Frauenfeindlich, rassistisch, undemokratisch: Seit etwas mehr als einem Jahr wird Polen von der rechtsgerichteten katholischen Partei für »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) regiert. Ihre Politik stößt auf wachsenden Widerstand. Von Ellisiv Rognlien
Die rechtsgerichtete katholische Partei für »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) ist seit etwas mehr als einem Jahr in Polen im Amt. Sie erhielt im Oktober 2015 37,6 Prozent der Wählerstimmen und verfügt damit über die absolute Mehrheit im Parlament. Mit Beata Szydło stellt die Partei auch auch die amtierende Ministerpräsidentin.
Erste Schlappe für die Regierung
Niemand hätte vor einem Jahr vorhergesagt, dass diese Regierung ihre erste Schlappe bei dem Versuch erleiden würde, eines der strengsten Abtreibungsgesetze weltweit weiter zu verschärfen. Hunderttausende gingen schwarz gekleidet in ganz Polen bei der als »schwarzer Protest« benannten Aktion auf die Straße, vor allem junge Frauen. Viele nahmen sich dafür einen Tag frei. Nach der von einer ultrakonservativen katholischen Bewegung ins Parlament eingebrachten Verschärfung hätten Frauen selbst nach einer Vergewaltigung oder bei schwerer Schädigung des Fötus keinen Abbruch mehr vornehmen lassen dürfen. Zudem war eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren vorgesehen.
Abtreibungen in Polen
Offiziell gibt es jährlich 1000 bis 2000 legale Abtreibungen in Polen. Frauenorganisationen gehen aber von über 100.000 aus. Viele Schwangerschaftsabbrüche werden in Ländern mit liberalerer Gesetzgebung vorgenommen, etwa in Tschechien oder Deutschland. In Polen selbst bauten Frauen ein Hilfsnetzwerk im Untergrund auf. Die Proteste stießen bei Frauen unter anderem deshalb auf so große Resonanz, weil nach Schätzungen vier bis fünf Millionen Frauen in Polen bereits abgetrieben haben, was selten öffentlich thematisiert wird. Einige bekannte Frauen haben dennoch offen über ihre Erfahrung gesprochen. Die Medien überzogen sie mit einer Hasskampagne, doch sie erhielten auch breite Unterstützung.
Massenproteste zwingen Regierung zum Rückzug
Angesichts der Massenproteste ließ die Regierung das neue Gesetz, das in erster Lesung bereits eine Mehrheit bekommen hatte, in der zweiten Lesung scheitern. Die PiS fürchtete sich vor einer fortgesetzten Massenbewegung auf den Straßen. Gleichzeitig muss sie sich den Kirchenoberen dankbar erweisen, die ihr die Wählerstimmen verschafft haben. Sie steht unter dem Druck einer wachsenden ultrarechten bis faschistischen Bewegung, die sie bald überflügeln könnte. Deshalb hat sie als Zugeständnis an diese Kräfte bald nach ihrer Kehrtwende ein eigenes Gesetz »Pro Leben« vorgelegt.
Jarosław Kaczyński, der Hauptstrippenzieher der PiS, erklärte, die Regierung wolle, dass eine Schwangerschaft auch dann ausgetragen werde, wenn das Kind schwer behindert sei oder bald nach der Geburt sterbe, damit es noch getauft und beerdigt werden könne. Frauen sollen rund 1000 Euro erhalten, wenn sie ein schwer behindertes Kind austragen. Das ist ein grausamer und zynischer Versuch der Bestechung von Frauen, die ihre Gesundheit riskieren, ständig in Angst und mit dem Trauma leben, ein Kind gleich nach der Geburt beerdigen zu müssen. Die 1000 Euro decken gerade die Kosten der Taufe und der Beerdigung und fließen gleich in die Taschen der Kirche, heißt es von wütenden Frauen. Sie verlangen stattdessen freien Zugang zur Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs.
Versprechen auf sozialen Wandel in Polen
Die PiS kam Ende 2015 nach einer acht Jahre regierenden extrem arroganten, korrupten und eng mit dem Großkapital verbundenen neoliberalen Koalition unter Führung der Bürgerplattform an die Macht. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs in dieser Zeit, aber einfache Leute spürten davon so gut wie nichts – die Löhne blieben niedrig und die Arbeitslosigkeit hoch, was für viele Familien Armut bedeutet. Die PiS gewann die Wahlen mit dem Versprechen auf sozialen Wandel. Ein wichtiges Versprechen setzte sie tatsächlich um: Familien erhalten jetzt vom Staat monatlich für das zweite und jedes weitere Kind 500 Złoty (rund 110 Euro), sehr arme Familien bereits für das erste Kind. Das bedeutet eine erhebliche finanzielle Entlastung für viele Familien angesichts eines Einkommens, das in der Regel bei knapp 600 Euro liegt.
Viele andere Versprechen löste die PiS nicht ein, wegen der »500+« stehen allerdings immer noch 30 bis 35 Prozent der Wählerschaft hinter ihr. Wie lange die Regierung diese soziale Fassade noch aufrechterhalten kann, ist unklar. Sie plant eine »Bildungsreform«, gegen die jedoch Ende November 2016 in Warschau Zehntausende protestiert haben. Die PiS will die Mittelschulen abschaffen, die Lehrpläne auf christlich-konservativ trimmen und die Schulleitungen konservativ besetzen. Tausende Beschäftigte im Bildungsbereich könnten ihre Arbeit verlieren. Die PiS will auch dafür sorgen, dass Leute schneller aus ihren Häusern geräumt werden können.
Die Linke in Polen
Im Parlament gibt es keine linken Kräfte mehr. Die zwei wichtigsten Oppositionsparteien sind aggressiv neoliberal, verachten Arbeiterinnen und Arbeiter und hassen Gewerkschaften. Beide sind gegen eine Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes – und natürlich gegen das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über ihren Körper. Die postkommunistische SLD, die als »die« linke Partei gilt, vertritt die Interessen des aus dem alten Regime hervorgegangen Unternehmerlagers. Sie ist mitverantwortlich für die bereits Ende der 1980er-Jahre eingeleitete neoliberale Politik; ihre Führung schickte polnische Soldaten in den Irak und erlaubte der CIA, auf polnischem Staatsgebiet Geheimgefängnisse zu unterhalten.
Die Gründung von Razem
Die Gründung von Razem (»Gemeinsam«) im Mai 2015 als neue linke Partei begrüßten alle, die auf eine echte linke Alternative in Polen hoffen. Razem erzielte auf Anhieb 3,6 Prozent der Stimmen. Die Partei sieht sich als sozialdemokratische Neuformierung ähnlich wie Podemos in Spanien, betont Basisaktivität und Kampagnenpolitik, orientiert sich in ihren Zielvorstellungen an dem skandinavischen Modell des Wohlfahrtsstaats und strebt parlamentarische Reformen an. Razem ist inzwischen auf etwa 2000 Mitglieder angewachsen. Allein ihre Existenz hat sozialen Protest befördert und das Diskussionsklima nach links verschoben. In einem Land, in dem das Wort »links« so lange mit alten Parteifunktionären, neoliberalen Geschäftsleuten und Kriegsverbrechern assoziiert wurde, ist eine Partei mit gewerkschaftsfreundicher Politik, Antirassismus, Antisexismus und einer Politik für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ein echter Fortschritt.
Es gibt aber auch einige Schwächen. Razem schloss sich zum Beispiel nicht den Protesten gegen den Nato-Gipfel in Warschau, gegen US-amerikanische Stützpunkte und die Stationierung US-amerikanischer Soldaten in Polen an. Abgesehen davon hat Razem sehr erfolgreich viele junge Leute gewonnen und eine wichtige Rolle beim Aufbau vieler Kampagnen gespielt, insbesondere dem »schwarzen Protest«, der in den vergangenen Wochen gezeigt hat, dass außerparlamentarische Bewegungen etwas verändern können.
Ein autoritäres Regime in Polen
Doch das wird nicht einfach werden, denn die Gesellschaft ist stark polarisiert. Die Regierung arbeitet mit Nachdruck daran, ihre Kontrolle über die Gesellschaft auszuweiten. Insgesamt strebt die PiS ein autoritäres Regime an. Sie besetzt Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft mit ihren Kumpanen und sie hat die Verfassung teilweise ausgehebelt, wogegen schon im Dezember 2015 in ganz Polen Zehntausende auf die Straße gingen. Außerdem hat die PiS das Staatsfernsehen in ein primitives rechtes Propagandainstrument verwandelt. Sie fördert noch weiter rechts stehende Kräfte wie die Organisationen des »Unabhängigkeitsmarsches« am 11. November, der von Faschisten angeführt wird. Fälle rassistisch motivierter Gewalt sind in diesem Jahr deutlich angestiegen. Aber es gab auch eine erfolgreiche antifaschistische Gegendemonstration am 11. November in Warschau mit etwa 5000 Teilnehmenden und der Unterstützung der OPZZ, eine der größten Gewerkschaften. Die Linke muss die Bewegungen für Frauen- und Gewerkschaftsrechte, gegen Rassismus und die Nazis weiter aufbauen und stärken. Das ist die einzige Möglichkeit, die Regierung in Bedrängnis und letztendlich zu Fall zu bringen.
Über die Autorin:
Ellisiv Rognlien ist Mitglied der Partei Pracownicza Demokracja (»Arbeiterdemokratie«).
Schlagwörter: Abtreibung, Feminismus, Frauen, Kirche, PiS, Polen, Schwangerschaftsabbruch, schwarzer Protest