Die AfD erklärt den Gebetsruf des Muezzins zu einer Gefahr für Deutschland. Dabei sind es ganz andere Parolen, die eine konkrete Gefahr für Menschen in diesem Land darstellen. Christine Buchholz liefert antirassistische Argumente gegen sieben zentrale Anti-Islam-Forderungen der AfD
Auf ihrem Programmparteitag verabschiedete die AfD als Parteiposition, was ihre Führungsriege bereits im Vorfeld mehrfach geäußert hat: Der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Sie will Minarette, Schleier und Muezzin-Rufe verbieten. Frauen und Mädchen mit Kopftüchern sollen nicht mehr die Schule besuchen dürfen. Der Bau von Moscheen dürfte nicht durch Spenden aus dem Ausland finanziert werden. Damit spricht eine Partei in Deutschland erstmals seit 1945 einer Religionsgemeinschaft ab, sich gleichberechtigt zu entfalten.
Auch Politiker der Regierungsparteien wollen die Rechte von muslimischen Gemeinden einschränken. Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) prägte 2011 den Satz »Der Islam gehört nicht zu Deutschland.« CSU-Generalsekretär Scheuer fordert ein Islamgesetz und der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, will Moscheen staatlich kontrollieren.
Doch nicht Minarette, Muezzin-Rufe oder Schleier bedrohen ein friedliches Zusammenleben in Deutschland, sondern soziale Ungerechtigkeit und Rassismus. Hier die Forderungen der AfD und linke Gegenargumente:
Sollen Minarette als »Herrschaftssymbole« verboten werden?
Die AfD schreibt in ihrem Programmentwurf: »Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab wie den Muezzinruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen Gott gibt.« Es gibt derzeit in Deutschland etwa 200 klassische Moscheebauten, davon 175 mit Minaretten. Die Mehrheit der gläubigen Muslimas und Muslime betet in den etwa 2600 einfachen Gebetsräumen. Zum Vergleich: Es gibt etwa 45.000 Kirchen in Deutschland.
Kirchen, Moscheen, Synagogen, Pagoden waren immer und in allen Religionen architektonische Darstellungen der Größe und Erhabenheit von Gottesvorstellungen. Gotische Kirchen mit ihren hohen Spitztürmen waren Demonstrationen des Führungsanspruchs des Klerus. Die Aussonderung der Moscheen als »Herrschaftssymbole« des Islam ist durch nichts gerechtfertigt. Verbote religiöser Symbolik in Kleidung oder Architektur sind nur Ausdruck rassistischer Intoleranz derjenigen, die sie fordern. Die AfD knüpft mit ihrer Forderung nach einem Minarettverbot an die Volksinitiative in der Schweiz an, die 2009 ein Bauverbot für Minarette durchsetzte. In der Schweiz gibt es nur vier Minarette. Die rechte Partei SVP schürte mit der Volksinitiative eine rassistische Stimmung, von der sie selbst profitierte.
Sollen Muezzinrufe mit Kirchengeläut gleichgestellt werden?
Der AfD-Co-Vorsitzende Jörg Meuthen erklärte in seiner Rede auf dem Parteitag: »Der Ruf des Muezzin darf nicht die gleiche Selbstverständlichkeit beanspruchen wie das Geläut von Kirchenglocken.« Die Evangelische Kirche sieht das anders: »Der öffentliche islamische Gebetsruf gefährdet das Christentum in Deutschland nicht. Als Einladung zum Gebet seien der Ruf des Muezzin und christliches Glockengeläut vergleichbar.«
Derzeit gibt es in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen rund zwei Dutzend Moscheegemeinden, in denen einmal wöchentlich oder bis zu fünf Mal täglich der Ruf des Muezzins zu hören ist. Der Gebetsruf mit Lautsprechern ist durch die Religionsfreiheit gedeckt. Genehmigungspflichtig durch die Kommune sind die Lautstärke und die Häufigkeit der Rufe. Der erste Muezzin-Ruf über Lautsprecher wurde in Deutschland 1985 in Düren genehmigt, wo es seitdem keinerlei Beschwerden darüber gibt.
Ginge es der AfD um die Lärmbelästigung, müsste sie vor allem Kirchenglocken in Frage stellen. Warum sollen christliche Gläubige mit Glocken zum Gebet gerufen werden und muslimische den Gebetsruf nur im Gebäude zu Ohren bekommen? Dies widerspricht der Gleichbehandlung der Religionen.
Sollen die Ausnahmen des Schächtungsverbots aufgehoben werden?
Schächten ist in Deutschland seit 1933 verboten. Es gibt heute jedoch Ausnahmeregelungen für Juden und Muslime. Die AfD will diese Ausnahmen aufheben. »Die AfD lehnt das qualvolle betäubungslose Schächten von Tieren als unvereinbar mit dem Staatsziel Tierschutz ab.«
Die AfD sucht sich gezielt einen einzelnen Aspekt der Schlachtindustrie heraus, weil sie damit antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus stärken kann. Es ist ein Mythos, dass andere Schlachtmethoden weniger Schmerzen und Angstzustände für die Tiere bedeuten. Besonders in der Kritik steht die CO2-Betäubung von Schweinen, die in Deutschland millionenfach angewandt wird. Damit hat die AfD keine Probleme. Die AfD bekennt sich in ihrem Grundsatzprogramm auch sehr positiv zur Jagd – obwohl Jäger nicht betäuben und Tiere häufig nur angeschossen werden und qualvoll verenden.
Für die meisten islamischen und jüdischen Gemeinden in Deutschland ist die betäubungslose Schächtung wesentlicher Bestandteil ihrer Religionsausübung. Von daher sind die Ausnahmeregelungen für jüdische und muslimische Schlachter zu verteidigen. Im Übrigen erinnert die Forderung nach einem kompletten Schächtverbot an das Vorgehen der NSDAP, die den Tierschutz für ihre antisemitischen Ziele missbrauchte. So verboten die Nazis 1933 das Schächten und bestraften es mit Gefängnis – später auch mit Haft im Konzentrationslager.
Soll das Tragen von Burka und Niqab verboten werden?
Im AfD-Programm steht: »Die AfD fordert ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung durch Burka und Niqab in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Dienst. Burka und Niqab errichten eine Barriere zwischen der Trägerin und ihrer Umwelt und erschweren damit die kulturelle Integration und das Zusammenleben in der Gesellschaft.« Die AfD behauptet auch: »Der Integration und Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen sowie der freien Entfaltung der Persönlichkeit widerspricht das Kopftuch als religiös‐politisches Zeichen der Unterordnung von muslimischen Frauen unter den Mann.«
Es ist grotesk, dass sich die AfD die Verteidigung von Frauenrechten auf die Fahnen schreibt. Denn eine soziale und gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen lehnt die Partei ab. Sie verbreitet ein ultra-konservatives Frauenbild und möchte deutsche Frauen aus der Berufstätigkeit wieder an »Heim und Herd« drängen: Sie sollen im Zeichen des »völkischen« Ideals der AfD möglichst viele Kinder bekommen. Sexuelle Selbstbestimmung und Schwangerschaftsabbrüche sollen eingeschränkt werden.
Das Verbot der Vollverschleierung ist eine Scheindebatte. Frauen, die Burkas oder Niqabs (Schleier mit Augenschlitz) tragen, sind, ebenso wie Minarette und Muezzinrufe, sehr selten. Nicht die Frauen, die sich verschleiern, sind das Problem, sondern ihre gesellschaftliche Stigmatisierung. Die Erfahrungen aus Frankreich und Belgien zeigen, dass das Burkaverbot die betroffenen Frauen aus der Öffentlichkeit drängt und ins Haus verbannt.
Die Frauen, die aus freien Stücken Burka oder Nikab tragen, werden durch ein Verbot in ihrer Selbstbestimmung bevormundet und in ihrer Bewegungsfreiheit oder Berufswahl eingeschränkt. Durch ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst werden die Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe von vielen Muslimas erschwert. In Berlin hatte das Verbot eine Signalwirkung für andere Bereiche. Auch in der Privatwirtschaft wurde es als Vorwand verwendet, kopftuchtragende Muslimas nicht einzustellen.
Diejenigen, von Ehemännern oder Familie gezwungen werden, den Schleier zu tragen, haben es mit dem Verbot dann noch schwerer, Beratungsangebote oder Hilfe zu finden. Indem man ihnen eine beruflichen Existenz verwehrt, macht man sie von Ehemann, Familie oder Sozialhilfe abhängig.
Das Kopftuchverbot für Schülerinnen ist die Spitze der Diskriminierung von Muslimas durch die AfD und das Gegenteil von Gleichberechtigung. In Frankreich führt es zum Ausschluss aus öffentlichen Schulen. Ein Kopftuchverbot widerspricht dem Recht auf Bildung für alle und dem Recht auf freie Religionsausübung.
Soll die Finanzierung von Moscheen aus dem Ausland verboten werden?
Die AfD fordert, die Finanzierung von Moscheen aus dem Ausland zu unterbinden: »Islamische Staaten wollen durch den Bau und Betrieb von Moscheen den Islam in Deutschland verbreiten und ihre Macht vergrößern. Die wachsende Einflussnahme des islamischen Auslands ist mit dem freiheitlichen Verfassungsstaat und der Integration von hier lebenden Muslimen nicht vereinbar.«
In dieselbe Richtung hat auch Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU, argumentiert, als er ein »Islamgesetz« forderte. Die AfD ist nur vorgeblich für die Integration, die sie sich auf die Fahnen schreibt: Die Integration von Muslimen sei »weder möglich noch wünschenswert«, rief der Sprecher der neofaschistischen »Patriotischen Plattform« in der AfD Hans-Thomas Tillschneider unter großem Beifall des Parteitags aus.
Die Forderung nach einem Verbot von Auslandsfinanzierung religiöser Bauten oder Dienste muss zurückgewiesen werden. Die katholische Kirche in Deutschland unterstützt in vielen Ländern ihre Glaubensgeschwister finanziell. Niemand würde die Auslandsfinanzierung von christlichen oder jüdischen Einrichtungen in Frage stellen, auch die AfD nicht.
Ein solches Verbot würde den Bau von Moscheen erschweren, denn die muslimischen Gemeinden sind weniger finanzstark als beispielsweise die christlichen Kirchen. Außerdem ist es heuchlerisch von Politikern der CSU und auch der CDU, die Verwendung von Geldern aus der Türkei oder Saudi-Arabien für den Bau von Moscheen verbieten zu wollen, aber gleichzeitig Waffenlieferungen in diese Länder zu befürworten. Es ist auch falsch, den Muslimen zu unterstellen, dass sie die Staatsform von Saudi-Arabien befürworten, nur weil sie in einer von dort gespendeten Moschee beten.
Was die AfD und Scheuer den Muslimen unterstellen, ähnelt dem Vorgehen von Reichskanzler Bismarck gegen die Katholiken im 19. Jahrhundert. Bismarck warf den Katholiken vor, sie seien nicht ausreichend staatstreu, ihre Loyalität gelte vielmehr dem Papst. Im Mittelpunkt von Bismarcks Vorgehen stand das Verbot politischer Äußerungen durch Geistliche von der Kirchenkanzel herab.
August Bebel, der Gründer der Sozialdemokratischen Partei, wandte sich im Jahr 1872 im Reichstag gegen Bismarck und bezog Position gegen ein Verbot des reaktionären Jesuitenordens. Nur sechs Jahre später verbot Bismarck die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Das Beispiel zeigt, wie erst die einen unliebsamen Kräfte vom Staat verboten werden und dann die linken Kräfte folgen. Auch heute sollten wir die Religionsfreiheit gegenüber jeder staatlichen Repression verteidigen.
Sollen Imame in Moscheen deutsch sprechen? Sind Imame eine Gefahr?
Die AfD fordert: »Imame sollen in deutscher Sprache an deutschen Universitäten ausgebildet werden, unabhängig von Weisungen des islamischen Auslands und von muslimischen Verbänden. Von aus dem islamischen Ausland entsandten Imamen geht die Gefahr rechts- und verfassungswidriger Indoktrination der Moscheebesucher aus.«
Auch hier sprang CSU-Generalsekretär Scheuer auf den antimuslimischen Zug der AfD auf, als er forderte, dass Imame zukünftig nur in deutscher Sprache predigen dürften. Selbstverständlich wenden sie sich nicht gegen die lateinische Liturgie in der katholischen Kirche oder gegen andere Sprachen in anderen Gottesdiensten. Der Staat hat keine Vorschriften für Gottesdienste zu machen – ob in der Kirche, in der Moschee oder in der Synagoge. Es ist sinnvoll, dass Migranten – egal welcher Herkunft – Gottesdienste in ihrer Muttersprache hören können.
Viele Imame predigen übrigens auf Deutsch. Die muslimischen Verbände fordern seit Jahren die Ausbildung von Imamen und islamische Theologie als Studiengang in Deutschland, die in vier Hochschulen nun begonnen hat. Die Forderung der AfD, die Imame ohne die Einbeziehung der muslimischen Verbände auszubilden, ist absurd. Die AfD fordert nicht, die universitäre Ausbildung der Pfarrer und Priester ohne die Kirchen zu vollziehen.
Die muslimischen Imame werden hier mit einem Pauschalverdacht belegt und stigmatisiert. Die AfD kann hier an die staatlichen Repressionen gegen Moscheegemeinden in Deutschland in den letzten 15 Jahren anknüpfen. Der Verfassungsschutz beobachtet ganze Moscheen und religiöse Vereinigungen und stigmatisiert sie damit in der Öffentlichkeit – ebenso wie er es mit vielen so genannten Linksextremisten tut. Dass hier doppelte Standards gelten, sieht man daran, dass der Verfassungsschutz es ablehnt, die AfD zu beobachten, obwohl die AfD einen starken neofaschistischen Flügel hat, der ganze Landesverbände dominiert.
Sollen muslimische Gemeinden als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden?
»Die AfD lehnt es ab, islamischen Organisationen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen, weil sie die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen. Islamische Organisationen erstreben den Körperschaftsstatus mit seinen Privilegien, um ihre Macht zu stärken.«
Die AfD erweckt den Eindruck, als ob Muslime besondere Privilegien erhalten würden. Dies ist nicht der Fall. Es geht darum, dass die Muslime endlich die Rechte erhalten, die andere Religionsgemeinschaften selbstverständlich haben. In Deutschland können diese den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts anstreben. Das bedeutet, dass sie Religionsunterricht erteilen und Steuern auf ihre Mitglieder erheben können. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind unter anderem die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinde.
Die Anerkennung der muslimischen Gemeinden als Körperschaft des öffentlichen Rechts in den Bundesländern wäre ein wichtiger Schritt der öffentlichen Anerkennung. Solange andere Religionsgemeinschaften das Recht haben, Religionsunterricht zu erteilen, müssen auch die Muslime dieses Recht haben. Dies ist kein Privileg, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wenn ein Recht einer bestimmten Gemeinde verwehrt wird, ist das Diskriminierung.
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