Die berechtigte Kritik am türkischen Präsidenten Erdogan wird in Deutschland für rassistische Stimmungsmache gegen Türkinnen und Türken missbraucht. Von Christine Buchholz
Der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Volker Kauder, spricht sich dafür aus, den Einfluss der Türkisch-Islamischen Union für Religionsfragen e.V. (DITIB) einzuschränken: »Meines Erachtens sollte man es nicht zulassen, dass ein Verband wie DITIB, der offenbar Sprachrohr von Präsident Erdogan ist, den islamischen Religionsunterricht in Schulen gestaltet.« Kauder forderte bereits vor Monaten, Moscheen staatlich zu kontrollieren. CSU-Generalsekretär Scheuer will ein Islam-Gesetz, das die Rechte von Muslimen einschränkt.
DITIB als Kooperationspartner im Religionsunterricht
In das gleiche Horn blasen Politiker von SPD und Grünen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer setzt die Gespräche mit DITIB über Religionsunterricht aus. Nach dem Putschversuch in der Türkei wolle sie sich zunächst ein umfassendes Bild über die neue Situation verschaffen, so Ministerpräsidentin Dreyer. Grünen-Chef Cem Özedemir erklärt: »Wenn wir unsere Schulen für muslimischen Religionsunterricht über DITIB öffnen, lassen wir zu, dass Erdogans Ideologie im Unterricht in unserem Land verbreitet wird. Das finde ich unerträglich.«
In Niedersachsen entschieden die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen und die oppositionelle FDP, die Verhandlungen der Regierung mit der DITIB unverändert zu unterstützen. »Wir setzen auf Zusammenhalt, die CDU offenbar auf Spaltung«, sagte SPD-Fraktionschefin Johanne Modder. Die Fraktionen stützen sich auf ein aktuelles Gutachten, nach dem DITIB alle »verfassungsrechtlichen Voraussetzungen« erfülle, die ein Kooperationspartner für den Religionsunterricht erfüllen müsse. Aufgrund der anstehenden Kommunalwahlen gab die Regierung dem Druck der CDU nach und verschob die Entscheidung.
Hessen hat als erstes Bundesland 2013/14 den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht eingeführt. Der Kultusminister Alexander Lorz (CDU) sagte im Juni über die Zusammenarbeit mit der Türkisch-Islamischen Union: »Es gibt keinerlei Versuche einer unbotmäßigen Einflussnahme.« »Die Kooperation läuft bis jetzt reibungslos und einwandfrei.« Die Lehrerinnen und Lehrer für den Islamischen Religionsunterricht in Hessen müssen in Deutschland studiert und Examen gemacht haben. Der Islam-Unterricht finde zudem auf Deutsch nach staatlich anerkannten Curricula statt.
Eine Karikatur der Arbeit von Moscheegemeinden
Die Debatte über DITIB ist nach dem Putschversuch in der Türkei und der darauf folgenden Repression entstanden, weil der Verband finanziell von der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstützt wird, denn Diyanet bezahlt 970 Imame für Moscheen in Deutschland. Allerdings haben Moscheen dann häufig noch zusätzlich Imame aus ihrer Gemeinde. Die Gemeinden wählen ihre lokalen und landesweiten Vorstände. Die Vorstellung, dass DITIB eins zu eins Erdogans Politik an die Gläubigen durchstellt, ist eine Karikatur der Arbeit vieler Gemeinden. Zum Beispiel ist die Berliner Şehitlik-Moschee fest eingebunden in ein Netz verschiedener lokaler Initativen. So gibt es eine Kooperation mit der jüdisch-muslimischen Initative Salaam-Schalom. Der Vorstand der Moscheegemeinde, Ender Cetin, ist aktiv im Stadtteil und setzt sich in seiner Gemeinde aktiv gegen Homophobie ein.
Interessanterweise macht gerade die Erteilung von Religionsunterricht an deutschen Schulen DITIB finanziell indirekt etwas unabhängiger vom türkischen Staat, weil der deutsche Staat die Religionslehrerinnen und -lehrer dann bezahlt – wie in Hessen.
Gleichberechtigung der Religionen
Die LINKE sollte die Bundesregierung dafür kritisieren, dass sie Erdogans Unterdrückung von Kurden, Gewerkschaftern, Journalisten und Linken unterstützt – in dem sie Waffen liefert, die Bundeswehr in der Türkei stationiert und das Verbot der PKK aufrechterhält. Die LINKE sollte aber Kritik an der Politik von Merkel und Erdogan von dem Recht der türkischen Minderheit in Deutschland auf Glaubensfreiheit und freie Religionsausübung trennen.
Genauso nutzt Erdogan zwar die Frage der Visafreiheit für seine Zwecke, aber die Visapflicht für Türkinnen und Türken schadet nicht Erdogan, sondern denjenigen, die ihre Verwandten hier besuchen wollen oder vor Unterdrückung Schutz suchen. Deshalb muss die Visapflicht aufgehoben werden.
Es wäre falsch, die Vereinbarungen mit dem Moscheeverband DITIB zu kündigen bzw. die Verhandlungen auszusetzen wie in Rheinland-Pfalz. Das widerspricht der Gleichberechtigung der Religionen und der Religionsfreiheit.
Die LINKE tritt für einen Schulunterricht ein, der das Wissen über Religionen vermitteln und die wechselseitige Toleranz der Glaubensgemeinschaften fördern soll. Das ist angesichts einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft angemessen. Im Programm der LINKEN heißt es zudem: »Der Unterricht ist im Rahmen des Bildungsauftrags des Staates durch staatlich anerkannte Lehrkräfte zu leisten, unabhängig von kirchlicher oder religionsgemeinschaftlicher Einflussnahme.«
Allerdings ist eins wichtig: solange Kirchen und andere Religionsgemeinschaften das Recht haben, Religionsunterricht zu erteilen, müssen alle Religionsgemeinschaften dieses Recht haben, auch Muslime als drittgrößte Glaubensgemeinschaft in Deutschland. Dies ist kein Privileg, sondern ein Grundrecht nach Artikel 3.3 GG, wonach »niemand wegen seines Glaubens … benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Die Ungleichbehandlung von Muslimen beim Religionsunterricht stärkt deren Ausgrenzung und ist Wasser auf die Mühlen von Pegida, AfD und anderen Rassisten.
Rassismus gegen Türkinnen und Türken
Gerade in der Auseinandersetzung mit dem Rassismus von AfD und anderen wenden wir uns als LINKE gegen Sonderregelungen und Diskriminierungen von Religionsgemeinschaften wie dem Islam. DITIB hat die Anschuldigungen von Volker Kauder und anderen zurückgewiesen: »Es mag in Teilen der Gesellschaft, der Politik oder den Medien eine tiefe Ablehnung gegenüber der Türkei bzw. der türkischen Politik geben. Dies mag für den jeweils Einzelnen begründete oder unbegründete Ursachen haben. Diese Ablehnung wird aber in unzulässiger Weise auf die DITIB-Gemeinden projiziert. Damit wird ein vermeintlich heteronomes, gefährliches Feindbild konstruiert, das nicht nur gedankliche oder sprachliche Auswirkungen hat, sondern unser Gemeindeleben und unser Sicherheitsgefühl erheblich beeinträchtigt. Unsere DITIB-Gemeinden und jedes einzelne ihrer Mitglieder werden quasi zu fremdstaatlichen Gefährdern markiert. Eine solche ausgrenzende und diffamierende Stigmatisierung muslimischer Gemeinden und Einzelpersonen kennt man sonst nur von antidemokratischen, rechtsextremen Gruppierungen. Dass nun eine solche Sprache und Argumentation demokratische Parteien und damit die Mitte unserer Gesellschaft erreicht, muss uns alle alarmieren.«
Momentan wird verstärkt eine rassistische Stimmung gegen Türkinnen und Türken geschürt. Mehrere Landesinnenminister der Union fordern die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen, was vor allem Kinder türkischer Eltern trifft. Der österreichische Außenminister Kurz (ÖVP) und der CSU-Generalsekretär Scheuer gingen noch weiter und forderten beide die Anhänger Erdogans, die in Wien und Köln gegen den Putsch demonstriert hatten, dazu auf, in ihre »Heimat« zurückzukehren. Markus Frohnmaier Vorsitzender der Jungen Alternative, schrieb: »Machtdemonstration in Köln. 30.000 gut integrierte Eroberer feiern Ihren Führer mit Blick auf den Kölner Dom. Wir brauchen endlich ein Remigrations-Ministerium!« Das Wort »Remigration« macht besonders bei rechtsextremen Identitären die Runde. Gemeint ist die Deportation. Frohnmaier kann sich auf Verteter der bürgerlichen Mitte wie den österreichischen Außenminister Kurz (ÖVP) und CSU-Generalsekretär Scheuer berufen. Die CSU macht mal wieder die Vorarbeit für Neonazis in der AfD, indem sie eine »Türken-Raus«-Stimmung schürt.
Keine staatliche Repression
Der deutsche Staat hat keine Vorschriften und Zensur für Gottesdienste zu machen – ob in der Kirche, in der Moschee oder in der Synagoge. Dasselbe würde ich auch in der Türkei fordern. Wenn es Kritik an Predigt-Inhalten oder Äußerungen Einzelner gibt, muss das konkret kritisiert werden, aber nicht indem man einen Generalverdacht ausspricht. Für Prediger aller Religionsgemeinschaften gelten die allgemeinen Gesetze der freien Rede.
Was Kauder dem muslimischen Verband DITIB unterstellt, ähnelt dem Vorwurf von Reichskanzler Bismarck gegen die Katholiken aus dem 19. Jahrhundert. Bismarck warf den Katholiken vor, sie seien nicht ausreichend staatstreu, ihre Loyalität gelte vielmehr dem Papst. Im Mittelpunkt von Bismarcks Vorgehen stand das Verbot politischer Äußerungen durch Geistliche von der Kirchenkanzel herab. Er ließ massenhaft katholische Pfarrer verhaften und Kirchen schließen.
August Bebel, der Gründer der Sozialdemokratischen Partei, wandte sich im Jahr 1872 im Reichstag gegen Bismarck und bezog Position gegen das Verbot des reaktionären Jesuitenordens. Nur sechs Jahre später verbot Bismarck die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Das Beispiel zeigt, wie durch staatliche Repression gegen eine Religionsgemeinschaft der Boden bereitet wird für Demokratieabbau allgemein. Für Bismarck war die staatliche Unterdrückung der Katholischen Kirche ein Mittel, die Demokraten für seine autoritäre Politik zu gewinnen, heute leisten Kauder, Seehofer und Scheuer mit ihrer Ausgrenzung des Islam der rassistischen Spaltung der Gesellschaft Vorschub. Auch heute muss DIE LINKE die Religionsfreiheit gegenüber jeder staatlichen Repression verteidigen.
Auslandsfinanzierung von Moscheen
Die AfD fordert, die Finanzierung von Moscheen aus dem Ausland zu unterbinden. Zudem schreibt sie: »Von aus dem islamischen Ausland entsandten Imamen geht die Gefahr rechts- und verfassungswidriger Indoktrination der Moscheebesucher aus.« In dieselbe Richtung hat auch Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU, argumentiert, als er ein »Islamgesetz« forderte. Es ist heuchlerisch von Politikern der CSU und der CDU wie Volker Kauder und Scheuer, den Islamunterricht abschaffen zu wollen und verhindern zu wollen, dass Gelder aus der Türkei oder Saudi-Arabien für den Bau von Moscheen verwendet werden, aber gleichzeitig umfangreich Waffen in diese Länder zu liefern.
Es ist falsch, Muslimen zu unterstellen, dass sie die Staatsform in Saudi-Arabien befürworten, nur weil sie in einer gespendeten Moschee beten oder Erdogans Politik unterstützen, weil sie eine DITIB-Moschee besuchen oder Religionsunterricht von DITIB für ihre Kinder befürworten. Hier werden Menschen pauschal verurteilt. DITIB schreibt: »Wir haben das Gefühl, eine solche ablehnende Haltung nicht verdient zu haben und können nicht nachvollziehen, warum nicht unser konkretes Engagement in unserer Stadtgesellschaft und unserem Bundesland zum Maßstab unserer Bewertung herangezogen wird, sondern Vorurteile und sachfremde Ressentiments.«
Die Juristin Betül Ulusoy, die sich in der Berliner Şehitlik-Moschee ehrenamtlich engagiert, wurde heftig dafür kritisiert, dass sie die Verhaftung und Bestrafung der Putschisten forderte. Zugleich wurde ignoriert, dass sie sich öffentlich auf Facebook gegen die Todesstrafe aussprach. Ihre Erklärung ist auch deshalb lesenswert, weil sie einen verstehen lässt, warum viele Mitbürgerinnen und Mitbürger mit türkischen Wurzeln mit Erdogan sympathisieren. Man muss sich die Argumente nicht zu Eigen machen, man sollte sich zumindest aber die Mühe machen, sie zu verstehen.
Die Mehrheit der türkischen Staatsbürger in Deutschland unterstützt Erdogan in Umfragen. Sie haben auch das Recht darauf, sich für die AKP in Deutschland politisch zu betätigen – ebenso wie die PKK-Anhängerinnen und Anhänger das Recht haben müssten sich politisch zu betätigen und das PKK-Verbot aufgehoben gehört. Einzig faschistischen Bewegungen muss entschlossen entgegengetreten werden.
Wir dürfen uns in Deutschland – bei aller berechtigten Kritik an Erdogans autoritärem Regierungshandeln und der Repression gegen ganz unterschiedliche Teile der türkischen Gesellschaft – nicht zu unfreiwilligen Hilfstruppen der anti-türkischen, islamfeindlichen Rechten machen. Muslime müssen endlich in Deutschland die Rechte erhalten, die anderen Religionsgemeinschaften selbstverständlich zustehen.
Dieser Artikel erschien zuerst in micha.links 2-2016 Rundbrief der LAG Linke Christinnen und Christen in Hessen.
Foto: onnola
Schlagwörter: AfD, DITIB, Erdoğan, Inland, Islam, Moschee, Moscheen, Muslime, Rassismus, Religionsfreiheit, Religionsunterricht, Türkei, Türken