Der nichtinvasive Pränataltest (NIPT) muss Kassenleistung sein. Mit Behindertenfeindlichkeit hat das nichts zu tun, meint Rosemarie Nünning
Der Gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen hat beschlossen, dass der nichtinvasive Pränataltest (NIPT), ein vorgeburtlicher Bluttest auf Trisomien, künftig Kassenleistung werden soll. Diese Entscheidung des Bundesausschusses ist richtig. Wenn der Zugang zu einem NIPT keine Klassenfrage sein soll, dann muss er für alle, die ihn wünschen, kostenfrei sein.
Widerstand von rechts und links
Gegnerinnen und Gegner dieses Tests organisieren dagegen seit Jahren Kampagnen, mit denen das Szenario massenhafter Selektion und der Euthanasie beschworen wird. Der katholische Papst Franziskus sprach auf einem ausschließlich der Pränataldiagnostik gewidmeten, vom Vatikan ausgerichteten Kongress »Yes to Life« im Mai dieses Jahres von einer »Wegwerfkultur«, ein Fötus sei als behandlungsfähiger Patient zu betrachten, und er wiederholte seine Äußerung vom »Auftragsmord«, den ein Schwangerschaftsabbruch darstelle.
Aber auch das sich eher als links verstehende Gen-ethische Netzwerk oder auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) haben sich scharf gegen die Kassenzulassung des NIPT gestellt, weil sie diese als behindertenfeindlich verstehen.
Pränataltest und Schwangerschaftsabbruch
Zunächst einmal: Was wurde eigentlich beschlossen? Der nichtinvasive Pränataltest soll Kassenleistung werden, wenn ein erhöhtes individuelles Risiko für eine Trisomie besteht. Der NIPT ist ein Bluttest, der ab etwa der 10. Schwangerschaftswoche anstelle der Entnahme von Fruchtwasser mit einer Hohlnadel, was den Fötus gefährden kann, durchgeführt wird. Er soll aber erst ab der 12. Woche Kassenleistung werden, was die betroffene Frau in die belastende Prozedur der Spätabtreibung bringt. Es gibt ihn seit 2012 und er kostet inzwischen ab etwa 130 Euro aufwärts.
Mit dem NIPT können vorgeburtlich drei Trisomien festgestellt werden: Trisomie 13, 18 und 21, die zu schweren körperlichen Fehlbildungen, verbunden mit einer sehr geringen Lebenserwartung von oft nur wenigen Monaten, führen können, zu einem sehr hohen Risiko der Fehlgeburt oder zum Downsyndrom, das meist mit geistiger Behinderung unterschiedlichen Ausmaßes verbunden ist.
Zerrbild von selbstsüchtigen Frauen
Angesichts einer Diagnose auf eine der Trisomien entscheiden sich Frauen oder das betroffene Paar oft für einen Schwangerschaftsabbruch. Doch die zahlenmäßige Dimension von Schwangerschaftsabbrüchen wegen einer Trisomiediagnose ist gering. Abbrüche wegen Diagnose auf Downsyndrom liegen bei etwa 200 bis 300 im Jahr, also etwa 0,3 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche. Das sind sehr geringe Zahlen.Trotzdem reichen sie aus für fanatische Feldzüge.
In der Debatte tritt erneut zutage, dass über schwangere Frauen (und ihre/n Partner/in) verhandelt wird und sie selbst kaum zu Wort kommen. Ein Zerrbild von selbstsüchtigen Frauen, die es sich leicht machen wollen, wird entworfen. Tatsächlich quält nach einer Studie die meisten Frauen, die an pränataler Diagnostik teilnehmen, die Frage, ob sie ihr möglicherweise schwer behindertes Kind ausreichend versorgen, ob sie (und die übrige Familie) die Belastung tragen können.
Pränataltest: Recht auf Selbstbestimmung
Eine solche Entscheidung, die notwendig eine individuelle ist, in die Nähe der von den Nazis als Massenmord organisierten Vernichtung »unwerten Lebens« zu stellen, ist Demagogie. Frauen haben ein Recht auf alle verfügbaren Informationen bezüglich ihrer Schwangerschaft. Dazu gehört auch, dass der Zugang zu den Techniken nicht privatisiert ist.
Ebenso haben Frauen auch ein Recht auf »Nichtwissen«, also auf die Entscheidung gegen einen Test. Aber die Entscheidung kann nur aufgrund unbeschränkten Zugangs zu Information gefällt werden. Gleichzeitig ist es notwendig, für eine Welt zu kämpfen, in der Entfremdung und Unterdrückung aufgehoben sind, Frauen nicht aus Not eine Schwangerschaft abbrechen und Behinderte über ihr Leben frei bestimmen können.
Zur Autorin: Rosemarie Nünning ist Mitglied der LINKEN.Berlin-Kreuzberg und aktiv im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung.
Schlagwörter: Abtreibung, Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch