Der Rechtsruck von Syriza findet seinen Ausdruck nicht nur in der Sozialpolitik. Im Gegensatz zur linken Rhetorik ist die Regierung unter Tsipras dabei, Griechenland als regionale, imperialistische Macht zu stärken. Von Dirk Spöri
In den vergangenen Monaten hat das Säbelrasseln zwischen Griechenland und der Türkei zugenommen: festgenommene griechische Soldaten bei der Patrouille, Mobilisierung griechischer Soldaten, Luftraumverletzungen durch die Türkei. Was meist als Ausdruck der aggressiven Politik Erdogans wahrgenommen wird, ist ein Konflikt, der auch von Griechenland angeheizt wird und sich um geostrategische Interessen und den Zugriff auf Erdöl und Erdgas dreht.
Nicht nur die Türkei versucht, ihren Einfluss in der Region auszuweiten. Auch Griechenland hat historisch, aber auch als südostliche Regionalmacht den Anspruch, seinen Einfluss auszuweiten. Während die brutale und von Merkel und Co aufgezwungen Sparpolitik zu Sozialabbau und Armut führt, rüstet die Regierung Tsipras massiv auf. Ohne Zwang.
Tsipras und Trump: »Die selben Werte«
Im Oktober letzten Jahres hat sich der griechische Präsident Alexis Tsipras in den USA mit Donald Trump getroffen. Dort vereinbarte er einen Rüstungsdeal über 2,5 Milliarden Dollar für verbesserte Kampfflugzeuge und bezeichnete die USA und Griechenland als »strategische Partner«. Das ist aus mehreren Gründen ungewöhnlich.
Noch vor nicht allzu langer Zeit, als linker Oppositionspolitiker, beschuldige Tsipras die USA als »Mörder der Menschheit«. In der Vergangenheit hatte Tsipras selbst gegen die aggressive Kriegspolitik der USA demonstriert. Gerade Griechenland hat diese mehrfach zu spüren bekommen. Nach Ende des zweiten Weltkriegs unterstützten die USA die Ermordung und Inhaftierung linker Widerstandskämpfer gegen die Besatzung Griechenlands durch die Nazis. Ebenso unterstützen die USA die griechische Militärdiktatur Ende der 60er Jahre. Daraus ebenso wie aus der Ablehnung der durch die USA und Verbündete auch von NATO-Basen auf griechischem Boden aus geführten Kriegen gibt es in der Bevölkerung eine verbreitete Ablehnung gegenüber der Kriegspolitik der USA.
Bei seinem Washington-Besuch erklärte Tsipras nun gegenüber Trump: »Wir teilen die gleichen Wertvorstellungen«. Er bedankte sich, dass die USA und Griechenland Seite an Seite gegen den Faschismus gestanden hätten. Damit verabschiedet sich Tsipras auch ideologisch aus der Linken. Er verharmlost die Gefahr, die von Trump und dessen rechten Verbündeten ausgeht. Diese Kehrtwende ist aber vor allem Ausdruck davon, dass Tsipras längst selbst die Interessen der griechischen herrschenden Klasse vertritt.
Geostrategische Interessen Griechenlands
In einem Vortrag vor einem US-amerikanischen Think-Tank bezeichnete Tsipras die USA und Griechenland als strategische Partner in Südost-Europa und dem östlichen Mittelmeerraum. Das drückt vor allem das Wunschdenken Griechenlands nach einer wichtigeren Rolle in der Region aus. Tsipras sagt ganz offen: »Griechenland verfolgt ein neues Dogma [..] mit dem Ziel, die Rolle von Griechenland als einen Pfeiler von Stabilität und Sicherheit in einer instabilen Region zu stärken«. Dabei nennt er auch die Unterstützung der Kriege der USA im Nahen und Mittleren Osten über die NATO-Militärbasen auf Kreta und dem Peloponnes. Von dort flogen Bomber Angriffe auf Libyen und Syrien. Diese Stützpunkte sollen nun ausgebaut werden. Von Souda auf Kreta sollen unbemannte Bomber, also Drohnen, leichter Ziele auf der arabischen Halbinsel und in Afrika angreifen können.
Keine neue Strategie
Seit vielen Jahren hat Griechenland unter allen NATO-Staaten nach den USA den zweithöchsten Anteil an Rüstungsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Auch die Krise hat daran kaum etwas geändert. Seit einem Tiefpunkt 2014 von 2,3 Prozent – über dem von der NATO geforderten Zwei-Prozent-Ziel – ist der Anteil sogar gestiegen. Griechenland leistet sich eine Armee mit 140.000 Soldaten. Zum Vergleich: Das viel größere Deutschland hat 180.000 Bundeswehr-Soldaten.
Begründet wird dies meist mit der Gefahr, die von der Türkei ausgehe. Beide Staaten liefern sich seit Jahrzehnten ein Wettrüsten. Die Türkei ist allerdings selber Mitglied der NATO und die Konkurrenz hat materielle Gründe. Griechenland verfolgt vor allem zwei Ziele. Zum einen, als wichtigste Regionalmacht auf dem Balkan den Wirtschaftsraum zu sichern und auszuweiten. Zum zweiten möchte Griechenland Einfluss auf die beträchtlichen Öl- und Gasvorkommen sichern, die in der südlichen Ägäis, also südlich von Zypern schlummern. Diese Gebiet ist umstritten, weil auch die Türkei aufgrund der Nähe Anspruch darauf erheben.
Griechenland hat deshalb im vergangenen Jahr Allianzen mit Zypern, Ägypten und Israel geschlossen, in der Vereinbarungen zur Nutzung der Öl- und Gasvorkommen sowie zur gemeinsamen Nutzung der Förder- und Transport-Infrastruktur in den einzelnen Ländern getroffen wurden. Diese Allianz richtet sich direkt gegen die Türkei, Griechenlands größten Konkurrenten in der Region. Die Regierung Tsipras begrüßte auch den von Merkel ausgehandelten »Flüchtlingsdeal« der EU mit der Türkei, weil nun eine NATO-Armada vor der türkischen Küste patrouilliert, um Menschen an der Flucht nach Europa zu hindern. Für Griechenland dienen die NATO-Schiffe auch als Unterstützung bei der Kontrolle der Ägäis. Die Geplänkel beider Seiten um kleine Felsen vor der türkischen Küste oder symbolische Grenzverletzungen sind in dieser Situation ein Spiel mit dem Feuer.
Neoliberalismus und Militarisierung: Zwei Seiten einer Medaille
Hand in Hand mit der militärischen Aufrüstung geht die auch wirtschaftspolitisch neoliberale Politik der SYRIZA-Regierung. Bei seinem US-Besuch erklärte Tsipras: »Ziel der ökonomischen und strategischen Zusammenarbeit mit den USA sollen US-Investitionen in Griechenland und gemeinsame Investitionen in anderen Ländern sein«. Mit anderen Worten: die ökonomische und militärische Macht soll Griechenland helfen, in anderen Ländern mehr Einfluss zu gewinnen. In Griechenland selber bedeuten Investitionen gleichzeitig weitere Privatisierungen. Der US-Botschafter in Griechenland lobt »die Offenheit zu Privatisierungen, will mehr US-Investitionen und erklärt die militärische Bedeutung griechischer Häfen und Flughäfen.« Angedacht sind unter anderem US-Investitionen in den Hafen von Syros, den größten Kykladen-Hafen geben.
Gemeinsam mit den USA soll unter anderem in Libyen »investiert« werden. Das Land, in dem die auch aus Kreta geführte NATO-Intervention verheerende Folgen hinterließ. In dem sich Warlords um die Kontrolle des Öls streiten seit der Aufstand gegen den langjährigen Herrscher Gaddafi sich in einen blutigen Bürgerkrieg verwandelte. Tsipras lobt nun die Zusammenarbeit von General Electric und einer griechischen Firma zum Bau eines neuen Öl-Kraftwerks in Libyen – dem Land, Die Intervention der USA 2011, mit Flugzeugen, die auf Kreta starteten, war selbst ein wichtiger Teil dieser Entwicklung.
Akzeptanz der Interessen der herrschenden Klasse in Griechenland
Kampfflugzeuge, Privatisierung und geostrategische Interesse sind zum Mittel der SYRIZA-Regierung geworden. Das zeigt, daß sich Tsipras und SYRIZA an der Regierung sehr schnell ideologisch angepasst haben. Sie haben schnell gelernt, die Interessen der herrschenden Klasse in Griechenland zu vertreten.
Syriza ist mit der Regierungsübernahme zu einer anderen Partei geworden (Lies hier ein Interview mit Panos Garganas über die Pläne der Troika, den Verrat von Syriza und den Kampf gegen Rassismus). Zwar gibt es innerhalb der Partei noch Akteure, die den Kurs der Führung kritisieren. Doch hunderte Funktionäre und Amtsträger sowie der Großteil der parteinahen Jugendorganisation haben Syriza nach der Kapitulation vor der der Troika verlassen. In Syriza fand ein Wandlungsprozess statt, den auch schon andere linke Parteien erlebt haben, nachdem sie an die Regierung gekommen waren: Das Zentrum verlagert sich auf Regierung und Fraktion, die Partei wird zu einem Anhängsel, das die Regierenden durch vermeintlich lästige Debatten stört. Das ist problematisch, weil die Partei ja gerade entscheidend ist, um gesellschaftliche Verankerung zu erzielen und Kräfteverhältnisse nach links zu verschieben.
Schon Rosa Luxemburg warnte vor dem Irrtum, »dass man auf dem Weg der Konzessionen die meisten Erfolge erzielt. Nur weil wir keinen Schritt von unserer Position weichen, zwingen wir die Regierungen und die bürgerlichen Parteien, uns das wenige zu gewähren, was an unmittelbaren Erfolgen zu erringen ist. Fangen wir aber an, dem Möglichen unbekümmert um die Prinzipien und auf dem Wege staatsmännischer Tauschgeschäfte nachzujagen, so gelangen wir bald in die Lage des Jägers, der das Wild nicht erlegt und die Flinte zugleich verloren hat.«
Die Syriza-Führung hat mit ihrer Strategie die Sparpolitik und die Militarisierung nicht gestoppt und gleichzeitig das wichtigste Instrument, die Partei, zerrüttet. Es ist ein absolut trauriges Ende für die Syriza-Partei, die einst der Hoffnungsträger von vielen Menschen Menschen war, die auf der ganzen Welt gegen Kürzungspolitik, Militarismus und Rassismus kämpfen. Im nächsten Jahr muss sich Tsipras dem Urteil der Wählerinnen und Wähler stellen. Für 2019 sind allerdings auch weitere Rentenkürzungen geplant, 2020 folgen Steuererhöhungen. In den Umfragen liegt das Linksbündnis Syriza jetzt schon mit rund 13 Prozentpunkten Rückstand hinter der konservativen Nea Dimokratia. Auch Tsipras persönlich bekommt schlechte Noten: 67 Prozent äußern eine negative Meinung über den Premier. Die Erfahrung sollte eine Warnung für alle Linken sein.
(Quellen unter anderem: Rede von Alexis Tsipras und Stratfor zu Griechenland)
Schlagwörter: Alexis Tsipras, Griechenland, Imperialismus, Syriza