Die ersten drei Landtagswahlen des Jahres endeten mit einem Schock: Die rassistische AfD räumte ab, während DIE LINKE hinter den Erwartungen blieb. Was können wir tun, um die Rechten zu stoppen und aus der Defensive zu kommen? Neun Thesen des Netzwerks marx21
Dies ist ein Vorabdruck aus dem neuen marx21 Magazin (Erscheint am 13. Juni 2016). Bestelle dir bis 6. Juni 2016 ein kostenfreies Leseexemplar nach Hause.
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1. Der Aufstieg der AfD folgt keinem Naturgesetz, das sich aus der kapitalistischen Krise ableitet. Keineswegs muss Verelendung automatisch nach rechts führen. Ebenso wenig ist Rassismus ein bloßes Produkt sozial unsicherer Lebensbedingungen.
Der Rassismus wird von oben geschürt: Von den Sarrazins, den Seehofers und den de Maizières. Sie setzen permanent Vorurteile gegen Muslime und Geflüchtete in die Welt, um von der eigenen Verantwortung für »Flüchtlingskrise« und soziale Spaltung abzulenken.
Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht vertreten – zumindest indirekt – die Ansicht, dass soziale Not plus Zuwanderung zu einem Erstarken von Rassismus und entsprechender Parteien führen. Da die Not in absehbarer Zeit nicht nachlassen wird, stehen sie der Zuwanderung skeptisch gegenüber. Doch das ist kein brauchbarer Ansatz für DIE LINKE. Vielmehr müssen wir sozialpolitische Forderungen (beispielsweise nach Wohnraum für alle, dem Recht auf Kitaplätze und für Mindestrenten) verbinden mit der Forderung nach radikaler Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Selbstverständlich muss die gesellschaftliche Kraft noch wachsen, die diesen Forderungen mit realen Bewegungen Nachdruck verleihen kann. Doch wird das nur gelingen, wenn wir uns nicht auf den Abschottungs- und Begrenzungsdiskurs einlassen.
2. Es gibt eine europaweite Polarisierung – zwischen Rechtsruck und Revolte.
Kampf lautet auch das Stichwort zur Beurteilung der gesamteuropäischen Situation. Wichtig ist, den Aufstieg der AfD in eine Entwicklung einzuordnen, zu der auch die Erfolge des Front National (FN) in Frankreich und der FPÖ in Österreich gehören. Doch sollten wir uns davor hüten, die Situation in Europa lediglich als Rechtsruck zu deuten. Beispielsweise gibt es in Frankreich eine gegenläufige Entwicklung zum Aufstieg des Front National: Der Massenwiderstand der Jugend gegen das Arbeitsmarktgesetz, die daraus folgende »Nuit debout«-Bewegung und die Streiks in den Raffinerien haben den FN aus den Schlagzeilen verdrängt und die wirklichen Frontlinien in der Gesellschaft verdeutlicht, nämlich jene zwischen Reich und Arm.
Ähnlich ist die Situation in Griechenland: Wenn die Kombination aus sozialem Elend und Zuwanderung automatisch zu einem Anstieg des Rassismus führen würde, dann müsste das Land kurz vor einer faschistischen Machtübernahme stehen. Hier trifft das größte Elend des Kontinents auf den größten Migrationsschub. Hinzu kommen der Schock und die Paralyse vieler Linker nach dem Einknicken von Syriza vor den europäischen Institutionen. Trotzdem leben momentan soziale Kämpfen wieder auf, teilweise unter Einbeziehung von Geflüchteten – und schwächen so die Nazis der Goldenen Morgenröte. Klassenkampf ändert offensichtlich die Dynamik einer gesellschaftlichen Situation. Deshalb muss die Antwort der LINKEN auf den Aufstieg der AfD diese Dimension miteinbeziehen.
3. Der Rassismus der AfD richtet sich insbesondere gegen den Islam. Wir müssen deshalb klare Kante zeigen: Religionsfreiheit verteidigen – Nein zur Hetze gegen Muslime!
Nachdem die inhumane und rassistische Abschottungspolitik der Bundesregierung Früchte trägt und kaum noch Geflüchtete nach Deutschland kommen, schwenkt die AfD von einer allgemeinen Antiflüchtlingsrhetorik auf die Hetze gegen Muslime um. Auf ihrem Programmparteitag beschloss sie einmütig, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Die AfD will Minarette, Schleier und Muezzinrufe verbieten. Frauen und Mädchen mit Kopftüchern sollen nicht mehr die Schule besuchen dürfen. Die Partei bezeichnet den Islam als »Fremdkörper«, den man »nicht in Deutschland haben« will. Eine ganze Reihe von Maßnahmen soll das muslimische Leben in Deutschland einschränken und letztlich unmöglich machen. DIE LINKE muss hier unmissverständlich Stellung beziehen: Nicht islamische Symbole bedrohen das friedliche Zusammenleben, sondern soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung. Die AfD hetzt gegen den Islam und meint alle, die für eine offene, solidarische und plurale Gesellschaft stehen.
4. Die AfD ist keine faschistische Partei, hat jedoch einen faschistischen Flügel, der immer stärker wird.
»Spiegel Online«-Kolumnist Jan Fleischhauer meint, die Gefahr, die von der AfD ausgehe, werde übertrieben. Wie einst bei den Grünen würden die »radikalen« Elemente in der Partei irgendwann gezähmt. Doch eine solche Sichtweise ignoriert, dass gegenwärtig eher das Gegenteil der Fall ist und sich ein neofaschistischer Flügel in der AfD festsetzt. Angeführt von Björn Höcke und Alexander Gauland öffnet er rassistischen und faschistischen Kräften die Tore. So gab es bereits massenhafte Übertritte aus der rechtsextremen Partei Die Freiheit zur AfD, auch ehemalige Mitglieder der NPD haben ihr Tätigkeitsfeld auf die AfD verlagert.
Abgeordnete der AfD verbreiten Naziparolen und hetzen gegen Andersdenkende. So zeigte Gauland beispielsweise Verständnis dafür, dass Nazis eine Maikundgebung des DGB in Zwickau sprengten. Bei einer Kundgebung in Erfurt am 18. Mai forderte der Berliner AfD-Kandidat Andreas Wild, Flüchtlinge in entlegenen Regionen in Lagern aus Bauholz unterzubringen »wo nicht jeder rein oder raus darf«. Er fügte hinzu, es genügten »ein paar Quadratkilometer Heide«, was eine unverhohlene Anspielung auf Konzentrationslager in der Lüneburger Heide während der NS-Zeit war. Die Partei ist mittlerweile zu einem Sammelbecken von Nazikadern geworden. Sie verfolgen das Ziel, die verschiedenen, bisher eher auseinanderstrebenden Teile des rechtsextremen Spektrums in einer neuen Partei zu bündeln, sie zum parlamentarischen Erfolg zu führen und so die gesamte rechte Bewegung zu stärken.
5. Wir müssen den Naziflügel der AfD demaskieren, um die Partei in eine Krise zu treiben.
Der Aufstieg der AfD ist noch aufzuhalten, dafür bedarf es aber einer Kraftanstrengung. Notwendig ist es, mit Argumenten und auf der Straße gegen die Partei vorzugehen.
Die 24 Prozent, die in Sachsen-Anhalt AfD gewählt haben, verfügen größtenteils über kein geschlossenes rassistisches oder gar faschistisches Weltbild. Die AfD selbst ist keine geschlossene Einheit, sondern ein Amalgam aus vielen Mitläufern und einem sich zunehmend radikalisierenden Kern. Hier können wir mit guten Argumenten den Keil ansetzen: Wir müssen den neofaschistischen Kräften die konservative Maske abreißen und sie so von Mitläufern und Wählern isolieren.
Die AfD darf nicht einfach als eine besonders rechte Partei angesehen werden, die aber zum neoliberalen Spektrum gehört. Voraussetzung für eine effektive und breite Mobilisierung gegen die AfD ist, dass die Gefahr verdeutlicht wird, die von dieser Partei für eine solidarische Gesellschaft ausgeht: Durch zunehmende Straßenmobilisierungen versucht der faschistische Flügel eine Bewegung aufzubauen, die zu einer Bedrohung für alle werden kann, die nicht in sein völkisches Weltbild passen.
6. Aufstehen gegen Rassismus: Breit aufgestellte Aktionsbündnisse gegen AfD und neue Nazis sind nötig – auch unter Beteiligung von SPD und Grünen.
Allein als Linkspartei werden wir die Kraftanstrengung, die AfD zu stoppen, nicht bewältigen können. Wir benötigen ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen die rassistische Partei. Das Potenzial dafür ist durchaus vorhanden. Es speist sich unter anderem aus einer antifaschistischen Haltung, die in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs besteht. Getragen wird sie von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wie den Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Flüchtlingsorganisationen, Vereinigungen von Künstlerinnen und Künstlern, verschiedenen ASten sowie Schülerinnen- und Schülervertretungen. Auch reformistische Parteien wie SPD und Grüne stehen hinter diesem Konsens.
Bei allen sonstigen Differenzen wünschen sich viele Mitglieder und Anhänger der Sozialdemokratie ein entschlossenes Vorgehen gegen die rassistische Welle und wären bereit, sich aktiv daran zu beteiligen. Das gilt insbesondere für den gewerkschaftlichen Bereich, in dem die Sozialdemokratie nach wie vor hegemonial ist. Größere Teile der Gewerkschaften werden wir aber nur für eine Aktionseinheit gewinnen, wenn wir nicht gleichzeitig versuchen, die Sozialdemokratie auszugrenzen. Zudem werden wir das sozialdemokratische Milieu nur in Aktivität einbeziehen können, wenn wir ein solches Aktionsangebot auch an die Führung der SPD richten. Wir haben die Pflicht, alle unsere Kräfte zu mobilisieren, um den Nazis auch dieses Mal den sicher geglaubten Zwischensieg, nämlich den Einzug in den Bundestag im Jahr 2017, zu verstellen.
7. Eine sozialistische Antwort auf die rechte Gefahr kann sich nicht in einer Mobilisierung gegen die AfD erschöpfen.
Viele Anhänger der LINKEN mahnen, dass zum Kampf gegen die AfD auch die Beantwortung der »sozialen Frage« gehört, also der Kampf gegen Verelendung und den Abbau der sozialen Sicherheitssysteme. Den daraus folgenden Unmut und die nachlassende Unterstützung für das politische System lenken die Nazis auf vermeintliche Sündenböcke ab: Muslime und Zuwanderer. Daher ist es wichtig, hier an die Wurzel zu gehen. Auf dem Papier vertritt DIE LINKE viele richtige Forderungen. Doch das ändert an der realen Situation erst mal wenig. Die entscheidende Frage ist daher, wie sie umgesetzt werden können. Das hat die Partei bislang weder in Regierungsverantwortung noch in Opposition geschafft. Stattdessen müssen hinter den Forderungen der LINKEN reale Kräfte gruppiert werden, also jene Menschen, die sich schon jetzt für besseren Wohnraum, einen guten öffentlichen Dienst oder andere soziale Verbesserungen einsetzen.
DIE LINKE muss sich also in die sozialen Kämpfe werfen – auch gegen die Verantwortungsträger bei der SPD, gegen die eine solche Politik durchzusetzen ist. Ein linkes Bonmot lautet: »Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten.« Wirklich sichtbar wird das aber erst im Kampf, in der Bewegung, wenn oben und unten aufeinanderprallen. Dieser Kampf ist zurzeit in Deutschland nicht sehr ausgeprägt, aber es gibt ihn. Beispielsweise versuchen Belegschaften verschiedener Krankenhäuser nach dem Vorbild der Berliner Charité bessere Pflegebedingungen zu erkämpfen. Diese Bewegungen nach Kräften zu unterstützen, ist schon aus sich heraus wichtig, stellt aber auch einen Beitrag im Kampf gegen rechts dar.
8. Aktions- statt Regierungsbündnis: DIE LINKE muss in unterschiedlichen Bündniskonstellationen agieren und gleichzeitig den antirassistischen Kampf mit der sozialistischen Perspektive verbinden.
In der gegenwärtigen Debatte über das Verhältnis von Antirassismus zu sozialer Frage existieren in der LINKEN zwei Extrempositionen. Die eine wird unter anderem von Sevim Dagdelen vertreten. Sie spricht sich gegen Anti-AfD-Bündnisse mit SPD und Grünen aus, weil es gelte, der Rechten durch ein »Bündnis gegen Neoliberalismus« den Nährboden zu entziehen. Diese Orientierung unterschätzt zum einen die Gefahr, die von den Rechten ausgeht. Zum anderen bleibt sie abstrakt, weil weder konkrete Ansatzpunkte noch Partner für das Bündnis gegen Neoliberalismus benannt werden.
Die zweite Extremposition setzt auf eine Anpassung an die etablierten Parteien. Exponiertester Vertreter dieser Strategie im Kampf gegen rechts ist Gregor Gysi. Nach den Landtagswahlen vom März sprach er sich dafür aus, dass sich DIE LINKE für Regierungsbündnisse mit der CDU öffnen solle. Aktuell schlägt er vor, die Partei solle sich mit SPD und Grünen auf einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten einigen.
Während Sevim den Antirassismus dem Kampf gegen den Neoliberalismus unterordnet, plädiert Gregor quasi für das Gegenteil: Er möchte das soziale Profil der LINKEN zugunsten einer Regierungskoalition gegen rechts schwächen. Doch eine Beteiligung der LINKEN an solchen parlamentarischen Bündnissen würde die gesellschaftliche Rechtsentwicklung eher noch verschärfen.
Wir meinen hingegen: Die Ablehnung des Neoliberalismus darf nicht Vorbedingung für ein Bündnis gegen die AfD sein. In den gemeinsamen Aktivitäten gegen die AfD müssen wir jedoch auch unsere Argumente zum Zusammenhang von Kapitalismus und Rassismus ebenso vorbringen wie unsere Kritik an der Regierungspolitik der anderen Parteien. Umgekehrt müssen wir in soziale Bewegungen auch antirassistische Argumente hereintragen. Wir müssen also lernen, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.
9. DIE LINKE muss sich Rechenschaft darüber ablegen, warum ihr die AfD mit so großer Leichtigkeit die Planstelle der Anti-Establishment-Opposition abnehmen konnte. Sie muss wieder als radikale Opposition gegen Kapital und herrschenden Politikbetrieb erkennbar werden.
Die Repräsentanten unserer Partei können für ihre öffentliche Auftritte viel von zwei waschechten Sozialdemokraten lernen, nämlich dem US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders und dem neuen Vorsitzenden der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn. Sanders artikuliert von links die große Unzufriedenheit, die Millionen Amerikaner mit dem Status quo haben. Auf diese Weise ist er jener Anti-Trump, der Hillary Clinton als Teil des Establishments nie sein kann. Corbyn wiederum hat in seiner jahrzehntelangen politischen Biografie stets an der Seite von Bewegungen und Kampagnen gestanden. Dementsprechend war seine Glaubwürdigkeit der wesentliche Faktor für seine Wahl als neuer Labour-Parteivorsitzender. Seitdem hat die Partei 190.000 neue Mitglieder gewonnen und die Mitgliederschaft fast verdoppelt.
Die Kernaussage von Corbyn und Sanders an ihre jeweiligen Anhänger lautet: Verlasst euch nicht auf Parteien und Parteiführer, sondern werdet selbst für eure Interessen tätig. Wie auch immer sich ihre politischen Projekte entwickeln werden, steckt in den Appellen die richtige Idee, dass Parteien nicht stellvertretend für die Menschen Veränderung erwirken können.
Die linken Parteien, die wir brauchen, müssen vielmehr Katalysatoren für gesellschaftliche Kämpfe sein und Hilfe zur Selbsthilfe beim Aufbau von Widerstand leisten. Es müssen also Protestparteien sein – aber nicht in dem Sinne, dass sie passiv die bestehende Unzufriedenheit widerspiegeln, sondern in jenem, dass sie Organisatoren eines Protests werden, der kapitalistische Ungerechtigkeit bekämpft.
Genau diesen Gedanken haben Katja Kipping und Bernd Riexinger in ihrem jüngsten Strategiebeitrag aufgenommen. »Die Partei DIE LINKE sieht sich nicht als Stellvertreterpartei, sondern als Organisation, die den Menschen in ihren Kämpfen für höhere Löhne und soziale Rechte, mehr Demokratie und Klimagerechtigkeit nützlich ist«, schreiben sie. »Unser Ziel ist es, schrittweise zu einer kampagnenfähigen und aktiven Mitgliederpartei zu wachsen. Also nicht nur Menschen eine Stimme zu geben, sondern sie zu ermutigen, selbst die Stimme zu erheben.«
Das ist auch unseres Erachtens die richtige Grundlinie. Es gilt, sie jetzt mit Leben zu füllen.
Schlagwörter: AfD, Islam, Linke, Rassismus, Strategie