In Rheinhausen kämpften im Dezember 1987 Stahlarbeiter gegen die Schließung ihres Stahlwerks. Arno Klönne blickt zurück auf den kreativen Widerstand der Arbeiterbewegung
Der Titel dieses historischen Berichtes ist der Bild-Zeitung entlehnt: »Das Drama an der Ruhr. Arbeiter bauen Barrikaden. Autobahn gesperrt. Rheinhausen abgeriegelt« – so die Schlagzeile im Dezember 1987. Kurz zuvor hatte der Krupp-Vorstandsvorsitzende Gerhard Cromme bekannt gegeben, dass in Duisburg, der Metropole der deutschen Montanindustrie, das hochmoderne Stahlwerk Rheinhausen dichtgemacht werden solle.
Zigtausend Stahlarbeiter sahen ihre Arbeitsplätze bedroht. Sie griffen zu ungewöhnlichen Mitteln des Protestes, auf eigene Faust, ohne Anleitung der Gewerkschaftsoberen. Monate lang dauerte der Konflikt. Wirtschaftsherren und Politiker rieben sich die Augen, zu welch phantasievollen Aktionen die Stahlarbeiter fähig waren: Die Rheinbrücke wurde blockiert, Verkehrslinien wurden stillgelegt, Krisensitzungen der Unternehmer gestört, die Villa Hügel der Familie Krupp wurde um ihre Ruhe gebracht, der Gewerkschaftsapparat aufgescheucht, die Politik in Zugzwang versetzt.
160 Tage »soziale Unruhen«, unter Beteiligung eines großen Teils der Bevölkerung vor Ort, die Belegschaften anderer Stahlwerke mobilisierend, mit starkem Echo in den Massenmedien. Duisburg-Rheinhausen war kein Einzelereignis, der dortige Konflikt um die Stilllegung des Betriebs kein Einzelfall. Aber herausragend war die Intensität des dortigen Widerstands.
Wer zahlt für die Krise?
Die Entscheidung von Krupp, den Standort Rheinhausen aufzugeben, fügte sich in eine generelle Strategie der westdeutschen Großunternehmen ein. Auf Kosten der Arbeitnehmer wollten sie einen Ausweg aus der seit den 1970er Jahren andauernden Absatzkrise in der Stahlindustrie finden. Eine »Verschlankung« der Kapazitäten stand an, die Unternehmensstrukturen in der Branche wurden neu konstruiert, die Konzentration von Produktion und Kapital sollte den Profit sichern. Das rheinisch-westfälische Revier verlor nun, nach dem Abbau der Zechen, einen zweiten industriellen Schwerpunkt – von Dortmund bis Duisburg zeichnete sich »das Ende der Stahlzeit« ab.
Die Frage war, welche soziale Klasse die Lasten des Wandels in der Branche tragen würde, wie sich die Stahlkrise auf die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auswirken könnte. In Rheinhausen wussten die Malocher und ihre Familien: »Was gut ist für Krupp, muss nicht gut sein für Krause«. Eben deshalb machten sie den Versuch, ihre Interessen selbst zu formulieren und sie ohne Rücksicht auf Konventionen in die öffentliche Auseinandersetzung zu bringen.
Das ist ihnen auf beispielhafte Weise gelungen und »Rheinhausen« tritt eindrucksvoll als Exempel für Konfliktfähigkeit einer Belegschaft hervor – vor allem wenn man den Vergleich zieht zu Reaktionen von Belegschaften in der gegenwärtigen Krise. Abzuraten ist dennoch von einer sozialromantischen Rückschau auf die damaligen Ereignisse.
Rheinhausen: Erhalt aller Arbeitsplätze
Die Ziele der Belegschaft in Rheinhausen waren: Erhalt der Arbeitsplätze und dafür des Stahlwerks – ohne Lohneinbuße und ohne Verschlechterungen bei der Arbeitszeit und den Arbeitsbedingungen. Sollte Krupp sich zurückziehen, forderte die Belegschaft Ersatzarbeitsplätze vor Ort zu den bisherigen Konditionen. Adressaten dieser Forderungen waren der Konzern und die Politiker in Nordrhein-Westfalen und im Bund. Die IG Metall galt als die organisierende Kraft, um für die Belegschaften der gesamten Stahlbranche diese Ziele gegenüber den Kontrahenten durchzusetzen.
»Die Gewerkschaft, ja, die gibt uns Kraft, / damit der Stahlverband sein Ziel nicht schafft, / und wir reichen uns die Hände / und wir schaffen auch die Wende, / die Gewerkschaft, ja, die gibt uns Kraft«, hieß es im »Stahlarbeiterlied« von Peter Baumöller, das bei den Demonstrationen gesungen wurde (nach der Melodie »Von den blauen Bergen kommen wir«).
Der »Stahlverband« – das war die Chiffre für die geballte Macht von Krupp, Thyssen und Co., die seit Kaiser Wilhelms Zeiten Herren im Revier waren und es auch bleiben wollten. Sie hatten alles daran gesetzt, Gegenmacht der Arbeiterschaft gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Stahlindustrie vergesellschaften
Im Rheinhausen-Konflikt wurde ziemlich bald deutlich, dass Krupp das Stahlwerk auf keinen Fall halten wollte, und so gewann eine betriebsübergreifende Forderung Plausibilität: »Die Stahlindustrie vergesellschaften!« Dies entsprach auch der nordrhein-westfälischen Landesverfassung (1950 unter dem CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold beschlossen und bis heute gültig), in der es in Artikel 27 heißt: »Großbetriebe der Grundstoffindustrie (…) sollen in Gemeineigentum überführt werden.«
Programmatisch trat auch die IG Metall dafür ein, die größten Stahlunternehmen zu vergesellschaften. Praktisch blieb diese Forderung ein Ventil für die zornigen Gefühle der Stahlarbeiter. Vorstand und Administration der Gewerkschaft beließen es bei der Deklaration; sie versuchten nicht, eine Kampagne in dieser Sache zu entwickeln. Auf fragwürdige Weise machte sich auch Betriebsegoismus bemerkbar, repräsentiert vor allem durch manche Betriebsräte. Bei der Umstrukturierung der Stahlindustrie, so wurde hier oder dort kalkuliert, werde der eigene Laden übrig bleiben und dann gestärkt dastehen. »Jeder Standort stirbt für sich allein«, so das kritische, aber resignative Empfinden vieler Stahlarbeiter.
Dennoch, schon vor und dann gesteigert mit dem Rheinhausen-Konflikt gab es eine Welle der Solidarisierung innerhalb und mit der Stahlarbeiterschaft. Die Demonstrationen rissen nicht ab. Die Politik sah sich daher genötigt, den Protest aufzufangen und ruhig zu stellen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) arrangierte eine »Montankonferenz«, der Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) eine »Ruhrgebietskonferenz«, in Düsseldorf und in Bonn bemühten sich die Regierenden, den Arbeitsplatzabbau »sozialverträglich« zu machen und die Empörung der Betroffenen zu dämpfen. In Rheinhausen wurde der Stahlstandort nicht gerettet, aber die Entlassungen zeitlich gestreckt und teilweise für eine Weile kompensiert.
Widerständige soziale Bewegung
Und das Resümee? Ohne Zweifel hat sich mit dem damaligen industriellen Konflikt, für den das Stichwort »Rheinhausen« steht, eine widerständige soziale Bewegung in der Arbeiterbevölkerung verbunden, die weitaus mehr Phantasie, Entschiedenheit und gesellschaftspolitische Substanz enthielt als sie heute bei vergleichbaren Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Lohnarbeit zu finden sind.
Die Handlungsumstände sind andere als 1987/88, das ist keine Frage. Dennoch lässt sich aus den damaligen Erfahrungen lernen. »Rheinhausen« war keine Erfolgsgeschichte, aber auch nicht die Geschichte eines Misserfolgs. Der Druck, der auf die Politik ausgeübt wurde, war nicht folgenlos, wenn auch zeitlich begrenzt. »Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt« – dieser Satz wurde damals für viele Menschen erfahrbar. Aus dem betrieblichen Konflikt ging eine ungeheuere Politisierung hervor. Dass diese zumeist nicht von Dauer war, ist nicht den aufsässigen Stahlarbeitern anzukreiden. Arbeiterprotest, lässt sich schlussfolgern, braucht den Zusammenhang mit einer beständigen politischen Bewegung, um langen Atem zu gewinnen.
Die industrielle Machtelite konnte damals den gesellschaftspolitischen Kollateralschaden, den sie sich von der Krise in der Stahlbranche erhofft hatte, nicht realisieren. Zu stark war die Widerständigkeit in der Stahlarbeiterschaft, als dass die Konfrontation von Klasseninteressen aus dem Diskurs über Krisenlösungen hätte verdrängt werden können. Hier bekommt die Geschichte von »Rheinhausen« ihre aktuelle Bedeutung.
Foto: geoftheref
Schlagwörter: Arbeiterbewegung, Arno Klönne, Deutscher Gewerkschaftsbund, Gewerkschaften, Krise, marx21, Widerstand