Immer mehr Ärztinnen und Ärzte werden verurteilt, weil sie öffentlich über Abtreibungen informiert haben. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung will den Strafgesetzparagraphen kippen. Wir sprachen mit der Aktivistin Katja Neuendorf
Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung (BfsS) hat eine Kampagne zur Abschaffung des § 219a Strafgesetzbuch initiiert. Was genau regelt dieser Paragraph?
Der § 219a StGB behandelt die »Werbung für den Schwangerschaftsabbruch«. Der Paragraph verhindert in der Konsequenz, genau wie der § 218, der den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe stellt, eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung von Frauen und Schwangeren, für oder gegen die Schwangerschaft. Konkret können Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen wegen § 219a keinerlei Informationen über Ablauf, Verfahren oder Risiken öffentlich machen, beispielsweise im Internet. Sie müssen regelmäßig mit Anzeigen aus dem Lager der radikalen Abtreibungsgegner rechnen. Schwangere wiederum finden im Internet zuhauf Informationen der Abtreibungsgegner und Verweise zu Beratungsstellen, die teilweise den notwendigen Beratungsschein gar nicht ausstellen und auch keine Ärzte vermitteln, die Abbrüche durchführen. Die sachlichen Informationen darüber, welche Arztpraxis in der Nähe, mit welchen Methoden Abbrüche durchführt, ist aufgrund des § 219a unmöglich.
Viele denken, Schwangerschaftsabbrüche seien in Deutschland straffrei. Wie wirken sich die § 218 und § 219a StGB real auf die Beratungs-und Behandlungspraxis aus?
Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland keinesfalls straffrei. Durch den § 218 sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich rechtswidrig und von Strafe bedroht. Eine Aussetzung dieser Strafe geschieht beispielsweise, wenn nach § 218a und § 219 die betroffene Person einer verpflichtenden Beratung in einer offiziellen Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zustimmt. Diese muss mindestens drei Tage vor dem Abbruch stattfinden und die Schwangerschaft darf nicht mehr als 12 Wochen überschreiten.
In diesem Gefüge wirkt sich § 219a weiter auf die Entmündigung der Frauen aus. Nach ihrer Beratung erhalten sie, wenn überhaupt, lediglich Adresslisten und keine näheren Informationen darüber, welche Ärztin welche Abbruchmethode anbietet. Auch sind die Listen der Ärzte, wie beispielsweise kürzlich in Berlin bekannt geworden, so veraltet, dass ein Viertel bereits im Ruhestand ist.
Die stigmatisierenden Wirkungen von § 218 und § 219a beeinflussen auch die Ausbildung zukünftiger Ärzte. Obwohl Schwangerschaftsabbrüche einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe sind, ist das Erlernen der Schwangerschaftsabbrüche kein fester Teil des Medizinstudiums. Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führt so ebenfalls zu einer immer geringer werdenden Zahl an Ärztinnen und Ärzten, die einen Abbruch lernen wollen. In manchen Bundesländern müssen die Frauen über 120 Kilometer bis zum nächsten Arzt fahren.
Mit Kristine Hänel wurde im vergangenen Jahr eine Ärztin aufgrund § 219a verurteilt. Was hat sie gemacht und ist sie die einzige Betroffene?
Der § 219a kriminalisiert Ärztinnen und Ärzte, da sie bereits wegen sachlicher Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch auf ihrer Webseite oder in Interviews mit strafrechtlichen Folgen rechnen müssen. Dabei ist Kristina Hänel gerade die prominenteste jedoch nicht die einzige Medizinerin, die vor Gericht steht.
Hänel bot auf ihrer Internetseite ein Dokument mit Informationen über die verschiedenen Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen an und wies darauf hin, welche sie durchführe. Am 24. November 2017 verurteilte sie das Amtsgericht Gießen zu 6000 Euro Strafe. Es gibt aktuell zwei weitere Anzeigen gegen die Ärztinnen Nora Szasz und Natascha Niklaus in Hessen, weil sie auf ihrer Internetseite informieren, dass sie Abbrüche durchführen und kürzlich berichtete auch der Arzt Friedrich Stapf, dass er schon über ein Dutzend Mal aufgrund von § 219a angezeigt wurde und die Gerichts- und Anwaltskosten jedes Mal enorm waren.
Eigentlich ergibt es keinen Sinn Abbrüche unter bestimmten Bedingungen straffrei zu stellen und die Informationen dazu zu unterbinden. Wo kommt der § 219a her?
Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung fordert die Streichung der §§ 218 und 219. Beide stammen aus einer Zeit, in der Menschenrechte auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung nicht existierten.
Der § 219a stammt aus der Zeit des Nationalsozialismus und wurde 1933 eingeführt. Damals ging man mit ihm unter anderem gegen jüdische, kommunistische und liberale Ärzte vor, die Schwangerschaftsabbrüche anboten.
Es gab Hoffnungen, darauf das LINKE, GRÜNE, SPD und Teile der FDP das Zeitfenster vor der Regierungsbildung nutzen den Paragraphen zu kippen. Was ist daraus geworden?
Die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel führte zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die Kriminalisierung von Ärztinnen, Beratungsstellen und Einzelpersonen, die Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung stellen. Die Reaktion der Parteien erfolgte überraschend schnell: DIE LINKE, die Grünen, die SPD und ursprünglich die FDP wollen das Zeitfenster vor der Regierungsbildung nutzen, um im Bundestag eine Mehrheit gegen den § 219a zu erreichen. Gleichzeitig versuchen die Bundesländern Bremen, Berlin, Brandenburg und Hamburg durch eine Bundesratsinitiative die Streichung des Paragraphen zu erwirken.
Am 22. Februar wird im Bundestag die erste Debatte zur Gesetzesänderung stattfinden. Wobei die Fraktionen der LINKEN und Grünen für die Streichung des § 219a plädieren. Die SPD beschloss kurz vor der ersten Lesung, ihren Antrag auf Streichung nun doch nicht einzubringen. Teile der FDP wollen lediglich eine Abänderung des Paragraphen und veranstalteten am 19. Februar eine eigene Fachkonferenz, die schlussendlich jedoch kaum ihre Position argumentativ stärkte.
Unser Ziel ist die Streichung, doch schon eine Änderung wäre eine politische Niederlage für die neu in den Bundestag eingezogene AfD und ein großer Schritt vorwärts im Kampf für sexuelle und körperliche Selbstbestimmung.
Was sind eure nächsten Schritte?
Im Rahmen unserer Kampagne »Weg mit § 219a« setzen anlässlich der Debatte im Bundestag am 22. Februar ein öffentliches Zeichen vor dem Reichstag. Wir rufen zu einer Kundgebung auf mit politischen Reden und einer medienwirksamen Aktion. Wir wollen auch weiterhin unsere Fotoaktion die unter dem #wegmit219a erfolgreich angelaufen ist, weiterführen und alle einladen, für die Streichung ihr Gesicht zu zeigen. Am Freitag, den 23. Februar, veranstalten wir als Bündnis eine Fachkonferenz zum Thema »Weg mit § 219a«. Dort diskutieren wir mit Ärztinnen, Vertretern aus Beratungsstellen, Medizinstudentinnen, weiteren Expertinnen sowie Politikern von der LINKEN, den Grünen, der SPD sowie der FDP über weitere Strategien für eine letztliche Streichung.
Aber auch nach der Konferenz werden wir weitermachen und organisieren einen internationalen Pro-Choice Block auf der Frauen*kampftag Demonstration und sicher noch weitere Aktionen das Jahr über. Die Entscheidung wird noch nicht am 22. Februar fallen, wir werden weiter Druck auf Streichung des Paragraphen machen.
Müsste man nicht auch den §218 abschaffen?
Ja klar, das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung engagiert sich seit Jahren gegen die reaktionären Kräfte und ihrem politischen sowie gesellschaftlichen Einfluss. Jedes Jahr im September stellen wir uns dem »Marsch für das Leben« der sogenannten Lebensschutzbewegung entgegen. In unserer Bündniserklärung fordern wir den uneingeschränkten Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch und die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch. Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht!
Zur Person: Katja Neuendorf engagiert sich im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung.
Foto: Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung
Schlagwörter: Abtreibung, Inland, Kriminalisierung, Lebensschützer, Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, Selbstbestimmung, §218, §219a