Die Pegida-Aufmärsche sind ein Produkt des antimuslimischen Rassismus der bürgerlichen Mitte und der zunehmenden sozialen Polarisierung in Deutschland. Es ist kein Zufall, dass gerade Sachsen das Epizentrum der Bewegung ist. Von Yaak Pabst
Es sieht so aus, als sei Pegida als Massenbewegung auf der Straße vorerst gestoppt. Das ist vor allem der spontanen Gegenbewegung von Zehntausenden zu verdanken, die sich den »-gida«-Aufmärschen in vielen Städten in den Weg stellten. Auf dem Höhepunkt der Gegenmobilisierungen protestierten bundesweit Hunderttausend Menschen gegen die islamfeindlichen Aufmärsche.
Klare Worte gegen rassistische Mobilisierung
Besonders wichtig waren die Gegenproteste in Dresden und Leipzig, an denen jeweils Zehntausende teilnahmen. Bei der Dresdener Kundgebung am 26. Januar fand der Musiker Herbert Grönemeyer erstaunlich klare Worte: »Wenn mal wieder eine religiöse Gruppe für vielschichtigste, teilweise diffuse Befürchtungen als Sündenbock und Zielscheibe ausgemacht wird, ist das eine Katastrophe! Das ist absurd, gemein, zutiefst undemokratisch, unrecht und das geht gar nicht! Dort waren wir schon mal und dort wollen wir nicht mehr hin.«
Grönemeyer sprach aus, was bei der Suche nach Gründen für den Aufstieg der Pegida-Bewegung selten genannt wird: Antimuslimischer Rassismus ist in Deutschlands mehrheitsfähig. Seit dem 11. September 2001 stilisieren Politikerinnen und Politiker der etablierten Parteien ebenso wie ein Großteil der Medien »den Islam« als Feindbild, indem sie ihn gezielt mit negativen Schlagworten wie Terrorismus, Frauenunterdrückung, Homophobie oder Antisemitismus in Zusammenhang bringen.
Diese gezielt verbreiteten Vorurteile haben über Jahre den Boden bereitet, auf dem Pegida nun wachsen konnte. Die Politprominenz wurde zur Stichwortgeberin für die rassistischen Demonstrationen. Nicht nur einmal waren hier Slogans wie »Lesen sie doch mal Buschkowsky« oder »Sarrazin statt Muezzin« zu hören.
Die Pegida-Aufmärsche waren neben den Pogromen gegen Asylbewerberinnen und Asylbewerber Anfang der 1990er Jahre und den jährlichen Naziaufmärschen in Dresden die größte rassistische Mobilisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auf dem Höhepunkt der Bewegung marschierten über mehrere Wochen Tausende auf den Straßen.
Die extreme Rechte in Sachsen schürt Ängste
Warum war aber gerade in Sachsen die Bewegung so stark? Zahlreiche Medien führten als Argument an, dass der Anteil von nur 0,4 Prozent Muslimas und Muslimen in Dresden es ermögliche, Ängste vor dem vermeintlich Unbekannten zu schüren. Das ist sicherlich richtig, aber nur ein Teil der Erklärung. Denn in anderen Gegenden Deutschlands leben ebenfalls nur wenige Muslimas und Muslime, ohne dass Pegida dort Tausende in ihren Bann ziehen konnte. Dass Sachsen das Epizentrum der Bewegung war, hängt auch mit der Stärke der dortigen extremen Rechten zusammen. In der »Süddeutschen Zeitung« schreibt Heribert Prantl: »Sachsen, einst Wiege der roten Sozialdemokratie, ist heute das konservativste und rechteste deutsche Bundesland.« Auch eine Studie der Technischen Universität Dresden kam im Jahr 2010 zu dem Schluss, dass Sachsen als »Hochburg der NPD und rechtsextremer Strukturen« bezeichnet werden könne.
Tatsächlich konnte sich die NPD mehr als ein Jahrzehnt lang in Sachsen über Umfrage- und Wahlergebnisse freuen, die deutlich über fünf Prozent lagen. Im Jahr 2004 zog sie sogar mit einem Rekordergebnis von 9,2 Prozent der Stimmen in den Landtag ein.
Bei der letzten Landtagswahl im vergangenen August verfehlte sie zwar mit 4,9 Prozent (81.060 Stimmen) denkbar knapp den Einzug, es fehlten 800 Stimmen. Dafür erzielte aber die AfD aus dem Stand heraus 9,8 Prozent, womit sie in die Nähe des SPD-Ergebnisses kam (12,4 Prozent). Jeder siebte Wähler gab also seine Stimme entweder der nationalistisch-rassistischen AfD oder den Neonazis von der NPD.
Freilich spielte die NPD bei den Aufmärschen in Dresden oder Leipzig nie die erste Geige. Doch Kader der Partei sowie der Kameradschafts- und rechten Hooliganszene waren immer vor Ort und bildeten eine wichtige Stütze für die Bewegung. Das Neue war jedoch, dass die Aufmärsche in Sachsen weit in die Bevölkerung ausgreifen konnten.
Zunehmende Prekarisierung und Angst vor dem sozialen Abstieg
Was treibt Menschen, unter ihnen ebenso Arbeiterinnen und Arbeiter wie selbstständige Gewerbetreibende, in die Arme einer rassistischen Bewegung? In seinem Artikel »Die große Aggressionsverschiebung« argumentiert der Wirtschaftswissenschaftler Herbert Schui: »Tatsächlich geht es nicht einfach gegen den Islam. Er ist der Ersatz für den eigentlichen, den objektiven Gegner. Wir haben es hier, so ist zu vermuten, mit einer Verschiebung, auch Aggressionsverschiebung zu tun. Das eigentliche Motiv für die Demonstrationen (…) ist die Vorstellung einer allgemeinen Bedrohung, nämlich durch Arbeitslosigkeit, niedrige Renten, Armut allgemein.«
Ein Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung und die gesellschaftliche Struktur in Sachsen belegt diese Einschätzung. Von 1990 bis 2004 galt das Land als das Bayern des Ostens: wirtschaftlich stark, politisch stabil konservativ. Seit der Wende setzten die Regierungen des Landes in der Wirtschaftspolitik auf Leuchtturmprojekte. Das bedeutete, dass sie hauptsächlich exportintensive Unternehmen förderten und sich auf bestimmte regionale Zentren konzentrierten.
Die Region Dresden sollte sich beispielsweise als internationales Zentrum der Chipproduktion etablieren. Rund 1,7 Milliarden Euro ließ sich der Freistaat die Ansiedlung von Firmen wie AMD, Infineon oder Qimonda im »Silicon Saxony« im Laufe der Jahre kosten. Tatsächlich wurde das Dresdener Umland zu einem der fünf weltweit größten Standorte der Halbleiterindustrie. Doch als es in dieser Branche zu einer Krise kam, führten die rund 750 Mikroelektronik- und IT-Unternehmen mit mehr als 40.000 Beschäftigten Massenentlassungen durch. Die Qimonda-Pleite steht beispielhaft für das Scheitern dieser Wirtschaftspolitik. Trotz der Förderung mit mehreren hundert Millionen Euro mussten die Bosse des Unternehmens im Jahr 2011 Insolvenz anmelden. Die Folge: 2200 der insgesamt 2750 Dresdner Beschäftigten wurden entlassen.
Hinter der schönen Fassade des »Silicon Saxony« kam der hässliche Geist des Kapitalismus zum Vorschein. Zwar blieb die Zahl der Beschäftigten seit Beginn der Krise im Jahr 2009 stabil und stieg 2013 sogar leicht auf 1,98 Millionen an.
Doch prekäre und nicht existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse (wie Ein-Euro-Jobs, Mini- und Midijobs, Leih- oder Zeitarbeit, Werkvertrags- und Werkvertragsleiharbeit, Scheinselbstständigkeit) prägen immer größere Teile des Arbeitsmarktes. Inzwischen arbeitet etwa ein Drittel der Erwerbstätigen in derartigen Beschäftigungsformen. Gleichzeitig sind immer mehr Jobs befristet (im Jahr 2012: 46 Prozent der Neueinstellungen) und seit Jahren stagnieren die Löhne und Gehälter. Die durchschnittliche Entlohnung liegt in Sachsen mit 2240 Euro brutto unter dem Durchschnitt der ostdeutschen Bundesländer (2350 Euro; im Westen: 3391 Euro). Damit liegt Sachsen sogar noch hinter Mecklenburg-Vorpommern.
Sachsen ist zum Armenhaus der Bundesrepublik geworden. Laut »Sächsischer Zeitung« ist hier der Anteil der Geringverdiener im bundesweiten Vergleich »mit am höchsten«. So gehören 330.000 Menschen (23 Prozent) der Vollzeitbeschäftigten zu den Geringverdienern. 18,9 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Laut dem Armutsbericht 2013 gehört Sachsen nach wie vor zu den fünf Bundesländern mit der höchsten Armutsgefährdung.
Zugleich ist der Gegensatz zwischen Arm und Reich in Sachsen und speziell in der Region Dresden stark wahrnehmbar. Die Menschen dort empfinden ihn nicht nur als besonders ungerecht, sondern er schürt auch die Verunsicherung. Die Angst vor dem sozialen Abstieg erzeugte bei den Pegida-Teilnehmenden antidemokratische und rassistische Ressentiments. Dass die Rechte in Sachsen für diese Menschen zu einem Anziehungsspunkt wurde, hängt aber auch mit der Schwäche der LINKEN zusammen.
Wählerverlust der sächsischen Linken
Aufschlussreich ist das Wahlergebnis der Linkspartei, die in Sachsen die zweitstärkste Partei ist. Bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr rutschte sie von 20,6 auf 18,9 Prozent ab. Die Statistik über die Wählerwanderung zeigt, dass etwa 15.000 ihrer Wählerinnen und Wähler zur AfD wechselten und 2.000 zur NPD. Weitere 13.000 kehrten der Partei den Rücken und gingen ins Lager der Nichtwähler über. Gemessen in absoluten Stimmen erreichte DIE LINKE ihr zweitschlechtestes Landtagswahlergebnis und das drittschlechteste Wahlergebnis im Freistaat überhaupt (ohne Kommunalwahlen). In absoluten Stimmen verlor die Partei seit 1999 insgesamt 170.749 Wählerinnen und Wähler, das entspricht einem Rückgang um mehr als ein Drittel.
Der Verlust ist umso dramatischer, als die sächsische LINKE gar nicht an der Regierung beteiligt war, sondern als größte Oppositionspartei agierte. Doch die dortige Parteiführung um Rico Gebhardt ist auf Anpassungskurs und verhielt sich mehr als »Regierung im Wartestand« denn als echte sozialistische Oppositionspartei. In einer Wahlanalyse schreiben Benjamin-Immanuel Hoff und Horst Kahrs: »Gebhardts Wahlstrategie bestand von Beginn an darin, DIE LINKE als ernsthafte Regierungsalternative langfristig zu positionieren. (…) Gleichzeitig vermied die Partei einen Wahlkampf, der darauf abzielte, die Situation des Freistaates in den schwärzesten Farben zu zeichnen«.
Auch um das Thema Rassismus machte DIE LINKE im Wahlkampf einen Bogen: Trotz der bekannten Stärke der extremen Rechten und der Hetze der AfD gegen Flüchtlinge und Muslime produzierte sie keine explizit antirassistischen Plakate oder Flugblätter. Stattdessen war die Parteiführung sehr um ein respektables und bürgerliches Ansehen bemüht.
Hinzu kommt: Führende Vertreterinnen und Vertreter der sächsischen Linkspartei waren in den vergangenen Jahren an der Durchsetzung der Schuldenbremse beteiligt. Trotz massiver Proteste der Parteibasis stimmten elf der 27 LINKEN-Abgeordneten im sächsischen Landtag einer Änderung der Landesverfassung zu, die die Schuldenbremse verankert und jede Neuverschuldung verbietet. Bereits im Jahr 2006 war die damalige PDS im Dresdner Stadtrat ähnlich gespalten, als es um die Privatisierung des städtischen Wohnungsbestands ging. Letztendlich stimmte die Mehrheit der Fraktion für den Verkauf von 48.000 städtischen Wohnungen an die US-amerikanische »Heuschrecke« Fortress Investment Group. Die politische Orientierung auf eine Regierungsübernahme hat dazu geführt, dass DIE LINKE in Sachsen nicht als eine Alternative zu den etablierten Parteien wahrgenommen wird – und sich Zehntausende Wählerinnen und Wähler in den letzten Jahren von ihr abwandten. Pegida befindet sich zwar im Niedergang, aber die Gefahr ähnlicher Bewegungen von rechts ist nicht gebannt.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Pediga groß gemacht haben, sind noch immer dieselben. Weil im globalen Rahmen das Feindbild »Islam« die Kriege des Westens rechtfertigen soll, wird der Rassismus von oben, die Hetze gegen Muslime weitergehen. Auch wenn die Teilnehmerzahlen an den Pegida-Aufmärschen zurückgehen, ist davon auszugehen, dass die organisierte Naziszene verstärkt auf Gewalt gegen Muslimas, Muslime und Geflüchtete setzt. Ohnehin ließ sich seit Beginn der Bewegung eine Steigerung fremdenfeindlicher Angriffe um 130 Prozent feststellen. Pegida habe ein Klima entfesselt, das Gewalt will, bewertet der Rechtsextremismusexperte Hajo Funke diese Entwicklung. Die extreme Rechte wird versuchen, an dem Erfolg von Pegida anzuknüpfen.
Die Debatte, wie DIE LINKE mit der Post-Pegida-Situation umgehen soll, ist in vollem Gange. Volker Külow, Ekkehard Lieberam und Dietmar Pellmann, drei langjährige Parteimitglieder aus Leipzig, haben den lesenswerten Artikel »In die Offensive kommen – Pegida und die Aufgaben der Partei DIE LINKE« verfasst. Sie schreiben: »Wir sind der Überzeugung, dass ohne eine politische Offensive der Linkspartei gegen die wachsenden Kriegsgefahren und gegen die neoliberale Politik ein weiteres Anschwellen reaktionärer Bewegungen zu befürchten ist, egal unter welchem Namen diese Bewegungen künftig auch auftreten werden«.
Dieser Einschätzung ist zuzustimmen. Es bedeutet, dass DIE LINKE ihr Profil als Protestpartei nicht weiter aufweichen darf. Anknüpfungspunkte für den Widerstand gegen die neoliberale Umstrukturierung der Gesellschaft gibt es genug – auf kommunaler Ebene der Kampf gegen steigende Mieten, auf Länderebene der Protest gegen Stellenabbau im öffentlichen Dienst oder auf Bundesebene der Widerstand gegen die Aufweichung des Mindestlohns, für gleiche Löhne für Frauen oder gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie bei Amazon oder Burger King.
Die LINKE muss auch ihr antirassistisches Profil schärfen.
Die Partei braucht Plakate, Flugblätter und Zeitungen gegen die wachsende Islamfeindlichkeit und den Rassismus gegen Flüchtlinge, für Stadtviertel, Betriebe, Schulen und Universitäten. Was DIE LINKE hingegen nicht in die Offensive bringen wird, ist, dem »rechten Wutbürgertum« hinterherzulaufen. Vielmehr muss sie verhindern, dass rechte Bewegungen oder Parteien mit rassistischen Parolen in die Arbeiterklasse ausgreifen und dort DIE LINKE verdrängen. Diese Gefahr ist real: Bei den letzten Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen wählten zusammengerechnet 379.000 Personen die AfD – 51.000 davon hatten zuvor noch für DIE LINKE votiert.
Foto: strassenstriche.net
Foto: strassenstriche.net
Schlagwörter: Antimuslimischer Rassismus, DIE LINKE, Pegida