Bei den Berliner Wahlen konnte DIE LINKE in Neukölln ihr absolutes Ergebnis fast verdreifachen. Das Erfolgsrezept: ein antikapitalistischer und antirassistischer Wahlkampf. Von Lucia Schnell und Yaak Pabst
Es war der bisher stärkste Wahlkampf, den DIE LINKE in Neukölln auf die Beine gestellt hat: eine wirkliche Herausforderung. Unser Bezirksverband hatte zu Beginn der Wahlkampagne 380 Mitglieder. Während die Neuköllner SPD 9.950 Euro für den Wahlkampf vom Baulöwen und Spekulanten Klaus Groth und die Berliner Grünen 270.000 Euro von einem Finanzhai überwiesen bekamen, war unser Budget klein. Unser Pfund war eine scharfe politische Ausrichtung, unsere Verankerung und unsere Aktivitäten auf der Straße.
Gegen Rassismus und soziale Misere
Uns war klar, dass der Rassismus von AfD und Co. im Wahlkampf eine große Rolle spielen würde, aber auch die soziale Misere durch Niedriglöhne, Hartz IV und hohe Mieten. Unser Bezirksplakat zielte auf Solidarität gegen den vorherrschenden antimuslimischen Rassismus und den gemeinsamen Kampf für soziale Gerechtigkeit: »Neukölln solidarisch. Menschen vor Profite«, lautete der Slogan. Auf dem Bild reckten eine Genossin mit Kopftuch und ein Genosse gemeinsam die Fäuste.
Die Wahlergebnisse können sich sehen lassen: Der Anteil bei den Zweitstimmen für das Abgeordnetenhaus von 13,6 Prozent bedeutet einen Zugewinn von 8 Prozentpunkten gegenüber dem Jahr 2011. In absoluten Zahlen haben wir unser Ergebnis fast verdreifacht. Das gilt auch für die Stimmen, die wir bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) erreicht haben. Dort gewannen wir 7,5 Prozentpunkte dazu und kommen jetzt auf 12,2 Prozent. Statt drei Bezirksverordneten hat DIE LINKE jetzt sieben. Wir konnten junge Leute zur Wahl der Linkspartei bewegen und auch Zugewanderte. Besonders stark sind wir im Norden des Bezirks, wo viele Menschen von Niedriglöhnen und Hartz IV betroffen sind. Die AfD hat vor allem im Süden Neuköllns sehr stark gewonnen, wo wir unsere Ergebnisse zwar auch fast verdoppeln konnten, aber wenig verankert sind.
Partei für den Alltag, nicht nur für den Wahltag
Zentrales Wahlkampfmittel war unsere Bezirkszeitung »Neu-Köllnisch«. Wir verteilten 20.000 Exemplare der Septemberausgabe vor den S- und U-Bahnhöfen, auf zentralen Plätzen, vor dem Jobcenter oder freitags vor verschiedenen Moscheen, wo wir besonders gut ankamen. In der achtseitigen Zeitung stellten wir unsere »Sieben Sofort-Maßnahmen für Neukölln« vor. Außerdem kamen unsere Direktkandidaten zu Wort. Aber auch Artikel zur Situation von Geflüchteten im Kiez, gegen hohe Mieten und Verdrängung im Bezirk oder ein Aufruf zur Demo gegen TTIP und Ceta waren in der Zeitung zu finden. Im Editorial heißt es: »DIE LINKE kann den Unterschied machen, wenn sich immer mehr Menschen engagieren und ihre Interessen selbst in die Hand nehmen. DIE LINKE wird auch nach der Wahl im Parlament und auf der Straße für bessere Lebensverhältnisse kämpfen. Sie steht für eine Gesellschaft, in der nicht der Profit das Maß aller Dinge ist, sondern die Bedürfnisse der Menschen. Sie ist die Partei für den Alltag und nicht nur für den Wahltag.«
Zum ersten Mal kämpften wir auch um die Direktmandate im Norden Neuköllns. Jede Kandidatin und jeder Kandidat hatte ein eigenes »Schwerpunktthema«: Ihre Slogans lauteten »Millionäre zur Kasse«, »Löhne rauf, Mieten runter«, »Solidarität statt Rassismus«, oder »Kriege und Waffenexporte stoppen«. In diesen Forderungen kommt zum Ausdruck, dass wir den Wahlkampf nicht nur auf lokale Themen begrenzen wollten. Wir klebten auch »wild« eigene Papierplakate wie »Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten«, »Das Tempelhofer Feld bleibt frei. Nein zu Privatisierung und Spekulation« und »Weg mit dem Hartz-IV-System und Niedriglöhnen«. Leider hat die Landespartei die niedrigen Löhne kaum thematisiert, obwohl es entsprechende Bewegungen in den ausgegliederten Tochterunternehmen der Krankenhäuser, anderer öffentlicher Betriebe und auch bei den angestellten Lehrkräften gibt.
Die Verankerung im Kiez stärken
Unsere Kandidaten in den drei Wahlkreisen des Neuköllner Nordens, Sarah Moayeri, Irmgard Wurdack und Ruben Lehnert, haben mit diesem Profil jeweils mehr als zwanzig Prozent der Erststimmen gewinnen können. Besonders interessant: Der Abstand zwischen SPD, Grünen und LINKEN beträgt im Wahlkreis 3, in dem vierzig Prozent Hartz-IV-Betroffene leben, weniger als 150 Stimmen (von 16.000), so dass man kaum mehr von einem »SPD-Wahlkreis« sprechen kann. Auch im Wahlkreis 2, wo Irmgard Wurdack antrat, konnten wir Anhänger der SPD überzeugen, DIE LINKE zu wählen. Das lag neben unserem Eintreten für soziale Gerechtigkeit auch daran, dass der Direktkandidat der SPD religionsfeindlich gegen Muslime auftrat. Mit dieser Linie blieb er hinter unserer Direktkandidatin zurück, die gegen die Islamfeindlichkeit klar Stellung bezog.
Organisiert haben wir den Wahlkampf in einem »offenen Wahlaktiv«. Das war wichtig, um neue Leute zu integrieren, Aktionsideen zu entwickeln und über die einzelnen Basisorganisationen (BOs) hinweg Kräfte zu bündeln. Das Rückgrat des Wahlkampfs waren die BOs mit ihren Aktionen und der Unterstützung der jeweiligen Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten. So konnten wir den Wahlkampf nutzen, um auch unsere lokalen Strukturen und die Verankerung im Kiez zu stärken.
Flugblätter für das muslimische Freitagsgebet
Das hat sich bewährt. In den vergangenen Wochen waren zwischen 100 und 130 Mitglieder und Sympathisanten aktiv. Allein zur Wahlkampfauftaktveranstaltung kamen fast achtzig Leute. Die Sprüche für Plakate und Aufkleber entwickelten wir selbst. Die Beteiligung der Mitglieder an der Gestaltung des Wahlkampfs war ein Schlüssel für das große Engagement. Gemeinsam mit Sympathisantinnen entwickelten wir Flugblätter speziell zum Verteilen beim muslimischen Freitagsgebet, die auch ins Türkische und Arabische übersetzt wurden. Darin stellten wir unsere zentralen Forderungen vor, sprachen aber auch Geflüchtete und Menschen an, die nicht wählen dürfen. Unsere Aktivitäten wurden auf diese Weise genauso vielfältig wie die Bedürfnisse und Vorlieben unserer Wahlkämpfenden. Ob Kneipentouren, Straßentheater, Steckaktionen, Lautsprecherfahrten, Lesungen unter freiem Himmel oder der klassische Infostand – für alle gab es die passende Aktivität. Das Selbstbewusstsein und die Überzeugungskraft der Aktiven wuchsen im Straßenwahlkampf, bei Lauti-Touren, die mit Fahrradbegleitung unsere politischen Botschaften und gute Musik verbreiteten.
Dazu kam unsere Bündnisarbeit gegen rechts. Auch während des Wahlkampfs waren Genossinnen im »Bündnis Neukölln – Miteinander für Demokratie, Respekt und Vielfalt« aktiv. Für uns war es kein Widerspruch, gemeinsam mit SPD und Grünen im Rahmen von »Aufstehen gegen Rassismus« (AgR) gegen die AfD oder NPD zu demonstrieren und trotzdem ein eigenständiges scharfes Profil zu entwickeln. So meldeten wir mit dem »Bündnis Neukölln« eine Kundgebung gegen die Teilnahme eines AfDlers an einer öffentlichen Podiumsdiskussion an. Auf der Kundgebung sprachen eine Muslimin mit türkischen Wurzeln, ein Mitglied der kurdischen Linkspartei HDP und die Wahlkreiskandidatinnen der Grünen und der LINKEN. Ein Erfolg: Mehr als 150 Menschen kamen zur Kundgebung – und den Protest setzten wir auch im Saal fort. Auch gegen die NPD waren wir stets vor Ort sichtbar und haben den Nazis die Tour vermasselt. Immer mit von der Partie: ein Aufklärungsflugblatt über die AfD.
Eigene Positionen in Bewegungen einbringen
Toll war, dass auch die LINKEN-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger unseren Wahlkampf unterstützten. Katja stellte in einer Lesung auf einem zentralen Platz ihr Buch: »Wer flüchtet schon freiwillig?« vor und Bernd verstärkte uns bei einer Kundgebung für mehr Personal beim Vivantes-Klinikum in Neukölln.
Auf unserer großen Kundgebung am 3. September auf dem Hermannplatz sprachen neben Gregor Gysi, Klaus Lederer und unseren Kandidatinnen und Kandidaten auch Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter über ihren Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne: Der Betriebsrat des Vivantes-Klinikum in Neukölln, wo für mehr Personal und gegen Niedriglöhne gekämpft wird, ein Berliner Lehrer und ein Kandidat der LINKEN, der selbst von Leiharbeit betroffen ist. Auch dabei waren der Sprecher der Britzer Flüchtlingshilfe und der Initiative »Hufeisern gegen rechts«, ein Vertreter des Volksentscheids Fahrrad und der Initiative »Volksentscheid retten«. Damit bekommt DIE LINKE für die Menschen eine praktische Bedeutung – nicht zuletzt, weil wir uns auch mit eigenen inhaltlichen Positionen in die verschiedenen Bewegungen eingebracht haben. Zum Schluss riefen wir alle Teilnehmenden dazu auf, sich der Demonstration von »Aufstehen gegen Rassismus« anzuschließen, die direkt im Anschluss stattfand.
Neue aktive Mitglieder in Neukölln
Unsere Geschäftsstelle im Kiez glich einem Bienenstock: Den ganzen Tag kamen Mitglieder und Sympathisanten herein und schwärmten, ausgestattet mit Material, wieder aus. Der »48 Stunden-Wahlkampf« bot mit Frühstück, Kinderbetreuung, gemeinsamen Erlebnissen im Straßenwahlkampf und hinterher einem Erfahrungsaustausch den Rahmen für den Endspurt. Für die letzten Tage druckten wir ein Extra-Flugblatt »DIE LINKE macht den Unterschied: gegen steigende Mieten, Rassismus und für die Millionärssteuer«. Davon haben wir 35.000 Flugblätter an Haustüren geklebt oder verteilt und waren in Nord-Neukölln am Wahlwochenende sehr präsent. Wichtig war auch, dass wir ausreichend Flugblätter auf Arabisch und Türkisch produzierten.
Der Wahlkampf in Neukölln zeigt, dass DIE LINKE mit einem aktiven antirassistischen und antikapitalistischen Profil weit ausgreifen kann. In diesem Jahr konnten wir bisher fünfzig neue Mitglieder gewinnen – die meisten während des Wahlkampfes. Sie sind so bunt wie unser Bezirk: Arbeiterinnen, junge Leute, Geflüchtete.
Foto: DIE LINKE. Neukölln
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