Der Befreiungstheologe Ernesto Cardenal ist tot. Ein Rückblick auf sein Leben und seine Ideen im Einsatz für die Revolution. Von Klaus-Dieter Heiser
Ernesto Cardenal ist tot. Er starb ein Jahr, nachdem der Papst den Befreiungstheologen rehabilitiert hatte. Franziskus habe sämtliche Sanktionen gegen ihn aufgehoben, teilte Nuntius Stanislaw Sommertag am 16. Februar 2019 bei einem Besuch am Krankenbett des damals 94-Jährigen mit. 35 Jahre war es Cardenal vom Vatikan wegen seines Engagements für die sandinistische Revolution in Nicaragua untersagt gewesen, als katholischer Priester tätig zu sein.
Die Rehabilitierung Ernesto Cardenals war ein weiterer Schritt des Papstes, das Verhältnis des Vatikans zur katholischen Kirche in Lateinamerika zu normalisieren, auch zu Anhängern der Befreiungstheologie. Als der Papst im Oktober 2018 den 1980 in El Salvador ermordeten Erzbischof Romero heiligsprach, wurde das weltweit bereits als Symbol in diese Richtung gewertet. Einst hatte ihm der Vatikan Unterstützung verweigert.
Leonardo Boff, einer der prominenten Befreiungstheologen, hatte bereits unmittelbar nach der Wahl des Argentiniers Bergoglio zum Papst Franziskus die Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. Boff äußerte voller Hoffnung: »Sie werden sich noch wundern, was Franziskus alles ausrichtet. Dazu braucht es aber einen Bruch der Traditionen. Weg von der korrupten Kurie des Vatikans, hin zu einer Universalkirche. Und zu neuen, zentralen Themen: dem Gefälle von Arm und Reich, der Gerechtigkeitslücke.« Zur Zusammenarbeit kam es dann 2015, als Franziskus für die Umweltenzyklika »Laudato si« Material von Boff anforderte und teilweise in den Text einfließen ließ.
Die Theologie der Befreiung
Der Konflikt zwischen dem Vatikan und den Befreiungstheologen geht bis in die späten 1960er-Jahre zurück. Auf der 2. lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Medellín im August 1968 fand eine kontroverse Debatte zwischen Papst Paul VI. und einer starken Gruppe lateinamerikanischer Bischöfe statt. Während Papst Paul VI. konstatierte, dass revolutionäre Gewalt mit dem Evangelium unvereinbar sei und die katholische Soziallehre das Privateigentum festschreibe, setzten sich die progressiven gegen die konservativen Bischöfe durch, um die Positionierung der Kirche auf der Seite der armen, entrechteten und unterdrückten Bevölkerung festzustellen.
Der Vatikan verfolgte die weitere Entwicklung in der lateinamerikanischen Kirche voller Misstrauen und bekämpfte insbesondere die Befreiungstheologen, die in der Religion eine Motivationsquelle sahen, »sich an dem umfassenden Prozess der Befreiung von jeder Art von Knechtschaft, Elend und Unterdrückung im Hinblick auf menschenwürdige Lebensbedingungen zu beteiligen«.
1984 veröffentlichte der Vatikan die Instruktion Libertatis nuntius, die in der Verantwortung des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation (früher bekannt als Inquisition) Kardinal Ratzinger entstanden war. Sie verurteilte die »Theologie der Befreiung«, weil in ihr die Befreiung aus der politischen Knechtschaft »die wichtigste und ausschließliche Dimension« gemacht werde. Befreiung sei »zuerst Befreiung von der Sünde«.
Aber nicht nur theologisch ging der Vatikan gegen die Befreiungstheologen vor, sondern auch mit den Machtmitteln des Apparates. So ersetzte er zum Beispiel progressive Bischöfe durch konservative, entzog zum Beispiel dem Befreiungstheologen Leonardo Boff die Lehrberechtigung. Ernesto Cardenal wurde die Ausübung des priesterlichen Amtes entzogen, nachdem er in das Amt des Kulturministers in der revolutionären Regierung der Sandinisten in Nicaragua übernommen hatte.
Ernesto Cardenal und die LINKE
Seine konsequente Position zur Revolution in Nicaragua und zur Wirkung der Befreiungstheologie hatte Ernesto Cardenal 2010 als Gastredner auf dem Parteitag der LINKEN so zusammengefasst: »Ich glaube, dass es für die Christen keine andere Option als den Sozialismus gibt. Ich glaube, das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert eines neuen Marxismus und eines erneuerten Christentums werden. Eines marxistischen Christentums.«
In Nicaragua habe es eine marxistische und christliche Revolution gegeben. »Für viele von uns, die wir sie erlebten, war sie vielleicht die schönste Revolution der Welt. Ganz sicherlich war es diejenige, welche die meiste Unterstützung aus aller Welt erhalten hat und die in der ganzen Welt die meiste Sympathie hervorrief. Diese Revolution wurde durch die Intervention der USA zu Fall gebracht, die die Bevölkerung durch Krieg, Wirtschaftsembargo und Blockade dermaßen unter Druck setzten, dass sie in demokratischen Wahlen einen Regierungswechsel herbeiführen konnten.«
»Doch das Schlimmste kam erst danach: Diese Wahlniederlage demoralisierte einen Teil der wichtigsten Revolutionsführer so sehr, dass sie jegliche Moral verloren und sich durch eine Welle der Korruption bereicherten, bevor sie die Macht an die neue Regierung übergaben, wodurch die sandinistische Partei aufhörte, revolutionär zu sein. Aus diesem Grunde sind viele von uns aus der FSLN ausgetreten, und heute sind vielleicht 80 Prozent der Sandinisten nicht mehr in der Partei. Im Ausland meinen heute viele irrtümlicherweise, dass dieselbe wunderbare Revolution jetzt wieder an der Macht ist. In Wahrheit gibt es jedoch keine Revolution, keinen Sandinismus und keine Regierung der Linken.«
Nicaragua brauche weiterhin Solidarität, »doch muss die Solidarität dem Volk gelten und nicht der Regierung, denn in unserem Fall kann man das Volk nicht mit der Regierung gleichsetzen.«
(Foto: DIE LINKE)
Hintergrund über den Niedergang der Revolution in Nicaragua (in englischer Sprache)
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