Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnt angesichts der »Flüchtlingskrise« vor einer Neiddebatte und fordert einen neuen Sozialpakt für alle. Von links wie rechts wird er kritisiert damit selbst eine Neiddebatte loszutreten. Unser Autor Volkhard Mosler schlägt einen anderen Umgang mit Gabriels Vorstoß vor.
»Wenn wir Flüchtlingen – Menschen, die in bitterer Not sind – nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in so bitterer Not sind, das Gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig. Das kann nicht die Meinung des Vizekanzlers sein, vielleicht die eines SPD-Wahlkämpfers.« So reagierte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Ende Februar auf die Forderung des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel nach einem »neuen Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung«. Schäuble untermauerte damit nicht nur die Politik der »schwarzen Null«, sondern unterstellte Gabriel zugleich die Absicht, sich bei denjenigen anzubiedern, die Flüchtlinge für die sozialen Probleme hierzulande verantwortlich machen. Wahlkämpferin Julia Klöckner, CDU-Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz, kommentierte Gabriels Vorstoß: »Das hätte die AfD nicht besser sagen können« und beschuldigte ihn auf »Stimmenfang am rechten Rand« zu gehen.
Auch viele Medien kritisierten Gabriel heftig. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung unterstellte ihm Populismus und »Wohlfahrts-Chauvinismus«. In einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung hieß es gar, der SPD-Chef adele »das Notstandsgebrülle der Hetzbürger zum Fakt, wonach Menschen wegen der Flüchtlinge zu kurz kämen.« Gabriel bediene damit »schamlos rassistische Ressentiments und gefährliches völkisches Gedankengut.« Und auch Mitglieder der LINKEN griffen Gabriel für seinen Vorstoß an. So warf ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Jan Korte, Gabriel verdeckte Hetze vor, mit der er die Schwächsten gegeneinander auszuspielen versuche.
Was hatte Gabriel gesagt? Hat er tatsächlich in das gleiche Horn gestoßen wie die AfD, die Flüchtlinge und Muslime zu Sündenböcken für Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Armut abstempelt?
Mit Rassismus hat Gabriels Forderung nichts zu tun
Der SPD-Chef fordert ein »neues Solidarprojekt« mit Kita-Plätzen für alle, mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau und eine Aufstockung kleiner Renten. Die Menschen müssten merken, »dass ihre Bedürfnisse nicht weiter unter die Räder geraten«. Dafür fordert er gar eine »Abkehr vom strikten Sparkurs der Bundesregierung« und tut dabei so, als sei er in der Opposition. Er gibt zu, dass seine Forderung nach einem »Solidarprojekt«, das die gesamte Bevölkerung umfassen soll, eine Antwort auf den Anstieg rechtspopulistischer und rassistischer Hetze im Zuge der Debatte um Flüchtlinge sei. »In die Gesellschaft hat sich ein Satz gefressen: ›Für die Flüchtlinge macht ihr alles, für uns macht ihr nichts.‹« Dieser Satz sei »supergefährlich«, betont er in nahezu jedem Interview der letzten zwei Wochen. Aber spielt er damit tatsächlich den Rechten, Flüchtlingsgegnern und Islamhassern in die Hände?
Nein, denn mit Rassismus hat Gabriels Forderung nach einem »Sozialpakt für alle« gerade nichts zu tun. Rassistisch sind die Parolen eines Björn Höcke von der AfD, der die Flüchtlinge als Ursache der Wohnungsnot und der Zerstörung »unseres« Sozialstaats ausmacht. Rassistisch ist die Hetze Horst Seehofers gegen den Islam und Flüchtlinge sowie sein Gerede von der »Herrschaft des Unrechts«. Die Rassisten von Seehofer bis Höcke lenken den Hass auf die Flüchtlinge, die sie als Bedrohung für unsere Gesellschaft ausmachen. Gabriel sieht hingegen völlig richtig, dass wir diesen Parolen nur wirksam entgegen treten können, wenn wir auch die sozialen Nöte der gesamten Bevölkerung thematisieren. Dass er, wenn er von der »eigenen Bevölkerung« spricht, von einem »wir« ausgeht, dass Flüchtlinge in diesem Land nicht einschließt, mag Linken übel aufstoßen, macht ihn aber noch nicht zu einem Rassisten.
Gabriels Vorstoß hat zwei Haken
Tatsache ist, dass die Löhne für ein gutes Drittel der Bevölkerung – und dazu zählen nicht nur deutsche Staatsbürger – in den letzten anderthalb Jahrzehnten deutlich gesunken sind und wichtige Sozialleistungen für alle Lohnabhängigen abgeschafft oder massiv beschnitten wurden. Die Wohnungsnot in den Ballungszentren ist ein massives Problem – nicht nur für Flüchtlinge. Deshalb fordern wir: Gleiche soziale und politische Rechte für alle und wenden uns zugleich gegen die Abschottung nationaler oder europäischer Grenzen gegen Menschen in Not.
Allerdings hat Gabriels Ruf nach einem Sozialpakt zwei Haken. Erstens: Mehr Geld für Soziales wäre auch ohne Anstieg der Flüchtlingszahlen schon längst nötig gewesen. Zweitens: Er kommt damit kurz vor den Landtagswahlen in drei Bundesländern raus. Wenn die Forderung mehr sein soll als eine Wahlkampfparole und die übliche Wählertäuschung, dann müssten Gabriel und die SPD jetzt eine Gesetzesinitiative für höhere Renten, mehr Geld für die Kommunen sowie den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und der Kitas in den Bundestag einbringen und zusammen mit den Gewerkschaften und der LINKEN zu Demonstrationen für ein solches Sozialprojekt für alle aufrufen.
Das Problem mit Gabriels Initiative ist nicht, dass er sie damit begründet, dem Gefühl derjenigen entgegenwirken zu wollen, die den rassistischen Parolen einer angeblichen Bevorzugung von Flüchtlingen folgt. Das Problem ist, dass er die rassistischen Hetzer bestärkt, wenn sich seine Initiative im Nachhinein tatsächlich als bloßes Wahlkampfmanöver erweisen sollte.
Ein Antrag im Parlament reicht nicht aus
DIE LINKE sollte Gabriel beim Wort nehmen und von ihm und der SPD die sofortige Umsetzung seiner Forderungen verlangen. Es ist gut, dass die Bundestagsfraktion der LINKEN seinen Vorstoß nun aufgreift, konkretisiert und selbst einen Antrag dazu in den Bundestag einbringt. »Gabriel und die SPD können jetzt in der nächsten Sitzungswoche Farbe bekennen, ob sie es mit ihrem Solidaritätsprojekt ernst meinen oder ob dies alles wieder nur leere Dampfplauderei war, um Wähler zu täuschen«, sagte Fraktionschefin Sahra Wagenknecht.
Wenn der Antrag der LINKEN seinerseits aber mehr sein soll als ein (legitimes) Manöver, um Gabriel und die SPD des Wahlbetrugs zu überführen, dann sollte sie Gabriels Vorschläge ernst nehmen und ihn und die SPD in der Bundesregierung unter Druck setzen, jetzt zu liefern. Ein Antrag auf parlamentarischer Ebene reicht dazu nicht aus.
DIE LINKE müsste eine Kampagne starten mit Aktionen und Infoständen vor Ort, auf denen sie zum Beispiel Unterschriften unter einen offenen Brief an die SPD mit konkreten sozialen Forderungen sammeln könnte. Die Maikundgebungen des DGB böten dazu eine geeignete Plattform. Damit würde DIE LINKE die SPD natürlich noch nicht zu irgendetwas zwingen, aber sie könnte den Druck auf Gabriel und die SPD erhöhen und zeigen, dass es ihr um mehr als deren Entlarvung geht.
Foto: SPD-Schleswig-Holstein
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