht vor nichts halt. Dabei gehören er und seine Politik zu den größten Bedrohungen für die israelische Gesellschaft.
Es ist dem Jüdischen Museum zu wünschen, dass Netanjahus Wüten als zusätzliche Werbung dient, die noch mehr Menschen in die Ausstellung lockt. Es empfiehlt sich, eine Führung zu buchen. Zu der Ausstellung wurden extra einige Guides eingestellt, die selbst aus Jerusalem stammen und fachkundig und mit persönlichem Bezug über die Ausstellung berichten.
Die Ausstellung:
Welcome to Jerusalem!
Noch bis 1. Mai
Jüdisches Museum Berlin
Lindenstr. 9-14
8 Euro, ermäßigt 3 Euro
www.jmberlin.de
Foto: Jüdisches Museum Berlin
Schlagwörter: Israel, Judentum, Kultur, Netanjahu, Palästina