Vor 500 Jahren wurde der Theologe und Reformator Thomas Müntzer von der Obrigkeit gefangen genommen und hingerichtet. Daniel Kipka-Anton erinnert an den vergessenen Revolutionär der Zeit des Bauernkriegs
Wenn man ins Programm des diesjährigen Kirchentags der evangelischen Kirche in Deutschland schaut, sucht man vergebens auch nur eine Veranstaltung zum Leben oder Wirken von Thomas Müntzer, dem Theologen aus Stolberg im Südharz. An seiner damaligen Bekanntheit kann dieses Fehlen im Programm nicht liegen, denn vor seiner Exekution vor 500 Jahren in Mühlhausen im heutigen Thüringen hat Thomas Müntzer für viel Aufruhr gesorgt. Es liegt auch nicht am für eine kirchliche Veranstaltung durchaus progressiven Programm. Dort finden sich zahlreiche Veranstaltungen zu religiöser Vielfalt, Migration, Geschlechtervielfalt und interkulturellem Dialog. Das Fehlen von Müntzer beim Kirchentag in Hannover lag wohl viel eher daran, dass dieser sich schon damals nicht damit zufrieden gab, nur die Geisteswelt der herrschenden Ideologie anzugreifen, sondern auch die handfesten materiellen Grundlagen der feudalistischen Klassengesellschaft.
Zunächst passierte das an der Seite Martin Luthers. Dieser hatte 1518 mit seinen 95 Thesen für helle Aufregung in der römischen Kirche gesorgt. Darin kritisierte er unter anderem prominent den sogenannten Ablasshandel, der damals von Papst Leo X. ersonnen wurde, um den Neubau des prunkvollen Petersdoms in Rom zu finanzieren. Die Rechnung in einer Welt, in der der christliche Glaube keine Nebensache war, sondern alles bestimmte, war einfach: Jeder, der sündigt, kann mit einer materiellen Spende an die Kirche Vergebung erlangen. Die Kirchenfürsten handelten damals eben aber nicht nur geistlich, sondern waren eine mächtige weltliche Macht. Doch wo Luther letztlich bei einer theologischen Kritik stehenblieb, fing Müntzer erst so richtig an.
Wo Luther stehen blieb, fing Müntzer erst an
Gründe für eine grundlegende Kritik der Verhältnisse gab es in der damaligen Welt viele. Chris Harman schreibt in seinem linken, historischen Standardwerk »Wer baute das siebentorige Theben?« über den europäischen Feudalismus:
»Jeder, der auf seinem Weg zu den königlichen Höfen Nordeuropas kam, muss erschüttert gewesen sein über die dortigen Verhältnisse. Das Land war geteilt zwischen sich befehdenden Freiherren […] Die Bauern lebten überwiegend von Brot und Haferbrei […] Mindestens zwei Fünftel ihrer Lebenskraft mussten sie entweder in Form unbezahlter Arbeit oder in Sachwerten für den Grundherren aufbringen. Als Leibeigene durften die Bauern weder ihre Scholle noch den Grundherrn verlassen.«
Aber widerstandslos nahm die »einfache« Bevölkerung diese Zustände nie hin – ganz im Gegenteil: Was heute als »Deutsche Bauernkriege« bekannt ist, fand zwar vor genau 500 Jahren mit größeren Schlachten und bedauerlichen Niederlagen der Bauern seinen Höhepunkt, war aber nur die Spitze von tausenden kleinen und größeren Aufständen der Leibeigenen, die sich schon im 13. und 14. Jahrhundert von England bis Böhmen zogen. 1524 und 1525 spitzten sich die Gegebenheiten aber fraglos zu. Die Abgaben der Bauern stiegen weiter, dazu wurde gemeinschaftlich bewirtschaftetes Land (die »Allmende«) von den Freiherren beschlagnahmt und dazu kam noch der angesprochene Ablasshandel.
Müntzers »Fürstenpredigt«
In diesem Umfeld wirkte also Thomas Müntzer. Was zunächst mit widerständigen theologischen Akten begann (so übersetzte Müntzer Kirchengesänge und Predigten vom Lateinischen ins Mittelhochdeutsche und machte so den Kirchenalltag für die Normalbevölkerung zugänglicher), ging schnell in die deutliche Kritik der bestehenden Verhältnisse über. In seiner in Prag verfassten Fürstenpredigt nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er schreibt unter anderem:
»Die Fürsten und Herren machen es sich leicht und meinen, sie könnten tun und lassen, was sie wollten. Aber sie werden sich verantworten müssen!«
Und an anderer Stelle:
»Sie wollen nicht wissen, wie das arme Volk lebt und was es leidet. Sie sitzen in Saus und Braus und kümmern sich nicht um die Not der Kleinen.«
Müntzer zog dann auch klare Schlussfolgerungen und Perspektiven:
»O ihr lieben Herren, nehmet die Sache mit Ernst vor. Es ist hohe Zeit. Denn ganz Deutschland steht in Bewegung.«
Der Bruch mit Luther
Diese konfrontative und radikale Kritik der Verhältnisse brachte über die Jahre den klaren Bruch mit Luther, der zwar theologische Herrschaftsverhältnisse kritisierte, die weltliche Ordnung allerdings als gottgegeben begriff und leidenschaftlich verteidigte. Ganz offensiv nahm er dann auch Müntzer und die Bauern ins Visier und schrieb 1525 in seinem wenig subtilen Traktat »Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«:
»Der Bauern Aufruhr ist nicht allein wider Menschen, sondern wider Gott gesetzt; denn es ist wider die von Gott geordnete Obrigkeit.«
Müntzer indes beließ es nicht bei Predigten und Schriftstücken, sondern war aktiv an den Aufständen beteiligt. Beim Aufstand der Bauern in Mühlhausen gründete er eine Art Rat und rief die Bevölkerung zur Bewaffnung auf. Spätestens bei der Schlacht in Frankenhausen, am 15. Mai 1525, kämpfte Müntzer selbst auf Seiten der Bauern. Nach der dortigen Niederlage wurde er gefangen genommen und schließlich am 27. Mai 1525 hingerichtet und nahm damit die letzte Konsequenz seiner Ideen und Taten in Kauf.
Jahrhunderte später fand Müntzer nur in der DDR Würdigung. Dort machte man ihn zum Prototypen des Revolutionärs und band ihn in die ideologische Festigung der Staatsbürokratie ein, während diese selbst jede Bewegung von unten im Keim zu ersticken versuchte.
Thomas Müntzer: Reformator und Revolutionär
Eine echte Würdigung der revolutionären Wirkungsgeschichte Müntzers fand viel mehr durch Friedrich Engels in »Der deutsche Bauernkrieg« statt. Auch er vergleicht zu Luther:
»Münzers politische Lehre floss sehr nahe mit seinen theologischen Anschauungen zusammen; und wenn er auch unter der religiösen Hülle von seinen Zeitgenossen reden musste, so sprachen seine Häresien doch zugleich ein revolutionäres politisches und soziales System aus. [… ] Während Luther den plebejischen Aufstand durch seine Knechtslehre verwarf, trat Münzer entscheidend an die Spitze der Bewegung.«
Vielleicht findet sich in diesem Zitat auch die Antwort darauf, warum weder die evangelische Kirche oder gar irgendeine staatliche Institution den 500. Todestag entsprechend würdigt. Denn damals wie heute gilt, dass Veränderung nur so lange akzeptiert wird, solange sie nicht die grundsätzlichen Fundamente der Ungerechtigkeit in Frage stellt. Grund genug für uns, uns an Figuren wie Müntzer zu erinnern und in ihrem Geiste zu handeln.
Literaturempfehlungen:
- »Q« – Roman, Luther Blissett – packender Roman eines Autor:innen-Kollektivs, beginnend mit der Hinrichtung von Thomas Müntzer
- »Thomas Müntzer – Revolutionär am Ende der Zeiten« – Müntzer-Biographie von Hans-Jürgen Goertz
- »Wer baute das siebentorige Theben?: Wie Menschen ihre Geschichte machen« – Chris Harman
Schlagwörter: Bauernkriege, Kirche, Reformation, Thomas Müntzer