DIE LINKE streitet um den richtigen Kurs in der Asylpolitik. In Thüringen und Berlin ist die Partei an den Regierungen beteiligt – und deren Politik gerät in Widerspruch zu Geflüchteten und antirassistischen Initiativen. Von Irmgard Wurdack
Als Bodo Ramelow im Dezember 2014 erster Ministerpräsident der LINKEN wurde, erließ er sofort einen »Winterabschiebestopp«. Auf die Frage, was dieser koste, antwortete er: »Das kostet zunächst erst einmal Menschlichkeit.« Die rot-rot-grüne Landesregierung erntete für ihre Entscheidung viel Lob von Flüchtlings- und Helferinitiativen. Und auch die Tatsache, dass die AfD-Landtagsfraktion Klage vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof einreichte, zeugt von der Signalwirkung dieses Schrittes. Der Abschiebestopp weckte Hoffnungen, DIE LINKE könne in der Regierung tatsächlich den Unterschied machen.
Kehrtwende in der Asylpolitik in Thüringen
Doch schon im Oktober 2015 erfolgte die Kehrtwende: »Es wird keinen pauschalen Abschiebestopp geben«, sagte Ramelow nun. Lediglich humanitäre Einzelfälle würden geprüft. »Den Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, muss dies auch klargemacht werden.« Angesichts der hohen Zahlen von Asylsuchenden sehe sich die rot-rot-grüne Landesregierung zur Durchführung von Abschiebungen auch während der Wintermonate gezwungen. Und genauso kam es (Lese hier einen Artikel zur Frage: »Abschiebungen in Thüringen: Die Grenzen linker Regierungspolitik«).
Repressive Asylpolitik und Abschiebung: Thüringen auf Platz 2
Mittlerweile ist Thüringen hinter dem Saarland das zweitfleißigste Bundesland in Sachen Abschiebungen. Der Anteil der Abgeschobenen an der Zahl der ausreisepflichtigen Personen lag im ersten Halbjahr 2017 mit 45,5 Prozent fast dreimal so hoch wie in Bayern. Zwar sollen viele Geflüchtete sich »freiwillig« für eine Rückkehr ins Herkunftsland entschieden haben, doch die »freiwillige Rückkehr« ist eine perfide Strategie. Denn der Großteil der Rückkehrer geht nicht freiwillig im Sinne des Europäischen Flüchtlingsrats (ECRE). Nach Definition des ECRE gilt als freiwilliger Rückkehrer, wer rechtlich davon ausgehen kann, dass er bleiben darf. Doch die Regierung bezahlt Geflüchteten bis zu 1200 Euro, wenn sie ihren Asylantrag zurücknehmen und Deutschland wieder verlassen, bevor das Asylverfahren überhaupt abgeschlossen ist.
»Hau-Ab-Prämie« statt linker Asylpolitik
Die Diakonie im Rheinland hat diese Art der »Rückkehrförderung« zurecht als eine »Hau-Ab-Prämie« bezeichnet. Auch Pro Asyl meint: »Die Vorgehensweise der Regierung ist eine fiese Strategie, um Menschen daran zu hindern, von ihrem Recht Gebrauch zu machen.«
Mittlerweile häufen sich die Berichte, dass Geflüchtete bei der Rückkehrberatung regelrecht eingeschüchtert werden, nur damit sie »freiwillig« ausreisen. Dass sich eine von der LINKEN geführte Landesregierung an dieser Form der »Rückkehrförderung« beteiligt, ist ein Armutszeugnis. Wiederholt kritisierte auch der Flüchtlingsrat Thüringen die Abschiebepraxis in Thüringen: »Wir haben es hier mit einer ganz neuen Dimension zu tun: In Thüringen wird massiv abgeschoben, auch in Fällen, die ganz klar rechtswidrig gehandhabt werden. […] Wir sind entsetzt und schockiert über dieses gegen alle rechtlichen und moralischen Vorgaben verstoßende und skandalöse Vorgehen«, so Ellen Könneker vom Flüchtlingsrat.
Berlin: Hangarlärm und Massenlager
Und auch in Berlin zeigt sich, dass eine Regierung mit Beteiligung der LINKEN keineswegs eine linke Asylpolitik bedeutet. Unter der für die Unterbringung von Geflüchteten zuständigen Sozialsenatorin der LINKEN, Elke Breitenbach, müssen die Menschen jetzt zwar nicht mehr in überfüllten Turnhallen hausen. Doch von den im Wahlkampf geforderten Wohnungen für alle, damit auch Geflüchtete in »normalen« Mietwohnungen in den Kiezen leben und sich selbst versorgen könnten, ist weit und breit keine Spur.
Tatsächlich lässt die Schuldenbremse, zu der sich DIE LINKE im rot-rot-grünen Senat mitverpflichtet hat, wenig Spielraum, zusätzliche Mittel für neu Ankommende und bereits hier lebende Menschen bereitzustellen. Darüber hinaus ist die tief in den Berliner Baufilz verstrickte SPD nicht bereit, sich mit Immobilienspekulanten und -konzernen anzulegen. Deshalb werden Geflüchtete weiterhin zu Tausenden in Massenlagern ghettoisiert – sogar in Containern, zu Sub-Standards und das ausgerechnet auch noch auf dem Tempelhofer Feld.
Hier stellt sich die Frage, ob wir nicht sehr viel wirkungsmächtiger wären, wenn wir gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat, Geflüchteten, Mieterinitiativen und der Bürgerinitiative »100 Prozent Tempelhofer Feld« gegen die von Baumultis und Bürgermeister Müller (SPD) beabsichtigte Aufweichung des gemeinsam durch einen Volksentscheid durchgesetzten Verbots einer Bebauung des ehemaligen Flugfelds kämpfen würden. Stattdessen rechtfertigt ausgerechnet unsere Sozialsenatorin das Containerlager dort als vermeintlich alternativlos.
Senat in Berlin betreibt »Abschreckungspolitik«
Doch damit nicht genug: Während wir unter dem CDU-SPD-Vorgängersenat in Berlin zurecht dessen menschenfeindliche Asylpolitik angeprangert haben, müssen wir uns jetzt selbst »Abschreckungspolitik« vorwerfen lassen, etwa weil die zuständige Sozialsenatorin der LINKEN Leistungen zur Vollverpflegung in Form von Bargeld verweigert und stattdessen entmündigende Sachleistungen wiedereingeführt hat. Oder weil sie das »Ankunftszentrum« für in Berlin neu eintreffende Asylsuchende erneut etabliert hat – und zwar ohne Not ausgerechnet in einem der früheren Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof.
Flüchtlingsrat kritisiert LINKE
Dort ziehen BAMF, Polizei und Ausländerbehörde das Asylschnellverfahren von erkennungsdienstlicher Behandlung über das Asylinterview bis hin zum Asylbescheid innerhalb von nur drei Tagen durch. Nach ausgehändigtem Bescheid haben die Menschen nur maximal zwei Wochen Zeit, vor Gericht dagegen zu klagen. Sie »müssen während des alles entscheidenden Teils ihres Asylverfahrens die Nächte in der 20 Meter hohen Flugzeuggarage mit über 100 Menschen bei Dauerlärmpegel in nach oben offenen Schlafkabinen ohne Türen verbringen. Ihnen bleibt keine Zeit, um in Berlin anzukommen und sich zu orientieren, nachts in Ruhe zu schlafen oder sich tags zum Asylverfahren beraten zu lassen«, so der Flüchtlingsrat Berlin. Die menschenunwürdige Unterkunft im Hangar ist allein von Sozialsenatorin Breitenbach zu verantworten. Das BAMF hat damit nichts zu tun.
Asylpolitik: Wie DIE LINKE an der Macht ihre Grundsätze verrät
In unserem Wahlprogramm formulieren wir, wir wollen »Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge«, wir verlangen einen »sofortigen Stopp der Abschiebungen« und ein »Bleiberecht für alle« sowie eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in Wohnungen statt Massenunterkünften. Politische Verantwortung zu übernehmen, hieße, außerparlamentarisch und parlamentarisch alles zu tun, um diese Forderungen umzusetzen.
Gerade die Flüchtlingspolitik der Bundesländer mit linker Regierungsbeteiligung zeigt besonders schmerzhaft, wie sehr unsere Mitregierenden dort von den politischen Rahmenbedingungen getrieben sind. Gewollt oder ungewollt stellen sie sich immer wieder gegen soziale Bewegungen und außerparlamentarische Initiativen, mit denen wir eigentlich gemeinsam für eine Verbesserung der Lebensumstände von Geflüchteten und hier Lebenden sowie eine Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse kämpfen müssten. Kein Wunder, dass Bündnispartnerinnen uns vorwerfen, auch wir würden, einmal in der Regierung, unsere Wahlversprechen verraten.
Über die Autorin: Irmgard Wurdack ist aktiv in der LINKEN. Berlin-Neukölln und im antirassistischen Bündnis Neukölln.
Foto: Leif Hinrichsen
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