Rot-Rot-Grün in Thüringen startete mit großen Hoffnungen auf Veränderungen. Doch konnte DIE LINKE ihre Ziele und selbst gesteckten Ansprüche in der Regierung auch umsetzen? Nils Böhlke mit einer vorläufigen Bilanz
Der Amtsantritt von Bodo Ramelow als erster Ministerpräsident der Partei DIE LINKE Ende 2014 war sowohl von riesigen Erwartungen als auch von erheblichen Protesten begleitet. Während sich auf der einen Seite eine Erwartungshaltung aufbaute, nach der durch die Wahl in Thüringen eine bundesweite Verschiebung der politischen Landschaft nach links möglich sei, gab es insbesondere in der Landeshauptstadt Erfurt selber massive Proteste durch rechte und konservative Kräfte. Die tatsächliche Bilanz im Amt ist dagegen erstaunlich übersichtlich. Der Hauptfokus liegt offensichtlich darauf, die Interessen der verschiedenen Koalitionspartner zu moderieren und das angesichts der bestehenden finanziellen Mittel und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse Mögliche umzusetzen. Die vergangenen Jahre zeigen, dass die dafür notwendigen Spielräume kaum vorhanden sind.
Druck auf die Regierung
Im Gegenteil zeigt sich gerade an der Flüchtlingssituation, wie sehr auch ein Ministerpräsident der LINKEN Getriebener der Rahmenbedingungen ist, unter denen er regiert. Noch im vergangenen Jahr war es eine der ersten Maßnahmen der neu gewählten Regierung, einen Winterabschiebestopp durchzusetzen. Bodo Ramelow vollzog damit einen wichtigen symbolischen Schritt, dem er mit der persönlichen Begrüßung von Flüchtlingen im Spätsommer weitere Zeichen folgen ließ. Damit ging er auch in eine rechtliche und politische Konfrontation mit der Bundesregierung und den stärker werdenden rechten Kräften ein. Die AfD klagte gegen den Abschiebestopp, da sich die Regierung damit über Bundesrecht hinwegsetzte. Unter dem Eindruck der gerade erst gewonnen Wahl war die rot-rot-grüne Landesregierung bereit, diesen Druck auszuhalten.
Mit der Zunahme des politischen Drucks von rechts und der finanziellen Belastungen hielt die LINKE-Regierungsfraktion diese Position nun aber nicht mehr durch. Der starke Druck gerade auch in Thüringen durch das massive öffentliche Auftreten rechter Demonstrationen wie ThüGIDA1 und den Kundgebungen der AfD, bei denen regelmäßig deren rechter Hardliner, Björn Höcke, auftritt, hat es für die Regierung schwieriger gemacht, eine flüchtlingsfreundliche Position zu halten.
Aufhebung des Winterabschiebestopps
Dies und die weiter steigende finanzielle Belastung der Landesebene und der Kommunen führten dazu, dass die Regierung 2016 den Winterabschiebestopp wieder aufhob – bereits im März 2015 hatte sich die SPD in Thüringen gegen die Fortsetzung des Winterabschiebestopps ausgesprochen. Wegen der geringen Mehrheitsverhältnisse im Landtag kommt dem Juniorpartner der LINKEN, der SPD, eine bedeutende Rolle zu.2
Insbesondere die Schuldenbremse, zu der sich auch die thüringische Landesregierung bekannt hat, lässt wenig Spielraum, um zusätzliche Mittel für ankommende Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Um die Haushalte nicht zu überlasten und um nicht in dieser heiklen politischen Auseinandersetzung dauerhaft in Konfrontation mit der Bundesregierung zu stehen, scheint die rot-rot-grüne Landesregierung der Auffassung zu sein, dass die Aufhebung des Winterabschiebestopps die einzige Möglichkeit sei.
Die Abschiebepraxis der Regierung
Damit stellt sich die Regierung aber gegen die gesellschaftlichen Kräfte, mit denen sie eigentlich gemeinsam das Land verändern wollte. So zeigte sich der Thüringer Flüchtlingsrat „entsetzt“ über die Abschiebepraxis der Landesregierung. Er kritisiert zudem nicht nur die Abschiebungen an und für sich, sondern auch die Art und Weise, wie die Regierung diese durchsetzt: insbesondere die nächtliche Abschiebepraxis steht hier im Fokus.3 Die Flüchtlingsfamilien müssen nun jeden Abend mit dem unsicheren Gefühl einschlafen, ob nicht die Polizei in der Nacht die Wohnung stürmt. Dabei lag es durchaus im Kompetenzbereich der Landesregierung, die nächtliche Abschiebepraxis zu unterbinden, indem sie beispielsweise die Landespolizei angewiesen hätte, die Abschiebungen nicht zu begleiten. Da dies nicht erfolgte, wurde das antirassistische Profil geschwächt. Dies problematisieren auch die Jugendverbände der drei Regierungsparteien. Sie stellen sich offen gegen ihre Mutterparteien.4
Mangelnden finanzielle und politische Spielräume
Neben der Flüchtlingssituation spiegelt das Agieren der rot-rot-grünen Landesregierung auch in anderen zentralen Bereichen die mangelnden finanziellen und politischen Spielräume wider. So war zwar die Schaffung von „Guter Arbeit“ ein zentrales Ziel, das im Koalitionsvertrag sogar siebenmal Erwähnung findet. Hier formulierte die Landesregierung allerdings in dem zentralen Feld, in dem sie tatsächlich für ein Ende prekärer Löhne sorgen kann, nämlich bei der öffentlichen Auftragsvergabe und bei Institutionen, die öffentliche Zuschüsse erhalten, lediglich einen Prüfauftrag für Mindestlohnvorgaben. Anders als in vielen anderen Bundesländern gibt es in Thüringen bis heute keinen Landesmindestlohn oder auch nur einen Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen. Auch eine ungerechte Eingruppierung der Lehrkräfte an den Universitäten und Fachhochschulen geht die Landesregierung – trotz der Ankündigung im Koalitionsvertrag, die Situation der Beschäftigten in diesem Bereich verbessern zu wollen – nicht an. Die GEW hat die Landesregierung hier zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Und selbst die angekündigten 2500 Arbeitsplätze in einem so genannten sozialen Arbeitsmarkt, dessen sozialer Gehalt in der LINKEN umstritten ist, realisierte die Landesregierung aus finanziellen Gründen nicht. Sie bietet lediglich noch 1500 Plätze an.
Verschlechterungen werden als Erfolge verkauft
All dies hängt höchstens in Einzelfällen mit dem Unwillen der handelnden Personen und Parteien zusammen, es ist vielmehr Ausdruck der gegebenen Rahmenbedingungen, unter denen die Regierung mehr reagieren als agieren kann. Das jahrelange Ausbluten der Länder und Kommunen durch eine Steuerpolitik auf Bundesebene, die einseitig die Reichen und Konzerne begünstigt hat, und die Schuldenbremse lassen zusammen faktisch keine Spielräume für progressive Veränderungen. Um das eigene Handeln dennoch zu legitimieren, beginnt die Regierung, Verschlechterungen als Erfolge zu verkaufen.
Beispiel: Situation an den Schulen
Beispielsweise führt die im Koalitionsvertrag angekündigte jährliche Anstellung von 500 Lehrkräften nicht zu einer Verbesserung der Situation an den Schulen, da es sich der zuständigen Gewerkschaft GEW zufolge nicht um zusätzliche Stellen handelt. Durch diese Einstellungen werden lediglich die altersbedingten Abgänge zum Teil kompensiert. Die GEW schreibt: „In der Summe wird es weniger Lehrkräfte an den Schulen geben.“5 Im Saldo werden in den Schuljahren 2015/16 bis 2018/19 jährlich 122 bis 345 Lehrerinnen und Lehrer weniger an den Schulen in Thüringen unterrichten. Dabei steigt die Anzahl der Schülerinnen und Schüler derzeit von 233.830 im Schuljahr 2014/15 auf 239.186 in 2018/19 – und dabei sind die laut GEW schätzungsweise 8900 zusätzlichen Flüchtlingskinder noch nicht einmal eingerechnet. Hinzu kommt, dass Rot-Rot-Grün zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer anders als beispielsweise in den von der CDU geführten Bundesländern Bayern und Hessen zu einem erheblichen Teil lediglich befristet einstellen will. Auch hier gehen die selbst gesteckten Ansprüche an „Gute Arbeit“ und die Realität weit auseinander. Die zuständige Bildungsministerin der LINKEN, Birgit Klaubert, erklärt hierzu in einer Pressemitteilung, dass damit die Personalsituation an den Schulen „stabilisiert wird“ und dass mehr Lehrkräfte eingestellt werden als in den vergangen Jahren.6 Dass sich die Situation an den Schulen im Saldo dennoch verschlechtert, erwähnt sie nicht. Auch hier führt die Regierungsbeteiligung dazu, dass ein Widerspruch zu den Menschen entsteht, mit denen gemeinsam eine Veränderung der Gesellschaft erreicht werden könnte.
Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen
Damit begibt sich die LINKE in Thüringen auch in einen Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen. Die Fraktionsvorsitzende im thüringischen Landtag, Susanne Hennig-Wellsow, schrieb, dass eine sozialistische Transformation im Regierungshandeln gelingen soll. Dafür braucht es eine Verankerung in und Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen.7 Dies wird aber nicht gelingen, wenn das eigene Regierungshandeln im ständigen Widerspruch zu den Forderungen und Ansprüchen dieser Bewegungen gerät. Wirkliche Veränderung ist nur durch eine breit getragene und unterstützte Verschiebung der Kräfteverhältnisse möglich. Aus einer staatstragenden Position des „Landesvaters“ wird diese Verschiebung aber nicht gelingen.
1Dem thüringischen Ableger der PEGIDA-Demonstrationen.
2Vgl. Martin Haller: Abschiebungen in Thüringen: Die Grenzen linker Regierungspolitik, http://marx21.de/abschiebungen-thueringen-die-grenzen-linker-regierungspolitik/, aufgerufen am 22.03.2016
3http://www.fluechtlingsrat-thr.de/aktuelles/pressemitteilungen/abschiebepraxis-sofort-stoppen
4https://www.jenapolis.de/2016/01/27/rot-rot-gruene-jugendverbaende-fuer-eine-neuorientierung-der-thueringer-asylpolitik/
5http://www.gew-thueringen.de/presse/detailseite/neuigkeiten/offener-brief-an-die-landtagsabgeordneten-demokratischer-parteien-weniger-lehrkraefte-in-thueringer-schulen-sagen-sie-nein-zum-doppelhaushalt/
6https://www.thueringen.de/th2/tmbjs/aktuell/medienservice/mi/89218/index.aspx
7http://www.susannehennig.de/fileadmin/SusanneHennig/Sozialismus_Heft_12_2015_Hennig-Wellsow.pdf
Foto: dielinke_sachsen
Schlagwörter: Bodo Ramelow, DIE LINKE, DIE LINKE Thüringen, Kapitalismus, Regierungsbeteiligung, Rot-Rot-Grün, rot-rot-grüne Landesregierung, Strategie, theorie21, Thüringen