Abgasbetrug, Arbeitsplatzabbau und die Angst vorm großen Absturz: Die Autoindustrie steckt in der Krise – schon vor Corona. Warum Klimaschutz und Arbeitsplätze kein Widerspruch sind und wie die sozial-ökologische Transformation gelingen kann, erklärt Stephan Krull
Stephan Krull, bis 2006 Mitglied des Betriebsrats bei VW in Wolfsburg, ist Koordinator des Gesprächskreises »Zukunft Auto, Umwelt, Mobilität« der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Mitglied des Landesvorstands der LINKEN in Sachsen-Anhalt und Herausgeber eines kritischen Geschichtsbuches zu VW (75 Jahre »Stadt des KdF-Wagen« /Wolfsburg).
In der Corona-Krise ist fast alles anders als vorher: Hunderte Milliarden Euro stehen zur Verfügung, die Schuldengrenze gilt nicht, Zugänge zu Kurzarbeitergeld und Hartz IV wurden erleichtert, Autofabriken und Zulieferbetriebe stehen still oder bauen Atemschutzmasken und Medizintechnik: Konversion vom feinsten.
Andererseits ist Corona mit herben Einschränkungen wie Schulschließungen, Betriebsschließungen, Kurzarbeit, Umsatz- und Lohnausfall und demnächst mit Insolvenzen und massenhafter Erwerbslosigkeit verbunden. Die erzwungene Entschleunigung macht mehr Angst als Vergnügen, die Romantisierung ist ein Privileg derjenigen, die eine große Wohnung mit Balkon oder eine Villa mit Garten haben.
Autoindustrie: Eine bisher nie dagewesene Krise
Andere Entschleunigungserfahrungen sind positiv: Die Facharbeiterin in der Autofabrik, die zwecks Entzerrung in der Werkstatt um 7 Uhr früh beginnt und von ihrem Kollegen um 13 Uhr abgelöst wird: 6-Stunde-Arbeitstag, kurze Vollzeit mit vollem Lohnausgleich. So könnte gutes Leben aussehen und dafür ist ausreichend Geld vorhanden, wenn der Reichtum unseres Landes umverteilt wird und wenn wir aufhören, nur für den Profit zu produzieren: Kriegswaffen, Werbung, riesige Kreuzfahrtschiffe, Millionen Autos und Straßen dafür. Die Wirtschaft muss für die Menschen das sein – nicht umgekehrt! Wir sehen, was nicht systemrelevant ist und wissen umgekehrt, was wirklich wichtig ist, dass es auf die Kassiererin, die Ärztin, den Postboten und und den Altenpfleger ankommt!
Mit den zusätzlichen Ausfällen durch Corona, mit der Beschleunigung der Rezession durch Covid-19 ist jetzt absehbar, dass die Umsätze in diesem Jahr einbrechen werden – eine bisher nie dagewesene Krise für die auf ewiges Wachstum gepolte Auto- und Zulieferindustrie. Während große Hersteller wie VW, Daimler und BMW, Bosch, ZF und Conti mit Milliarden Rückstellungen ohne existenzielle Probleme durch die Krise kommen können, werden kleinere und größere Zulieferbetrieben in den Ruin getrieben und zehntausende Arbeitsplätze vernichtet; als erstes die der Leiharbeiter. Wir erleben die Schrumpfung der Autoindustrie auf disruptive Art und Weise.
Der politisch-industrielle Komplex des Autos
Aber die Bosse und Eigentümer der Autoindustrie wollen weitermachen wie bisher und dazu viel Geld von den nationalen und supranationalen Institutionen abzocken. Das Ergebnis wäre eine enorme Verschärfung der Konkurrenz um Märkte und Marktanteile, ein weiterer Raubbau an Rohstoffen, Bodenschätzen und eine weitere Vergiftung unserer Umwelt. Die Unternehmen wollen die Krise nutzen, um Arbeitsschutz,Verkehrssicherheit, Klima- und Umweltschutz zu deregulieren. Diese Rezepte von gestern helfen nicht aus der Krise, sondern führen in die nächste, noch schärfere Krise. Ob die Autoindustrie damit durchkommt, hängt davon ab, ob wir alle in den Modus von vor Corona wieder zurückfallen oder auf Änderungen orientieren und drängen, ob wir in der Lage sind zu lernen. Es ist an der Zeit, den politisch-industriellen Komplex des Autos zu überwinden. Dafür sind Programme und Bündnisse erforderlich, die soziale Sicherheit und gutes Leben anders definieren, als das bisher der Fall gewesen ist.
Freiheit, Abenteuer, Grenzenlosigkeit: die jahrzehntelangen Versprechen und glitzernden Bilder der Autoindustrie haben sich für die meisten Menschen in ihr Gegenteil verkehrt. Ein sozial-ökologischer Umbau unserer Gesellschaft, der Umbau der Autoindustrie, eine wirkliche Mobilitätswende hin zu guten und preiswerten Verbindungen per Bus und Bahn, gerne mit Algorithmen optimiert, gefährdet keine Arbeitsplätze. Eine solche Transformation schafft viele neue Arbeitsplätze, führt zu lebenswerteren Städten, zu mehr freier Zeit und einem guten Leben für alle. Es ist aber auch die Voraussetzung zur Sicherung der Lebensgrundlagen der Menschen auf der Erde. Wie wir wissen, ist Geld genug da! Wir haben noch eine Chance.
Stephan Krull
Das folgende Interview mit Stephan Krull führten wir am 27. Februar 2020:
marx21: VW, Daimler, BMW, aber auch Bosch, Mahle und Continental: Fast im Wochenrhythmus kündigen Autohersteller und Zulieferer in Deutschland den Abbau von Stellen an. Sind Klimaschutz, Diesel-Skandal und strengere Abgasnormen der Grund für die Krise der Autoindustrie?
Stephan Krull: Natürlich geht es mit dem Verkehr auch wegen der Klimakrise und der Durchsetzung neuer Abgasnormen nicht so weiter wie bisher. Das ist aber nicht die Ursache für die Krise der Autoindustrie – eher ein zusätzlicher Faktor. Der Diesel-Skandal um den gigantischen Abgasbetrug ist hingegen nur ein Symptom der Krise und ein Beispiel für die verzweifelten Versuche der Konzerne, das überlebte Geschäftsmodell in die Zukunft zu retten.
Was ist dann der Grund für die Krise?
Es gibt ein ganzes Bündel von Ursachen, aber der Hauptgrund für die Krise sind die Überkapazitäten der Autokonzerne.
Warum gibt es Überkapazitäten?
Die Konzerne sind auf Gedeih und Verderb zu immer weiterem Wachstum gezwungen. Sie müssen immer mehr Fahrzeuge verkaufen, aber die kaufkräftige Nachfrage ist nun einmal endlich und in Deutschland sogar rückläufig.
Also gibt es zu viele Autos, die keiner kaufen will?
Ein BMW-Manager sagte einmal: »Es mag sein, dass es zu viele Autos gibt – aber ganz sicher zu wenige von BMW.« Das bringt das Problem ziemlich gut auf den Punkt. Die mörderische Konkurrenz der Konzerne um Märkte und Zulassungszahlen führt nicht nur zu Überproduktion, sondern trägt auch dazu bei, den Druck auf die Beschäftigten immer mehr zu erhöhen. Sie müssen ausbaden, was in den Konzernzentralen angerichtet wird. Dabei ist längst klar, dass es so nicht weitergeht. In den Städten und auf den Autobahnen gibt es durch immer mehr Staus und sinkende durchschnittliche Geschwindigkeiten längst einen Verkehrsinfarkt. Das System des motorisierten Individualverkehrs ist an seine Grenzen gestoßen.
Wie reagieren die Autokonzerne darauf?
Die Eigentümer der Betriebe der Autoindustrie, in Deutschland vor allem Daimler, BMW und VW, sind die Familien Quandt, Porsche und Piëch sowie Finanzinstitutionen aus Kuweit und Katar. Die haben kein Interesse an Mobilität. Fabriken und Autos sind für sie lediglich Mittel zu dem Zweck, maximalen Profit zu erlangen. Daher werden diese Konzerne alles dafür tun, die dringend nötige Verkehrswende zu blockieren. Stattdessen setzen sie auf immer größere und immer schwerere Autos.
Was ist die Strategie dahinter?
Mit großen SUVs, die eigentlich niemand wirklich braucht und die extrem umweltschädlich sind, werden hohe Profite erzielt. Kleine Autos für die Städte werfen hingegen keine oder nur geringe Profite ab. Es sind auch solche strukturbedingten falschen Unternehmenspolitiken, die jetzt zu den Auslastungs- und Beschäftigungsproblemen führen. Die Eigentümer und Manager der Autofabriken haben an den realen Mobilitätsbedürfnissen vorbeigeplant und bekommen dafür jetzt die Quittung.
Auch die deutschen Hersteller wollen in Zukunft verstärkt auf Elektroautos setzen. Sollte der Verbrennungsmotor durch die Produktion von Elektromotoren ersetzt werden, könnten Branchenexperten zufolge bundesweit etwa 110.000 Arbeitsplätze wegfallen. Erleben wir erst den Anfang eines gewaltigen Stellenabbaus im Automobilsektor?
Es gibt sogar Prognosen von bis zu 410.000 Arbeitsplätzen, die durch die Umstellung auf Elektroantrieb entfallen könnten. Es werden Milliardenbeträge in die »Transformation« der Antriebstechnik investiert. Der Maßstab dabei: E-Autos sind so groß, so schnell und mit so großer Reichweite ausgestattet wie Autos mit Verbrennungsmotor – ein weiterer schwerer Fehler in der Unternehmenspolitik und der Konstruktion.
Müssen Elektroautos nicht auch, was Leistung und Komfort betrifft, gegenüber den Modellen mit Verbrennungsmotor konkurrenzfähig sein?
Elektromobilität in Form von Autos wie bisher ist keine Lösung. Keines der Probleme, die angegangen werden müssen – Staus, Klima, Ressourcen, Flächenverbrauch –, wird damit gelöst. Durchschnittlich fahren Autos in den Städten 50 Kilometer am Tag mit einer Geschwindigkeit von weit unter 50 km/h und stehen 22 Stunden dumm rum. Das ist verkehrspolitisch Blödsinn, ganz gleich mit welcher Antriebsform.
Die deutschen Hersteller scheinen den Trend zum Elektroauto lange verschlafen zu haben. Glaubst Du, sie können ihren Rückstand gegenüber der Konkurrenz noch aufholen?
Wenn die nötigen Investitionen wieder hereingeholt werden sollen, müssten Millionen Elektroautos verkauft werden. Angesichts des Preises von E-Autos und der steigenden Strompreise, angesichts der beschränkten Lademöglichkeiten und der Ladedauer ist es aber reines Wunschdenken, bis 2030 zehn Millionen Elektroautos auf den Straßen unseres Landes zu sehen; ebensowenig, wie das Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020 erreicht wurde.
Also basiert der Hype um das E-Auto auf vollkommen unrealistischen Erwartungen?
Es steht überhaupt nicht die Menge Strom zur Verfügung, die dafür gebraucht würde – es sei denn die Atomkraftwerke werden wieder angeschaltet. Die Autoindustrie trommelt bereits dafür. In China, dem Hauptabsatzmarkt für die deutschen Autokonzerne, wurde die Förderung von Elektroautos inzwischen zurückgefahren. Das E-Auto fährt in eine Sackgasse ohne Wendemöglichkeit. Insofern ist, was die Unternehmen gegenwärtig betreiben, ein reines Vabanquespiel zu Lasten der Beschäftigten. Die Rechnung wird nicht aufgehen und es wird zu einem zerstörerischen Erdbeben in der Autoindustrie Europas kommen.
Zweieinhalb Millionen Beschäftigte arbeiten in der europäischen Autoindustrie und viele bangen schon jetzt um ihre Arbeitsplätze. Gleichzeitig ist der Verkehrssektor derjenige, in dem die Schadstoffemissionen sogar gestiegen sind. Wie sollen Gewerkschaften und politische Linke mit dem Konflikt zwischen notwendiger Verkehrswende und dem Schutz von Arbeitsplätzen umgehen?
Klimaschutz und Arbeitsplätze sind dann kein Widerspruch, wenn sinnvoll und nachhaltig produziert und konsumiert wird. Bezogen auf Mobilität: Die Bahn lässt Züge ausfallen, weil sie zu wenige Lokführerinnen und Lokführer hat. Der ÖPNV kann nicht ausgebaut werden, weil die Produktionskapazitäten für Triebwagen und Straßenbahnzüge nicht vorhanden sind. Eine Mobilitätswende mit einem Zeithorizont von etwa zehn Jahren führt nicht zu Arbeitsplatzverlusten, sondern zu zusätzlichem Bedarf an Arbeitskräften. Wenn dann noch die fällige tarifliche und gesetzliche Arbeitszeitverkürzung hinzukommt, dann müsste wirklich niemand Angst vor sozialem Absturz haben.
Du hast selbst bei VW gearbeitet und kennst den Betrieb von innen. Lassen sich aus Autowerken so einfach Zugfabriken machen und wie könnte die Transformation konkret vonstattengehen?
In einem auf zehn Jahre angelegten systematischen Prozess ist das durchaus möglich. Die Autofabriken werden ja schon heute bei jedem Modellwechsel umgestülpt und neue Fabriken werden für flexible Produktion gebaut. Schon seit langem werden etwa im Motorenwerk von VW in Salzgitter auch Schiffsmotoren gebaut, eine Zeit lang auch Blockheizkraftwerke. Aber in erster Linie ist das ein technischer Prozess, der am besten von den Beschäftigten selbst geregelt werden kann, wenn klar ist, was gebaut werden soll, wer den Umbau finanziert und wo die neuen Produkte zum Einsatz kommen.
Die Beschäftigten sollen die Konversion der Autoindustrie selbst managen?
Sie wissen am besten, was auf ihren Anlagen produziert werden kann und wie ihre Anlagen für andere, sinnvolle Produkte umgerüstet werden müssen. Allein in Wolfsburg arbeiten über 20.000 Ingenieurinnen und Techniker in der Forschung und Entwicklung. Wenn die den Auftrag und die Zeit bekommen, andere, sinnvolle und nachhaltige Produkte zu entwickeln – ich bin sehr sicher, dass ihnen dann eine Menge einfällt.
Auch die AfD versucht, sich als Stimme der Beschäftigten in der Autoindustrie zu präsentieren und hetzt gegen die vermeintliche »Klimahysterie«. Siehst du die Gefahr, dass sie damit Erfolg haben könnte?
Die AfD versucht, vor und im Betrieb zu spalten. Aber den Klimawandel an sich, beziehungsweise den Anteil der Industrialisierung und unserer Produktionsweise daran zu leugnen, das verfängt bei den meisten Beschäftigten nicht. Auch die Beschäftigten in der Autobranche sind interessiert am Überleben der Menschheit. Auch sie sind Mütter und Väter mit Interesse an einer intakten Umwelt.
Aber steht die Angst vor dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes dem Klimaschutz nicht entgegen?
Natürlich ist das Lohnarbeitsverhältnis an sich widersprüchlich und den rechten Kräften und Unternehmern gelingt es immer wieder, die sozialen Interessen gegen die ökologischen Notwendigkeiten in Stellung zu bringen. Dagegen muss durch gute Öffentlichkeitsarbeit unsererseits, durch gewerkschaftliche und politische Bildungsarbeit ein Damm aufgebaut werden. Ansonsten kommt es auf ureigene linke und gewerkschaftliche Positionen und Aktionen an, wie den Kampf gegen Leiharbeit, geringe Tarifbindung und schlechte Entlohnung sowie für die Gewährleistung von sozialer Sicherheit.
Du warst über 15 Jahre Betriebsrat bei VW und Teil der Gewerkschaftsleitung im größten Werk in Wolfsburg. Wie bewertest du den Umgang der IG Metall mit der Krise der Autoindustrie und der nötigen Verkehrswende?
Die IG Metall steht zum 2-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens und unterstützt Fridays for Future. Was den Umgang mit der Krise betrifft, gibt es natürlich innergewerkschaftlich immer den Konflikt zwischen Anpassung und Widerstand, zwischen Sozialpartnerschaft und Klassenkampf – beziehungsweise der Gewichtung dieser beiden Ansätze zur Vertretung der Interessen der Beschäftigten. Und natürlich könnte die IG Metall offensiver sein.
Was müsste sie tun?
Letztlich geht es um die Macht im Betrieb. Die Gewerkschaft hat aufgrund des hohen Organisationsgrads in der Autoindustrie relativ viel Macht. Aber noch mehr Macht haben die Eigentümer und die Manager, weil es zu wenig Mitbestimmung und keine Demokratie im Betrieb gibt. Was und wieviel im Betrieb produziert wird, entscheidet immer noch das Unternehmen. Das ist die Schwierigkeit für die IG Metall. Konkret auf die Mobilitätswende bezogen: Die IG Metall könnte die unmittelbaren Interessen der Beschäftigten in der Autoindustrie besser vertreten, wenn sie gleichzeitig massive Investitionen in den Bahnbetrieb fordern und umsetzen könnte. Dafür gibt es in der gegenwärtigen Debatte durchaus Ansätze. Diese müssen nun konkretisiert und weiterentwickelt werden, treffen aber unter den Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben durchaus auf offene Ohren.
Wie könnte ein sozial-ökologischer Umbau der Autoindustrie, wie Du ihn forderst, aussehen?
Die Autoindustrie muss geschrumpft werden und sich zu einer Mobilitätsindustrie wandeln. Mit kleineren, flexiblen und algorithmengesteuerten Fahrzeugen neben für alle zugänglichen öffentlichen Verkehrsmitteln im Nah- und Fernverkehr sind die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Das ist aber nicht sonderlich profitträchtig und wird deshalb ohne Eingriffe in die Verfügungsgewalt und in die Eigentumsrechte nicht zu bewerkstelligen sein.
Du sprichst davon, die Autoindustrie müsse unter »gesellschaftliche Kontrolle gestellt werden«. Wie kann man sich das vorstellen?
Unser Grundgesetz gibt dafür die Handhabe: Das Eigentum an Produktionsmitteln kann vergesellschaftet werden, wenn und soweit dies der Allgemeinheit nutzt. Unser Rechtsrahmen bietet also durchaus die Möglichkeit, Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft zu überführen. Auf diese grundgesetzliche, demokratische Art und Weise kann und sollte die Automobilindustrie unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt werden, bevor die Manager die Karre wegen ihrer Sucht nach Maximalprofiten vollends an die Wand fahren.
Aber ist eine Enteignung der mächtigsten Konzerne Deutschlands nicht vollkommen unrealistisch?
Natürlich ist es eine Frage der Kräfteverhältnisse, wie weit gesellschaftliche Kontrolle über die Produktionsmittel reicht. Aber es ist unsere Aufgabe, die Frage der Demokratie in der Wirtschaft, der betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung auf das politische Tableau zu heben und Druck dafür zu machen. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass wir heute über die Enteignung großer Immobilienkonzerne reden? Genau wie Wohnen ist auch Mobilität ein Teil der Daseinsvorsorge und ein Grundrecht – das darf nicht privaten Profitinteressen überlassen bleiben; ebensowenig wie Gesundheit, Bildung, Wasser- und Energieversorgung. Mobilität ist eine Grundvoraussetzung für soziales Leben in unseren Gesellschaften. Natürlich muss das, was alle angeht, auch von allen gemeinsam beraten, beeinflusst und entschieden werden – alles andere ist undemokratisch.
Wie könnte das konkret aussehen?
Ich könnte mir Mobilitäts- und Zukunftsräte vorstellen, die auf allen Ebenen installiert werden und in denen Beschäftigte, Gewerkschaften, Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherverbände, Gebietskörperschaften und auch Unternehmensvertreter zusammen beraten und auf Augenhöhe Entscheidungen treffen. Wir müssen den privatwirtschaftlichen Sektor mit seiner paternalistischen Despotie weiter beschränken, um den demokratischen Teil unserer Gesellschaft zu vergrößern und zu stärken. Es gibt einen unauflöslichen, antagonistischen Widerspruch zwischen den Profitinteressen der Eigentümer und Großaktionäre einerseits und den Interessen der 99 Prozent der Bevölkerung an guter Arbeit und gutem Leben andererseits.
Das Interview führte Florian Fandrich.
Schlagwörter: Auto, Automobilindustrie, Gewerkschaft, Klima, Verkehr, Verkehrswende