Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe ist sich sicher: Die Linke braucht mehr Populismus. Doch ihr Ruf klingt kämpferischer, als er ist. Von Ava Matheis
Dicht gedrängt stehen und sitzen meist jüngere Menschen im großen Saal des geschichtsträchtigen »SO36« in Berlin. Sie warten auf die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, die über ihr neues Buch »Für einen linken Populismus« spricht. Wenn die 75-jährige energische Frau die Bühne betritt, sind, wie in Berlin im Herbst 2018, die Veranstaltungssäle meist brechend voll.
Begründerin des Postmarxismus
Gemeinsam mit Ernesto Laclau ist Mouffe eine der Begründerinnen des sogenannten Postmarxismus, der in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt. Parteien wie »La France Insoumise« in Frankreich, »Podemos« in Spanien oder »Syriza« in Griechenland und nun auch Teile der LINKEN, die Liste der bei Mouffe Ratsuchenden ist lang – mehrere linke Formationen berät sie direkt.
Umso wichtiger ist eine Auseinandersetzung mit ihren Theorien und praktischen Schlussfolgerungen. Um es vorneweg zu sagen: Chantal Mouffe ist weder eine Marxistin noch eine radikale Linke, sondern eine lupenreine Sozialdemokratin. Ihr Ruf nach einer »radikalen Demokratie« klingt kämpferischer, als er ist. Letztlich geht es ihr darum, dass die Linke die bestehenden »liberaldemokratischen« Institutionen beibehält und lediglich für etwas mehr Reformen eintritt. Veränderung geht für Chantal Mouffe nur im Rahmen der parlamentarischen Demokratie. Radikalopposition gegen das System lehnt sie ab. Ihr Ziel: Die Linke muss wieder Wahlen gewinnen und die Regierung übernehmen. Ihre Wunderwaffe dafür ist der »linke Populismus«. Sie schreibt: »Entweder wird der Rechtspopulismus die demokratische Dynamik für sich nutzen, um die Demokratie zu begrenzen und ein autoritäres Gesellschaftsmodell durchzusetzen, oder der Linkspopulismus kann den demokratischen Impuls fruchtbar machen, um die Demokratie zu vertiefen und die politische Gleichheit zu verstärken.«
Aber wie kann die Linke das umsetzen? Um Chantal Mouffe‘s Projekt eines linken Populismus besser verstehen zu können, lohnt ein Blick auf ihre theoretischen Wurzeln.
Chantal Mouffe und der Marxismus
Chantal Mouffe war Zeit ihres Lebens Professorin. Mit ihrem Buch »Hegemonie und radikale Demokratie: Zur Dekonstruktion des Marxismus«, erschienen im Jahr 1985, veröffentlichte Chantal Mouffe gemeinsam mit Ernesto Laclau einen Klassiker des sogenannten Postmarxismus. Sie schrieben das Buch zu einer Zeit, in der sowohl die Sozialdemokratie als auch die stalinistisch geprägten kommunistischen Parteien in den westeuropäischen Staaten viele Anhängerinnen und Anhänger hatten und in der mit den sogenannten neuen sozialen Bewegungen scheinbar ein neuer Akteur auf der Bühne der Geschichte erschien.
In ihrem Buch kritisierte sie die Sichtweisen der sozialdemokratischen wie der stalinistischen Strömungen – den dort gelehrten Marxismus nennen sie etwas kompliziert den »essentialistischen« Marxismus. Ihr Ansatzpunkt war die Dekonstruktion von »Subjekt«, »Gesellschaft« und eben aller »Essentialismen«, die sie in der marxistischen Tradition zu finden glaubten. Gegenstand ihrer Kritik war dabei jene Auslegung des Marxismus, welche Gesellschaft stets als durch die Ökonomie determiniert versteht.
Für Laclau und Mouffe spielen Klassenantagonismen und die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus keine Rolle mehr
Was jedoch beide schon damals nicht interessierte, ist, dass es auch schon vor ihnen eine lebendige Debatte über diese Interpretation des Marxismus gegeben hat. Zu verschiedenen Zeitpunkten haben deterministische, aber auch voluntaristische Interpretationen des Marxismus (beispielsweise der Maoismus) eine Blütezeit erlebt. Das wichtigste Beispiel der deterministischen Tendenz war vielleicht die von Karl Kautsky entwickelte Version des Marxismus, die die deutsche Sozialdemokratie und die Zweite Internationale in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg dominierte.
Kautskys Ansicht nach garantierten die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus das zahlenmäßige Wachstum und das Wachstum des Bewusstseins der Arbeiterklasse bis zum Punkt, wo die Macht »automatisch« in ihre Hände fallen würde. Alles, was von der sozialistischen Bewegung benötigt würde, wäre der Aufbau ihrer Organisation, die Verstärkung ihres Stimmenanteils und das Vermeiden von Abenteuern, während sie geduldig darauf wartete, bis die ökonomische Entwicklung ihre Arbeit leistete.
Kritikerinnen und Kritiker dieser Strömung waren Rosa Luxemburg, Lenin und Trotzki, später gefolgt von George Lukacs und Antonio Gramsci. Sie alle reagierten auf den Fatalismus und die passive Erwartungshaltung der Zweiten Internationale mit vernichtender Kritik. Über gerade diese Periode schrieb der italienische Revolutionär Antonio Gramsci: »Es läßt sich beobachten, wie das deterministische, fatalistische, mechanistische Element ein unmittelbares ideologisches Aroma der Philosophie der Praxis war, eine Form von Religion.«
Der Abschied von Klassen
Laclau und Mouffe blenden diese Tradition des »Sozialismus von unten« völlig aus. In ihrer Kritik am Marxismus gehen sie sogar noch viel weiter und stellen grundsätzlich die Existenz von Klassen und Klassenkampf – das Herzstück des Marxismus – infrage. So gehen sie davon aus, dass Klassenantagonismen und die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus bei der Analyse von Gesellschaftlichkeit keine Rolle mehr spielen. Stattdessen wird postuliert, Identitäten seien nicht objektiv gegeben, sondern immer nur temporär und in Abgrenzung zu anderen konstruierbar (»Wir, die nicht sie sind«).
Seit Erscheinen des Werks 1985 wiesen verschiedene Marxistinnen und Marxisten nicht nur darauf hin, dass sich Laclau und Mouffes Kritik an einem Pappkameraden abarbeitet, sondern dass ihr Verständnis marxistischer Theorie einseitig und fehlerhaft ist.
Mit dem Abschied von Klassen allgemein und speziell der Arbeiterklasse als einer Klasse, die im Besitz einer strategischen Macht im Kampf gegen Kapital ist und damit Hauptmotor des sozialistischen Projekts, kommen sie zu dem Ergebnis, dass Kämpfe um ökonomische Ausbeutung und politische Unterdrückung als unabhängig voneinander zu betrachten sind. Was aber setzen jetzt diese beiden Theoretiker des Postmarxismus an die Stelle von Klassen?
Inspiration vom Theoretiker des Faschismus
Immerhin spielen in ihrer Theorie Konflikte eine zentrale Rolle. Aber Inspiration, wie diese Konflikte zu fassen seien, erhalten sie von keinem anderen als dem theoretischen Denker des Faschismus, Carl Schmitt. Schmitt zufolge ist das Politische immer geprägt durch Antagonismen, also unüberbrückbare Gegensätze zwischen Freund und Feind. So schreibt er in seinem 1926 erschienen Buch »Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus«: »Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.« Daraus folgert er, muss es immer mehrere Staaten geben: »Die politische Welt ist ein Pluriversum, kein Universum.«
Laclau und Mouffe wenden Gramscis Hegemoniebegriff ins rein Idealistische
Der Liberalismus mit seinem Drang zur Individualisierung und Konsensschaffung untergrabe das Politische und sei längerfristig nicht überlebensfähig – die pluralistische Demokratie führe notwendig in den Bürgerkrieg. Im Gegensatz zu Schmitt argumentieren Laclau und Mouffe nun, dass gesellschaftliche Antagonismen überbrückbar seien und Konflikte nicht bis zur »Auslöschung« einer Gruppe ausgefochten werden müssten. Im Rahmen der pluralistischen Demokratie sei es möglich, diese Konflikte ausgehend von einem gemeinsamen Basiskonsens – »eine[r] ethisch-politische[n] Praxis […], die im wesentlichen auf den Pfeilern der Freiheit und der Gleichheit beruht, die allen garantiert sein müssen« – in einen »Agonismus« zu überführen. Eine »agonistische Konfrontation« ist demnach eine, in der der Gegner nicht als Feind erkannt wird, sondern als ein legitimer Kontrahent. Die Stärke pluralistischer Demokratien sei es, diese Konfrontationen innerhalb demokratischer Institutionen stattfinden zu lassen und damit den von Schmitt postulierten »Antagonismus« aufzuheben.
Auch die Gegnerschaft zum Liberalismus übernehmen Mouffe und Laclau von Schmitt. Da der Liberalismus darauf abziele, einen apolitischen Konsens herzustellen, werde die Konstruktion einer Wir-Sie-Unterscheidung – eine links-besetzte Konstruktion des »Volkes« gegen die »Oligarchie« – notwendig. Das ist im Prinzip die Essenz des »linken Populismus«.
»Volk« und »Oligarchie« bei Mouffe
Für Mouffe und Laclau gibt es zwei Arten, den politischen Grundkonflikt zu verstehen: »Zum einen die marxistische These des Klassenkampfs, eines Kampfs zwischen Bourgeoisie und Proletariat, und zum andern die populistische These eines Konflikts zwischen der Unterschicht und der Elite, zwischen dem Volk und der Oligarchie. Die Entwicklung des Kapitalismus hat die Klassenkampfthese hinfällig gemacht. Aber der Gegensatz zwischen Volk und Oligarchie bestätigt sich – und er bestätigt sich immer deutlicher.«
Um gesellschaftliche Auseinandersetzungen näher theoretisch fassen zu können, lassen sich Mouffe und Laclau von dem Marxisten Antonio Gramsci inspirieren. Sein Konzept der sozialistischen Hegemonie sieht vor, dass dem kapitalistische Staat auch auf ideologischer Ebene entgegen zu treten sei. Zentral ist für ihn jedoch die Auseinandersetzung mit dem widersprüchlichen Bewusstsein der unterdrückten Klassen. Laclau und Mouffe dagegen wenden Gramscis Hegemoniebegriff ins rein Idealistische. Hegemonie bedeutet für sie die Erlangung von Diskurshoheit, losgelöst von sozialen Beziehungen.
Chantal Mouffe möchte die neoliberale Hegemonie angreifen, ohne die bürgerliche Gesellschaft zu stürzen
Mit dieser Kombination aus einem idealistischen Gramsci und dem Faschisten Carl Schmitt befinden sich Laclau und Mouffe in fragwürdiger Gesellschaft: Bezugnehmend auf Gramscis Idee der Kämpfe um kulturelle Hegemonie leiten beispielsweise der französische rechte Theoretiker Alain de Benoist sowie die Identitäre Bewegung um Martin Sellner und Götz Kubitschek Strategien für eine »konservative Revolution« ab. Das Schmitt’sche Verständnis von koexistierenden, nach innen homogenen Gesellschaften spiegelt sich in ihrer Idee des Ethnopluralismus wider. Dabei liegt der Homogenität von Gesellschaften ein »völkischer« Volksbegriff zugrunde. Für Mouffe und Laclau hingegen ist das »Volk« nicht von vornherein gegeben, es ist »kein empirischer Referent, sondern eine diskursive politische Konstruktion […]. Es existiert nicht, ehe es performativ artikuliert wird, und lässt sich nicht mit soziologischen Kategorien fassen.«
Wie übersetzt Chantal Mouffe diese Theoriefragmente in ihre Überlegungen zu einem »linken Populismus«?
Radikalisierung der Demokratie?
Beginnen wir mit dem Ziel. Chantal Mouffe möchte die neoliberale Hegemonie angreifen, ohne die bürgerliche Gesellschaft zu stürzen: »Die von uns verfochtene ‚radikale und plurale Demokratie‘ lässt sich daher als eine Radikalisierung der bestehenden demokratischen Institutionen beschreiben, mit dem Ergebnis, dass die Prinzipien Freiheit und Gleichheit in einer wachsenden Zahl sozialer Beziehungen wirksam werden.«
Dieses Projekt zur »Radikalisierung der Demokratie« ersetzt für Mouffe den Kampf um eine andere Gesellschaft – das sozialistische Projekt. Dass die Erkämpfung von Freiheit und Gleichheit auf reformistischem Wege möglich ist, zieht sie aus ihrer idealistischen Lesart Gramscis. Dabei verkennt sie, dass der kapitalistische Staat Gramsci zufolge nicht gleich »offen« für die Übernahme von links oder rechts ist. Seine Aufgabe ist es, die Reproduktion kapitalistischer Produktionsverhältnisse zu gewährleisten. Das Ensemble an (repressiven) Staatsapparaten muss dazu beispielsweise Gesetze mit Gewalt durchsetzen. So ist es staatliche Aufgabe, Eigentum zu schützen. Die Frage nach dem konkreten Umgang mit Staatsapparaten wird jedoch bei Mouffe nicht thematisiert. Stattdessen suggeriert sie, der Staat sei beliebig besetzbar und umformbar in eine progressive Richtung.
Subjekt des radikal-demokratischen Projekts ist das »Volk«. Mithilfe eines »linken Populismus« sollen nun Forderungen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen in Abgrenzung zu einem »Außen« zu eben diesem »Volk« geknüpft werden. Die spanische Linkspartei Podemos, die sich an den Theorien Laclaus und Mouffes orientiert, bedient sich beispielsweise des Begriffs der »Kaste«. Damit soll die herrschende Elite Spaniens in Abgrenzung vom »Volk« beschrieben werden.
Rolle von Intellektuellen und Führungspersonen
Mouffes »linker Populismus« räumt Intellektuellen und Führungspersönlichkeiten eine große Rolle ein: »Populistische Bewegungen [brauchen] starke Leaderfiguren – auch wenn dieser Gedanke vielen Linken unsympathisch ist. Starke Leader können ein Kristallisationspunkt für gemeinsame Affekte sein. Der Leader wird zum Symbol. Er oder sie muss nicht zwangsläufig eine autoritäre Figur sein, sondern kann auch als Primus inter Pares funktionieren. Aber er oder sie braucht symbolische Kraft und muss die Leute berühren.«
Dass auch linke Bewegungen Führungspersönlichkeiten haben, ist eine Binsenweisheit. Die viel spannender Frage allerdings stellt sich Chantal Mouffe nicht: Welches Verhältnis hat denn die Führung zur Bewegung? Antworten gibt beispielsweise Antonio Gramsci, auf den sich Mouffe bezieht. Er wies daraufhin, dass sich das widersprüchliche Bewusstsein der Unterdrückten in realen Kämpfen transformiert und sich Formen kollektiver Intellektualität ausbilden. Diese Transformation muss Theoriebildung aufnehmen, anstatt über der Praxis zu schweben: »Zu jener Zeit wurde keine Initiative genommen, die nicht in der Wirklichkeit geprüft worden war …, falls die Meinungen der Arbeiter nicht völlig beachtet worden waren. Aus diesem Grund erschienen unsere Initiativen als Interpretation eines gespürten Bedürfnisses, nie als die kalte Durchführung eines intellektuellen Schemas.«
Mouffes »linker Populismus« ist alter Wein in neuen Schläuchen
Bei Mouffe erinnert fast alles an eine kalte Durchführung eines intellektuellen Schemas. Ein linker Populismus müsse nur eine Vielzahl heterogener demokratischer Forderungen, wie antirassistische, ökologische und so weiter bündeln, eine charismatische Führungsfigur haben und so den Gemeinwillen erschaffen: »Heute geht es darum, durch die Artikulation all dieser demokratischen Forderungen in einer »Kette der Äquivalenz« einen progressiven Gemeinwillen herzustellen mit dem Ziel, »ein Volk« zu schaffen. Die Einheit dieses progressiven Volkes entsteht nicht, wie im Falle des rechten Populismus, durch den Ausschluss von Migranten, sondern durch die Festlegung eines Gegners: die politischen und ökonomischen Kräfte des Neoliberalismus. Das verstehe ich unter Linkspopulismus.«
Mouffe als profane Sozialdemokratin
Den Linkspopulismus grenzt sie dabei scharf sowohl von der rechts gewendeten Sozialdemokratie als auch von der revolutionären Linken ab: »Heute zerfallen die Linken weitgehend in zwei Lager: Zum einen gibt es die sozialliberale Linke, die Linke der heutigen Sozialdemokratie. Zum anderen gibt es – auch wenn sie stark marginalisiert ist – immer noch eine revolutionäre Linke, die sich als antikapitalistisch versteht und den Bruch mit der pluralistischen Demokratie sucht (…). Der Linkspopulismus dagegen ist weder das eine noch das andere. Er engagiert sich innerhalb der demokratischen Institutionen – Podemos zum Beispiel oder Corbyn –, will aber einschneidende Veränderungen herbeiführen, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse verändern, eine neue Hegemonie durchsetzen.«
Aber was heißt das konkret? Verlässt Chantal Mouffe ihren Elfenbeinturm des Postmarxismus, wird es, trotz aller Beteuerungen, schnell profan sozialdemokratisch. Sie redet von einem »linken Patriotismus«, ist davon überzeugt, dass »wir Grenzen brauchen« und meint, dass »der Nationalstaat weiterhin der wichtigste institutionelle Rahmen für das Funktionieren demokratischer Gemeinschaften« ist.
Mouffes »linker Populismus« ist alter Wein in neuen Schläuchen – eine Version sozialdemokratischer Reformismus, die auf eine »radikalisierte Demokratie« abzielt – einen reformierten kapitalistischen Staat. Richtig ist ihr Anspruch, dass die Linke einen radikalen Kurswechsel braucht: »Die Linke muss eine Strategie finden, wie sie den Forderungen, die aus dem Widerstand gegen die Postdemokratie entstehen, eine Form geben kann, die zu größerer sozialer Gerechtigkeit führt.«
Aber in ihrer Antwort, wie die Linke für eine gerechtere Welt kämpfen soll, macht sie es sich zu einfach. Die Erfahrungen linker Parteien an der Macht zeigen die Grenzen des von ihr vorgeschlagenen parlamentarischen Wegs zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Jedes radikale Reformprogramm wird in Zeiten scharfer wirtschaftlicher Konkurrenz gesellschaftliche Kämpfe bis hin zur Machtfrage zuspitzen. Das Kapital wird in einer solchen Situation alles ihm zur Verfügung Stehende in Bewegung setzen, um eine linke Regierung zu stürzen. Der »linke Populismus«, wie ihn Chantal Mouffe formuliert, sperrt sich dagegen, diese Konfrontation auszufechten. Ein fataler Irrtum. Denn genau diese Dynamik führt im Kern zum Verrat linker Parteien, die dann trotz anderslautender Rhetorik, an der Regierung nicht anders als die klassischen reformistischen Arbeiterparteien der Sozialdemokratie machen und sich unter dem Druck dem kapitalistischen Sachzwang beugen.
Mouffe ignoriert die mächtigen Gegner
Diese Erfahrungen machte die historische Sozialdemokratie, genauso wie die Eurokommunistinnen und -kommunisten in den 1970er und 1980er Jahren und auch die heutigen linken Formationen. Am eindringlichsten zeigt sich das am Scheitern von Syriza in Griechenland. Es kann also nicht einfach nur darum gehen, mit einer linken Partei die Regierung zu stellen und den »demokratischen Impuls« fruchtbar zu machen. Der Weg zu linker Gegenmacht ist gepflastert mit Widerständen – die EU, der IWF, die Kapitalfraktionen, das Militär, die Polizei, die Geheimdienste, der Bürokratenapparat, die Medien und die organisierte Rechte. All jene Kräfte, die sich in die Waagschale werfen, wenn linke Regierungen es wagen, die Macht des Kapitals herauszufordern.
Doch in ihrem Buch »Für einen linken Populismus« tauchen die mächtigen Gegnerinnen und Gegner einer linken Bewegung nicht auf. Überhaupt ist Mouffes Buch wenig durchdrungen von konkreten Erfahrungen linker Bewegungen und Parteien im Aufbau von Gegenmacht. Wenn eine linke Partei ihr Programm der radikalen Reformen wirklich durchsetzen will, muss sie ganz neue Wege gehen: Sie muss eine Strategie entwickeln, wie die wachsende Unterstützung bei Wahlen auch zu Veränderungen im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis führt. Das bedeutet: Sie muss eine Bewegung zur Demokratisierung der ökonomischen Macht entwickeln, die zu einer politischen Gegenmacht zum bürgerlichen Staat werden kann. Oder, um es mit Rosa Luxemburg zu sagen: »In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.«
Foto: rosalux-stiftung
Schlagwörter: Linkspopulismus, Populismus, Syriza