In Polen treibt die Regierung konservative Reformen voran, die vor allem die weibliche Selbstbestimmung beschneiden. Doch die regierende Partei PiS hat nicht mit dem Widerstand der Frauen gerechnet. Von Alicja Flisak
Im März dieses Jahres gab der polnische Ausschuss für Justiz und Menschenrechte eine positive Stellungnahme zu der Gesetzesinitiative des ultrakonservativen Bündnisses »Stoppt Abtreibung« ab. Das Gesetz würde die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs wegen schwerer Schädigung des Fötus aufheben. Dies beträfe derzeit 95 Prozent der etwa tausend legalen Schwangerschaftsabbrüche, die in Polen jährlich durchgeführt werden. Die übrigen fünf Prozent sind Fälle, bei denen die Schwangerschaft Folge einer Straftat war oder wo pränatale Untersuchungen eine unheilbare Krankheit oder schwerste fetale Behinderung zeigen. Damit zählt die polnische Gesetzgebung bereits zu den restriktivsten in ganzen Europa. Feministische Organisationen schätzen, dass jährlich 80.000 bis 200.000 Schwangerschaftsabbrüche im Ausland oder illegal durchgeführt werden.
»Schwarzer Montag«: 90.000 gegen Abtreibungsverbot
Sexuelle Selbstbestimmung und die Einschränkung der reproduktiven Rechte von Frauen ist ein ständig wiederkehrendes Thema der politischen Debatte in Polen seitdem die rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) 2015 an die Regierung gekommen ist. Bereits im Jahr 2016 wurde das totale Abtreibungsverbot im Parlament diskutiert. Aufgrund massiver Proteste, bei denen am »Schwarzen Montag« landesweit 90.000 Menschen auf die Straßen gingen, hatte sich die Regierung damals aus dem Vorhaben zurückgezogen. Jetzt wird erneut über ein verschärftes Abtreibungsverbot verhandelt.
Zu der fatalen Lage haben die polnischen katholischen Bischöfe maßgeblich beigetragen, indem sie die Wiederaufnahme der Arbeit an der Gesetzesinitiative gefordert haben. Diese Entwicklung mobilisierte die feministische Bewegung in Polen erneut und löste eine Protestwelle aus, die sich nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen die Kirche als Unterstützerin und Befürworterin eines strikten Abtreibungsverbots richtete. Angaben von Regierungsvertretern zufolge sollte die Parlamentsdebatte über den Gesetzesvorstoß ursprünglich umgehend erfolgen. Angesichts der Proteste blieb dies jedoch aus, was einmal mehr die Kritik der Kirchenvertreter hervorrief.
Das Bündnis aus katholischer Kirche und PiS
Das Bündnis aus Religion und Politik in Polen hat eine lange Tradition. Die katholische Kirche hatte großen Einfluss auf die Kriminalisierung der Abtreibung im Jahr 1993 sowie auf die Streichung der Sexualerziehung aus dem Schullehrplan Anfang der 1990er Jahre. Konservative Politik und Religion bestimmen seit Jahren die Diskurse über Geschlechterrollen in Polen und zementieren restriktive Rollenbildern für Frauen. Dies schlägt sich in der Gleichstellungspolitik der polnischen Regierung nieder: Sie ist eine diffuse Mischung aus Verlagerung von Sorgearbeit in die Familien, kulturellem und katholischem Konservatismus, der Aufwertung des Nationalstaats und Antigleichstellungspolitik. Vor allem haben ihre sozialpolitischen Reformen einen sehr hohen Stellenwert in der Selbstdarstellung der PiS. Im Vergleich zu den vorherigen Regierungen macht die PiS eine viel dynamischere Politik auf diesem Gebiet und unterstützt stark eine familialistische Ausrichtung des Wohlfahrtsstaats, bürdet also der Familie die alleinige Verantwortung für die Sorgearbeit auf.
Viele der »Sozialreformen«, die die PiS vorantreibt, sind im Kontext des demografischen Wandels zu verstehen. Die letzte Maßnahme ist ein Kindergeldprogramm: Familien erhalten nun rund 120 Euro monatlich pro Kind. Das ist tatsächlich innovativ, denn nach dem Übergang zur Marktwirtschaft 1990 wurden das Recht auf sozialstaatliche Leistungen auf die Ärmsten der Armen beschränkt. Das Kindergeldprogramm hingegen richtet sich an alle und gilt als Anreiz für die Kinderbetreuung zu Hause. Damit verfolgt die PiS implizit das Ziel, Frauen (mit kleinen Kindern) aus dem Arbeitsmarkt zu verdrängen. Explizites Ziel dieser Maßnahme ist es, die öffentlichen Ausgaben für Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren zu senken. Damit wird klar eine Wende in der Sozialpolitik eingeleitet, die von einem konservativen, katholischen Familienbild geprägt ist.
Sinkenden Geburtenrate und aktive Bevölkerungspolitik
Während des letzten PiS-Parteitags wurden weitere ähnliche Projekte angekündigt, zum Beispiel sollen Frauen mit mindestens vier Kindern Anspruch auf eine Mindestrente bekommen und Frauen, die Kinder möglichst kurz hintereinander gebären, eine Prämie erhalten. So versucht die PiS, die gesellschaftliche Entwicklung zurückzudrehen und traditionelle Familienbilder, in denen Frauen hauptsächlich in ihrer Rolle als Betreuerinnen wahrgenommen werden, moralisch und institutionell aufzuwerten
Auch die Debatte über den Schwangerschaftsabbruch und reproduktive Rechte muss vor dem Hintergrund der sinkenden Geburtenrate in Polen gedeutet werden. Konservative und Kirche versuchen, gewaltsam einen Babyboom zu erzwingen. Neben dem Versuch, ein absolutes Abtreibungsverbot einzuführen, sind ein eingeschränkter Zugang zu Verhütungsmitteln, die Wiedereinführung der Rezeptpflicht für die Pille danach und verstärkte Angriffe auf feministische Organisationen in diesem Zusammenhang zu verstehen.
»Gender« als eine internationale Verschwörung
Die Aufwertung der traditionellen Familie und der damit verbundenen Reduzierung der Frau auf ihre Rolle als Hüterin von Kindern und Herd geht einher mit der Verteidigung des »natürlichen Unterschieds« zwischen den Geschlechtern und einem Kampf gegen sogenannten Genderismus, wie Rechte die Bemühungen um Gleichstellung von Frauen und Männern bezeichnen. Dem Wahlsieg der Rechtspopulisten 2015 ging eine Kampagne gegen den »Genderismus« in den konservativen Medien und im religiösen Diskurs voran. So haben die katholische Kirche und die rechtskonservativen Gruppen in Polen vielfach die Initiative ergriffen und sich gegen den Gebrauch des Begriffs »Gender« in politischen Dokumenten und im öffentlichen Diskurs gewandt.
Seitdem verstärkten sich auch die Versuche, die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen einzuschränken. »Gender« wird als eine internationale Verschwörung dargestellt, die aus der sexuellen Revolution und dem kommunistischen Zwang der Geschlechtergleichstellung hervorgegangen sei: Unterstützt von transnationalen Organisationen und dem globalen Kapital würden »Genderisten« die Verbreitung des Schwangerschaftsabbruchs, moralische Dekadenz und Perversion fördern. Dies skandalisiert die Rechte dann wiederum als eine Bedrohung für die Gemeinschaft und traditionelle Familie. »Gender« wird konsequent mit der Abschaffung von Geschlechterunterschieden sowie einer Verwirrung im Bereich der Sexualität in Verbindung gebracht, was in einigen Teilen der Welt angeblich zur Entvölkerung führe.
Frauen als Opfer einer gewaltsamen »Multikultipolitik«
Die rechte politische Szene sieht in der demografischen Zusammensetzung der polnischen Bevölkerung eine ernsthafte Bedrohung. Westliche Länder nutzen in ihren Augen die Zuwanderung zur Lösung dieses Problems. Polen weigert sich, wie die anderen mittel- und osteuropäischen Länder, angeblich aus Sicherheitsgründen, Geflüchtete aufzunehmen. Parallel dazu breiten sich verbale Hassattacken auf Zugewanderte und rassistische Gewalt seit der Machtübernahme der PiS aus. Durch eine tendenziöse Berichterstattung skandalisiert die regierungsfreundliche Presse die Folgen von Migration in Westeuropa und konstruiert Frauen als Opfer einer gewaltsamen »Multikultipolitik«. Durch diese stark rassistisch geprägte Debatte wird die Überzeugung gefestigt, dass Frauen beschützt werden müssen, da sie aufgrund ihrer reproduktiven Fähigkeiten entscheidend für das Überleben der Nation sind.
Anscheinend gibt es keine besseren Glücks- und Erfolgsrezepte für Frauen als Familie und Fortpflanzung. Es gibt keine anderen Lebensentwürfe als die traditionelle, weiße heterosexuelle Familie. Damit steht die Regierung in völligem Einklang mit der kirchlichen Doktrin. Durch die populistischen Reformen wurde die Frauenpolitik mit Familienpolitik gleichgesetzt und das konservativ-nationalistische Frauen- und Mütterbild bekräftigt. Eine emanzipatorische und gendersensible Sozialpolitik bleibt nach wie vor in weiter Ferne. Frauen zahlen heute den höchsten Preis für die von der PiS vorangetriebene konservative Revolution.
Eine starke feministische Bewegung in Polen
Die neue Frauenbewegung fordert aber nicht nur reproduktive Rechte oder sexuelle Selbstbestimmung. Sie organisiert einen allgemeinen Widerstand gegen die Regierung und auch gegen die neoliberale Opposition, die nicht nur im Hinblick auf Frauenrechte ebenfalls keine emanzipatorischen Positionen vertritt. Aus dem ersten »schwarzen Protest« (Czarny Protest) gegen die Verschärfung des Abtreibungsverbots sind seit 2016 weitere Bewegungen entstanden, zum Beispiel gegen die Zerstörung des Białowieża-Urwalds, gegen Luftverschmutzung, gegen die Abhängigkeit der Gerichte von der Exekutive, gegen die Duldung faschistischer Organisationen durch die Regierung sowie gegen die Verletzung der Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern, die den konservativen Konsens hinterfragen.
Die polnische feministische Bewegung ist ein Beweis dafür, dass ein selbstorganisierter Widerstand von unten möglich ist. Es ist nicht nur die größte Mobilisierung im Kampf für reproduktive Rechte seit 1993 sondern auch die erste Bewegung, die es geschafft hat, ein Gesetzesprojekt der neuen Regierung zu stoppen.
Foto: thausj
Schlagwörter: Abtreibung, Feminismus, Frauenbefreiung, Frauenunterdrückung, Gender, Kirche, Polen, Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch