Die Wirtschaft wieder »in Schwung« bringen und das Virus unter Kontrolle halten, ist die Linie der Bundesregierung. Damit riskiert sie viel, wie die Corona-Ausbrüche bei Amazon und bei dem Frischfleischproduzenten Müller Fleisch zeigen. Von Yaak Pabst
Letzte Woche wurde bekannt, dass im Amazon-Logistikzentrum in Winsen bei Hamburg Beschäftigte an Covid-19 erkrankt sind. Um wie viele Personen es sich handelt ist derzeit unklar. Das Manager-Magazin spricht von 68 nachweislich Infizierten. Beschäftigt sind in Winsen rund 1800 Mitarbeiter.
Die Ansteckungsgefahr im Betrieb ist hoch
Die Ansteckungsgefahr ist sowohl während der Arbeit, aber auch während der Schichtwechsel hoch, bei dem mehrere hundert Menschen ein- und ausgehen und sich kaum aus dem Weg gehen können. Zudem kommen die meisten der Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem benachbarten Hamburg und der Arbeitsweg wird mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt – auch hier besteht natürlich die Gefahr sich anzustecken oder das Virus weiterzugeben, wenn der ÖPNV zu voll ist und Abstandsregel nicht eingehalten werden können. Gleichzeitig hat Amazon die Beschäftigten gewarnt, dass ihre »Prämienzahlung« im Krankheitsfall nicht gewährt wird. In Winsen sollen die Mitarbeiter seit Freitag, den 24. April, auch Masken tragen. Doch das ist der Gewerkschaft Verdi noch zu wenig, wie Sandra Schmidt, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi Niedersachsen-Bremen erklärt: »Ich verstehe nicht, warum man bei so vielen Infektionen den Laden nicht erstmal dichtmacht«. Die hygienischen Verhältnisse in Winsen seien angesichts einer grassierenden Pandemie nicht hinnehmbar. Seit Beginn der Krise gab es immer wieder Appelle der Gewerkschaften in Deutschland, dass Amazon die Beschäftigten stärker schützen muss. In anderen europäischen Standorten und in den USA gab es Streiks der Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten für besseren gesundheitlichen Schutz. Amazon verweist stets auf seine aus eigener Sicht »umfangreichen Maßnahmen«. Diese stellen jedoch nicht den Gesundheitschutz in den Vordergrund, sondern die Überwachung der Beschäftigten. In den USA sind jetzt sogar Wärmebildkameras im Einsatz, um Fieber bei den Mitarbeitern zu erkennen. In Deutschland setzt das Unternehmen teils auch Überwachungskameras ein, um angeblich das »Social Distancing« der Arbeiterinnen ud Arbeiter zu kontrollieren. Das Arbeitsgericht Wesel hat in einem solchen Fall gerade eine einstweilige Verfügung gegen Amazon erlassen.
Video:Protest Amazon-Beschäftigte in den USA
Kein Einzelfall
Das Amazon-Logistikzentrum ist nicht der einzige betriebliche Infektionsherd. Am 17. April wurde bekannt, dass sich mehr als 90 Arbeiterinnen und Arbeiter bei dem Frischfleischproduzenten Müller Fleisch im bayrischen Birkenfeld mit dem Coronavirus infizierten. Nach weiteren Test erhöhte sich die Zahl der Positivgetesteten auf 168 (Eine aktuell DPA-Meldung spricht von 270 Infizierten). Die meisten der Arbeiterinnen und Arbeiter sind aus dem Ausland und als Werkvertragsbeschäftigte angestellt. Sie heuern auch bei Subunternehmen an und werden für eine bestimmte Zeit in Massenunterkünften untergebracht. Hygienevorschriften für diese Unterkünfte wurde den Unternehmen nicht gemacht. Häufig sind diese Wohnungen jedoch viel zu klein und überbelegt, es gibt zu wenig Sanitärräume, mangelnde Hygiene. Gleichzeitig begünstigt aber auch die körperliche Belastung in der Fabrik Krankheiten, bei denen die körpereigene Abwehr entscheidend sei. Freddy Adjan, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erklärte: »Nach unseren langjährigen Erfahrungen ist die Unterbringung der Beschäftigten ein wesentlicher Faktor, der zur Verbreitung von Infektionen in Unternehmen der Fleischindustrie beiträgt. Wir kennen ausufernde Viruserkrankungen bei den ausländischen Beschäftigten der Fleischunternehmen seit langer Zeit. Im vergangenen Jahr war es eine Hepatitis-Infektion im Emsland.«
Bei Corona-Infektion muss die Produktion gestoppt werden
Aber auch die Situation in der Fabrik ist alles andere als gut. In der Fleischwirtschaft stehen die Beschäftigten häufig dicht aneinander am Band. »Der Schutzeffekt der persönlichen Hygieneausstattung zur Abwehr von Viren ist nach unserem Kenntnisstand nicht ausreichend geprüft«, kritisiert Adjan. Die Gewerkschaft NGG verurteilte das Vorgehen der Behörden scharf: »Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des örtlich zuständigen Gesundheitsamtes, dass Müller Fleisch seine Tätigkeit bei 168 positiven Corona-Tests unverändert fortsetzen kann, ein Skandal. Die Aussage des Landrats Bastian Rosenau, wonach keine Gefahr für den Verbraucher bestehen, ist ebenfalls fahrlässig.«
Infektionsketten in den Betrieben verhindern
An diesen beiden Beispiele zeigt sich, dass nicht nur Bierfeste, Clubs oder andere Großveranstaltungen schnell zu sogenannten Infektionscluster werden können. Die Infektionsketten in den Betrieben waren schon während des partiellen »Lockdowns« nicht alle unterbrochen. Wirklicher Schutz bedeutet eine ganze Reihe von Maßnahmen in Betrieben umzusetzen. Die IG Metall hat 10 Punkte für den Corona-Schutz im Betrieb aufgestellt. Jedoch ist eine Formulierung mehr als schwach. Die IG Metall schreibt: »Ob über die oben genannten organisatorischen Maßnahmen hinaus auch persönliche Schutzausrüstung (Mundschutz, Schutzkleidung etc.) erforderlich ist, muss im Einzelfall geprüft werden.« Diese Position ist nicht haltbar. FFP-Schutzmasken erhöhen den Schutz für Beschäftigte nachweislich. Diese müssen aber regelmäßig gewechselt werden. Beispielsweise für eine Acht-Stunden Schicht, mindestens zwei FFP-2 Schutzmasken zum Wechseln alle vier Stunden. Das ist keine unerfüllbare Forderung. Der Tagesspiegel berichtet, dass die chinesische Regierung bereits eine solche Anordnung für die Betriebe in der Automobilindustrie verabschiedet hat. Auch wenn es an dem Vorgehen der chinesischen Regierung viel zu kritisieren gibt, ist eine solche Maßnahme sinnvoll. Klar muss aber auch sein: Sollte in einem Betrieb eine Coronainfektion ausbrechen, muss der Betrieb geschlossen werden.
Vorbild Italien: Streiks für besseren Gesundheitsschutz
Zur Zeit ist der gesundheitliche Schutz für Beschäftigte in vielen Betrieben in Deutschland nicht gesichert. Angesichts der durch das Coronavirus ausgelösten Krise kommt ans Licht, dass Millionen von Beschäftigten gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Betriebliche Proteste, Streiks und Selbstorganisation sind eine wichtige Reaktion, um Schutzmaßnahmen in den Betrieben einzufordern und durchzusetzen, wie beispielsweise in Italien. Dort haben sich die Beschäftigten mit Streiks gegen die unzureichenden Maßnahmen der Regierung und der Unternehmen im Zuge der Coronakrise gewehrt. Sie setzten damit die Regierung und die Arbeitgeberverbänden unter Druck und erzwangen mehrere Beschlüsse die höhere »Sicherheitsstandards« für Beschäftigte vorsehen (Lies hier das Interview »Coronakrise in Italien: Es tobt ein Kampf mit den Bossen!« mit der Gewerkschafterin Eliana Como aus Bergamo). Auch in Deutschland mehren sich die Stimmen aus den Betrieben nach besserem gesundheitlichen Schutz. Die Gewerkschaften haben die Aufgabe, für nachhaltigen Gesundheitschutz der Beschäftigten zu kämpfen. Ohne Kompromisse. Denn das Virus ist zu keinem Zeitunkt verhandlungsbereit.
Foto: Geroge Weston / Twitter
Schlagwörter: Corona, Coronakrise, Coronavirus