Was tun gegen den Rechtsruck? Linke SPD-Mitglieder haben nach der Bundestagswahl die Progressive Soziale Plattform gegründet, um überparteilich Menschen für einen Politikwechsel zu sammeln. Wer dahinter steckt und was ihr Plan ist, beschreibt Johannes Heinen im Interview mit marx21
marx21: Ihr nennt euch Progressive Soziale Plattform. Seid ihr nur eine Internetseite oder steckt mehr dahinter?
Johannes Heinen: Natürlich steckt mehr dahinter. Aber wir wollen nicht alles mit den Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichnern vorgeben, sondern die Leute mitnehmen, die jetzt einsteigen.
Okay. Was versteht ihr denn unter progressiver sozialer Politik?
Darunter verstehen wir, dass die Themen, die die Vielen betreffen, endlich wieder im Fokus stehen. Aus unserer Sicht sind die Verhältnisse aus dem Lot geraten. Die Interessen der Reichen stehen im Mittelpunkt. Das führt dazu, dass Löhne massiv hinter der Produktivität zurück bleiben und Unternehmensgewinne auf den höchsten Stand aller Zeiten ansteigen.
Ihr sagt, mit 5000 Unterstützerinnen und Unterstützern startet ihr die Plattform. Was passiert dann?
Dann werden wir Schritt für Schritt unsere Diskussionen in die Städte tragen, wo sich Leute vor Ort für unsere gemeinsamen Ziele einsetzen können. Wir werden Vernetzung organisieren und gemeinsam Strategien für die Unterbringung von unseren Themen erarbeiten. Dabei ist uns Transparenz besonders wichtig. Wir werden uns aber von Parteien unterscheiden. Wir brauchen weder ein Parteiprogramm noch Personaldebatten. Agendasetting wird im Mittelpunkt stehen.
Meinst du nicht, dass eure Plattform dadurch ziemlich beliebig werden könnte?
Unser Aufruf grenzt die Arbeit thematisch ein auf progressive und soziale Projekte. Wir arbeiten in Hamburg schon einige Zeit auf diese Weise.
Die Erfahrung zeigt, dass Gruppen unter einer gemeinsamen Überschrift in der Lage sind, Debatten loszutreten, ohne sich dabei im Detail einig sein zu müssen. Es soll bei uns auch möglich sein, dass beispielsweise manche positiver über das bedingungslose Grundeinkommen sprechen als andere. Unser Ziel ist ja gerade, die Diskussion zu starten.
Aber es wird auch eine Verständigung darüber geben, wen wir einladen mitzumachen und wen nicht. Rechte und Identitäre wollen wir natürlich nicht dabeihaben.
SPD, Grüne und LINKE sind seit der Bundestagswahl zusammen in der Minderheit. Glaubst du, dass progressive soziale Forderungen mehrheitsfähig sind?
Davon bin ich überzeugt. Diese Themen dringen nur kaum durch. In der Öffentlichkeit sieht es so aus, als ob die Leute sich mehr für innere Sicherheit interessieren als für einen sicheren Arbeitsplatz.
Menschen, die Politik nach Meinungsumfragen machen, vergessen, dass diese durch die geführte Debatte beeinflusst werden. Wäre im vergangen Jahr mehr über soziale Ungleichheit als über Pkw-Maut und Burka-Verbot gesprochen worden, würden viele andere Schwerpunkte setzen.
Wie wollt ihr die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu euren Gunsten verändern?
Wir wollen zunächst die Leute sammeln, die an anderen Kräfteverhältnissen interessiert sind. Derzeit haben sie keine starke Stimme. Wir werden aber keine neue Partei gründen. Wir wollen uns nicht aufspalten, sondern zusammenwirken und die Stimmungslage so beeinflussen, dass unsere Themen politisch mehrheitsfähig werden.
Ihr fordert unter anderem bezahlbare Wohnungen und gerechte Steuern. Wie wollt ihr diese Forderungen gegen die politische Mehrheit der großen Koalition durchsetzen?
Unsere Strategie ist, deutlich zu machen, dass die Politik der Groko auf die drängenden Fragen der Mehrheit keine Antwort hat. Ich glaube, dass das viele so sehen. Aber die engagieren sich nicht in der SPD und nicht in anderen Parteien. Wir wollen diesen Leuten eine Plattform bieten, um gesellschaftlichen Druck zu erzeugen.
Was verstehst du unter gesellschaftlichem Druck?
Eine informierte Masse, die ihre Interessen überall einfordert. In der Schule, an der Uni, im Betrieb und auf der Straße. Wir wollen den Vielen zusätzlich eine Plattform bieten, über die sie noch lauter Forderungen an die Regierenden richten können.
Als Helmut Kohl 1996 die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einschränken wollte, haben Arbeitskämpfe seinen Plan zunichte gemacht. Wo siehst du gesellschaftliche Gegenmacht, die Politik wirklich beeinflussen kann?
Naja, die Arbeitskämpfe mögen in dem einen Fall erfolgreich gewesen sein. Zum Problem wurde aber, dass sich selbst Gewerkschaften den Erzählungen zum globalen Wettbewerb angeschlossen haben. So hat das erste Bündnis für Arbeit und Beschäftigung noch unter Kohl massive Einschnitte in die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beschlossen. Mit dabei waren damals auch Gewerkschaften.
Frankreich ist ein gutes Beispiel, dass die Vielen ihre Interessen gegen neoliberale Angstmacher durchsetzen können. Das Ergebnis: Frankreich ist produktiver als Deutschland und das Lohnniveau orientiert sich an der Produktivität. Wir machen unseren Kolleginnen und Kollegen in Frankreich massiven Konkurrenzdruck durch unseren Niedriglohnsektor. Das muss aufhören. Das bedeutet aber auch, dass wir endlich unseren Job machen müssen und Protest üben. Ich habe das Gefühl, dass wir manches einfach hinnehmen und uns von den Argumenten der Wirtschaftslobbyisten mit beeinflussen lassen.
Wir werden genau dieses Thema mit der Plattform aufarbeiten und aufzeigen und einfach verständlich erklären, warum die Angstmacherei mit Globalisierung und Digitalisierung nichts weiter ist als Lobbyismus der Konzerne.
Ihr verfolgt sicher die Diskussion über eine linke Sammlungsbewegung, die Sahra Wagenknecht angestoßen hat. Ist eure Plattform ein Plagiat?
Nein. Wir haben unser Projekt in Hamburg schon vor drei Jahren gestartet und im letzten Jahr geöffnet. Auch in Berlin führen wir die Diskussion schon länger. Ich finde es aber gut, dass Sahra Wagenknecht etwas Ähnliches anstößt.
Sahra Wagenknecht meint ja, DIE LINKE hätte mehr von der Krise der SPD profitieren können, wenn sie sich die Begrenzung der Zuwanderung auf ihre Fahne geschrieben hätte. Hat sie Recht?
Dass DIE LINKE es nicht schafft, sich ausreichend Gehör zu verschaffen, hat auch damit zu tun, dass konservative Medien es der LINKEN schwer machen. DIE LINKE hat einfach andere Startvoraussetzungen als die SPD.
Was das Thema Zuwanderung angeht: Sahra Wagenknecht beschreibt richtig, dass die Auseinandersetzungen über das Thema zunehmen. Ich diskutiere jetzt mit Freunden über den Islam, mit denen ich letztes Jahr noch über die Gewerkschaften diskutiert habe.
Richtig wäre es aber, argumentativ dagegenzuhalten und nicht den Menschen nach dem Mund zu reden. Wir sind keine Dienstleister, die Menschen fragen, wie wir uns positionieren sollen, sondern wir sind Aktivistinnen und Aktivisten, die sich einmischen. Und wenn wir über Flucht reden, reden wir auch über Klimawandel und Vermögensverteilung.
Wie geht ihr damit um, dass Sozialdemokraten einerseits in der Regierung sind und andererseits bei euch gegen ihre Politik aktiv werden wollen?
Wir werden jede politische Fehlentscheidung aufgreifen und jede Sau durch die Arena treiben. Wir werden Diskussionen zu den Gegenpositionen starten. Wir werden uns dabei auch viele Gedanken dazu machen, wie wir unsere Positionen rüberbringen. Es geht darum, Protest zu organisieren und Inhalte zu vermitteln.
Habt ihr keine Angst, damit die SPD zu spalten?
Die SPD ist doch schon seit der Agenda 2010 gespalten. Das hat nur nie jemand ernsthaft aufgearbeitet. Daran scheint bisher auch kein Interesse zu bestehen.
Der SPD-Parteitag steht vor der Tür. Andrea Nahles kandidiert als Vorsitzende. Kann sie die SPD so aufstellen, wie du dir das vorstellst?
Was sie gerade macht, lässt mich daran zweifeln. Das ist der Grund, warum wir selbstständig dafür sorgen, dass die Themen der Vielen auf die Tagesordnung kommen.
Siehst du Hoffnungsträger unter den anderen Kandidatinnen und Kandidaten?
Wir sind keine Machtströmung in der SPD und organisieren auch keine Gegenkandidatur. Wie setzen den Fokus darauf, die thematischen Debatten zu organisieren. Ich glaube, es war ein Fehler der letzten Jahre, mehr über Personal als über Inhalte zu sprechen. Wir kämpfen um Unterzeichnerinnen und Unterzeichner und darum, dass wir gemeinsam Themen setzen.
Wenn du dir die Entwicklung der sozialdemokratischen Parteien in Europa ansiehst, ist das Bild fast überall noch schlechter als in Deutschland. Es gibt eine Ausnahme: Großbritannien. Was kann die SPD von Jeremy Corbyn lernen?
Wenn man mit dem Zeitgeist des vergangenen Jahrzehnts bricht und zu sozialdemokratischen Kernthemen zurückkehrt, ist ganz schnell eine Mehrheit in der Gesellschaft dabei.
Was glaubst du, wer davon profitiert, wenn es nicht gelingt, in den nächsten Jahren progressive soziale Politik umzusetzen?
Die AfD, die bereits in den Bundestag eingezogen ist. Sie profitiert massiv von sozialer Spaltung und davon, dass ihren Themen so unfassbar viel Gehör geschenkt wird. Die soziale Spaltung war ihr Nährboden.
Ich würde auch die anhaltende Hetze gegen den Islam dazurechnen. Was meinst Du?
Da bin ich ganz bei dir. Diese Hetze hat es nahezu in die Mitte der Gesellschaft geschafft. Brandstifter wie Horst Seehofer senden an alle das Signal aus, es sei vollkommen legitim zu vereinfachen, verallgemeinern und zu hassen.
Ich bin kein Fan irgendeiner Religion und zitiere bei dem Thema meist die zweite Strophe der Internationalen. Fordere aber ich heute in gewissen Kreisen Toleranz ein und verweise auf Religionsfreiheit und auf die vielen Millionen Muslime, die für das Grundgesetz einstehen, wird mir unterstellt eine Islamisierung vorantreiben zu wollen. Es ist kaum noch eine sachliche Debatte, die sich an der Realität orientiert, möglich. In meiner akademischen Großstadtblase bekomme ich das nur selten mit. Anders, wenn ich alte Bekannte in der Heimat besuche.
Wie soll die gesellschaftliche Linke mit der AfD umgehen?
Wir müssen daran arbeiten, die Debatte im Land zu versachlichen und uns immer wieder auf die Fakten beziehen. Wir sollten dabei allerdings nicht den Fehler machen und glauben, die Menschen würden sich jetzt nur noch für innere Sicherheit und das Thema Migration interessieren. Wenn wir es schaffen, die Themen der Vielen in den Fokus zu rücken, werden sich viele nicht mehr bei der sogenannten AfD aufgehoben fühlen, denn diese hat keine Antworten zu sozialen Fragen. Wir müssen das Bild einer solidarischen Gesellschaft der Hetze entgegensetzen und nicht jede Provokation der sogenannten AfD annehmen.
Wie soll die gesellschaftliche Linke auf den Aufruf der AfD zu einer bundesweiten Demonstration am 20. Mai in Berlin reagieren?
Wir erleben in Hamburg jeden Montag einen rechten Aufmarsch unter dem Motto »Merkel muss weg«. Wir rufen als Plattform dazu auf, dagegen zu halten und beteiligen uns an Protesten. Das werden wir am 20. Mai dann bundesweit tun.
(Das Interview führt Jan Maas.)
Zur Person:
Johannes Heinen ist gelernter Bankkaufmann und studiert Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Hamburg. Er stammt aus einem Dorf in der Nähe von Trier, wo er vor 10 Jahren in die SPD eintrat.
Schlagwörter: Agenda 2010, Andrea Nahles, Hartz-IV, Helmut Kohl, Jeremy Corbyn, Linke, Linkspartei, Sahra Wagenknecht, Sozialismus, SPD, Streik