Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und der Deutschen Post kämpfen für höhere Löhne. Warum der Streik und organisierte Solidarität jetzt so wichtig sind. Vom marx21-Netzwerk
Der Artikel ist Teil des marx21-Extras zur Tarifbewegung im Öffentlichen Dienst. Hier gibt es den Flyer als PDF zum Download: M21 Extra Tarifbewegung 2023 / 1 .
Die Gewerkschaft ver.di fordert für den öffentlichen Dienst 10,5 Prozent mehr Lohn, aber mindestens 500 Euro mehr pro Monat. Für die Deutsche Post 15 Prozent mehr, jeweils für ein Jahr (Lies hier den marx21-Artikel des ver.di-Vertrauensleutesprecher Jan-Noah Friedrichs: Streik bei der Post: Fünf Punkte für den Sieg). Diese Forderungen mögen hoch erscheinen, doch sie sind mehr als berechtigt. Denn auch die Inflation in Deutschland bleibt hoch. Im Januar und Februar betrug sie 8,7 Prozent. Sie liegen damit fast ein Prozent über der von 2022 (7,9 %). In den letzten drei Jahren lagen die offiziellen Vorhersagen stets viel zu niedrig. Für 2022 lag die Prognose bei einer Rate von + 2,5 bis 3,3 Prozent.
Da die Prognosen in die Lohnforderungen der Gewerkschaften eingingen, lagen die Forderungen der Gewerkschaften viel zu niedrig mit dem Resultat, dass die Reallöhne im letzten Jahr um 4,1 Prozent gesunken sind. Das darf sich nicht wiederholen. Selbst wenn die Vorhersage der Bundesregierung von 6,0 Prozent Inflation für 2023 zutrifft, bedeutet das: Auf die sehr hohen Preise von 2022 kommen dieses Jahr nochmal 6 Prozent drauf. Die Preise für Strom und Gas sind letztes Jahr sogar um 33 Prozent gestiegen. Für Lebensmittel um 20 Prozent, im Februar 2023 sind die Lebensmittelpreise noch stärker gestiegen auf + 22 Prozent. Und niemand kann uns garantieren, ob das aufhört oder zumindest abnimmt (Lies hier den marx21-Artikel: Entschlossene Lohnkämpfe statt Konzertierte Aktion).
Gleichzeitig steigen die staatlichen Steuereinnahmen für Bund und Länder infolge der Inflation kräftig an, da die Mehrwert- oder Umsatzsteuer als wichtigste Steuer eben mit steigenden Preisen ebenfalls ansteigt. Für den Bundeshaushalt wird für 2023 ein Plus von 8 Prozent voraus geschätzt, für die Länder und Kommunen knapp 5 Prozent. Aber auch die großen Konzerne profitieren von einer Profit-Preisspirale mit Rekordausschüttungen für Diviienden und Managergehälter. Die Post machte 2022 einen Gewinn von 8,4 Milliarden Euro. Regierung und Konzerne lehnen gute Lohnerhöhungen fast immer mit denselben Behauptungen ab. Wir erklären, warum sie falsch sind.
Anti-Streik-Behauptung 1: Die Kommunen haben kein Geld
Auch die Steuereinnahmen der Kommunen steigen jedes Jahr. Dass es trotzdem Städte gibt, die kein Geld haben, liegt nicht daran, dass keines da wäre, sondern dass es falsch verteilt wird. Wie viel Steuereinnahmen die Kommunen bekommen, ist kein Schicksal, sondern wird von den Regierungen in Bund und Ländern entschieden. Deren Politiker:innen sind meist aus denselben Parteien wie die Bürgermeister:innen der Städte.
Wenn eine SPD-Bürgermeisterin zu wenig Geld hat, liegt das an der Steuerpolitik von SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz. Und wenn in Bayern die Stadt eines CSU-Bürgermeisters kein Geld hat, sollte er bei Markus Söder nachfragen. Außerdem: wenn 100 Milliarden € für die Aufrüstung da ist, warum nicht für Löhne und Gehälter?
Anti-Streik-Behauptung 2: Die Forderungen von ver.di sind illusorisch
Die Forderungen sind höher als früher in Deutschland. Das liegt an der extrem hohen Inflation und ist deshalb nicht anders möglich. Würde ver.di eine Forderung aufstellen, die unterhalb der Inflationsrate liegt, würden die Tariflöhne ihre Funktion als Garantie eines Existenzminimums verlieren und das schwächt auch die Gewerkschaften als Organisation der lohnabhängigen Klassen. Die Arbeiterklasse hat die Inflation nicht verursacht, sie hat keine andere Wahl, sie muss jetzt mindestens den Teuerungsausgleich für das letzte, “verlorene” Jahr und für das kommende erkämpfen, wenn sich Armutslöhne nicht noch weiter ausbreiten sollen. In Ländern mit noch höherer Inflation steigen auch die Löhne entsprechend. In Argentinien erreichte die Gewerkschaft im Gesundheitswesen, auch mit Streiks, für 2023 eine Lohnerhöhung von 96 Prozent.
Anti-Streik-Behauptung: Höhere Löhne nützen nichts gegen Personalmangel
Höhere Löhne allein nicht, aber sie haben einen entscheidenden Anteil daran, ob Beschäftigte sich wertgeschätzt fühlen. Immer wieder verlassen Kolleg:innen den öffentlichen Dienst oder die Deutsche Post, weil sie woanders mehr verdienen. In Städten mit sehr hohen Mieten sind gute Löhne ein entscheidender Faktor dafür, ob sich jemand auf eine Stelle bewirbt. Wenn die Arbeitgeber darüber jammern, dass sie keine Bewerber:innen haben, sind die Lohnforderungen von ver.di die beste Hilfe.
Anti-Streik-Behauptung: Wenn die Löhne steigen, werden Standorte oder Kliniken geschlossen
Das ist falsch, weil die Standorte des öffentlichen Dienstes und der Deutschen Post keine Geschenke an uns sind, die sie uns jederzeit wegnehmen können. Der Staat braucht seine Beschäftigten, um das Land zu verwalten und bei guter Gesundheit arbeitsfähig zu halten und die Deutsche Post, um ihre Gewinne zu erwirtschaften. Keine Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern funktioniert ohne mehrere Krankenhäuser. Kein Dorf ohne Müllabfuhr, keine Gemeinde ohne Standesamt. Auch die Deutsche Post unterhält ihre Standorte nicht aus Mitleid mit ihren Beschäftigten, sondern weil sie ihr Milliardengewinne verschaffen. Würde sie ihre Paketzusteller entlassen, könnte der Konzern kein Geld mehr verdienen. Es gibt viele Gründe, warum Staat und Wirtschaft manchmal bestimmte Standorte schließen. Die Höhe der Löhne der Beschäftigten sind in der Regel keiner. Zumal die Löhne bei einem Flächen- oder Konzerntarifvertrag an allen Standorten gleich sind.
Anti-Streik-Behauptung: Das Angebot der Arbeitgeber ist gut
Im öffentlichen Dienst haben die Arbeitgeber bisher kein Angebot gemacht. Die Deutsche Post bietet im Wesentlichen eine Einmalzahlung von 3.000 Euro. Das mag nach viel klingen, ist aber auf 24 Monate verteilt und daher nur 125 Euro mehr pro Monat. Noch schlechter ist, dass dieses 3.000-Euro-Angebot keine sogenannte „Tabellenwirksamkeit“ hat. Das bedeutet, die Lohnerhöhung des nächsten Tarifvertrags wird wieder vom jetzigen Lohn aus berechnet und ver.di müsste eine noch höhere Forderung stellen, um die immer weiter steigenden Preise auszugleichen. Es ist ein Scheinangebot, das nur dazu dient, dauerhaft wirksame Lohnerhöhungen zu verhindern. Deshalb gilt: Einmalzahlungen sind kein Ersatz für einen tarifgebundenen Teuerungsausgleich.
Anti-Streik-Behauptung: Wenn wir streiken, vergibt die Deutsche Post Standorte an Fremdfirmen
Konzerne drohen in Tarifrunden häufig damit, Teile der Arbeit an Fremdfirmen mit schlechterem Tarifvertrag zu vergeben. Aber das sind fast immer Lügen. Wir müssen immer bedenken, dass Lügen, Bluffs und leere Drohungen nicht strafbar sind und deswegen von Konzern-Vorständen benutzt werden, um den Beschäftigten Angst zu machen. Jedoch arbeiten tatsächlich immer mehr Fremdfirmen in großen Unternehmen. Aber nicht wegen hoher Lohnabschlüsse, sondern auch, wenn die Beschäftigten darauf verzichtet haben. Die Gewerkschaften sind den Arbeitgebern in den letzten Jahrzehnten immer wieder entgegengekommen. Die Beschäftigten wurden dafür aber nie belohnt. Auch diesmal versucht die Deutsche Post, die Beschäftigten auszutricksen. Sie droht mit Fremdfirmen, wenn die Beschäftigten streiken. Sie garantiert aber nicht, dass sie keine Fremdfirmen beauftragt, wenn wir auf einen vollen Teuerungsausgleich verzichten. Sollte die Deutsche Post tatsächlich Fremdfirmen beauftragen, kann das auch mit Streiks bekämpft werden. Sollte das nicht gelingen, können die Beschäftigten dafür streiken, dass die Fremdfirmen den gleichen Lohn zahlen wie die Deutsche Post. Die Beschäftigten können nur gewinnen, wenn sie kämpfen und nicht wenn sie auf den guten Willen des Vorstands vertrauen.
Anti-Streik-Behauptung: Wir brauchen das Geld für die deutsche Armee und Waffenlieferungen an die Ukraine
Weltweite Aufrüstung hat niemals zu Frieden geführt, sondern schon zweimal zu einem Weltkrieg. Auch der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion stand mehrere Male am Rande eines Atomkriegs mit wahrscheinlich dutzenden Millionen Toten. Es ist Wahnsinn, jetzt die deutsche Armee wieder zur Weltmacht hochzurüsten. Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine haben seit einem Jahr keinen Frieden gebracht. Stattdessen wurden in diesem Krieg bereits 300.000 Menschen ermordet. Die russische Regierung hat den Krieg begonnen. Doch die Ukraine wird nicht befreit durch einen jahrelangen Krieg mit hunderttausenden Toten. Wie kann eine Ukrainerin frei sein, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter ermordet wurde?
In der Weltgeschichte wurden Kriege nicht mit Waffenlieferungen, sondern mit Waffenstillstand und Friedensverträgen beendet, denen häufig Massenstreiks und Soldatenmeutereien vorausgingen. Es ist nicht wahr, dass man mit einem Diktator wie Wladimir Putin nicht verhandeln könne. Deutsche und andere Regierungen verhandeln seit Jahrzehnten mit China, Iran, Saudi-Arabien und während des Krieges in Afghanistan sogar mit den Taliban; teilweise mit Erfolg. Doch selbst wenn der Krieg beendet würde, bleiben die Aufrüstungspläne der deutschen Regierung eine große Gefahr für die Löhne im öffentlichen Dienst. Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Ausgaben für die Armee auf mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben. Doch das bedeutet eine Erhöhung um mindestens 25 Milliarden Euro pro Jahr. Um eine so große Summe zu erhalten, hat die Regierung kaum eine Möglichkeit als starke Kürzungen im öffentlichen Dienst. Unser Kampf um höhere Löhne ist zwingend auch ein Kampf gegen die Aufrüstung der Armee. Weil Krieg 1) das Steuergeld vernichtet, das wir brauchen und 2) keine Menschen rettet, sondern tötet.
Bild: verdi Betriebsgurppe / marx21
Schlagwörter: Deutsche Post AG, Gewerkschaften, Öffentlicher Dienst, Streik