Die Bundesregierung verschärft das Asylrecht, obwohl es für Einheimische und Geflüchtete genügend gute Arbeit und Wohnungen gäbe. Warum die Parole von der »begrenzten Aufnahmefähigkeit« Deutschlands falsch ist und nur der rassistischen Hetze von Pegida, AfD und NPD nützt, erklären Hans Krause und Yaak Pabst.
Von CSU-Hardliner Horst Seehofer über Bundespräsident Gauck bis hin zu SPD-Chef Gabriel: Es vergeht nicht ein Tag an dem Politikerinnen und Politiker vor den »Grenzen der Aufnahmefähigkeit« in Deutschland warnen. Zwar hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch behauptet »Das Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenze« – doch jetzt beschließt ihre Regierung die schärfste Einschränkung des Asylrechts seit 1993. Begründet wird dies vor allem damit, dass Deutschland angeblich nur eine begrenzte Zahl von Menschen aufnehmen könne und Städte und Gemeinden keinen Platz und kein Geld mehr für Flüchtlinge hätten. Doch nichts davon entspricht im Geringsten der Wahrheit. Die teilweise katastrophalen Zustände vor Ort hat die Bundesregierung selber zu verantworten. Jahrelang blieb die Bundesregierung trotz steigender Flüchtlingszahlen untätig und sorgte nicht für ausreichend Wohnraum, für genügend Schul- und Kitaplätze, für eine Gesundheitsversorgung und Zugang zu Arbeit. Jetzt wird so getan, als sei plötzlich eine Katastrophe aufgetreten, doch der aktuelle Notstand hätte durch vorausschauendes Handeln vermieden werden können. Tatsächlich müssen Flüchtlinge Katastrophen durchleben: die Katastrophen, die sie zur Flucht aus ihrer Heimat getrieben haben, die Katastrophe, hier unter freiem Himmel oder in riesigen Behelfsunterkünften hausen zu müssen, die Katastrophe, zwischen zuständigen Bürokratien hin und her geschubst zu werden. Während sich manche Kommunen trotz aller Widrigkeiten ernsthaft um Lösungen bemühen, inszenieren andere den Notstand: ein brandgefährliches Vorgehen, dass den Nährboden für die Hetze und Angriffe von lokalen Neonazi-Gruppen bietet. Dass jetzt immer mehr Kommunen sagen, sie seien mit der Unterbringung überfordert, ist nicht die Schuld der Flüchtlinge, sondern der Großen Koalition, die bis heute auf eine Politik der Abschreckung und Repression setzt.
Asylrecht: Deutschland kann mehr Flüchtlinge aufnehmen und gleichzeitig die Armut bekämpfen
Der deutsche Staat ist einer der reichsten der Welt. Niemand müsste arbeitslos oder arm sein. Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der die Grenze der Belastbarkeit von Wohnraum, Arbeit oder Bildung noch nicht annähernd erreicht sind. Politikerinnen und Politiker sprechen trotzdem von der angeblichen »Grenze der Aufnahmekapazität«, weil sie diesen Reichtum nie für die Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung eingesetzt haben und es auch weiter nicht tun wollen. Schon seit Jahren arbeiten Millionen Menschen im Niedriglohnsektor, in den Städten fehlt es an bezahlbarem Wohnraum, die Schulen und Hochschulen haben zu wenig Lehrpersonal und sind mangelhaft ausgestattet. Es gibt zu wenig Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas und Bibliotheken, Schwimmbäder und andere kommunale Einrichtungen sind von Schließung bedroht. All das ist schon seit Jahren so und hätte nie passieren müssen: Die Steuereinnahmen sprudeln, der Haushaltsüberschuss lag laut Statistischem Bundesamt im ersten Halbjahr 2015 bei 21 Milliarden Euro. Aus der europäischen Schuldenkrise ergaben sich laut dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle für den Bundeshaushalt seit 2010 Einsparungen von rund 100 Milliarden Euro. Als in der Krise 2008 die Banken vor dem Zusammenbruch gerettet wurden, beschloss der Bundestag innerhalb einer Woche ein Rettungspaket von fast 500 Milliarden Euro. Die angeblich »Beschränkte Aufnahmekapazität« soll von der tatsächlich seit Jahren stattfinden Ausplünderung der öffentlichen Haushalte ablenken. Die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge ist tatsächlich bedroht, allerdings nicht von Flüchtlingen, sondern von Reichen, Banken, Konzernen und ihrer Regierung.
Warum sind Städte und Gemeinden pleite?
Der Staat gibt Milliarden für Dinge aus, die keinem Menschen nützen und senkt Steuern für die Reichsten der Reichen. Politikerinnen und Politiker stellen die Verschuldung der Städte und Gemeinden oft als unabänderlich dar. Tatsächlich ist sie durch die Steuergesetze der Bundes- und Landesregierungen bewusst herbeigeführt und kann jederzeit verändert werden. Mit 670 Euro im Monat pro Flüchtling zahlt der Bund den Kommunen zwar viel zu wenig, um den Einwanderern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Doch beweist dieser Beschluss vom Flüchtlingsgipfel, dass die Bundesregierung den Städten und Gemeinden jederzeit helfen kann, wenn sie nur will. Angeblich fehlt den Städten das Geld, um Flüchtlinge unterzubringen. Aber gleichzeitig hat die Bundesregierung für 2016 mit 34,2 Milliarden Euro den höchsten Verteidigungshaushalt seit 1990 beschlossen. Zudem haben Merkel und Minister mit der Unternehmenssteuerreform erst 2008 das größte Steuergeschenk-Paket an die Wirtschaft seit 25 Jahren gemacht. Würden heute dieselben Steuergesetze gelten wie vor 20 Jahren, würde der Staat jedes Jahr etwa 50 Milliarden mehr Steuern einnehmen und zwar von Reichen, Banken und Konzernen. Städte und Gemeinden wurden in den letzten Jahren von CDU, SPD, Grünen und FDP ruiniert und könnten jederzeit wieder mit mehr Geld ausgestattet werden. Flüchtlinge verursachen nur geringe Kosten, verglichen mit den Steuergeschenken unter denen Kommunen seit Jahren leiden.
Wohnungen für Geringverdiener, Familien und Geflüchtete
Immobilienkonzerne und Wohnhausbesitzer können gezwungen werden, leerstehende Wohnungen günstig zu vermieten. Wohnen ist ein Grundbedürfnis von Menschen und darf nicht davon abhängig sein, ob es für Unternehmen profitabel ist, Wohnungen leer stehen zu lassen, um sie irgendwann zu verkaufen oder eine Luxussanierung zu machen. Denn Wohnungen gibt es genügend: In Deutschland stehen etwa 1,8 Millionen leer. In ganz Europa nach Recherche der britischen Nachrichten-Seite »theguardian« insgesamt mehr als elf Millionen. Das Bundesinstitut für Bau, Stadt- und Raumforschung hat berechnet, dass bis 2030 die Zahl der leerstehenden Wohnungen in Deutschland auf 4,1 Millionen steigt. Sachsen-Anhalt rechnet in den nächsten 15 Jahren mit einem Rückgang der Einwohnerzahl um 18 Prozent, Thüringen um 13 Prozent. Doch auch in Großstädten stehen Wohnungen leer. Hinzu kommen Millionen Zweit- und Drittwohnungen, die kaum genutzt werden. Auch leer stehende Büroflächen könnten teilweise ohne großen Aufwand in Wohnungen umgewandelt werden. Während einem Asylsuchenden durchschnittlich 4 Quadratmeter Wohnraum bereitgestellt werden, werden alleine in der »Bürostadt« Frankfurt 1,81 Millionen Quadratmeter Büroflächen nicht genutzt.
Der Leerstand ist ein Hauptgrund, warum die Mieten in Großstädten schon in den letzten zehn Jahren so schnell gestiegen sind wie nie zuvor. Immer größere Immobilienkonzerne beherrschen den Markt und verknappen künstlich das Angebot, um mit Mieten größtmöglichen Profit zu machen. Erst im September ist mit Vonovia (ehemals Deutsche Annington) zum ersten Mal ein Wohnungskonzern in den wichtigsten deutschen Aktienindex DAX aufgestiegen. Das Unternehmen besitzt 370.000 Wohnungen, rechnet in seiner Prognose für 2015 mit Mieteinnahmen von 1,4 Milliarden Euro und »strebt einen Leerstand von 3 Prozent« an, das sind 11.100 Wohnungen. Ein weiterer Grund für die hohen Mieten ist, dass der Staat immer weniger günstige Wohnungen anbietet. Die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland ist von 2002 bis 13 von etwa 2,5 auf 1,5 Millionen gesunken. Wenn das Vermieten von Wohnungen und das Festlegen der Preise immer öfter Konzernen überlassen wird, steigen die Mieten weiter, unabhängig davon, wie viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Eine alternative Politik würde leerstehende Gebäude und Wohnungen beschlagnahmen und ein umfassendes bundesweites Sofortprogramm für sozialen Wohnungsbau in Mischnutzung für Geringverdiener, Familien und Geflüchtete auf den Weg bringen. Nur wenn Einwanderer und Einheimische sich gemeinsam für die Rückkehr zum Sozialen Wohnungsbau einsetzen, haben wir eine Chance auf sinkende Mieten.
Es gibt genug gute Arbeit für Flüchtlinge und Einheimische
Auch nützliche und dringend zu erledigende Arbeit ist in Deutschland genug vorhanden – für Geflüchtete und Einheimische. Während Millionen Menschen über Stress und Arbeitsverdichtung klagen, weigern sich aber die Arbeitgeber neue Vollzeitstellen einzurichten, sondern laden den Beschäftigten Überstunden auf. So werden beispielsweise in keinem anderen europäischen Land mehr unbezahlte Überstunden geleistet als in Deutschland. Laut einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) wurden im vergangenen Jahr knapp 1,4 Milliarden Überstunden geleistet. Das allein entspricht nach Angaben der Bundesregierung rund 730.000 Vollzeitarbeitsplätzen. Statt immer mehr Überstunden brauchen wir eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Gleichzeitig fehlt es in Kitas, Schulen, Altersheimen und Krankenhäusern an gutem und angemessenem bezahlten Personal. Mit einem staatlichen Programm für mehr Arbeitsplätze könnten Hunderttausende Geflüchtete und Einheimische dort beschäftigt werden. Doch anstatt die Mindestlöhne zu senken, brauchen wir einen öffentlichen Beschäftigungssektor für tariflich bezahlte und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.
Lohndumping stoppen: Mindestlohn verteidigen – weg mit Hartz IV
Die Arbeitgeber wollen die Flüchtlinge als billige Arbeitskräfte missbrauchen. Beispiel Berufsausbildung: Jedes Jahr gibt es Tausende unbesetzte Ausbildungsplätze im deutschen System der dualen Berufsausbildung. Allerdings handelt es sich hier um Ausbildungsplätze, die kaum ein Jugendlicher haben will: Berufe mit Abbrecherquoten von 50 Prozent, mit häufigen Verstößen gegen das Berufsbildungsgesetz und Jugendarbeitsschutzgesetz. Laut Berufsbildungsbericht 2015 der Bundesregierung kündigen junge Menschen in den Bereichen Gebäudereinigung, Schutz und Sicherheit, Friseurwesen, Umzugs- und Möbelservice sowie in der Gastronomie besonders häufig ihre Ausbildungsverträge. Jugendliche nennen vor allem Konflikte mit Ausbildern und Vorgesetzten, eine mangelnde Ausbildungsqualität und ungünstige Arbeitsbedingungen als Gründe. Gleichzeitig bleiben jährlich 280.000 Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen, ohne Berufsausbildung. Nach einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) hatten im Jahr 2012 2,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren keinen Beruf erlernt. Aufnahmefähig ist dieses System deswegen nur, wenn der Staat gezwungen wird, die Verantwortung auch für diesen Sektor der Bildung zu übernehmen und allen Jugendlichen qualifizierte Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Um Flüchtlinge und Einheimische vor Lohndumping zu schützen, muss der Mindestlohn verteidigt und auf 10 Euro angehoben werden. Statt Hartz IV für Einheimische und Sachleistungen für Flüchtlinge sollte die Bundesregierung eine sofortige Mindestsicherung von 1050 Euro einführen, ohne Sanktionen, für Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können. Kitas, Schulen und Hochschulen müssen umgehend für geflüchtete Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene geöffnet werden, für Sprachkurse müssen mehr Lehrende eingestellt werden, Bildungsabschlüsse in den Herkunftsländern müssen anerkannt werden.
Asylrecht: Können wir Millionen Flüchtlinge aufnehmen?
Ja, Deutschland ist nicht erst seit kurzem, sondern war schon immer ein Einwanderungsland. Einwanderer kommen seit Jahrhunderten in großer Zahl nach Deutschland, wurden integriert und selbst zu Einheimischen. Bereits im 19. Jahrhundert wanderten hunderttausende Polen und Italiener ins Deutsche Kaiserreich ein, allein ins Ruhrgebiet etwa 300.000 damals so genannte »Ruhrpolen«. Niemand würde heute Menschen, die Nowak, Kowalski oder Schimanski heißen, für Ausländer halten. Auch beim besten deutschen Basketballspieler Dirk Nowitzki vermutet man keinen Migrationshintergrund. Doch all diese Namen haben einen polnischen Ursprung, stammen überwiegend von Einwanderern und sind mit den Jahren zu »deutschen« Namen geworden. Die jüngere Geschichte Deutschlands zeigte vor allem nach 1945, dass es keine natürliche »Aufnahmefähigkeit« einer Gesellschaft gibt. Vielmehr war die Bereitschaft, Einwanderer aufzunehmen, immer stark davon abhängig, ob Politiker und Medien gesagt haben, dass die Einwanderung erwünscht sei oder nicht. Nach Kriegsende 1945 kamen Menschen aus den bisherigen deutschen Ostgebieten und aus Rumänien, Jugoslawien und der Tschechoslowakei als Vertriebene in die vier Besatzungszonen. Bei der ersten Volkszählung nach dem Krieg (1946) wurden 9,7 Millionen Flüchtlinge im verkleinerten und stark zerstörten Deutschland gezählt. Bei einer Gesamtbevölkerung von 65,9 Millionen waren das 15 Prozent.
Dazu kamen noch einmal über 5 Millionen »Evakuierte«, die noch während des Krieges ihre Wohnungen verloren hatten. Im späteren Westdeutschland waren 1945 41 Prozent aller Wohnungen zerstört. Die Flüchtlinge und die Ausgebombten wurden »einquartiert«, leerstehender Wohnraum wurde bis in die letzte Kammer genutzt, Notbaracken wurden gebaut. Es gab große Spannungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Neid und Missgunst beherrschte die Stimmung unter den «Alt-Bewohnern«. Aber Medien und politische Parteien und auch die Militärbehörden haben diesen Spannungen damals geschlossen entgegengewirkt. Ein anderes Beispiel sind die sogenannten Aussiedler: Einwanderer deutscher Abstammung aus der Sowjetunion, Kasachstan und Polen. In den 80er und 90er Jahren stieg ihre Zahl stark an und lag in den fünf Jahren von 1988 bis 1992 bei rund zwei Millionen. Damit war die Zahl der »Aussiedler« höher als die Zahl der Asylsuchenden (1,2 Millionen) im gleichen Zeitraum. Sie wurden im Vergleich zu Asylsuchenden bevorzugt behandelt und erhielten Erstausstattungen, Eingliederungshilfen, Bildungs- und Sprachangebote. Ein drittes Beispiel sind die Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR. Nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze 1989 und der Vereinigung 1990 kam es zu einer drastischen Ost-West-Wanderung. Über 3 Millionen ehemalige Bewohner der DDR siedelten über in die »alten« Bundesländer. Auch dieser innere Migrationsprozess verlief weitgehend spannungsfrei. »Das Boot« war immer nur dann angeblich »voll«, wenn es sich um Flüchtlinge und Migranten handelte, denen kein deutscher Pass zugestanden wurde. Hier zeigt sich der nationalistische und rassistische Charakter der deutschen Einwanderungspolitik.
In den Flüchtlingsunterkünften ist es zu Schlägereien unter den Flüchtlingen gekommen. Sind sie gewalttätiger als Deutsche?
Nein, schuld an der Gewalt sind die menschenverachtenden Erstunterkünfte in Sporthallen, ehemaligen Baumärkten und anderen leerstehenden Gebäuden. Dort haben die Menschen keinerlei Privatsphäre und stehen unter ständiger Beobachtung: beim Umziehen, beim Waschen, bei jedem Gespräch und jeder Berührung. Mit so vielen Menschen in einer Halle ist es immer laut. Es gibt viel zu wenige Toiletten und Duschen, die immer verschmutzt sind und die medizinische Versorgung ist miserabel. Hinzu kommt, dass viele Flüchtlinge in der Unterkunft in der ständigen Angst leben, wieder in ein Leben voll Armut, Krieg und Unterdrückung abgeschoben zu werden. Außerdem haben Flüchtlinge in den Unterkünften keinerlei Recht auf Mitbestimmung. Sie können noch nicht mal gemeinsame Forderungen aufstellen wie Schüler oder Gefängnisinsassen. In Flüchtlingsheimen gibt es keine Beiräte, keine Sprecher, keinen Einfluss.
Diese von der deutschen Regierung herbeigeführten Umstände sind die Grundlage für Wut, Frustration und Aggressionen. Daraus folgen wiederum Verbrechen, die immer passieren, wenn Menschen in großer Zahl unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht werden. Als 2005 der Hurrikan »Katrina« halb New Orleans überschwemmte, sperrte die US-Armee 20.000 Flüchtlinge ins Football-Stadion der Stadt. Nach etwa einer Woche waren zwei Menschen an Krankheiten gestorben und einer hatte Selbstmord begangen. Zudem gab es zahlreiche Berichte von Zerstörungswut, Schlägereien mit schweren Verletzungen und Vergewaltigungen. Gleichzeitig ist die Berichterstattung in den Medien irreführend. Denn überwiegend sind Flüchtlinge Opfer von Gewalt und nicht Täter. Fast jede Nacht gibt es Anschläge auf Flüchtlinge oder Flüchtlingsunterkünfte – die rassistischen Angriffen sind im Vergleich zu den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Statt den Geflüchteten demokratischer Mitsprache einzuräumen, werden Flüchtlingsunterkünfte immer öfter von privaten Sicherheitsfirmen überwacht, die mit der Situation teilweise überfordert sind – erinnert sei hier an den Skandal im letzten Jahr bei dem der Wachschutz eines privaten Sicherheitsdienstes in mehreren Asylunterkünften in Nordrhein-Westfalen Flüchtlinge drangsaliert und gedemütigt hat. Schon jetzt mehren sich die Meldungen über fehlende winterfeste Unterbringung. In Berlin müssen Flüchtlinge vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Massen anstehen, mit verheerenden Folgen: Dort warnt die nun Caritas vor Kältetod. »Wir können nicht mehr ausschließen, dass Menschen sterben«, sagt Caritas-Direktorin Ulrike Kostka. Kleinkinder stünden »zitternd und blau angelaufen« in der Warteschlange am Lageso. Das neue Asylgesetz ändert an diesen katastrophalen Bedingungen nichts. Im Gegenteil: So werden Menschen ab jetzt länger in Erstunterkünfte eingesperrt sein und ihnen wird zum Überleben Sachleistungen statt Geld geben. Das wird Aggressionen und Gewalt dort weiter verstärken und kann zu weiteren grausamen Verbrechen führen. Erst wenn die Massenunterkünfte aufgelöst und alle Einwanderer eine menschenwürdige Wohnung bekommen haben, ist diese Gefahr gebannt.
Warum das neue Asylgesetz falsch ist
Das neue »Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz« enthält keinerlei Maßnahmen zur Beschleunigung von Asylverfahren. Stattdessen wird Flüchtlingen, die im kalten Herbst in Zelten wohnen müssen, das Leben noch schwerer gemacht. Die Einstufung von Albanien, Mazedonien und Kosovo als sichere Herkunftsländer wird von Menschenrechtsorganisationen, wie beispielsweise Pro Asyl, als falsch angesehen. Amnesty International berichtet immer wieder von Folter und Misshandlungen in albanischen Gefängnissen. Roma werden dort massenhaft aus ihren Siedlungen zwangsgeräumt und vertrieben. Rudko Kawczynski vom »Rom und Cinti Union e.v.« kritisiert in der TAZ: »Es ist ein Anti-Roma-Gesetz«. Flüchtlinge aus »sicheren Herkunftsstaaten« müssen künftig bis zum Ende ihres Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, in denen kein menschenwürdiges Leben und keine Integration möglich ist. Nach wie vor können die Verfahren länger als ein Jahr dauern. Das Gesetz sieht ebenso vor, Flüchtlingen kein Geld mehr zu geben. Statt der 143 Euro Taschengeld, die Asylsuchende bisher ausbezahlt bekommen, müssen die Behörden ab jetzt Naturalien oder Gutscheine verteilen. Der bürokratische Aufwand ist immens. Die ohnehin schon überlastete Staatsverwaltung muss ab jetzt für Zehntausende Flüchtlinge Dinge des täglichen Lebens wie Seife, Shampoo, Zahnpasta und Kleidung einkaufen, zum Flüchtlingslager transportieren, verteilen und ausrechnen, wie viel Geld ihnen dann noch zusteht. Das ist viel teurer und aufwändiger als bisher. Damit wird den Menschen die Chance genommen, zu kaufen, was für sie notwendig ist. Außerdem kann die Polizei ab jetzt Abschiebungen künftig ohne Ankündigung erzwingen. Die Flüchtlinge werden dann von Polizisten zu Hause überfallen, festgenommen und mit Gewalt in ein Flugzeug ins Heimatland gesetzt. Abschiebungen können künftig nicht mehr sechs Monate ausgesetzt werden, zum Beispiel wegen schwerer Krankheit. Der maximale Zeitraum ist jetzt drei Monate. Die geplanten Maßnahmen werden die Integration von Flüchtlingen massiv erschweren. Das Gesetz stellt die Weichen auf Ausgrenzung und Abwehr und ist mit der Achtung von Menschenrechten nicht vereinbar.
Einheimische und Flüchtlinge gemeinsam: Zurück auf die Straße!
Pegida und AfD mobilisieren wieder gegen Flüchtlinge, Muslime und alle Menschen mit Migrationshintergrund. Einheimische Antirassisten und Flüchtlinge müssen ihnen wieder massenhaft entgegentreten. Als Pegida letztes Jahr versuchte, sich über Dresden hinaus auszubreiten, hat die antirassistische Gegenbewegung das verhindert. In München, Stuttgart, Leipzig und vielen anderen Städten haben mehrmals zehntausende gegen Pegida-Ableger demonstriert, ihre Demo-Routen blockiert und ihre Etablierung verhindert. Im Sommer dachten viele, Pegida hätte sich auf den wohlverdienten Müllhaufen der Geschichte verabschiedet, doch Politiker und Medien haben mit ihren Lügen über die angebliche »Jahrhundertwelle an Flüchtlingen« und »beschränkte Aufnahmekapazitäten« den Neonazis und Rassisten in Sachsen wieder Zulauf gebracht. Der AfD ist es gelungen, auch in Erfurt Tausende gegen Flüchtlinge auf die Straße zu bringen. Aus den Worten von vielen werden Taten von einigen: Dieses Jahr gab es bis jetzt die traurige Rekordzahl von 490 Anschlägen auf Asylbewerberheime. Dazu kommen hunderte weitere Gewaltverbrechen gegen Flüchtlinge selbst. Jetzt ist es an der Zeit, dass Deutsche, Ausländer und Flüchtlinge sich den Rassisten wieder gemeinsam in den Weg stellen und verhindern, dass sie die jetzige Einwanderung für ihre menschenverachtenden Aufmärsche missbrauchen und Einwanderer ermorden. In Wien haben am 3. Oktober beim Konzert »Voices for Refugees« 150.000 Menschen für Flüchtlingen demonstriert. Das ist auch in Deutschland möglich. Linke sollten jetzt die Initiative ergreifen: Gegen die rassistische Hetze von Pegida, AfD und NPD und für eine menschlichere Asylpolitik.
Foto: Leif Hinrichsen
Schlagwörter: Analyse, Asyl, Asylgesetz, Asylrecht, CSU, Deutschland, DIE LINKE, Flüchtlinge, Flüchtlingskrise, Hartz-IV, marx21, Merkel, Mindestlohn, Seehofer