Die Beschäftigten im Gesundheitswesen klagen an: Die Situation in den Krankenhäusern, Arztpraxen und Altenheimen ist katastrophal. Doch es regt sich auch Widerstand
Die durch das Coronavirus ausgelöste Krise trifft die Gesellschaft auch deshalb so hart, weil der öffentliche Sektor jahrzehntelang kaputtgespart wurde. In Deutschland wird die Unterfinanzierung der öffentlichen Hand von Wirtschaftswissenschaftlern auf 450 Milliarden Euro geschätzt. Die Auswirkungen dieser Kürzungspolitik sind schon seit Jahren bekannt und spürbar. In der jetzigen Krise um so mehr. Wir dokumentieren, wie Beschäftigte die Auswirkungen der Coronakrise auf ihren Arbeitsalltag beschreiben und welche Forderungen sie haben.
Offener Brief der Beschäftigten aller Berufsgruppen aus Hamburger Krankenhäusern
»Wir wissen nicht wie hart, aber mit Blick auf Italien, Spanien und Frankreich tun wir gut daran, vom schlimmsten auszugehen. Jeder Tag zählt, um notwendige Maßnahmen zu veranlassen. Darum genügt es jetzt nicht, den einzelnen Kliniken zu überlassen, wie sie sich vorbereiten. Das war die Krankenhaus- und Gesundheitspolitik der letzten Jahre, und sie hat uns in den Personalnotstand geführt. Jedes Krankenhaus für sich. Alle gegeneinander. Unterversorgung hier, Überversorgung dort. Je nachdem was die Fallpauschalen hergeben. Und immer weniger Personal einstellen, um mehr Gewinne zu machen oder die fehlenden Zahlungen der Bundesländer für Investitionen auszugleichen. Der Markt soll es regeln. Über dieses ganze bittere Kapitel deutscher Gesundheitspolitik wollen wir jetzt keine großen Worte verlieren. Die Zeit ist knapp und die Probleme sind bekannt. Was jetzt nötig ist: eine Umkehr um 180 Grad, das bedeutet eine vollumfassende Koordinierung und Kontrolle des Gesundheitswesens durch das Land Hamburg unter Beteiligung von Beschäftigten aller Berufsgruppen aus den Krankenhäusern. Diese Koordinierung und Kontrolle findet derzeit nicht statt, und das ist unverantwortlich.«
Die wichtigsten Forderungen:
- Ausreichend Schutzmaterial
- Umfassendes flächendeckendes Testen aller Berufsgruppen und Patienten im Krankenhaus
- Sofortige Anweisung zur Aufstockung von Reinigungspersonal
- Anweisung zur Einrichtung erweiterter Krisenstäbe an allen Kliniken
- Kostendeckender Finanzierung statt Fallpauschalen
- Verbindliche Regelungen zur bedarfsgerechten Personalbemessung
Offener Brief von gewerkschaftlich aktiven Beschäftigten bei Vivantes und Charité in Berlin
»Unser Gesundheitssystem wird vor eine Zerreißprobe gestellt. Wir aber auch. Viele Entscheidungen, die in den letzten 20 Jahren im Gesundheitswesen getroffen wurden, gingen auf Kosten der Beschäftigten und der Patientinnen und Patienten. Unsere Krankenhäuser wurden zu Fabriken und Gesundheit zur Ware. Die Folgen sind: Kolleginnen und Kollegen flüchteten in die Teilzeit, wechselten ihren Beruf oder den Arbeitsplatz, brannten aus oder wurden chronisch krank. Durch Ausgliederung wurden Kolleginnen und Kollegen in prekäre Beschäftigung gedrängt. Die Politik und auch das Management ignorierten unsere Forderungen die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es mangelt an Anerkennung und Wertschätzung. Es waren Streiks und Proteste notwendig, damit man uns zuhört. Wirklich gelöst wurden unsere Probleme aber nicht. Jetzt kommt noch die Krise oben drauf. (…) Diese Krise macht deutlich, dass Marktlogik im Gesundheitssystem nichts zu suchen hat.«
Die wichtigsten Forderungen:
- Ausreichend Schutzkleidung. Das Land Berlin muss einen Weg finden, Masken, Schutzkittel, Schutzbrillen, Handschuhe und Desinfektionsmittel zu produzieren – SOFORT!
- Mehr Personal für alle an der Krankenversorgung beteiligten Bereiche
- Feste Zuordnung von Reinigungspersonal auf die Stationen. Reinigungsflächen verkleinern, Sichtreinigung verbieten. Extra Personal für die Außenbereiche.
- Wer krank ist, geht nicht arbeiten. Quarantäne muss auch für Krankenhausbeschäftigte gelten.
- Volle Refinanzierung von Krankenhausleistungen inklusive Vorhaltung. Das schließt zusätzliche Medizintechnik, Material und zusätzliches Personal mit ein.
- Das Finanzierungssystem der Fallpauschalen (DRGs) muss abgeschafft und durch eine kostendeckende Finanzierung ersetzt werden. Das gilt jetzt in der Krise, aber auch für die Zukunft. Nur so können Krankenhäuser ihrem Versorgungsauftrag nach guter Patientenversorgung gerecht werden.
- Sofortige Rückführung aller Töchter. TVöD für alle jetzt.
- Bessere Bezahlung aller Beschäftigten
Facebook-Post von Anerev Ztiew, Krankenschwester
»Jetzt mal ganz im Ernst, Ihr lieben da Oben Jens Spahn, Armin Laschet land.nrw Bundesministerium für Gesundheit. Habt ihr eigentlich noch alle Latten am Zaun??? Fassen wir doch mal all die großartigen Ideen zusammen, die Ihr euch in Zeiten des Coronavirus so für die Beschäftigten und die Patienten im Gesundheitswesen ausgedacht habt.
– Ihr hebt mal eben die Personaluntergrenzen auf. Ist ja auch nicht so, als ob da durch die Pflegekräfte lange, wirklich lange für gekämpft werden musste. Aber ist ja auch egal. Es kräht ja kein Hahn danach, ob ich als Pflegekraft nun alleine 40 oder 50 Patienten versorgen soll. Aber bitteschön adäquat, fachlich kompetent, sorgfältig, die Privat- und Intimsphäre der Patienten berücksichtigend… Ihr merkt schon selber, dass ich zynisch werde, oder?
– Soso, wir sollen bitte arbeiten, auch wenn wir ungeschützten Kontakt zu Covid 19 Patienten hatten. Ohne Quarantäne halt. Zumindest so lange wir keine Symptome haben. Oder solange der Test auf Corona nicht positiv ausfällt. Und by the way… Test? Welcher Test überhaupt? Man kann ja schon von Glück sagen, wenn man im Gesundheitswesen einen Arbeitgeber hat, der einen in einer solchen Situation auf eigene Kappe testet. Alle anderen – zum Beispiel viele der örtlichen Gesundheitsämter – interessiert das nämlich offenbar herzlich wenig. Wenn es keinen Test gibt, kann der natürlich auch nicht positiv sein. Aber wen interessiert es schon, wenn unerkannt Corona positive Pflegekräfte ihre Patienten, Kollegen oder gar ihre Familien infizieren? So what, die sind ja wohl ohnehin nur Ausschussware.
– Oha, 50.000 € gibt es pro zusätzlich geschaffenem Intensivbett? Sehr schön. Nur ein Intensivbett dürfte um die 85.000 € kosten. Seid Ihr wirklich sicher, dass Herr Spahn Bankkaufmann gelernt hat? Man sollte meinen, er hätte Ahnung von Mathematik… sollte man wohl meinen…
– Ja, wir wissen natürlich dass Schutzausrüstung überall fehlt aber was momentan läuft, ist nicht nur fahrlässig, sondern im Grunde genommen kriminell. Da werden FFP2 Masken nicht mehr, wie eigentlich vorgesehen, einmal pro Patiententenzimmer pro Betreten desselben benutzt, nein, sondern gleich mal für 72 Stunden und zwar für alle Patienten – one for all also. (…)
– Aber das Beste, DAS ALLERBESTE KOMMT ZUM SCHLUSS Ihr wollt Menschen aus dem Gesundheitswesen zum Dienst ZWANGSVERPFLICHTEN… Brennt Euch eigentlich der HUT, verdammte Axt nochmal??? Ist euch eigentlich klar, was passieren kann, wenn Ihr die Leute, die aus dem Job ausgestiegen sind – aus welchen Gründen auch immer – zurück in an die Patienten beordert??? Leute, die dem Druck nicht stand gehalten haben? Die der Job krank gemacht hat? Die körperlich und/oder psychisch am Ende sind, weil sie alles und vielleicht noch mehr als sie hatten, in dieses krank gesparte System gesteckt haben? (…)
Hut ab, wirklich. SO sieht also die wirkliche Wertschätzung derer »da oben« für den ach so wichtigen, systemrelevanten Beruf im Gesundheitswesen aus! Wenn das nicht per se die Definition von Heuchelei ist, dann weiß ich auch nicht… Da fallen mir soooo viele passende Worte für uns ein – außer systemrelevant natürlich. Worte wie: Bauernopfer, Kollateralschaden, Kanonenfutter… Da helfen dann auch alles Klatschen dieser Welt, Tonnen von Merci Schokolade und kiloweise geschenkter Filterkaffee nicht weiter. Vielen Dank, wir wissen und sind uns sehr im Klaren darüber, dass das eine wirklich nette Geste der Menschen in diesem Land ist, aber daran haben wir nach solch grandiosen Ideen der Regierung unseren Job betreffend, leider keinen Bedarf mehr. Und ich fürchte, das Ende der Fahnenstange ist wohl längst noch nicht erreicht.«
Petition: Gesundheitsbeschäftigte fordern »Menschen vor Profite«
»Wir Gesundheitsarbeiter und Gesundheitsarbeiterinnen sind uns unserer Verantwortung angesichts der existentiellen Krise mit dem Coronavirus bewusst und werden alles in unserer Macht stehende tun, um die Patientinnen und Patienten und uns selbst durch die Krise zu bringen – egal ob Pflege- oder Hilfskraft, Ärztin, Labor- und Röntgenassistentin, Reinigungskraft, Medizintechnikerin uvm. Doch die Sparpolitik im Gesundheitswesen stellt uns angesichts der Krise vor große Herausforderungen. Seit 20 Jahren sind die Krankenhäuser der Logik »Der Markt regelt das schon« unterworfen. Kostendruck und Profitorientierung haben dazu geführt, dass immer mehr Patientinnen und Patienten in immer kürzerer Zeit mit weniger Personal versorgt werden mussten. Jetzt in der Covid-19-Krise rächt sich diese Politik besonders. Um diese Krise zu bewältigen, bedarf es außergewöhnlicher Maßnahmen. Wir sehen aktuell, was möglich ist, wenn die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger es wollen.«
Die wichtigsten Forderungen:
- Konsequente Aktivierung und Mobilisierung aller verfügbaren Ressourcen (Menschen, Material, Geld) – vor allem aber: JETZT mehr Personal und ausreichend Schutzkleidung!
- Hygienemaßnahmen unmittelbar verbessern; sofortige Aufstockung des Reinigungspersonals; engmaschige Tests von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
- Einbindung der verschiedenen Fachbereiche und Berufsgruppen in erweiterte Krisenstäbe an den Krankenhäusern.
- Ausreichend Testzentren und mobile Test-Teams zur Entlastung der Notaufnahmen.
- Sofortiger Stopp geplanter und laufender Krankenhausschließungen!
Facebook-Beitrag von Nina Magdalena Böhmer, Krankenpflegerin in Berlin
»Fassen wir mal zusammen. Erst sollen wir einen Mundschutz und Schutzkittel für mehrere Patienten benutzen. Wir sollen weiter arbeiten, wenn wir Kontakt zu einem Corona/Covid-19 Patienten hatten. Dann werden Personaluntergrenzen ausgesetzt für die lange gekämpft wurde. Das heißt, Scheiß egal, es könnten eine Pflegekraft 50 Patienten betreuen. Dann sagt Herr Spahn es geht gar nicht um die Bezahlung in dem Beruf, es ist nur wichtig den Job attraktiver zu machen. Und jetzt müssen wir nicht mehr in Quarantäne nach Kontakt, wir können schon früher zur Arbeit gerufen werden, sagt das RKI! Diejenigen die hier empfehlen das am besten Alle zu Hause bleiben sollen wegen dem gefährlichen Virus! Schämt euch, diejenigen, die das RKI hoch in den Himmel heben! In einem Beruf der jahrelang unterbezahlt ist…wo alle am Limit arbeiten…wir sollen jetzt die Helden sein und werden so behandelt? Eigentlich sollten genau jetzt alle Pflegekräfte ihren Job kündigen! Ich bin richtig doll traurig und enttäuscht, ich fühle mich verarscht und ich kann es nicht fassen. Ich bin ernsthaft sprachlos. Vielleicht kann man jetzt meine Posts verstehen…ich bin sauer. Und euer Klatschen könnt ihr euch sonst wo hinstecken ehrlich gesagt…Tut mir leid es so zu sagen aber wenn ihr helfen wollt oder zeigen wollt wie viel wir Wert sind dann helft uns für bessere Bedingungen zu kämpfen!«
Petition: Corona-Krise – Gemeinsamer Aufruf von Pflegefachkräften an Jens Spahn!
»Es ist dieser Tage schon ein Trauerspiel. Noch letzte Woche wurden diejenigen, die eine Verschiebung von planbaren Operationen und eine Freiräumung von Klinikkapazitäten forderten, als Panikmacher gebrandmarkt. »Deutschland sei nicht Italien!« oder »macht keine Panik!« waren Nachrichten, die wir aus dem politischen Berlin erhielten. Inzwischen scheinen Sie, Herr Spahn, verstanden zu haben, dass Deutschland ganz schnell Italien sein kann und es absehbar auch sein wird.«
Die wichtigsten Forderungen:
- Eine sofortige Organisation der Beschaffung von wirksamer Schutzmaterialien unter Einbezug aller Möglichkeiten. Im Notfall auch durch die Verstaatlichung von Herstellern und deren Zulieferern, um uns Pflegekräfte zu schützen! (Bitte Schutzkleidung, die wir brauchen und die zugelassen ist!) Nein, es ist nicht wertschätzend, Kanonenfutter zu sein!
- Ein sofortiges Aussetzung aller Prüfungen in den Pflegeeinrichtungen dieses Landes. Erstens ist das eine mögliche Infektionsquelle und zweitens muss alles vermieden werden, was in dieser Krisensituation zusätzlich Arbeitszeit der Pflegekräfte in Anspruch nimmt, die bei der Pflege der Patienten dann fehlt.
- Jetzt sofort eine verlässliche Zusage über eine kräftige staatlich finanzierte Lohnzulage für alle, die dieser Situation standhalten, die ihre Kinder in Notbetreuungsgruppen bringen, Überstunden machen, Pausenzeiten nicht nehmen können, Ruhezeiten nicht einhalten können.
- Eine sofortige Zusage über deutliche Lohnsteigerungen für Pflegefachkräfte, die bei einem Einstiegsgehalt von 4.000 Euro liegen muss. Die Refinanzierung können Sie sich für die Zeit nach dieser Krise aufheben.
Offener Brief von Ingrid Greif, Krankenschwester und Betriebsrätin beim Städtischen Klinikum in München
»Bei uns herrscht der Ausnahmezustand, wie Ihr Euch sicher vorstellen könnt. Wir Betriebsräte haben uns zum Teil in unsere Klinik-Abteilungen zurückgemeldet und versuchen nun, unsere Dienste zu kombinieren mit der Betriebsratsarbeit. Und auch dort herrscht Ausnahmezustand. Arbeitszeitgesetz, Arbeitsschutzgesetz, Betriebsverfassungsgesetz spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Nun werden wir ja als die Heldinnen und Helden der Nation gefeiert und von den Balkonen beklatscht, das ist aber falsch, denn eigentlich sind wir zu Superheldinnen und Superhelden aufgestiegen, denn nur so lässt es sich erklären, dass wir ohne ausreichende Schutzkleidung die Patientinnen und Patienten betreuen können. Wir sind Superheldinnen und Superhelden, weil wir uns zweiteilen können, nur so lässt es sich erklären, wie demnächst all die vielen Beatmungsgeräte bedient werden und vor allem die beatmeten Patientinnen und Patienten versorgt werden können mit dem wenigen Personal, das am Start ist. Es wird von uns automatisch erwartet, dass wir jetzt einfach da sind und zu allem bereit sind. Auf Zuruf auf anderen Stationen, in anderen Häusern zu arbeiten – egal ob wir uns da auskennen oder nicht, 12-Stundenschichten fahren (und das unter den erschwerten Bedingungen mit Maske und Schutzanzügen), den Urlaub sperren lassen, nach Hause gehen, wenn gerade mal weniger zu tun ist, aber auf Abruf sofort zu Hause alles liegen und stehen lassen und in die Klinik zu eilen. Als Wertschätzung für diese Arbeit bekommen wir ab Mittwoch: Das Kantinenessen umsonst. Vielen Dank Herr Söder! Wir haben unseren Humor nicht verloren, es wird weiter viel gelacht und je schlimmer es wird, umso mehr lachen wir. Das ist so und das hält uns. Aber auch wir machen uns Sorgen – um unsere Gesundheit, unsere Angehörigen, denen wir die vielleicht die Krankheit nach Hause bringen. Sorgen darum, wie es sein wird, wenn unsere Kliniken volllaufen und wir die Versorgung gar nicht mehr hinbekommen, Ja, und wir haben unendlich Angst vor einer Situation, wie sie in anderen Ländern schon da ist, nämlich dass entschieden werden muss, wer an die Maschine darf und wer mit Opiaten beim Sterben begleitet wird. All das beschäftigt uns und quält uns. Aber wir können und wollen nicht dabei stehen bleiben. Deswegen wenden wir uns an Euch, sagt es Allen: Hört endlich auf zu klatschen, sondern hängt Transparente und Schilder für unsere Forderungen aus Euren Fenstern und Balkonen!«
Die wichtigsten Forderungen:
- Erschwerniszulagen für alle Beschäftigten in den Krankenhäusern von mindestens 500 Euro!
- Rücknahme aller Privatisierungen im Gesundheitswesen! Privatisierung ist Raub und Mord!
Facebook-Beitrag von Ricardo Lange, Krankenpfleger auf einer Intensivstation
»Jetzt muss ich mich mal auskotzen. Wie viele meiner Kollegen arbeite ich als Krankenpfleger auf einer Intensivstation.Seit Jahren wird das Gesundheitssystem kaputt gespart und das Personal verheizt. Das Wort Freizeit und Familie kennen viele schon gar nicht mehr. Jetzt seit der Corona Krise werden wir beklascht und bejubelt, Leute stehen auf dem Balkon und feiern uns. Aber soll ich euch etwas sagen? Es juckt mich ein Scheiß. (Achtung: Der Satz soll nicht respektlos erscheinen, ich wollte damit meinen Unmut kundtun und niemandem auf die Füße treten) Was bringt mir das Geklatsche wenn sich für uns weiterhin nichts ändert? Wir werden weiterhin mit dem Personalmangel zu kämpfen haben, täglich einspringen müssen. Es wird einfach ausgenutzt das wir nicht streiken können da hier sonst Menschen sterben. Und gerade jetzt wo wir am meisten Unterstützung brauchen fehlt es an allem. Die Personaluntergrenze wurde aufgehoben, jetzt muss jede Pflegekraft wieder mehr Patienten versorgen. Schutzmasken die für unsere Sicherheit aber auch für die der Patienten sorgen sind knapp oder gar nicht vorhanden. So bekommt jeder nur eine Maske pro Schicht. Dafür sind die gar nicht ausgelegt. Was ich aber noch viel schlimmer finde ist, das es Angehörige gibt die unsere Masken geklaut haben, sogar das Desinfektionsmittel wurde teilweise geleert und mit Wasser aufgefüllt. Was zur Hölle stimmt denn mit euch nicht? (…) Die Regierung fordere ich auf, handelt endlich statt wie immer nur rumzuschwafeln. Hört auf eure Diäten zu erhöhen, macht unseren Beruf wieder attraktiver durch bessere Bezahlung und vor allem durch bessere Arbeitsbedingungen. Es reicht! Ihr wollt Fachkräfte? Dann bezahlt sie auch wie solche! Nicht morgen, nicht irgendwann. Jetzt! Sonst wird in Zukunft niemand mehr da sein der eure ganzen neuen Beatmungsmaschinen bedient.«
Stellungnahme von Beschäftigten am Klinikum Dachau
»Wir bedanken uns für die Spende von 120 selbst genähten Mund- und Nasenschutz-Masken. Mittlerweile werden neben Schutzmasken, FFP2 und FFP3 Masken weitere Materialien, wie z.B. Schutzkittel, Blutdruckmanschetten, Thermometer und die dafür vorgesehenen Hülsen u.ä. knapp. Die offizielle Außendarstellung soll suggerieren, man hätte alles im Griff. Wir möchten definitiv keine Panik verbreiten, sondern die Bedingungen aus Sicht der Beschäftigten schildern. Seit Jahren werden unsere Belange ignoriert und unsere Proteste ausgesessen, während der Klinikkonzern Profite einfährt. Der jahrelange Personalmangel und das Arbeiten über dem Limit hat bei nahezu allen Berufsgruppen, vor allem aber in der Pflege und ausgegliederten Berufsgruppen wie der Reinigung, deutliche Spuren hinterlassen. Dennoch ist die aktuelle Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen solidarisch. Leider wurden nicht notfallmäßige OPs und Eingriffe erst von anderthalb Wochen eingestellt und abgesagt.«
Die wichtigsten Forderungen:
- Ausreichend Arbeits- und Schutzmaterial, sowie die Einhaltung von Isolations- und Hygienestandards und nicht deren Aufweichung.
- Wir sind kein Kanonenfutter! Gesundheitsschutz muss auch für uns Beschäftigte gelten! Wir gehen so gelassen wie möglich mit der Situation um. Wie alle anderen müssen wir für unseren Lebensunterhalt arbeiten gehen. Dieser Beruf ist für unsere Mitmenschen da und nicht für Profite, auch wenn das Gesundheitssystem gegenwärtig darauf ausgerichtet ist. Das muss sich eklatant ändern.
Offener Brief des Frankfurter Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus
»Zum jetzigen Zeitpunkt stellt das Corona-Virus weiterhin eine große Bedrohung dar, es ist bisher noch nicht ersichtlich, wie sich die Lage in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten weiterentwickeln wird. Hier am Universitätsklinikum Frankfurt ist die ganze Belegschaft in Alarmbereitschaft versetzt, täglich finden Umstrukturierungen statt. Es ist dies auch eine Krise unseres politischen und ökonomischen Systems. Profitinteresse und Marktmechanismen verschärfen die ohnehin schon schwerwiegenden Probleme. (…) Wir können nur hoffen, dass wir mit einem blauen Auge aus der Corona-Pandemie kommen, und unser Gesundheitswesen nicht so schwer belastet wird wie in Italien oder Spanien. Doch hat das neoliberale Spardiktat besonders in unserem Gesundheitssystem gewütet. Ein Hauptmechanismus war die Einführung des DRG-Systems im Jahr 2003, das über diagnosebezogene Fallpauschalen Marktmechanismen in die Krankenhausversorgung eingeführt hat. Es löste eine bedarfsorientierte Finanzierung ab. Krankenhäuser erhielten nun Fallpauschalen für die Behandlung eines Patienten, was erst einmal harmlos klingt. Doch die Auswirkungen sind fatal. Denn dies bedeutet, dass mit zunehmender Liegedauer des Patienten der Kostendruck auf die Klinik steigt. Gerade kleinere, kommunale Krankenhäuser gerieten in den letzten Jahren in existenzielle Nöte, während die großen privaten Klinikbetreiber, unter anderem durch Spezialisierung, einen großen Reibach machen konnten. Mit dem öffentlichen Gut der Gesundheitsvorsorge machen heute (reiche) Aktionäre private Kasse. Neben der Verkürzung der Liegedauer war ein weiterer Mechanismus zur Kostensenkung der Personalabbau und Outsourcing. Wo früher 5 Leute in der Frühschicht waren, sind es heute nur noch 3 und unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Reinigung müssen schon seit Jahren für schlechtere Löhne arbeiten. (…) Neben all den Gefahren und bereits bestehenden negativen Auswirkungen der Corona-Krise bietet diese auch eine Chance. Es gilt nun, sich vorzubereiten auf die Zeit nach Corona und dann muss es heißen: Wir wollen mehr! Und so geht es nicht weiter! Für einen Neuanfang im Gesundheitswesen! Denn unter dem Stichwort »systemrelevante Berufe« erfahren besonders die Gesundheitsberufe eine Aufwertung in der öffentlichen Wahrnehmung. Dies gilt es in bare Münze zu verwandeln, das wären vor allem bessere Personalausstattung und bessere Bezahlung. Denn von »Klatschen für die Pflege« können wir nicht unsere Miete bezahlen. Auch wenn wir aktuell keine Versammlungen einberufen können, müssen wir uns stärker vernetzen, um mit neuer Kraft aus der Corona-Krise zu treten. Schon jetzt müssen wir Forderungen formulieren und damit an den Arbeitgeber herantreten, um ihm nicht das Spielfeld zu überlassen. Denn sonst wird die Ausnahmesituation genutzt, um auch zukünftig Arbeitnehmerrechte zu unterlaufen. Längerfristig gilt es auch, für einen Umbau des Gesundheitswesens einzustehen. Wir müssen weg von den Mechanismen der kapitalistischen Verwertungslogik, hin zu einer Gesundheitsversorgung, bei der Patienten und Beschäftigte an erster Stelle stehen. Gesundheit kostet Geld, weg vom Ziel der schwarzen Null!«
Die wichtigsten Forderungen:
- Eine Erschwerniszulage für ALLE Beschäftigten im Krankenhaus von 500 Euro monatlich
- Gesund bleiben am Arbeitsplatz
- Tests nach ungeschütztem Kontakt auf COVID19 für Beschäftigte auch ohne Symptome
- Bereitstellung von genügend Schutzkleidung – nach bisherigen Hygienestandards
- Dienstbefreiung für positiv getestete Beschäftigte
- Ausreichend Ruhezeiten
- Freiwilligkeit als Prinzip bei Versetzungen und Arbeitszeitänderungen
- Sieben zusätzliche Erholungstage, und die Übertragung von Urlaub in das Jahr 2021
Facebook-Beitrag von Özgün Sensebat, Arzt in einer Gefäßchirurgische Gemeinschaftspraxis in Borken und Dorsten
»Mir platzt echt der Kragen! Ich bin seit ca. 20 Jahren als Arzt tätig. In diesen zwei Jahrzehnten habe ich miterleben dürfen, wie das gesamte Gesundheitssystem nach und nach ausgehöhlt wurde. Vollkommen egal, ob man als Arzt, Krankenpfleger, MFA, MTA, MRTA, OTA, etc. tätig war, man durfte stets mehr geben als man erhalten hat. Unser jahrelanges »Gejammer« hat eigentlich niemanden interessiert. Jetzt im Rahmen der Covid-Pandemie wachen Teile der Gesellschaft, eventuell auch die der politischen Entscheider langsam auf. (…) Der gesunde Menschenverstand würde jetzt auf die Idee kommen, dass die politischen Rahmenbedingungen des Gesundheitswesen langfristig angepasst – gar korrigiert werden müssten. Dass der Job attraktiver gemacht wird, die Bedingungen erträglicher, die Bezahlung besser, die Bürokratie weniger. Nicht aber in Düsseldorf, genauer gesagt in der Landesregierung NRW. Hier hat man andere Pläne. Anstatt diese hochmotivierten Menschen mit allen politischen Kräften zu unterstützen, die angesichts der nahenden Krise sich ihrer Verantwortung bewußt sind; Menschen, die trotz der eklatanten Mängel an Schutzmaterialien sich einer Ansteckungsgefahr aussetzen, Menschen, die wissen, dass in den Nachbarländern dutzende Kolleginnen und Kollegen verstorben sind, wird hier in NRW über ein Notstandsgesetz fabuliert. (…) Sag mal, hackt es noch? Wir Menschen im Gesundheitswesen haben schon immer unseren Job getan. Egal, wie die Rahmenbedingungen waren. (…) Jeder, der in der Gesundheitsversorgung tätig ist, hat sich für seinen Beruf entschieden, weil er ein schützender und heilender Teil unserer Gesellschaft sein möchte. Altruismus nennt man das! Jahrelang haben wir Überstunden, Personalmangel, einen läppischen Lohn und eine wahnwitzige, ja absurde Bürokratie ertragen. (…) Wenn dieses Notstandsgesetz so in Kraft treten sollte, beweisen Sie, dass es für menschliche und politische Abgründe keine Grenzen gibt.«
Schlagwörter: Corona, Coronakrise, Coronavirus